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VI.

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Die Kir­che war ganz mit Schwarz be­zo­gen, und ein großes Wap­pen­schild über dem Por­tal mit ei­ner Kro­ne dar­über ver­kün­de­te den Passan­ten, dass hier ein Edel­mann bei­ge­setzt wird.

Die Trau­er­fei­er war zu Ende und die Gäs­te gin­gen lang­sam vor dem Sar­ge am Nef­fen des Gra­fen vor­bei; er drück­te ih­nen die Hän­de und er­wi­der­te ihre Grü­ße. Als Ge­or­ges Du Roy und sei­ne Frau die Kir­che ver­las­sen hat­ten, gin­gen sie lang­sam, schwei­gend nach Hau­se.

»Es ist wirk­lich merk­wür­dig«, sag­te Ge­or­ges, ohne sich zu sei­ner Frau zu wen­den.

»Was denn, mein Freund?« frag­te Ma­de­lei­ne.

»Dass Vau­drec uns nichts ver­erbt hat!«

Sie er­rö­te­te plötz­lich, als brei­te­te sich ein rosa Schlei­er vom Hals bis zum Ge­sicht, und sag­te:

»Wa­rum soll­te er uns was hin­ter­las­sen? Es lag doch kein Grund vor.«

Nach kur­z­em Schwei­gen fuhr sie fort:

»Vi­el­leicht hat er ein Te­sta­ment hin­ter­las­sen, das bei sei­nem No­tar liegt. Wir kön­nen es ja noch nicht wis­sen.«

Er über­leg­te und sag­te:

»Ja, das ist mög­lich, weil wir doch sei­ne bes­ten Freun­de wa­ren, wir bei­de. Zwei­mal in der Wo­che war er bei uns zu Tisch und kam zu je­der Stun­de. Er war bei uns wie zu Hau­se. Er lieb­te dich wie ein Va­ter und er hat­te kei­ne Fa­mi­lie, kei­ne Kin­der, kei­ne Ge­schwis­ter, nur einen Nef­fen, einen ent­fern­ten Nef­fen. Ja, es muss ein Te­sta­ment da sein. Ich ver­lan­ge nichts Gro­ßes von ihm, nur eine Klei­nig­keit, et­was, was uns be­wei­sen wird, dass er uns lieb­te und an uns ge­dacht hat­te und die Nei­gung zu schät­zen wuss­te, die wir für ihn hat­ten. Er schul­det uns einen Be­weis sei­ner Freund­schaft.«

Sie sag­te mit ei­ner nach­denk­li­chen gleich­gül­ti­gen Mie­ne: »Ja, es ist sehr gut mög­lich, dass ein Te­sta­ment vor­han­den ist.«

Als sie nach Hau­se ka­men, reich­te der Die­ner Ma­de­lei­ne einen Brief. Sie öff­ne­te ihn, und über­reich­te ihn ih­rem Mann:

»Herr La­ma­neur

No­tar 17, rue des Vos­ges

Gnä­di­ge Frau!

Ich bit­te Sie er­ge­benst, in ei­ner wich­ti­gen An­ge­le­gen­heit mich am Diens­tag, Mitt­woch oder Don­ners­tag von zwei bis vier in mei­nem Büro auf­su­chen zu wol­len.

Ich ver­blei­be usw.

La­ma­neur.«

Ge­or­ges er­rö­te­te und sag­te:

»Das wird es sein. Es ist merk­wür­dig, dass er dich auf­for­dert und nicht mich, der ei­gent­lich der ge­setz­li­che Fa­mi­li­en­vor­stand ist.«

Sie ant­wor­te­te zu­erst nichts und sag­te dann nach kur­z­em Be­sin­nen:

»Wol­len wir gleich bei­de hin­ge­hen.«

»Ja, ich bin be­reit.«

So­bald sie ge­früh­stückt hat­ten, mach­ten sie sich auf den Weg.

Als sie in das Büro des Herrn La­ma­neur ka­men, er­hob sich der Bü­ro­vor­ste­her mit ei­ner auf­fal­len­den Dienst­fer­tig­keit und führ­te sie zu sei­nem Chef.

