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4. Rigorose Frage nach unserer Identität (1982)

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Zu Ullrich Hachullas Bild „Das Fest“

Das Leben: ein Fest. Es will gefeiert sein. Weihnachten gar. Mein Zuhause: eine heile Welt. Des Tages Arbeit ist getan. Die Familie sitzt zusammen. Freunde sind gekommen. Die übers Jahr verschlossene Tür steht offen. Wer kommen will, wer kommen kann, hat Zutritt. Essen und Trinken sind auf dem Tisch. Im Zimmer ist es warm. Man hat sich modisch gekleidet. Ich und du sind versorgt. Und über uns schwebt der Barlachsche Friedensengel.

Der Raum ist eng begrenzt, er hat Mauern, eine niedrige Decke (Latex-Weiß auf Raufasertapete), und unter den Füßen liegt ein roter Teppich. Das gibt doch Geborgenheit. Hierin kann sich keiner verlieren, kann uns keiner verloren gehen.

Das Leben ein Fest. Eine Idylle. Wohl kaum. Hachulla ist ein Bildermaler (Jahrgang 43), ein Mann des Auges, das aus einer beunruhigten Seele schaut. Er misstraut der Oberfläche, will das Dahinter erfahren, wenn es auch schmerzt. Sollen doch Farben und Schönheit schwinden, wenn nur eins sichtbar wird: Wahrheit. Der schmerzvolle Prozess des Werdens, der zugleich auch Lust am Dasein ist. Hachulla weiß darum, er will uns nahe bringen, was er gesehen und erkannt hat, damit wir uns im einen oder anderen wiedererkennen und Fragen in uns laut werden.

Da sitzt einer am gedeckten Tisch, die lachende Weihnachtsmannmaske vorm Gesicht. Er schaut uns an, der gütige Alte, er will uns beschenken, uns die frohe Botschaft überbringen. Haben wir anderen, die wir uns am Tisch zusammengefunden haben, nicht auch Masken auf? Und der Friedensengel, der so stark und sicher über uns hängt, ist er nicht auch maskiert?

Am Tisch wird geschwatzt. Der Witz geht um. Wir haben kräftig zugelangt. Die Mägen sind voll. Es soll gelacht werden.

Im Hintergrund des Raumes sprechen zwei miteinander. Sie haben sich etwas zu sagen. „Du?“, flüstert der eine dem anderen zu. „Wie sind wir eigentlich hier hineingeraten? Es muss doch einen Weg wieder hinaus geben...“ Neben ihnen ruft einer. Er schreit. Aber niemand hört ihn. Was soll er uns auch zu sagen haben, das wir nicht schon gehört haben. Wir feiern. Es ist Weihnachten. Himmel, wir sind Atheisten, aber lasst uns unsern Gott!

Da bläht es die Gardine. Da weht frische Luft herein. Ein Mann greift in den Vorhang. Hat er das Fenster geöffnet? Oder will er es schließen? Ängstigt ihn das Drinnen oder das Draußen? Der Friedensengel blickt zum Fenster. Es brauchte nur einer aufzustehen und dem Engel die Maske vom Gesicht zu ziehen. Warum steht denn keiner auf? Gleich wird einer rufen: „Fenster zu! Es zieht!“ Und seine Stimme wird gehört werden. Es wird die des freundlichen alten Mannes sein. Und wer behauptet, er hätte eine Maske vorm Gesicht, der ist ein böswilliger Ignorant, ein Miesmacher und Nestbeschmutzer, dem nicht einmal die heilige Sache heilig ist!

Wir feiern Weihnachten, es braucht ein Fest zur Besinnung.

„Glaube“, sagt uns Goethe, „ist Liebe zum Unsichtbaren, Vertrauen aufs Unmögliche, Unwahrscheinliche.“

Rufe in die Wüste

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