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VII.

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Seit zwei Mo­na­ten war die Erobe­rung Marok­kos voll­zo­gen. Frank­reichs Herr­schaft dehn­te sich von Tan­ger, das es be­setzt hat­te, über die gan­ze afri­ka­ni­sche Mit­tel­meer­küs­te bis nach Tri­po­lis, und es hat­te die Schul­den der an­nek­tier­ten Ge­bie­te an­er­kannt und ga­ran­tiert.

Man er­zähl­te, dass zwei Mi­nis­ter da­bei ge­gen zwan­zig Mil­lio­nen ver­dient hät­ten und man nann­te ganz laut den Na­men Lar­oche-Ma­thieus.

Was Va­ter Wal­ter an­ging, so wuss­te ganz Pa­ris, dass er ein dop­pelt vor­teil­haf­tes Ge­schäft ge­macht hat­te. Er hat­te sich drei­ßig bis vier­zig Mil­lio­nen an der An­lei­he in die Ta­sche ge­steckt und etwa 8 bis 10 Mil­lio­nen an den Kup­fer- und Erz­berg­wer­ken ver­dient, in­dem er un­er­mess­li­che Län­de­rei­en noch vor der Erobe­rung für ein Spott­geld ge­kauft und gleich nach der fran­zö­si­schen Ok­ku­pa­ti­on an Ko­lo­ni­al­ge­sell­schaf­ten wie­der ver­kauft hat­te.

Er war bin­nen we­ni­ger Tage zu ei­nem der Herr­scher der Welt ge­wor­den, ei­ner je­ner all­mäch­ti­gen Finanz­män­ner, die mäch­ti­ger sind als die Kö­ni­ge, vor de­nen sich die Köp­fe ver­beu­gen, vor de­nen die Zun­gen stam­melnd re­den, und vor de­nen al­les zu­ta­ge tritt, was an Ge­mein­heit, Feig­heit und Nie­der­tracht im tie­fen Men­schen­her­zen über­haupt ver­bor­gen ist.

Er war nicht mehr der Jude Wal­ter, Di­rek­tor ei­ner zwei­fel­haf­ten klei­nen Bank, der Her­aus­ge­ber ei­ner ver­däch­ti­gen Zei­tung, ein Ab­ge­ord­ne­ter, der sich mit schmut­zi­gen Bör­sen­ma­nö­vern ab­gab. Jetzt war er Herr Wal­ter, der rei­che Is­rae­lit. Das woll­te er vor al­ler Welt zei­gen.

Er er­fuhr, dass der Prinz von Carls­bourg, der Be­sit­zer des schöns­ten Schlos­ses im Fau­bourg-Saint-Ho­noré, mit ei­nem Gar­ten nach den Champs-Elysées, sich in Geld­ver­le­gen­heit be­fand. Er schlug ihm vor, in vier­und­zwan­zig Stun­den die­ses Grund­stück nebst Ge­bäu­de ab­zu­kau­fen, wo­bei er auch die ge­sam­ten Mö­bel über­neh­men wür­de, ohne dass auch nur ein Ses­sel von sei­nem Platz ge­rührt wer­den dürf­te. Er bot drei Mil­lio­nen an. Der Prinz ließ sich durch die hohe Sum­me ver­lei­ten und nahm das An­ge­bot an.

Am nächs­ten Tage zog Herr Wal­ter in sein neu­es Palais ein.

Er hat­te dann noch einen an­de­ren Ein­fall; der Ein­fall ei­nes Ero­be­rers, der Pa­ris ein­neh­men will nach der Art ei­nes Bo­na­par­tes.

Die gan­ze Stadt ging da­mals zum Kunst­ge­lehr­ten Jac­ques Le­no­ble, um ein Ge­mäl­de des un­ga­ri­schen Ma­lers Karl Mar­ko­witsch, »Je­sus auf dem Mee­re schrei­tend«, zu be­sich­ti­gen.

Die Kunst­kri­ti­ker wa­ren be­geis­tert und er­klär­ten die­ses Bild für das groß­ar­tigs­te und herr­lichs­te Meis­ter­werk des Jahr­hun­derts.

Wal­ter kauf­te es für 500000 Fran­cs und ließ es ab­ho­len; so schnitt er von heu­te auf mor­gen den Strom der Neu­gier­de des Pub­li­kums und der Kunst­lieb­ha­ber ab und zwang ganz Pa­ris, von ihm zu spre­chen, ihn zu be­nei­den, zu ta­deln oder zu lo­ben.

Dann ließ er durch die Zei­tun­gen ver­kün­den, er wür­de be­kann­te Mit­glie­der der Pa­ri­ser Ge­sell­schaft ein­la­den, um das Meis­ter­werk des aus­län­di­schen Künst­lers zu be­wun­dern, da­mit man nicht sa­gen kön­ne, er habe das Kunst­werk hin­ter Schloss und Rie­gel ge­setzt.

Sein Haus soll­te of­fen ste­hen, und je­der, der woll­te, konn­te kom­men. Es ge­nüg­te, an der Tür die Ein­la­dungs­kar­te vor­zu­zei­gen. Sie lau­te­te so:

»Herr und Frau Wal­ter beeh­ren sich, Sie zum 30. De­zem­ber, zwi­schen neun Uhr und Mit­ter­nacht, zur Be­sich­ti­gung des Ge­mäl­des von Karl Mar­ko­witsch, Je­sus auf dem Was­ser schrei­tend, bei elek­tri­scher Be­leuch­tung, er­ge­benst ein­zu­la­den.«

Als Post­skrip­tum stand da­hin­ter in ganz klei­nen Buch­sta­ben: »Nach Mit­ter­nacht wird ge­tanzt.«

Die­je­ni­gen, die blei­ben woll­ten, konn­ten also blei­ben, und aus die­sen Gäs­ten woll­ten sich Wal­ters ih­ren Be­kann­ten­kreis für die Zu­kunft aus­wäh­len.

Die an­de­ren wür­den das Kunst­werk, das Haus und sei­ne Ei­gen­tü­mer mit hoch­fei­ner, gleich­gül­ti­ger oder nei­di­scher und un­ver­schäm­ter Neu­gier­de be­trach­ten und dann wie­der ge­hen, wie sie ge­kom­men wa­ren. Und Papa Wal­ter wuss­te ganz ge­nau, dass sie spä­ter doch wie­der­kom­men wür­den, ge­nau so, wie sie mit sei­nen is­rae­li­ti­schen Stam­mes­ge­nos­sen ver­kehr­ten, die auch so wie er es zu Reich­tum ge­bracht hat­ten.

Zu­nächst muss­ten alle ge­schei­ter­ten Wür­den­trä­ger und be­kann­te vor­neh­me Na­men, die in den Zei­tun­gen ge­nannt wur­den, sein Haus be­su­chen; sie wür­den kom­men, um das Ge­sicht des Man­nes zu se­hen, der bin­nen sechs Wo­chen fünf­zig Mil­lio­nen ver­dient hat­te, sie wür­den fer­ner kom­men, um die­je­ni­gen, die dort auch ver­kehr­ten, zu se­hen und auf­zu­zäh­len, sie wür­den schließ­lich kom­men, weil er so viel gu­ten Ge­schmack und Ge­wandt­heit ge­zeigt hat­te, sie zur Be­wun­de­rung ei­nes re­li­gi­ös-christ­li­chen Ge­mäl­des ein­zu­la­den — er, der doch ein Sohn Is­raels war. Er schi­en ih­nen al­len sa­gen zu wol­len: »Se­hen Sie, ich habe 500000 Fran­cs für das Meis­ter­werk re­li­gi­öser Kunst von Mar­ko­witsch, Je­sus auf dem Mee­re schrei­tend, ge­zahlt. Und die­ses Meis­ter­werk bleibt jetzt bei mir, vor mei­nen Au­gen, im Hau­se des Ju­den Wal­ter.« In den vor­neh­men Ge­sell­schafts­krei­sen, in den Krei­sen der Her­zo­gin­nen und des Jock­ei­klubs, hat­te man über die­se Ein­la­dun­gen, die doch zu gar nichts ver­pflich­te­ten, hin und her ge­re­det. Man wür­de hin­ge­hen, wie man bei Herrn Pe­tit die Aqua­rel­le be­sich­tig­te. Wal­ters be­sa­ßen ein Meis­ter­werk, und nun öff­ne­ten sie für einen Abend die Tü­ren ih­res Hau­ses, da­mit alle Welt es be­wun­dern könn­te. Bes­ser und ein­fa­cher könn­te es doch gar nicht sein.