Der No­tar war ein klei­ner, voll­kom­men runder Mann. Sein Kopf glich ei­ner Ku­gel, die auf ei­ner an­de­ren grö­ße­ren Ku­gel auf­ge­setzt war, die­se zwei­te Ku­gel wur­de von zwei Bei­nen ge­tra­gen, die ih­rer­seits so klein und kurz wa­ren, dass sie auch wie zwei run­de Ku­geln aus­sa­hen.

Er be­grüß­te sie, bat Platz zu neh­men; dann wand­te er sich an Ma­de­lei­ne:

»Ma­da­me, ich habe Sie her­ge­be­ten, um Sie von dem In­halt des Te­sta­ments des Gra­fen Vau­drec in Kennt­nis zu set­zen, das Sie be­trifft.«

Ge­or­ges konn­te sich nicht ent­hal­ten und flüs­ter­te:

»So hab’ ich’s mir auch ge­dacht.«

Der No­tar setz­te hin­zu:

»Ich will Ih­nen gleich das Te­sta­ment vor­le­sen, es ist üb­ri­gens ganz kurz.« Er nahm aus ei­ner Map­pe, die vor ihm lag, einen Bo­gen her­aus und las: »Ich, En­des­un­ter­zeich­ne­ter, Paul-Emi­le-Cy­pri­en-Gon­tran Com­te de Vau­drec, ge­sund an Kör­per und See­le, be­stim­me hier­mit mei­nen letz­ten Wil­len. Da der Tod uns in je­dem Au­gen­bli­cke tref­fen kann, so will ich in Voraus­set­zung sei­nes Ein­trit­tes, mein Te­sta­ment nie­der­schrei­ben, das bei dem No­tar La­ma­neur hin­ter­legt wird.

Da ich kei­ne di­rek­ten Er­ben habe, hin­ter­las­se ich mein ge­sam­tes Ver­mö­gen, be­ste­hend aus Wert­pa­pie­ren in Höhe von ca. 600000 Fran­cs und aus Im­mo­bi­li­en in Höhe von ca. 500000 Fran­cs, Ma­da­me Claire-Ma­de­lei­ne Du Roy als ihr un­be­las­te­tes frei­es Ei­gen­tum. Ich bit­te sie, die­se Gabe ei­nes to­ten Freun­des als Be­weis ei­ner auf­rich­ti­gen, tie­fen und er­ge­be­nen Zu­nei­gung ent­ge­gen­zu­neh­men.«

Der No­tar fuhr fort:

»Das ist al­les. Die­ses Schrift­stück ist vom Au­gust letz­ten Jah­res da­tiert und ist an Stel­le ei­nes gleich­lau­ten­den Do­ku­men­tes ge­tre­ten, das vor zwei Jah­ren auf den Na­men von Claire-Ma­de­lei­ne Fo­res­tier aus­ge­stellt war. Auch die­ses ers­te Do­ku­ment be­fin­det sich in mei­nem Be­sitz, und im Fal­le ei­ner An­fech­tung von sel­ten der Ver­wand­ten könn­te man da­mit be­wei­sen, dass der Graf de Vau­drec sei­nen Wil­len nicht ge­än­dert hat­te.«

Ma­de­lei­ne wur­de blass und blick­te hin­un­ter auf ihre Füße. Ge­or­ges dreh­te ner­vös sei­nen Schnurr­bart zwi­schen den Fin­gern. Nach ei­ner kur­z­en Pau­se fuhr der No­tar fort:

»Selbst­ver­ständ­lich, mein Herr, kann Ma­da­me die­se Hin­ter­las­sen­schaft nur mit Ih­rer Zu­stim­mung an­neh­men.«

Du Roy stand auf und sag­te in trock­nem Tone:

»Ich bit­te um Be­denk­zeit.«

Der No­tar lä­chel­te, und sag­te mit lie­bens­wür­di­ger Stim­me:

»Ich be­grei­fe die Be­den­ken, die Sie zau­dern las­sen. Ich habe noch hin­zu­zu­fü­gen, dass der Nef­fe des Gra­fen Vau­drec, als er heu­te früh von dem letz­ten Wil­len sei­nes On­kels Kennt­nis nahm, sich be­reit er­klär­te, den­sel­ben an­zu­er­ken­nen, falls man ihm die Sum­me von hun­dert­tau­send Fran­cs aus­zahl­te. Nach mei­ner An­sicht ist das Te­sta­ment un­an­fecht­bar, aber ein Pro­zess wür­de Auf­se­hen er­re­gen, was Sie wahr­schein­lich ver­mei­den wol­len. Die Welt ur­teilt be­kannt­lich oft sehr bos­haft. Je­den­falls wür­de ich Sie bit­ten, mich noch vor Sonn­abend von Ihrem de­fi­ni­ti­ven Ent­schluss über alle Punk­te in Kennt­nis zu set­zen.«

Ge­or­ges ver­beug­te sich:

»Gut, Herr La­ma­neur.«

Dann ver­ab­schie­de­te er sich fei­er­lich, ließ sei­ne Frau, die gar nichts mehr sag­te, vor­an­ge­hen und ver­ließ das Büro in so stei­fer und ge­mes­se­ner Wei­se, dass der No­tar nicht mehr lä­chel­te.

So­bald sie nach Hau­se ge­kom­men wa­ren, schloss Du Roy hef­tig die Tür hin­ter sich und warf sei­nen Hut aufs Bett.

»Du bist Vau­drecs Ge­lieb­te ge­we­sen?«

Ma­de­lei­ne hat­te ih­ren Schlei­er ab­ge­legt und dreh­te sich schroff um:

»Ich, oh!«

»Ja, du. Man hin­ter­lässt nicht ei­ner Frau sein gan­zes Ver­mö­gen … ohne dass …«

Sie be­gann zu zit­tern und konn­te nicht die Na­deln fas­sen, mit de­nen ihr durch­sich­ti­ger Schlei­er ans Haar be­fes­tigt war.

Sie dach­te einen Au­gen­blick nach und stam­mel­te mit er­reg­ter Stim­me:

»Hör mal … du bist ver­rückt … du bist … du bist … und du selbst … du hast ja vor­her — auch ge­hofft … er wür­de dir auch et­was ver­ma­chen.«

Ge­or­ges stand vor ihr und be­ob­ach­te­te sie, wie ein Un­ter­su­chungs­rich­ter, der die ge­rings­ten Schwä­chen des An­ge­klag­ten zu ent­de­cken sucht. Er er­wi­der­te, in­dem er je­des Wort be­ton­te:

»Ja … mir hät­te er was hin­ter­las­sen kön­nen, mir, dei­nem Gat­ten … mir, sei­nem Freun­de … ver­stehst du … Dir doch nicht … dir, sei­ner Freun­din … dir, mei­ner Gat­tin … Der Un­ter­schied ist sehr we­sent­lich und so­gar aus­schlag­ge­bend vom Stand­punkt der öf­fent­li­chen Mei­nung … in den Au­gen der Ge­sell­schaft …«

Ma­de­lei­ne blick­te ihm gleich­falls scharf in die durch­sich­ti­gen Au­gen, tief und son­der­bar, als woll­te sie in die un­be­kann­ten Tie­fen sei­nes We­sens ein­drin­gen, die man nur sel­ten in flüch­ti­gen Au­gen­bli­cken er­fas­sen kann, in den Au­gen­bli­cken der Acht­lo­sig­keit, der Ver­ge­ss­lich­keit des Sich­ge­hen­las­sens, die dann wie halb­ge­öff­ne­te Tü­ren sind, die in die ge­heim­nis­vol­len Ab­grün­de der See­le füh­ren.

Sie ver­setz­te lang­sam:

»Mir scheint doch … dass, wenn … dass man eine Erb­schaft in die­ser Höhe von ihm zu dei­nen Guns­ten min­des­tens eben­so auf­fal­lend ge­fun­den hät­te.«

Er frag­te hef­tig:

»Wa­rum?«

»Weil« … sag­te sie, und nach kur­z­em Zau­dern fuhr sie fort:

»Weil du mein Mann bist … und ihn erst seit kur­z­er Zeit kennst, wäh­rend ich schon sehr lan­ge mit ihm be­freun­det war … und weil sein ers­tes Te­sta­ment, das noch zu Leb­zei­ten Fo­res­tiers ab­ge­fasst war, doch mir galt.«

