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II.

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Nun be­gann für sie ein Le­ben der fort­ge­setz­ten Qual. Sie ar­bei­te­te ma­schi­nen­mäs­sig, ohne sich et­was bei ih­rer Ar­beit zu den­ken. Die ein­zi­ge Idee, die sie be­stän­dig be­herrsch­te, war: »Wenn man es er­fah­ren wür­de.«

Die­se fort­wäh­ren­de Be­sorg­nis mach­te sie so un­fä­hig, ru­hig nach­zu­den­ken, dass sie nicht ein­mal auf ein Mit­tel sann, um den Skan­dal zu ver­mei­den, den sie von Tag zu Tag un­wi­der­ruf­lich und si­cher, wie den Tod, her­an­kom­men sah.

Je­den Tag, wenn die And­ren noch schlie­fen, stand sie auf und such­te mit ängst­li­cher Be­harr­lich­keit den Um­fang ih­rer Tail­le in ei­nem klei­nen Glas­scher­ben zu stu­die­ren, wel­cher ihr als Spie­gel diente; im­mer fürch­tend, dass es der heu­ti­ge Tag sei, an dem man ihre Schan­de be­mer­ken wür­de.

Und tags­über un­ter­brach sie alle Au­gen­bli­cke ihre Ar­beit und schau­te nach un­ten, ob ihre zu­neh­men­de Stär­ke nicht schon an der Lage der Schür­ze kennt­lich wür­de.

Mo­na­te ver­gin­gen. Sie sprach fast nicht mehr, und wenn man sie nach et­was frag­te, so be­griff sie kaum, schreck­te zu­sam­men, riss die Au­gen auf und zit­ter­te an den Hän­den, so­dass ihr ei­nes Ta­ges der Herr sag­te:

»Ar­mes Mäd­chen! Wie ein­fäl­tig bist Du doch seit ei­ni­ger Zeit!«

In der Kir­che ver­barg sie sich hin­ter ei­nem Pfei­ler und wag­te nicht mehr zur Beich­te zu ge­hen, aus Furcht vor dem Pfar­rer, dem sie die über­mensch­li­che Gabe zu­trau­te, im Her­zen sei­ner Pfarr­kin­der le­sen zu kön­nen.

Bei Tisch ver­ging sie fast vor Angst, wenn ihre Ge­fähr­tin­nen sie an­schau­ten, und glaub­te sich fort­wäh­rend von dem Kuh­jun­gen ent­deckt, ei­nem vor­lau­ten, lis­ti­gen Bur­schen, des­sen lau­ern­des Auge stets auf ihr ruh­te.

Ei­nes Mor­gens brach­te ihr der Post­bo­te einen Brief. Noch nie­mals hat­te sie einen be­kom­men, und sie war so er­schro­cken, dass sie sich hin­set­zen muss­te. War er viel­leicht von ihm? Aber weil sie nicht le­sen konn­te, so hielt sie angst­voll zit­ternd das tin­ten­be­fleck­te Pa­pier in der Hand. Sie steck­te es in die Ta­sche; da sie Nie­man­dem ihr Ge­heim­nis an­zu­ver­trau­en wag­te, hielt sie öf­ters in der Ar­beit inne, um län­ge­re Zeit die­se gleich­mäs­si­gen Li­ni­en zu be­trach­ten, un­ter wel­chen sich ein amt­li­cher Stem­pel be­fand; sie hat­te eine stil­le Hoff­nung, dass es ihr plötz­lich ge­lin­gen wür­de, den Sinn zu er­ra­ten. End­lich, da sie vor Un­ru­he und Un­ge­duld bei­na­he ver­ging, such­te sie den Schul­meis­ter auf und die­ser las ihr, nach­dem er ihr einen Stuhl an­ge­bo­ten hat­te, Fol­gen­des vor:

»Lie­be Toch­ter!

Mit Ge­gen­wär­ti­gem woll­te ich Dir mit­tei­len, dass es mir sehr schlecht geht. Un­ser Nach­bar, Meis­ter Den­tu, hat es über­nom­men Dir zu schrei­ben, dass Du kom­men möch­test, wenn Du kannst.

Für Dei­ne treue Mut­ter

Cae­sar Den­tu, Ad­junkt.«


Schwei­gend ging sie von dan­nen; aber so­bald sie al­lein war, brach sie am Ran­de des We­ges zu­sam­men, denn ihre Füs­se woll­ten sie nicht mehr tra­gen. Dort blieb sie bis zum Ein­bruch der Nacht.

Beim Nach­hau­se­kom­men klag­te sie dem Herrn ihr Leid, und die­ser er­laub­te ihr, so lan­ge als sie woll­te zu ver­rei­sen, wenn eine Ta­ge­löh­ne­rin ihre Ar­beit ver­rich­ten wol­le; er ver­sprach ihr auch, sie bei der Rück­kehr wie­der in Dienst zu neh­men.

Ihre Mut­ter war be­reits be­wusst­los und starb am Tage ih­rer An­kunft; am nächs­ten Tage ge­bar Rose ein Kind von sie­ben Mo­na­ten. Es war ein ab­schre­cken­des klei­nes Wurm von schau­der­haf­ter Ma­ger­keit, das fort­wäh­rend Schmer­zen zu ha­ben schi­en; so krampf­haft ball­te es sei­ne ar­men Händ­chen zu­sam­men, die fleisch­los wie Krab­ben­füs­se wa­ren.

Es blieb in­des­sen am Le­ben.