Die Vie Françai­se brach­te seit vier­zehn Ta­gen je­den Mor­gen eine No­tiz über die­se Soi­ree vom 30. De­zem­ber und gab sich alle Mühe, die Neu­gier­de des Pub­li­kums mög­lichst zu stei­gern.

Du Roy ras­te in­ner­lich ge­gen den Tri­umph sei­nes Herrn Di­rek­tors. Er hat­te sich mit sei­nen 500000 Fran­cs für un­er­mess­lich reich ge­hal­ten, die er sei­ner Frau ab­ge­presst hat­te, und nun kam er sich so arm, so bet­tel­arm im Ver­gleich zu dem Mil­lio­nen­re­gen vor, der rings­um­her nie­der­ge­fal­len war, ohne dass er da­von et­was hat­te auf­fan­gen kön­nen. Sei­ne grim­mi­ge Wut und sein Neid nah­men täg­lich zu: er hass­te alle Welt, die Wal­ters, zu de­nen er jetzt über­haupt nicht mehr hin­ging, sei­ne Frau, die sich von Lar­oche be­schwat­zen ließ und ihm ab­ge­ra­ten hat­te, die ma­rok­ka­ni­sche An­lei­he zu kau­fen, und vor al­len Din­gen groll­te er ge­gen den Mi­nis­ter, der ihn her­ein­ge­legt und aus­ge­nutzt hat­te und noch zwei­mal die Wo­che bei ihm zu Tisch speis­te. Ge­or­ges diente ihm als Se­kre­tär, als Agent, als eine le­ben­de Fe­der, und wenn er nach sei­nem Dik­tat schrieb, emp­fand er oft eine wahn­sin­ni­ge Lust, die­sen tri­um­phie­ren­den, wich­tig­tu­en­den Ge­cken zu er­dros­seln. Als Mi­nis­ter hat­te Lar­oche einen sehr be­schei­de­nen Er­folg, und um sei­ne Stel­lung zu be­hal­ten, ver­such­te er, nicht durch­bli­cken zu las­sen, dass er nun ein stein­rei­cher Mann ge­wor­den war. Doch Du Roy spür­te die­ses Gold an dem hoch­mü­ti­gen Tone des em­por­ge­kom­me­nen Rechts­an­walts, an sei­nem fre­chen Auf­tre­ten, an sei­nen selbst­si­che­ren Be­haup­tun­gen und sei­nem un­be­schreib­li­chen Selbst­ver­trau­en. Lar­oche re­gier­te jetzt im Hau­se Du Roys, wo er die Stel­le des Gra­fen de Vau­drec ein­ge­nom­men hat­te so­wie sei­ne Be­suchs­ta­ge; und er sprach mit den Dienst­bo­ten, als ob er der zwei­te Haus­herr wäre.

Ge­or­ges dul­de­te ihn zäh­ne­knir­schend, wie ein Hund, der bei­ßen will, es aber nicht wagt. Er war jetzt öf­ters hart und rück­sichts­los ge­gen Ma­de­lei­ne, die mit den Ach­seln zuck­te und ihn als ein un­ar­ti­ges Kind be­han­del­te.

Üb­ri­gens wun­der­te sie sich über sei­ne an­dau­ern­de schlech­te Lau­ne und sag­te oft: »Ich ver­ste­he dich nicht. Du musst dich stets über et­was be­kla­gen, da­bei hast du eine ge­ra­de­zu groß­ar­ti­ge Stel­lung.« Er dreh­te ihr den Rücken zu und er­wi­der­te gar nichts.

Er hat­te zu­nächst er­klärt, er gin­ge nicht zum Fest beim Chef; er den­ke nicht dar­an, mit die­sem schmut­zi­gen Ju­den zu ver­keh­ren.

Seit zwei Mo­na­ten schrieb ihm Frau Wal­ter täg­lich Brie­fe und bat ihn, zu ihr zu kom­men oder ihr ein Ren­dez­vous zu be­stim­men, wo es ihm pass­te, um ihm, wie sie sag­te, die 70000 Fran­cs aus­zu­hän­di­gen, die sie für ihn ge­won­nen hat­te.

Er ant­wor­te­te über­haupt nicht und warf alle die­se ver­zwei­fel­ten Brie­fe ins Feu­er. Nicht etwa weil er auf sei­nen Ge­winnan­teil ver­zich­tet hät­te, son­dern er woll­te sie ver­rückt ma­chen, sie auf die Knie zwin­gen, und sie spü­ren las­sen, wie ver­ächt­lich er sie be­han­de­le. Sie war zu reich! Er woll­te sich stolz zei­gen!

Noch am Tage der Aus­s­tel­lung des Bil­des woll­te Ma­de­lei­ne ihm vor­stel­len, wie un­recht er täte, nicht hin­zu­ge­hen, aber er sag­te bloß:

»Ach lass mich in Ruhe! Ich will zu Hau­se blei­ben.«

Dann, nach dem Abendes­sen, er­klär­te er plötz­lich:

»Es wird wohl trotz­dem bes­ser sein, wenn wir uns die­ser lang­wei­li­gen Pf­licht un­ter­zie­hen. Zie­he dich schnell an.«

Sie war dar­auf ge­fasst.

»Ich bin in ei­ner Vier­tel­stun­de fer­tig«, sag­te sie.

Er klei­de­te sich brum­mend an, und noch in der Drosch­ke fuhr er fort, sei­ner Gal­le frei­en Lauf zu las­sen.

Die Ho­fein­fahrt zum Palais Carls­bourg war durch vier Bo­gen­lam­pen, die wie vier klei­ne bläu­li­che Mon­de aus­sa­hen, von al­len vier Ecken hell be­leuch­tet. Ein pracht­vol­ler Tep­pich lag auf den Stu­fen der ho­hen Freitrep­pe und auf je­der Stu­fe stand, un­be­weg­lich wie eine Bild­säu­le, ein Die­ner in Li­vree.

Du Roy brumm­te: »Die­se Prot­ze­rei!« Er zuck­te die Ach­seln, ver­zehrt von Neid und Ei­fer­sucht.

»Schweig doch und mach’ es ih­nen nach«, sag­te sei­ne Frau lei­se.

Sie tra­ten ein und lie­ßen sich ihre schwe­ren Abend­män­tel von den Die­nern ab­neh­men, die auf sie zu­tra­ten. Es wa­ren dort auch meh­re­re Da­men, die mit ih­ren Män­nern ge­kom­men wa­ren; sie leg­ten eben­falls ihre Pel­ze ab. Man hör­te rings­um­her flüs­tern: »Wie herr­lich, wie wun­der­schön.«

Die ge­wal­ti­ge Vor­hal­le war mit Go­bel­ins be­hängt, wel­che den Lie­bes­my­thus des Mars und der Ve­nus dar­stell­ten. Rechts und links stie­gen die bei­den Tei­le der prunk­haf­ten, mo­nu­men­ta­len Trep­pe em­por, die im ers­ten Stock zu­sam­men­lie­fen. Das ei­ser­ne Ge­län­der war ein Meis­ter­werk der Schmie­de­kunst; sei­ne alte ver­blass­te Ver­gol­dung warf einen zar­ten und sanf­ten Schim­mer auf die ro­ten mar­mor­nen Trep­pen­stu­fen.