Ge­or­ges ging mit großen Schrit­ten im Zim­mer auf und ab und er­klär­te:

»Du kannst das nicht an­neh­men.«

»Gut,« ant­wor­te­te sie gleich­gül­tig, »also dann brau­chen wir erst gar nicht bis Sonn­abend zu war­ten. Wir kön­nen die­sen Ent­schluss Herrn La­ma­neur so­fort mit­tei­len.«

Er blieb vor ihr ste­hen und sie sa­hen sich Auge in Auge. Sie woll­ten bei­de bis ins tiefs­te Ge­heim­nis ih­res Her­zens ein­drin­gen und ihre in­ners­ten Ge­dan­ken er­grün­den. Es war ein See­len­kampf zwei­er Men­schen, die Sei­te an Sei­te leb­ten und sich doch nicht kann­ten, die sich be­arg­wöhn­ten, aus­spür­ten und be­lau­er­ten und nie in den tie­fen, schlam­mi­gen Grund der See­le hin­ein­ge­schaut hat­ten.

Plötz­lich schleu­der­te er ihr mit dump­fer Stim­me ins Ge­sicht:

»Ge­ste­he doch, dass du die Ge­lieb­te von Vau­drec warst.«

Sie zuck­te mit den Ach­seln.

»Du re­dest Un­sinn. Vau­drec hat­te mir al­ler­dings eine sehr große Zu­nei­gung ent­ge­gen­ge­bracht … Aber wei­ter nichts … nie­mals.«

Er stampf­te mit dem Fuß.

»Du lügst, es kann nicht mög­lich sein.«

Sie ent­geg­ne­te ru­hig:

»Es ist doch so.«

Er be­gann wie­der auf und ab zu ge­hen, dann blieb er ste­hen:

»Er­klä­re mir dann, warum hin­ter­lässt er sein gan­zes Ver­mö­gen aus­ge­rech­net dir?«

Sie tat gleich­gül­tig und un­in­ter­es­siert, als ob sie die Sa­che gar nichts an­gin­ge.

»Es ist sehr ein­fach. Wie du eben sag­test, hat­te er kei­ne Freun­de au­ßer uns, oder viel­mehr au­ßer mir, da er mich seit mei­ner Kind­heit kennt. Mei­ne Mut­ter war Ge­sell­schaf­te­rin bei sei­nen El­tern. Er kam sehr oft hier­her, und da er kei­ne di­rek­ten Er­ben hat­te, hat er an mich ge­dacht. Dass er mich et­was lieb hat­te, ist sehr gut mög­lich. Aber wel­che Frau ist auf sol­che Wei­se nie ge­liebt wor­den. Dass die­se stil­le und ge­hei­me Lie­be ihn mei­nen Na­men aufs Pa­pier schrei­ben ließ, als er sei­ne letz­te Ver­fü­gung ge­trof­fen hat­te, kann auch sein. Er brach­te mir je­den Mon­tag Blu­men. Du warst doch dar­über gar nicht er­staunt, und dir brach­te er kei­ne mit, nicht wahr? Heu­te ver­macht er mir sein Ver­mö­gen aus dem­sel­ben Grund und da er wahr­schein­lich sonst nie­man­den hat, dem er es ge­ben könn­te. Es wäre im Ge­gen­teil höchst son­der­bar, wenn er es dir hin­ter­las­sen hät­te. Wa­rum? — Was bist du für ihn?«

Sie sprach so na­tür­lich und so ru­hig, dass Ge­or­ges zu zau­dern be­gann.

Er er­wi­der­te:

»Das ist egal. Wir kön­nen die Erb­schaft un­ter sol­chen Be­din­gun­gen un­mög­lich an­neh­men. Das wür­de den schlech­tes­ten Ein­druck er­we­cken. Alle Welt wür­de dar­an glau­ben, das Schlimms­te ver­mu­ten und sich über mich lus­tig ma­chen. Mei­ne Kol­le­gen sind so­wie­so schon nei­disch auf mich und lau­ern auf die Ge­le­gen­heit, mich an­zu­grei­fen. Ich muss mehr als je­der an­de­re auf mei­ne Ehre und auf mei­nen Ruf be­dacht sein. Ich kann un­mög­lich zu­ge­ben, dass mei­ne Frau eine der­ar­ti­ge Erb­schaft von ei­nem Mann an­nimmt, den das Gerücht schon zu ih­rem Lieb­ha­ber ge­stem­pelt hat. Vi­el­leicht hät­te sich das Fo­res­tier ge­fal­len las­sen, ich aber nicht.«