Sie er­zähl­te, dass sie ver­hei­ra­tet sei, dass sie sich aber jetzt mit dem klei­nen We­sen nicht be­las­ten kön­ne; und so ließ sie es bei Nach­bars­leu­ten, die es gut zu pfle­gen ver­spra­chen.

Nach kur­z­er Zeit kehr­te sie in ih­ren Dienst zu­rück. Aber nun er­hob sich in ih­rem so lan­ge ge­quäl­ten Her­zen gleich der Mor­gen­rö­te eine bis da­hin un­ge­ahn­te Lie­be für das zar­te klei­ne We­sen, das sie da un­ten zu­rück­ge­las­sen hat­te; und die­se Lie­be war selbst wie­der eine Quel­le neu­er Lei­den für sie, denn stünd­lich, ja fast in je­der Mi­nu­te fühl­te sie den her­ben Tren­nungs­schmerz.

Was sie be­son­ders quäl­te war ein ge­ra­de­zu wahn­sin­ni­ges Ver­lan­gen, es zu um­ar­men, es an ihre Brust zu le­gen, die Wär­me sei­nes klei­nen Kör­pers an sich selbst zu ver­spü­ren. Bei Nacht schlief sie nicht und bei Tage dach­te sie un­aus­ge­setzt dar­an; abends nach be­en­de­ter Ar­beit setz­te sie sich ans Feu­er und blick­te stier in die Flam­men, wie je­mand, des­sen Ge­dan­ken in der Fer­ne wei­len.

Die Leu­te fin­gen schon an, sich dar­über auf­zu­hal­ten und sie da­mit zu ne­cken, dass sie ge­wiss einen Lieb­ha­ber ir­gend­wo hät­te; man frag­te sie, ob er hübsch und groß, ob er reich sei, wann die Hoch­zeit und wann Tau­fe sein wür­de. Oft flüch­te­te sie sich hin­aus, um für sich al­lein zu wei­nen; denn die­se Fra­gen schnit­ten ihr wie ein Dolch ins Herz.

Um sich auf an­de­re Ge­dan­ken zu brin­gen, ar­bei­te­te sie wie toll drauf los und war nur be­dacht, wie sie mög­lichst viel Geld für ihr ar­mes klei­nes Wurm er­spa­ren könn­te.

Sie woll­te so fleis­sig ar­bei­ten, dass man ihr den Lohn er­hö­hen müss­te.

All­mäh­lich riss sie alle Be­sor­gun­gen auf dem Hofe an sich, eine Magd wur­de ent­las­sen, da sie für zweie ar­bei­te­te; sie spar­te am Bro­te, am Öl, am Licht, am Korn, das man den Hüh­nern zu reich­lich streu­te, und am Fut­ter für das Vieh, das man bis da­hin viel­fach ver­schleu­dert hat­te. Sie geiz­te mit dem Gel­de des Herrn, als sei es ihr ei­ge­nes; und da­mit mög­lichst bil­lig ein­ge­kauft und die Er­zeug­nis­se des Ho­fes so teu­er wie mög­lich ver­kauft wür­den, be­sorg­te sie alle die­se Ge­schäf­te selbst. Sie führ­te die Auf­sicht über die Ar­beits­leu­te und über al­les, was auf dem Hofe vor­ging. Sie war so sorg­sam, dass der Hof un­ter ih­rer Auf­sicht einen sicht­ba­ren Auf­schwung nahm. Auf zwei Mei­len in der Run­de sprach man nur von der »Magd des Meis­ter Val­lin« und ihr Herr pfleg­te oft zu sa­gen: »Die­ses Mäd­chen ist mehr wie Gold wert.«

In­dess, die Zeit ver­ging, und ihr Lohn blieb der­sel­be. Man nahm ihre über­trie­be­ne Ar­beit als et­was an, was jede treue Magd tut, als den Be­weis ei­nes wirk­lich gu­ten Wil­lens; und all­mäh­lich be­rech­ne­te sie mit ei­ner ge­wis­sen Bit­ter­keit, dass, wäh­rend der Herr mo­nat­lich fünf­zig bis hun­dert Ta­ler mehr ein­neh­me, sie stets nur ihre zwei­hun­dert­und­vier­zig Fran­cs, nicht mehr und nicht we­ni­ger, jähr­lich ver­die­ne.

Sie ent­schloss sich, um eine Zu­la­ge zu bit­ten. Drei­mal such­te sie den Herrn auf, aber je­des Mal, wenn sie vor ihm stand, sprach sie von and­ren Din­gen. Sie schäm­te sich ge­wis­ser­mas­sen Geld zu ver­lan­gen, als wenn das et­was Un­an­stän­di­ges wäre. Ei­nes Ta­ges end­lich, als der Päch­ter al­lein in der Kü­che früh­stück­te, sag­te sie ihm mit ver­le­ge­ner Mie­ne, sie müs­se ihm et­was Be­son­de­res mit­tei­len. Er schau­te er­staunt auf, bei­de Hän­de auf den Tisch ge­stützt; in der einen hielt er das Mes­ser mit der Spit­ze nach oben, in der and­ren ein Stück Brot. So blick­te er un­ver­wandt auf sei­ne Magd. Sie wur­de bei die­sem Blick ganz fas­sungs­los und bat ihn, auf acht Tage nach Hau­se ge­hen zu dür­fen, weil ihr nicht ganz wohl sei.

Er er­laub­te ihr das so­fort und sag­te dann selbst et­was ver­le­gen:

»Ich habe üb­ri­gens auch mit Dir zu re­den, wenn Du wie­der­kommst.«

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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