Am Ein­gan­ge zu den Sa­lons stan­den zwei klei­ne Mäd­chen, die eine in Rosa, die an­de­re in Blau ge­klei­det und über­reich­ten den Da­men Blu­men­sträu­ße. Alle fan­den das ent­zückend.

In den Sä­len be­fan­den sich schon eine gan­ze Men­ge Be­su­cher.

Die meis­ten Frau­en wa­ren in Stra­ßen­toi­let­te er­schie­nen, um da­mit zu be­to­nen, dass sie hier­her nur so ge­kom­men wa­ren wie zu je­der an­de­ren pri­va­ten Kunstaus­stel­lung. Die­je­ni­gen, die zum Ball blei­ben woll­ten, tru­gen Ge­sell­schaft­stoi­let­ten.

Frau Wal­ter hielt sich, um­ge­ben von Freun­din­nen, im zwei­ten Säle auf und be­grüß­te die Gäs­te. Vie­le, die sie über­haupt nicht kann­ten, gin­gen her­um wie in ei­nem Mu­se­um, ohne sich um die Gast­ge­ber zu küm­mern.

Als sie Du Roy er­blick­te, wur­de sie lei­chen­blass und mach­te eine un­will­kür­li­che Be­we­gung, als woll­te sie ihm ent­ge­gen­ge­hen. Dann blieb sie un­be­weg­lich ste­hen und war­te­te. Er be­grüß­te sie höf­lich, wäh­rend Ma­de­lei­ne sie mit zärt­li­chen Schmei­che­lei­en über­schüt­te­te. Ge­or­ges ließ sei­ne Frau ne­ben der Frau Di­rek­tor ste­hen und misch­te sich un­ter die Men­ge, um sich bos­haf­te Be­mer­kun­gen an­zu­hö­ren, die hier si­cher­lich nicht feh­len dürf­ten.

Fünf Sa­lons folg­ten ei­ner auf den an­de­ren, sie wa­ren mit kost­ba­ren Stof­fen ta­pe­ziert, mit al­ten ita­lie­ni­schen Sti­cke­rei­en oder ori­en­ta­li­schen Tep­pi­chen in al­len Far­ben und Stilar­ten ge­schmückt; dar­über hin­gen an den Wän­den Ge­mäl­de al­ter be­rühm­ter Meis­ter. Vor al­lem be­wun­der­te man einen klei­nen Sa­lon im Stil Louis XVI., eine Art von Bou­doir, das ganz mit hell­blau­er Sei­de mit aus­ge­stick­ten Ro­sen­sträu­ßen ta­pe­ziert war. Die Mö­bel aus ver­gol­de­tem Holz wa­ren mit dem glei­chen Stoff be­zo­gen; die gan­ze Ein­rich­tung war von ei­ner wun­der­ba­ren Fein­heit.

Ge­or­ges er­kann­te in der Men­ge die Pa­ri­ser Berühmt­hei­ten, die Her­zo­gin de Ter­ra­ci­ne, den Gra­fen und die Grä­fin Ra­ve­nel, den Ge­ne­ral Prinz d’Andre­mont, die bild­schö­ne Mar­qui­se des Du­nes, und dann alle die Her­ren und Da­men, die man ge­wöhn­lich bei Pre­mie­ren sieht.

Plötz­lich fass­te ihn je­mand am Arm und eine jun­ge und fro­he Stim­me flüs­ter­te ihm ins Ohr:

»Ah, da sind Sie end­lich, bö­ser Bel-Ami. Wa­rum las­sen Sie sich denn gar nicht mehr se­hen?«

Es war Suzan­ne Wal­ter, die ihn mit ih­ren fei­nen Email­leau­gen un­ter den krau­sen, blon­den Lo­cken ih­res Haa­res an­sah.

Er war ent­zückt, sie wie­der zu se­hen und drück­te ihr of­fen­her­zig die Hand. Dann ent­schul­dig­te er sich.

»Ich konn­te nicht. Ich habe so viel zu tun; seit zwei Mo­na­ten bin ich gar nicht aus­ge­gan­gen.«

»Das ist gar nicht nett,« sag­te sie ernst­haft, »so­gar sehr, sehr häss­lich, Sie ha­ben uns viel Kum­mer be­rei­tet, Mama und mir, denn wir lie­ben Sie bei­de sehr. Ich kann Sie über­haupt nicht mehr ent­beh­ren. Ich lang­wei­le mich zu Tode, wenn Sie nicht da sind. Sie se­hen, ich sage Ih­nen das ganz of­fen, da­mit Sie nicht mehr das recht ha­ben, so von der Ober­flä­che zu ver­schwin­den. Ge­ben Sie mir Ihren Arm, ich will Ih­nen selbst ›Je­sus auf dem Mee­re schrei­ten­d‹ zei­gen. Das Bild hängt drü­ben hin­ter dem Win­ter­gar­ten. Papa hat ex­tra die­sen Platz ge­wählt, da­mit man durch alle Räu­me ge­hen muss. Es ist di­rekt er­staun­lich, wie Papa mit die­sem Hau­se re­nom­miert.«

Sie gin­gen lang­sam durch die Men­ge. Man dreh­te sich um und blick­te die­sem schö­nen jun­gen Mann und die­ser ent­zücken­den Pup­pe nach.

Ein be­kann­ter Ma­ler mein­te:

»Die­ses Paar ist tat­säch­lich sehr hübsch und rei­zend.«

Ge­or­ges dach­te:

»Wenn ich wirk­lich stark wäre, müss­te ich die hei­ra­ten. Es wäre doch mög­lich. Wa­rum habe ich nie dar­an ge­dacht? Wie konn­te ich nur die an­de­re neh­men? Wie tö­richt! Man han­delt im­mer zu schnell und denkt nie ge­nü­gend nach.«

Und der Neid, der bit­te­re Neid, fiel trop­fen­wei­se in sein Herz wie Gal­le, die ihm alle sei­ne Freu­de verd­arb und sein gan­zes Le­ben ver­hasst mach­te.

Suzan­ne sag­te:

»Oh, kom­men Sie recht oft, Bel-Ami, wir kön­nen jetzt, wo Papa nun so reich ist, Strei­che und Dumm­hei­ten un­ter­neh­men und uns wie toll amü­sie­ren.«

Er folg­te noch im­mer sei­nem Ge­dan­ken­gang und ant­wor­te­te :

»Oh, Sie wer­den jetzt bald hei­ra­ten; Sie wer­den einen schö­nen, viel­leicht et­was rui­nier­ten Prin­zen hei­ra­ten, und wir wer­den uns nicht mehr se­hen.«

Sie rief of­fen­her­zig aus :

»O nein, noch nicht. Ich will je­man­den, der mir ge­fällt, den ich sehr gern hät­te, den ich so­gar lieb hät­te. Geld habe ich für bei­de ge­nug.«

Er lä­chel­te iro­nisch und hoch­mü­tig und be­gann die Na­men der Vor­über­ge­ben­den zu nen­nen, al­les sehr vor­neh­me Leu­te, die ihre ver­ros­te­ten Adels­schil­der an Töch­ter rei­cher Finanz­leu­te so gern ver­kauft hat­ten, die nun mit ih­ren Frau­en oder auch ohne sie leb­ten, je­den­falls frei, un­ver­schämt und doch be­kannt und ge­ach­tet.

Er fuhr fort:

»Es ver­ge­hen kei­ne sechs Mo­na­te und Sie ha­ben auf die­sen Kö­der an­ge­bis­sen. Sie wer­den Mar­qui­se, Her­zo­gin oder Fürs­tin, und Sie wer­den dann auf mich von oben her­abbli­cken, mein lie­bes Fräu­lein.«

Ent­rüs­tet schlug sie ihm mit dem Fä­cher auf den Arm und schwor, sie wür­de nur aus Lie­be hei­ra­ten.