Sie mur­mel­te sanft:

»Also gut, mein Freund, wir neh­men es nicht an, dass macht bloß eine Mil­li­on we­ni­ger in un­se­rer Ta­sche aus, wei­ter ist ja nichts.«

Er ging noch im­mer auf und ab und be­gann laut zu den­ken; er sprach zu sei­ner Frau, ohne das Wort di­rekt an sie zu rich­ten.

»Nun ja! eine Mil­li­on … umso schlim­mer … Er hat ja eben bei der Ab­fas­sung des Te­sta­ments nicht be­grif­fen, was für einen Takt­feh­ler und was für einen Ver­stoß ge­gen die ge­sell­schaft­li­chen Kon­ven­ti­en er da­mit be­gan­gen hat­te. Er hat­te nicht ge­dacht, in wel­che schie­fe und lä­cher­li­che Lage er mich brin­gen wür­de. Al­les kommt im Le­ben auf die Um­stän­de an… Er hät­te mir die Hälf­te hin­ter­las­sen sol­len und al­les wäre in bes­ter Ord­nung ge­we­sen.«

Er setz­te sich, schlug die Bei­ne über­ein­an­der und zupf­te an den Spit­zen sei­nes Schnurr­bar­tes, wie er das in den Stun­den der Sor­ge, der Lang­wei­le und des schwe­ren Nach­den­kens zu tun pfleg­te.

Ma­de­lei­ne griff nach ei­ner Sti­cke­rei, an der sie hin und wie­der ar­bei­te­te;, such­te die Woll­fä­den her­aus und sag­te:

»Ich habe nur still­zu­schwei­gen. Du musst dir die Sa­che über­le­gen.«

Lan­ge saß er schwei­gend da, dann ver­setz­te er zö­gernd:

»Die Welt wird nie be­grei­fen kön­nen, dass Vau­drec dich zu sei­ner Uni­ver­saler­bin ein­ge­setzt hat und dass ich so et­was ge­dul­det habe. Solch ein Ver­mö­gen auf so eine Wei­se an­zu­neh­men, das wür­de ei­nem Ge­ständ­nis gleich­be­deu­tend sein … Du wür­dest dei­ner­seits ein ver­bo­te­nes Ver­hält­nis zu­ge­ben und ich eine nie­der­träch­ti­ge Schwä­che … ver­stehst du, wie man un­se­re An­nah­me aus­le­gen wür­de? Man müss­te einen Aus­weg fin­den, ir­gend­ein ge­schick­tes Mit­tel, wie man die Sa­che ver­tu­schen könn­te. Man könn­te bei­spiels­wei­se durch­bli­cken las­sen, dass er sein Ver­mö­gen uns zu glei­chen Tei­len ver­macht hat, die eine Hälf­te dem Man­ne, die an­de­re der Frau.«

Sie frag­te:

»Ich sehe nicht ein, wie das zu ma­chen wäre, da doch das Te­sta­ment eine ge­setz­li­che Kraft hat?«

»Oh, das ist ganz ein­fach,« ant­wor­te­te er, »du könn­test mir die Hälf­te der Erb­schaft als Schen­kung zu Leb­zei­ten über­tra­gen. Wir ha­ben kei­ne Kin­der, das geht sehr gut zu ma­chen. Auf die­se Wei­se wür­den wir dem bös­wil­li­gen Ge­re­de ein Ende be­rei­ten.«

Sie er­wi­der­te et­was un­ge­dul­dig:

»Ich sehe nicht ein, wie­so man dem bös­wil­li­gen Ge­re­de ent­ge­hen kann, da doch die Ur­kun­de, die Vau­drec un­ter­zeich­net hat, nicht weg­zu­leug­nen ist.«

»Wir brau­chen sie doch gar nicht vor­zu­zei­gen«, rief er zor­nig aus, »und sie öf­fent­lich an die Wand zu schla­gen. Du bist zu dumm. Wir sa­gen, Graf de Vau­drec hat sein Ver­mö­gen uns bei­den zu je ei­ner Hälf­te hin­ter­las­sen … Weißt du, du kannst doch die Erb­schaft ohne mei­ne Zu­stim­mung über­haupt nicht an­tre­ten. Ich gebe sie dir nur un­ter der Be­din­gung ei­ner Tei­lung, die mich vor dem Ge­spött der Welt be­wahrt.«

Sie sah ihn mit ei­nem durch­boh­ren­den Blick an.