Er grins­te:

»Wir wer­den es se­hen. Ich glau­be, Sie sind zu reich.«

Sie sag­te:

»Sie doch auch. Sie ha­ben doch eine Erb­schaft an­ge­tre­ten.«

Er stieß mit­lei­dig ein »Oh« aus.

»Spre­chen wir nicht da­von, kaum 20000 im Jahr. Das ist nicht viel heut­zu­ta­ge.«

»Aber Ihre Frau hat auch ge­erbt?«

»Ja, es war eine Mil­li­on für uns bei­de. 40000 Fran­cs Ein­kom­men. Wir kön­nen uns da­mit nicht mal eine Equi­pa­ge leis­ten.«

Sie ge­lang­ten in den letz­ten Saal, vor ih­nen tat sich ein großer Win­ter­gar­ten auf, mit hoch­ra­gen­den, tro­pi­schen Bäu­men und ei­ner Men­ge sel­te­ner Blu­men. Über die­ses dunkle Grün glitt das Licht in sil­ber­nen Wo­gen und man at­me­te die laue Fri­sche der feuch­ten Erde und die ver­schie­dens­ten Wohl­ge­rü­che ein. Man hat­te da­bei ein selt­sa­mes, ge­sun­des, aber an­ge­neh­mes und be­zau­bern­des Emp­fin­den der künst­li­chen, reiz­vol­len und ent­nerv­ten Na­tur. Man schritt auf Tep­pi­chen, die weich wie das Moos wa­ren, zwi­schen dich­ten Bee­ten mit Ge­bü­schen und Blatt­pflan­zen. Plötz­lich er­blick­te Du Roy zur Lin­ken un­ter ei­ner wei­ten Wöl­bung von Pal­men ein rie­si­ges Mar­mor­bas­sin, so groß, dass man dar­in ba­den konn­te. Am Ran­de stan­den vier wei­ße Delf­ter Por­zel­lan­schwä­ne, aus de­ren halb­ge­öff­ne­ten Schnä­beln das Was­ser in das Be­cken floss. Der Bo­den des Bass­ins war mit Goldsand be­streut, und man sah im Was­ser ein paar große rote Fi­sche schwim­men, selt­sa­me chi­ne­si­sche Un­ge­tü­me mit her­vor­ste­hen­den Au­gen, mit blau ge­rän­der­ten Schup­pen, eine Art Man­da­ri­ne der Flu­ten; sie schwam­men über den gol­de­nen Grund und sa­hen wie selt­sa­me le­ben­de Sti­cke­rei­en aus.

Der Jour­na­list blieb ste­hen; sein Herz klopf­te. Er dach­te:

»Das ist ein Lu­xus! In sol­chen Häu­sern lohnt es zu le­ben. An­de­ren ist das ge­lun­gen, warum soll­te ich es nicht so weit brin­gen kön­nen.«

Er sann über die Mög­lich­keit und über die Mit­tel nach, fand aber kei­ne und är­ger­te sich über sei­ne Ohn­macht.

Sei­ne Beglei­te­rin sprach nicht mehr und blick­te nach­denk­lich vor sich hin. Er be­trach­te­te sie von der Sei­te und dach­te noch ein­mal: »Es ge­nügt doch, ein­fach die­se le­ben­de Pup­pe zu hei­ra­ten.« Doch Suzan­ne schi­en plötz­lich auf­zu­wa­chen.

»Pas­sen Sie auf«, sag­te sie.

Sie stieß Ge­or­ges durch eine Grup­pe von Men­schen, die ih­nen im Wege stan­den und führ­te ihn plötz­lich nach rechts.

Mit­ten in ei­nem Ge­büsch von selt­sa­men Pflan­zen, de­ren zit­tern­de Blät­ter ge­spreiz­ten Hän­den mit lan­gen, dün­nen Fin­gern gli­chen, sah man einen Mann, der un­be­weg­lich auf dem Mee­re stand.

Der Ein­druck war über­wäl­ti­gend. Die Rän­der des Bil­des wa­ren durch das be­weg­li­che Grün ver­deckt und so er­schi­en es wie eine dunkle Öff­nung, durch die man in der fan­tas­ti­schen mär­chen­haf­ten Fer­ne eine er­grei­fen­de Ge­stalt sah.

Man muss­te das Ge­mäl­de sehr ge­nau be­trach­ten, um es zu ver­ste­hen. Der Rah­men durch­schnitt ge­ra­de die Mit­te des Kah­nes, in dem die Apos­tel sa­ßen. Sie wa­ren nur schwach durch die schrä­gen Strah­len ei­ner La­ter­ne be­leuch­tet. Ei­ner von ih­nen, der am Ran­de des Kah­nes saß, ließ das hel­le Licht auf Je­sus fal­len. Chris­tus nä­her­te sich und trat auf eine Woge; man sah, wie sie sich über­schlug und er­ge­ben und zärt­lich glät­te­te vor dem gött­li­chen Fuß, der sie nie­der­trat. Rings um den Got­tes­sohn war al­les dun­kel. Nur die Ster­ne glänz­ten am Him­mel.

Die Ge­sich­ter der Apos­tel wa­ren un­be­stimmt be­leuch­tet durch ein Licht, das der eine in der Hand trug und auf den Hei­land zeig­te. Sie schie­nen vor Stau­nen er­starrt zu sein.

Das war wirk­lich das mäch­ti­ge, un­ver­hoff­te Kunst­werk ei­nes Meis­ters, eine je­ner Schöp­fun­gen, die uns im In­ners­ten er­grei­fen und uns jah­re­lang da­von träu­men las­sen.

Die Men­schen, die die­ses Werk be­trach­te­ten, blie­ben zu­nächst stumm und un­be­weg­lich ste­hen, dann gin­gen sie nach­denk­lich wei­ter und spra­chen nach­her nur vom Bild und der wun­der­vol­len Ma­le­rei.

Du Roy be­sah es sich eine Wei­le und er­klär­te:

»Es muss doch hübsch sein, sich sol­che Kost­bar­kei­ten leis­ten zu kön­nen.«

Aber die Men­ge dräng­te sich um ihn und stieß ihn, um se­hen zu kön­nen. — Er ging wei­ter, ohne die Hand Suzan­nes, die auf sei­nem Arm ruh­te und die er leicht an sich press­te, los­zu­las­sen.

Sie sag­te:

»Neh­men Sie ein Glas Cham­pa­gner, kom­men Sie ans Bü­fett, wir wer­den dort si­cher Papa tref­fen.«

Und sie schrit­ten lang­sam durch alle Räu­me. Die Men­ge schwoll mehr und mehr an. Die­se ele­gan­te, un­be­küm­mer­te, lär­men­de Men­ge, wie sie bei al­len öf­fent­li­chen Fest­lich­kei­ten zu se­hen ist.

Plötz­lich glaub­te Du Roy zu hö­ren, wie eine Stim­me sag­te:

»Das ist Lar­oche und Ma­da­me Du Roy.«

Die­se Wor­te streif­ten lei­se sein Ohr wie ein weit ent­fern­tes Geräusch. Wo­her ka­men sie?

Er sah sich nach al­len Sei­ten um und er­blick­te in der Tat sei­ne Frau, die am Arm des Mi­nis­ters vor­bei­ging. Sie plau­der­ten ganz lei­se mit ver­trau­li­chem Lä­cheln und sa­hen sich in die Au­gen.

Er glaub­te zu be­mer­ken, dass man bei ih­rem An­blick sich et­was zu­flüs­ter­te, er emp­fand das bru­ta­le und tö­rich­te Ver­lan­gen, auf die bei­den los­zu­stür­zen und sie mit Fäus­ten nie­der­zu­schla­gen.

Sie mach­te ihn lä­cher­lich; er dach­te an Fo­res­tier. Vi­el­leicht sagt man schon: »Die­ser be­tro­ge­ne Ehe­mann Du Roy.« Wer war sie denn ei­gent­lich? Eine klei­ne Frau dunk­ler Her­kunft, ziem­lich ge­schickt em­por­ge­kom­men, aber mit klei­nen Mit­teln und ohne be­son­de­re Be­ga­bung. Man be­such­te ihn, weil man ihn und sei­nen Ein­fluss fürch­te­te, weil er stark war, aber man sprach si­cher un­ge­niert über die­se Jour­na­lis­te­ne­he. Mit die­ser Frau könn­te er es nie weit brin­gen, die sein Haus stets ver­däch­tig er­schei­nen ließ, sie kom­pro­mit­tier­te sich selbst und ihn, und man sah an ih­rem Auf­tre­ten und Be­neh­men, dass sie eine Int­ri­gan­tin war. Sie war jetzt ein Ge­wicht, das er am Fuße schlepp­te. Ach, wenn er ge­ahnt hät­te, wenn er es im Voraus ge­wusst: hät­te! Dann wür­de er ein et­was küh­ne­res und grö­ße­res Spiel ge­spielt ha­ben! Oh, was er für eine schö­ne Par­tie ge­win­nen könn­te, wenn er auf Suzan­ne ge­setzt hät­te! Wie konn­te er so blind sein und die­ses al­les nicht ge­se­hen ha­ben?

Sie ka­men jetzt in den Spei­se­saal. Es war eine rie­si­ge Hal­le mit Mar­mor­wän­den. An den Wän­den hin­gen alte Go­bel­ins.

Wal­ter er­blick­te sei­nen Re­dak­teur und stürz­te auf ihn zu, um ihm die Hän­de zu drücken. Er war be­rauscht vor Freu­de:

»Ha­ben Sie ge­se­hen? … Sag’ mal, Suzan­ne, hast du ihm ge­zeigt? Welch eine Men­ge von Men­schen, nicht wahr, Bel-Ami? Ha­ben Sie den Prinz de Gu­er­che ge­se­hen? Er hat hier eben ein Glas Punsch ge­trun­ken.«

Dann wand­te er sich zum Se­na­tor Ris­so­lin, der sei­ne stumpf­sin­nig aus­se­hen­de Frau mit sich schlepp­te; sie war auf­ge­putzt wie eine Jahr­markt­s­pup­pe.

Ein Herr grüß­te Suzan­ne, ein hoch­ge­wach­se­ner, schlan­ker, jun­ger Mann mit blon­dem Ba­cken­bart, et­was kahl­köp­fig und mit welt­män­ni­schen Ma­nie­ren, wie man sie so­fort er­ken­nen kann. Ge­or­ges hör­te sei­nen Na­men nen­nen: Mar­quis de Ca­zol­les; und er fühl­te plötz­lich, wie er auf die­sen Mann ei­fer­süch­tig wur­de. Seit wann kann­te sie ihn? Wahr­schein­lich, seit­dem sie so reich war? Er ver­mu­te­te einen Ne­ben­buh­ler.

Da fass­te ihn je­mand am Arm. Es war Nor­bert de Va­ren­ne. Der alte Dich­ter wan­der­te mit sei­nem fet­ti­gen Haar in sei­nem al­ten Frack durch die großen Räu­me um­her, mit ei­nem gleich­gül­ti­gen und mü­den Ge­sichts­aus­druck.

»Das heißt sich amü­sie­ren«, sag­te er. »Nach­her wird ge­tanzt, dann geht man zu Bett, und die klei­nen Mäd­chen wer­den zu­frie­den sein. Trin­ken Sie et­was Cham­pa­gner, er ist aus­ge­zeich­net.«

Er ließ sich ein Glas ein­schen­ken und trank Du Roy zu, der auch eins ge­nom­men hat­te:

»Ich trin­ke auf den End­sieg des Geis­tes über die Mil­lio­nen.«

Dann setz­te er mit sanf­ter Stim­me hin­zu:

»Nicht etwa, dass ich sie den an­de­ren nicht gön­ne; ich möch­te sie selbst nicht ein­mal be­sit­zen. Ich pro­tes­tie­re aus Prin­zip.«

Ge­or­ges hör­te ihm nicht mehr zu. Er such­te Suzan­ne, die eben mit dem Mar­quis de Ca­zol­les ver­schwun­den war; er ließ Nor­bert de Va­ren­ne plötz­lich al­lein ste­hen und mach­te sich an die Ver­fol­gung des jun­gen Mäd­chens. Eine dich­te Men­ge, die das Bü­fett um­la­ger­te, hielt ihn auf. Als er sich durch­ge­drängt hat­te, stieß er auf das Ehe­paar de Ma­rel­le.

Er traf sich re­gel­mä­ßig mit der Frau, aber den Mann hat­te er seit län­ge­rer Zeit nicht ge­se­hen. Er streck­te ihm bei­de Hän­de ent­ge­gen und sag­te:

»Ich muss Ih­nen viel­mals dan­ken, mein Lie­ber, für den Rat­schlag, den Sie mir durch Clo­til­de ge­ben lie­ßen. Ich habe durch die Marok­ko­an­lei­he ge­gen 100000 Fran­cs ver­dient. Das ver­dan­ke ich Ih­nen. Sie sind wirk­lich ein be­zau­bern­der Freund.«

Die Män­ner, die her­um­stan­den, dreh­ten sich um und blick­ten der hüb­schen, ele­gan­ten Brü­net­te nach.

»Als Ge­gen­leis­tung«, er­wi­der­te Du Roy, »müs­sen Sie mir Ihre Frau ab­tre­ten, oder viel­mehr, ich bie­te ihr den Arm an. Ehe­leu­te muss man im­mer tren­nen.«

Herr de Ma­rel­le ver­beug­te sich:

»Sehr gut. Soll­te ich Sie aus den Au­gen ver­lie­ren, so tref­fen wir uns hier nach ei­ner Stun­de.«

»Ab­ge­macht.«

Die bei­den jun­gen Leu­te misch­ten sich un­ter die Men­ge, und der Ehe­mann folg­te ih­nen.

»Die Wal­ters ha­ben doch Glück,« wie­der­hol­te Clo­til­de, »aber es ge­hört auch Tüch­tig­keit und Ge­schäfts­sinn dazu.«

Ge­or­ges ant­wor­te­te: »Ach was, ener­gi­sche und star­ke Men­schen er­rei­chen im­mer ihr Ziel, so oder so.«

»Jede der bei­den Töch­ter«, fuhr sie fort, »be­kommt ihre 20 oder 30 Mil­lio­nen Mit­gift. Und Suzan­ne ist au­ßer­dem auch hübsch …«

Er sag­te nichts. Es är­ger­te ihn, sei­ne ei­ge­nen Ge­dan­ken von ei­nem an­de­ren aus­spre­chen zu hö­ren.

Sie hat­te das Ge­mäl­de noch nicht ge­se­hen. Er schlug ihr vor, sie dort hin­zu­füh­ren. Sie fan­den Ver­gnü­gen dar­an, Bos­hei­ten über die Leu­te zu sa­gen und sich über un­be­kann­te Ge­sich­ter lus­tig zu ma­chen. Saint-Po­tin kam an ih­nen vor­über; sein Frack war dicht mit Or­den be­steckt, was sie sehr be­lus­tig­te. Ihm folg­te ein frü­he­rer Bot­schaf­ter mit ei­ner klei­ne­ren Or­dens­schnal­le.