»Wie du willst, ich bin be­reit.«

Dann stand er auf und ging wie­der auf und ab, er schi­en wie­der zu schwan­ken und ver­mied jetzt den scharf be­ob­ach­ten­den Blick sei­ner Frau.

»Nein, in kei­nem Fall« sag­te er. »Vi­el­leicht soll man über­haupt ver­zich­ten … es ist wür­di­ger, kor­rek­ter, eh­ren­haf­ter … Üb­ri­gens auf die­se Wei­se könn­te man uns auch nicht das Ge­rings­te nach­sa­gen. Die ge­wis­sen­haf­tes­ten Leu­te könn­ten sich nur da­vor ver­beu­gen.«

Er blieb vor Ma­de­lei­ne ste­hen.

»Also schön, wenn du willst, gehe ich noch­mals zu La­ma­neur, ich set­ze ihm die Sa­che aus­ein­an­der und fra­ge ihn um Rat. Ich er­klä­re ihm mein Be­den­ken und tei­le ihm mit, dass wir uns zu ei­ner Tei­lung ent­schlos­sen ha­ben, um die Leu­te nicht über uns klat­schen zu las­sen. Von dem Au­gen­blick an, wo ich die Hälf­te der Erb­schaft an­neh­me, ist es ja selbst­ver­ständ­lich, dass nie­mand das recht hat, über die Sa­che zu lä­cheln. Das wür­de mit an­de­ren Wor­ten hei­ßen: Mei­ne Frau nimmt die Erb­schaft an, da ich, ihr Gat­te, sie auch an­neh­me, und als sol­cher habe ich zu be­stim­men, was sie tun kann, ohne sich zu kom­pro­mit­tie­ren. Sonst hät­te es ja einen Skan­dal ge­ge­ben.«

»Wie du willst«, mur­mel­te Ma­de­lei­ne ein­fach.

Er re­de­te wei­ter:

»Ja, bei die­ser Tei­lung der Erb­schaft in zwei Hälf­ten liegt die Sa­che son­nen­klar. Wir be­er­ben einen Freund, der kei­nen Un­ter­schied zwi­schen uns mach­te, kei­nen von uns be­vor­zug­te und nicht den Schein er­we­cken woll­te, als mein­te er: ›Ich gebe nach mei­nem Tode ei­nem von bei­den den Vor­zug, wie ich ihn zu mei­nen Leb­zei­ten vor­ge­zo­gen habe.‹ Er lieb­te mehr die Frau, wohl­ver­stan­den, aber wenn er jetzt sein Ver­mö­gen bei­den Gat­ten zu glei­chen Tei­len hin­ter­lässt, so woll­te er da­mit aus­drück­lich be­stim­men, dass die Be­vor­zu­gung rein pla­to­nisch war. Sei über­zeugt, dass, wenn er nach­ge­dacht hät­te, er ge­ra­de­so ge­han­delt hät­te. Er hat­te sich die Sa­che nicht über­legt und die Fol­gen nicht vor­aus­ge­se­hen. Du sag­test vor­hin ganz rich­tig, er brach­te dir jede Wo­che Blu­men mit und dir galt auch sein letz­tes An­den­ken, ohne dass er sich über­leg­te …«

Sie un­ter­brach ihn et­was ge­reizt und un­ge­dul­dig:

»Schon gut. Ich hab’ es be­grif­fen. Du kannst dir die Er­klä­run­gen er­spa­ren. Geh gleich zum No­tar.«

Er wur­de rot und stot­ter­te:

»Du hast recht, ich gehe.«

Er nahm sei­nen Hut und sag­te beim Weg­ge­hen:

»Ich wer­de ver­su­chen, den Nef­fen mit fünf­zig­tau­send Fran­cs ab­zu­fin­den, nicht wahr?«