Du Roy er­klär­te:

»Was für eine bunt­ge­misch­te Ge­sell­schaft.«

Bois­renard, der ihm die Hand schüt­tel­te, hat­te auch sein Knopf­loch mit dem grün­gel­ben Bänd­chen ge­schmückt, das er auch an dem Duell­ta­ge ge­tra­gen hat­te. Die Vi­com­tes­se de Per­ce­mur, un­ge­heu­er auf­fal­lend ge­klei­det, un­ter­hielt sich mit ei­nem Her­zog in dem klei­nen Louis-XVI-Bou­doir.

»Ein ga­lan­tes tête-à-tête«, sag­te Ge­or­ges lei­se; als er durch den Win­ter­gar­ten ging, sah er sei­ne Frau mit Lar­oche-Ma­thieu hin­ter ei­nem Pal­men­busch halb ver­steckt sit­zen. Sie schie­nen zu sa­gen: »Wir ha­ben uns hier ein Ren­dez­vous ge­ge­ben, ein öf­fent­li­ches Ren­dez­vous. Und pfei­fen auf die Mei­nung der Ge­sell­schaft.«

Ma­da­me de Ma­rel­le fand den »Je­sus« von Mar­ko­witsch über­ra­schend schön, und sie ging wie­der zu­rück. Den Ehe­mann hat­ten sie ver­lo­ren.

»Und Lau­ri­ne,« frag­te er, »ist sie mir im­mer noch böse?«

»Ja, im­mer noch. Sie will dich nicht mehr se­hen und geht fort, wenn man von dir re­det.«

Er ant­wor­te­te nicht. Aber die­se plötz­li­che Feind­se­lig­keit des klei­nen Mäd­chens be­drück­te ihn und stimm­te ihn trau­rig.

An ei­ner Tür be­geg­ne­ten sie Suzan­ne; sie rief Ge­or­ges zu:

»Ah, da sind Sie ja, Bel-Ami! Sie müs­sen jetzt al­lein blei­ben, ich ent­füh­re Ih­nen die schö­ne Clo­til­de, um ihr mein Zim­mer zu zei­gen.«

Und die zwei Da­men gin­gen ra­schen Schrit­tes wei­ter. Sie glit­ten durch das dich­te Men­schen­ge­wühl und ver­schwan­den in der Men­ge. Gleich dar­auf rief eine Stim­me lei­se:

»Ge­or­ges.«

Es war Frau Wal­ter. Sie fuhr mit lei­ser Stim­me fort:

»Oh! Wie grau­sam sind Sie! Wa­rum quä­len Sie mich so ohne Grund? Ich habe Su­zet­te ge­be­ten, Ihre Beglei­te­rin zu ent­füh­ren, da­mit ich Ih­nen ein Wort sa­gen kann. Hö­ren Sie mich an, ich muss … ich muss Sie heu­te Abend spre­chen … oder … oder … Sie wis­sen gar nicht, was ich tun wer­de. Ge­hen Sie in den Win­ter­gar­ten, links fin­den Sie eine Tür, und durch die­se ge­lan­gen Sie in den Gar­ten. Ge­hen Sie ge­ra­de­aus, die Al­lee ent­lang, am Ende be­fin­det sich eine Lau­be. Er­war­ten Sie mich da in zehn Mi­nu­ten. Wenn Sie das nicht wol­len, so schwö­re ich Ih­nen: ich ma­che hier so­fort einen Skan­dal!«

Er ant­wor­te­te hoch­mü­tig:

»Mei­net­we­gen. Ich wer­de in zehn Mi­nu­ten an dem ver­ab­re­de­ten Ort sein.«

Dann trenn­ten sie sich, doch Jac­ques Ri­val hielt ihn auf, so­dass er bei­na­he zu spät ge­kom­men wäre. Er nahm ihn beim Arm und er­zähl­te ihm sehr auf­ge­regt eine Men­ge Ge­schich­ten. Er kam of­fen­bar vom Bü­fett. End­lich ließ ihn Du Roy mit Herrn de Ma­rel­le, den er wie­der ge­trof­fen hat­te, ste­hen, und ver­schwand. Er muss­te noch auf­pas­sen, dass er nicht von sei­ner Frau und Lar­oche ge­se­hen wür­de. Die­ses ge­lang ihm, denn die bei­den schie­nen sehr ani­miert zu sein, und end­lich war er im Gar­ten.

Die kal­te Luft durch­schau­er­te ihn wie ein eis­kal­tes Bad.

»O Gott,« dach­te er, »ich wer­de mich hier noch er­käl­ten.«

Er leg­te sich sein Ta­schen­tuch wie eine Kra­wat­te um den Hals und ging lang­sa­men Schrit­tes die Al­lee ent­lang. Er sah schlecht nach der hel­len Be­leuch­tung der Säle und konn­te in der Dun­kel­heit kaum den Weg fin­den.

Rechts und links un­ter­schied er all­mäh­lich das kah­le Ge­büsch, des­sen Zwei­ge von der Käl­te zu zit­tern schie­nen. Ein grau­er Licht­schim­mer fiel aus den Fens­tern des Schlos­ses auf den ent­laub­ten Gar­ten. Er sah vor sich, mit­ten auf dem Wege, et­was Wei­ßes; Frau Wal­ter stand da mit nack­tem Hal­se und nack­ten Ar­men und stam­mel­te mit be­ben­der Stim­me:

»Ach, da bist du end­lich! Was willst du ei­gent­lich? Willst du mich um­brin­gen?«

Er er­wi­der­te ru­hig:

»Ich bit­te dich, ohne Sze­nen, oder ich gehe so­fort weg.«

Sie fiel ihm um den Hals und ihre Lip­pen be­rühr­ten bei­na­he die sei­nen.

»Was habe ich dir denn ge­tan, dass du dich mir ge­gen­über wie ein Ehr­lo­ser be­nimmst? Sag’, was habe ich dir ge­tan?«

Er ver­such­te sie zu­rück­zu­sto­ßen:

»Das letz­te Mal, als wir zu­sam­men wa­ren, hast du dei­ne Haa­re an mei­nen Knöp­fen be­fes­tigt, es hat des­halb bei­na­he einen Bruch zwi­schen mei­ner Frau und mir ge­ge­ben.«

Sie war über­rascht, dann schüt­tel­te sie ver­nei­nend mit dem Kopf.

»Oh! Dei­ne Frau macht sich nichts dar­aus, es war eine dei­ner Ge­lieb­ten, die dir eine Sze­ne ge­macht hat.«

»Ich habe kei­ne Ge­lieb­ten.«

»Schweig! — Wa­rum kommst du mich nicht mehr be­su­chen? Wa­rum willst du nicht we­nigs­tens ein­mal mit mir in der Wo­che es­sen? Es ist so ent­setz­lich, was ich dar­un­ter lei­de. Ich lie­be dich; kann an nichts an­de­res den­ken, als an dich. Ich kann über­haupt nicht mehr se­hen, ohne dich vor mei­nen Au­gen zu ha­ben, ich wage kein Wort mehr aus­zu­spre­chen, aus Furcht, ich könn­te dei­nen Na­men laut sa­gen. Du kannst das gar nicht be­grei­fen! Ich habe das Ge­fühl, als hiel­test du mich in dei­nen Kral­len ge­fan­gen, als hät­te man mich in einen Sack hin­ein­ge­näht. Ich kann es dir gar nicht er­klä­ren. Der boh­ren­de Ge­dan­ke an dich, der mich nie ver­lässt, würgt mich an der Keh­le. Er zer­reißt mir in­nen et­was, un­ter mei­ner Brust, er zer­schlägt und lahmt mir die Bei­ne, dass ich kaum ge­hen kann. Ich blei­be stumpf­sin­nig wie ein Tier den gan­zen Tag auf dem Ses­sel lie­gen und den­ke an dich.«

Er sah sie er­staunt an. Es war nicht das di­cke, halb­ver­rück­te Schul­mäd­chen von vor­hin, es war eine Frau, die kopf­los und ver­zwei­felt zu al­lem fä­hig war. Ein un­be­stimm­ter Plan ent­wi­ckel­te sich in­zwi­schen in sei­nem Hirn. Er ant­wor­te­te:

»Mei­ne Ver­ehr­tes­te, die Lie­be währt nicht ewig. Man um­armt sich und geht dann aus­ein­an­der. Wenn es aber so lan­ge dau­ert wie zwi­schen uns, dann wird sie zu ei­ner schreck­li­chen Last. Und das will ich nicht. Das ist die Wahr­heit. Doch, wenn du im­stan­de bist, ver­nünf­tig zu sein und mich als Freund zu be­han­deln und zu emp­fan­gen, dann will ich gern wie­der­kom­men. Fühlst du dich stark ge­nug dazu?«

Sie leg­te ihre bei­den nack­ten Arme auf Ge­or­ges Frack und flüs­ter­te:

»Ich bin zu al­lem fä­hig, wenn ich dich nur se­hen darf.«

»Dann also ab­ge­macht,« sag­te er, »wir sind gute Freun­de und wei­ter nichts.«

Sie stam­mel­te:

»Gut, ab­ge­macht.«

Dann hielt sie ihm ihre Lip­pen hin.

»Noch einen Kuss … den letz­ten.«

Er wies sie sanft zu­rück.

»Nein, wir müs­sen bei un­se­rem Ab­kom­men blei­ben.«

Sie wand­te sich ab und trock­ne­te ihre Trä­nen. Dann zog sie aus dem Aus­schnitt ih­res Klei­des ein Päck­chen Pa­pier, das mit ei­nem rosa Sei­den­bänd­chen ver­schnürt war und reich­te es Du Roy.

»Hier. Das ist dein An­teil am Ver­dienst an dem Marok­ko­ge­schäft. Ich war so glück­lich, dass ich es für dich ge­won­nen hat­te. Nimm es doch.

Er woll­te es ab­leh­nen.

»Nein, ich kann die­ses Geld nicht an­neh­men.«

Sie pro­tes­tier­te:

»Ah, jetzt willst du das auch nicht mehr tun! Es ist dein Geld, es ge­hört nur dir. Wenn du es nicht nimmst, wer­fe ich es in ir­gend­ei­nen Ab­fluss. Du wirst mir das nicht: an­tun, nicht wahr, Ge­or­ges?«

Er nahm das klei­ne Pa­ket und ließ es in sei­ne Ta­sche ver­schwin­den.

»Wir müs­sen zu­rück,« sag­te er, »du holst dir sonst noch eine Lun­gen­ent­zün­dung,«

»Umso bes­ser!« mur­mel­te sie. »Wenn ich nur ster­ben könn­te!«

Sie er­griff sei­ne Hand und küss­te sie lei­den­schaft­lich, ra­send und ver­zwei­felt. Dann stürz­te sie ins Haus zu­rück.

Er folg­te ihr lang­sam und nach­denk­lich. Dann trat er stolz und lä­chelnd in den Win­ter­gar­ten ein.

Sei­ne Frau und Lar­oche wa­ren nicht mehr da. Sehr viel Gäs­te wa­ren schon fort. Of­fen­bar woll­ten die meis­ten nicht zum Ball blei­ben. Er sah Suzan­ne, die Arm in Arm mit ih­rer Schwes­ter ging. Sie tra­ten an ihn her­an und ba­ten ihn alle bei­de, die ers­te Qua­dril­le mit dem Gra­fen de La­tour-Yve­lin zu tan­zen. Er war über­rascht.

»Wer ist denn das nun wie­der?«

»Es ist ein neu­er Freund mei­ner Schwes­ter«, sag­te Suzan­ne hin­ter­lis­tig.

Rose wur­de rot und mur­mel­te:

»Du bist bos­haft, Su­zet­te, die­ser Herr ist ge­nau so mein Freund wie der dei­ne.«

Die an­de­re lä­chel­te:

»Das wis­sen wir schon.«

Rose wur­de wü­tend, wand­te ih­nen den Rücken und ging fort. Du Roy nahm ver­trau­lich das jun­ge Mäd­chen, das ne­ben ihm stand, am Arm und sag­te mit zärt­li­cher Stim­me:

»Hö­ren Sie, mei­ne lie­be Klei­ne, hal­ten Sie mich wirk­lich für Ihren Freund?«

»Aber ge­wiss, Bel-Ami.«

»Ha­ben Sie Ver­trau­en zu mir.«

»Un­be­dingt.«

»Ent­sin­nen Sie sich des­sen, was ich Ih­nen vor­hin ge­sagt habe?«

»Aber, was denn?«

»Über Ihre Hei­rat oder viel­mehr über den Mann, den Sie hei­ra­ten wer­den.«

»Ja.«

»Nun, wol­len Sie mir et­was ver­spre­chen?«

»Ja, was denn?«

»Mich je­des Mal um Rat zu fra­gen, wenn je­mand um Ihre Hand an­hält, und nie­man­dem Ihr Wort zu ge­ben, ehe Sie mich ge­spro­chen ha­ben.«

»Ja, das will ich tun.«

»Und das bleibt un­ter uns. Kein Wort da­von we­der zu Ihrem Va­ter noch zu Ih­rer Mut­ter.«

»Kein Wort.«

»Sie schwö­ren es?«

»Ich schwö­re.«

Ri­val er­schi­en auf­ge­regt und sprach mit wich­ti­ger Mie­ne:

»Gnä­di­ges Fräu­lein, Ihr Papa sucht Sie für den Ball.«

Sie sag­te:

»Kom­men Sie mit, Bel-Ami.«

Aber er wei­ger­te sich, fest ent­schlos­sen, so­fort nach Hau­se zu ge­hen. Er woll­te al­lein sein, um den­ken zu kön­nen. Zu viel neue Din­ge gin­gen ihm durch den Kopf und er such­te nach sei­ner Frau. Nach kur­z­er Zeit er­blick­te er sie, sie stand am Bü­fett und trank Scho­ko­la­de mit zwei un­be­kann­ten Her­ren. Sie stell­te ih­ren Mann vor, ohne die Na­men der bei­den zu nen­nen.

Nach ein paar Au­gen­bli­cken frag­te er:

»Ge­hen wir?«

»Wie du willst.«

Sie nahm ihn beim Arm und sie schrit­ten durch die Säle, die schon ziem­lich leer wa­ren.

Sie frag­te:

»Wo ist Frau Wal­ter? Ich möch­te mich von ihr ver­ab­schie­den.«

»Lie­ber nicht. Sie wird dar­auf be­ste­hen, dass wir zum Ball blei­ben und ich habe ge­nug.«

»Das ist wahr, du hast recht.«

Wäh­rend sie nach Hau­se fuh­ren, sa­ßen sie schwei­gend ne­ben­ein­an­der, doch so­bald sie in ih­rem Zim­mer wa­ren, sag­te Ma­de­lei­ne lä­chelnd, noch be­vor sie ih­ren Schlei­er ab­ge­legt hat­te:

»Du weißt es noch nicht; ich habe eine Über­ra­schung für dich.«

Er brumm­te lau­nisch:

»Was denn?«

»Rate mal.«

»Nein, das ist mir zu an­stren­gend.«

»Also, über­mor­gen ist der 1. Ja­nu­ar.«

»Ja.«

»Der Tag der Neu­jahrs­ge­schen­ke.«

»Ja.«

»Hier hast du deins, das Lar­oche mir vor­hin über­ge­ben hat.«

Sie reich­te ihm eine klei­ne schwar­ze Schach­tel, die wie ein Schmucke­tui aus­sah.

Er öff­ne­te sie gleich­gül­tig und er­blick­te dar­in das Kreuz der Ehren­le­gi­on.

Er wur­de blass, dann lä­chel­te er und er­klär­te:

»Ich hät­te zehn Mil­lio­nen vor­ge­zo­gen. Das hier wird ihn nicht viel ge­kos­tet ha­ben.«

Sie hat­te ge­dacht, er wür­de sich freu­en. Sei­ne Käl­te är­ger­te sie.

»Du bist wirk­lich un­glaub­lich! Du bist jetzt mit nichts mehr zu­frie­den.«

Er ant­wor­te­te ru­hig:

»Die­ser Mann be­zahlt nur sei­ne Schul­den. Tat­säch­lich schul­det er mir viel mehr.«

Sie war er­staunt über den Ton sei­ner Wor­te und sag­te:

»In dei­nem Al­ter ist das doch sehr hübsch.«

»Das eine hängt vom an­de­ren ab«, er­wi­der­te er. »Ich könn­te jetzt viel mehr be­sit­zen.«

Er nahm das Käst­chen, stell­te es of­fen auf den Ka­min hin und be­trach­te­te ei­ni­ge Au­gen­bli­cke das Kreuz, das dar­in blitz­te, schloss es wie­der, und ging dann ach­sel­zu­ckend zu Bett.

Der Of­fi­ciel vom 1. Ja­nu­ar ver­kün­de­te tat­säch­lich die Er­nen­nung des Schrift­stel­lers Herrn Pro­sper-Ge­or­ges Du Roy zum Rit­ter der Ehren­le­gi­on »we­gen au­ßer­ge­wöhn­li­cher Ver­diens­te«. Der Name war in zwei Wor­ten ge­schrie­ben und das mach­te Ge­or­ges mehr Freu­de als der Or­den selbst.

Eine Stun­de spä­ter, nach­dem er die­se Nach­richt ge­le­sen hat­te, er­hielt er einen Brief von der Frau Di­rek­tor, worin sie ihn bat, den­sel­ben Abend noch zum Es­sen zu kom­men, um die Aus­zeich­nung zu fei­ern. Er zö­ger­te eine Wei­le, dann warf er den in zwei­deu­ti­gen Aus­drücken ge­schrie­be­nen Brief ins Feu­er und sag­te zu Ma­de­lei­ne:

»Wir wol­len heu­te bei Wal­ters es­sen.«

Sie war über­rascht.

»Wie­so? Ich dach­te, du woll­test ihr Haus nicht mehr be­tre­ten.«

Er sag­te lei­se:

»Ich habe es mir an­ders über­legt.«

Als sie er­schie­nen, saß Frau Wal­ter al­lein in dem klei­nen Louis-XVI-Bou­doir, das für den in­ti­me­ren Ver­kehr be­stimmt war. Sie war in Schwarz ge­klei­det und hat­te ihr Haar ge­pu­dert, was ihr sehr gut stand. Von wei­tem sah sie alt, von nahe jung aus, und wenn man sie ge­nau be­trach­te­te, so wirk­te sie wie ein schö­nes Bild.

»Sind Sie in Trau­er?« frag­te Ma­de­lei­ne.

Sie ant­wor­te­te schwer­mü­tig:

»Ja und nein. Ich habe nie­man­den von mei­nen An­ge­hö­ri­gen ver­lo­ren. Aber ich bin be­reits in dem Al­ter, wo man um sein Le­ben trau­ert. Ich habe das Kleid heu­te an­ge­zo­gen, um es ein­zu­wei­hen. Fort­an wer­de ich die Trau­er in mei­nem Her­zen tra­gen.«

Du Roy dach­te:

»Wie lan­ge wird sie wohl bei dem Ent­schluss blei­ben?«

Das Di­ner ver­lief et­was lang­wei­lig. Nur Suzan­ne schwatz­te un­auf­hör­lich. Rose schi­en ver­stimmt zu sein. Man be­glück­wünsch­te den Jour­na­lis­ten.

Abends spa­zier­te man durch die Säle und den Win­ter­gar­ten und un­ter­hielt sich. Du Roy ging mit der Frau Di­rek­tor als letz­ter; sie hielt ihn am Arm zu­rück.

»Hö­ren Sie,« sag­te sie mit dump­fer Stim­me, »ich will nie mehr mit Ih­nen dar­über re­den, nie­mals. Aber kom­men Sie mich be­su­chen. Se­hen Sie, ich duze Sie gar nicht mehr. Es ist mir ganz un­mög­lich, ohne Sie zu le­ben, ich kann es nicht! Sie kön­nen sich gar nicht vor­stel­len, was für eine Qual das ist. Ich füh­le Sie, ich habe Sie vor mei­nen Au­gen, in mei­nem Her­zen, in mei­nem Fleisch und in mei­ner See­le, den gan­zen Tag und die gan­ze Nacht hin­durch. Mir ist es, als hät­ten Sie mich ein Gift trin­ken las­sen, das mich nun in­ner­lich ver­zehrt. Ich hal­te es nicht mehr aus. Nein, ich kann nicht mehr. Ich will für Sie nur eine alte Frau sein. Ich tra­ge wei­ße Haa­re, um es Ih­nen zu zei­gen, aber kom­men Sie zu mir. Kom­men Sie von Zeit zu Zeit als Freund des Hau­ses.«

Sie er­griff sei­ne Hand, press­te sie krampf­haft und drück­te ihre Nä­gel in sein Fleisch.

Er ant­wor­te­te ru­hig:

»Schön. Es ist un­nütz, dar­über wie­der Wor­te zu ver­lie­ren. Sie se­hen doch, ich bin heu­te gleich auf Ihren Brief ge­kom­men.«

Wal­ter ging mit den bei­den jun­gen Mäd­chen und Ma­de­lei­ne vor­an und war­te­te auf Du Roy vor dem Bil­de »Je­sus über die Flu­ten schrei­tend«.

»Stel­len Sie sich vor,« sag­te er la­chend, »ich habe ges­tern mei­ne Frau hier auf den Kni­en vor die­sem Ge­mäl­de vor­ge­fun­den, wie in ei­ner Ka­pel­le. Sie be­te­te. Wie ich ge­lacht habe!«

Ma­da­me Wal­ter er­wi­der­te mit fes­ter Stim­me, die je­doch ei­ner ge­wis­sen zit­tern­den Er­re­gung nicht ent­behr­te:

»Die­ser Chris­tus wird mei­ne See­le ret­ten. Er gibt mir Mut und Kraft je­des Mal, wenn ich ihn an­se­he.«

Sie blieb vor dem auf dem Mee­re schrei­ten­den Gott ste­hen und sag­te lei­se:

»Wie schön ist es, wie die­se Män­ner sich vor ihm fürch­ten und wie sie ihn lie­ben. Se­hen Sie sei­ne Au­gen, sei­nen Kopf, se­hen Sie, wie schlicht und doch über­ir­disch er ist!«

Suzan­ne rief:

»Aber er hat doch Ähn­lich­keit mit Ih­nen, Bel-Ami, ich bin si­cher, er ist Ih­nen ähn­lich! Wenn Sie so einen Dop­pel­bart hät­ten oder wenn er ra­siert wäre, dann wür­det ihr bei­de ganz gleich aus­se­hen. Oh, ist das auf­fäl­lig.«

Sie woll­te, dass er sich ne­ben das Bild stell­te, und alle er­kann­ten tat­säch­lich, dass bei­de Ge­sich­ter mit­ein­an­der Ähn­lich­keit hat­ten.

Al­les war über­rascht. Wal­ter fand die Sa­che sehr selt­sam. Ma­de­lei­ne mein­te lä­chelnd, dass Je­sus männ­li­cher aus­se­he.

Frau Wal­ter rühr­te sich nicht, un­be­weg­lich und mit star­rem Blick be­trach­te­te sie das Ge­sicht ih­res Ge­lieb­ten ne­ben dem des Hei­lands. Sie war fast so weiß ge­wor­den wie ihr wei­ßes Haar.

Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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