»Nein,« ant­wor­te­te sie stolz, »gib ihm die hun­dert­tau­send Fran­cs, die er ver­langt. Nimm sie von mei­nem Teil, wenn du willst.«

Plötz­lich schäm­te er sich und sag­te:

»Nein, wir wer­den uns das tei­len. Wenn je­der von uns fünf­zig­tau­send Fran­cs gibt, dann bleibt uns doch eine run­de Mil­li­on.«

Dann füg­te er hin­zu:

»Auf Wie­der­se­hen, mei­ne klei­ne Made.«

Er ging zum No­tar, er­klär­te und setz­te ihm sei­ne Ab­sich­ten aus­ein­an­der, die, wie er be­haup­te­te, von sei­ner Frau aus­gin­gen.

Am fol­gen­den Tag un­ter­zeich­ne­ten sie eine Schen­kung zu Leb­zei­ten von fünf­hun­dert­tau­send Fran­cs, die Ma­de­lei­ne Du Roy ih­rem Gat­ten ab­trat. Dann, als sie das Büro ver­las­sen hat­ten, schlug Ge­or­ges Du Roy vor, bei dem schö­nen Wet­ter einen Spa­zier­gang zu ma­chen. Er war sehr lie­bens­wür­dig und auf­merk­sam ge­gen sei­ne Frau. Er sah au­ßer­or­dent­lich ver­gnügt aus und lach­te, wäh­rend sie nach­denk­lich und et­was ernst blieb.

Es war ein küh­ler Herbst­tag. Die vor­über­ge­hen­de Men­ge schi­en es ei­lig zu ha­ben und die Passan­ten schrit­ten has­tig da­hin. Du Roy führ­te sei­ne Frau vor den La­den, in des­sen Schau­fens­ter er den Chro­no­me­ter be­wun­dert hat­te.

»Willst du, dass ich dir eine Schmuck­sa­che kau­fe?« frag­te er. Sie mur­mel­te gleich­gül­tig:

»Wie du willst.«

Sie tra­ten in den Ju­we­lier­la­den her­ein. Er frag­te:

»Was willst du, ein Kol­lier, ein Arm­band oder ein Paar Ohr­rin­ge?«

Beim An­bli­cken der Schmuck­stücke und Ju­we­len konn­te sie ihre ab­sicht­lich an­ge­nom­me­ne küh­le Hal­tung nicht mehr be­wah­ren und ihre Au­gen lie­fen fun­kelnd und neu­gie­rig über all die Kost­bar­kei­ten in den Glas­käs­ten.

Und plötz­lich rief sie vom Ver­lan­gen er­grif­fen:

»Sieh, da liegt ein schö­nes Arm­band!«

Es war eine ei­gen­ar­tig ge­form­te Ket­te. Je­des ein­zel­ne Glied trug einen an­de­ren Stein.

Ge­or­ges frag­te:

»Was kos­tet die­ses Arm­band?«

»3000 Fran­cs«, er­wi­der­te der Ju­we­lier.

»Wenn Sie es mir für zwei fünf las­sen, so ist das Ge­schäft ge­macht.«

Der Ver­käu­fer zö­ger­te; dann ver­setz­te er:

»Nein, mein Herr, das ist un­mög­lich.’’

Du Roy fuhr fort:

»Also dann ge­ben Sie mir den Chro­no­me­ter für 1500 Fran­cs dazu; das macht zu­sam­men 4000, die ich Ih­nen in bar be­zah­le. Ein­ver­stan­den? Wenn Sie nicht wol­len, gehe ich wo­an­ders hin.«

Der Ju­we­lier war ver­dutzt und sag­te schließ­lich zu.

»Also gut, mein Herr.«

Der Jour­na­list gab sei­ne Adres­se und füg­te hin­zu:

»Auf den Chro­no­me­ter las­sen Sie mei­ne Ini­tia­len G. R. C. in ver­schlun­ge­nen Buch­sta­ben ein­gra­vie­ren, und dar­über set­zen Sie die Barons­kro­ne.«

Ma­de­lei­ne lä­chel­te über­rascht. Und als sie hin­aus­gin­gen, schmieg­te sie sich mit ei­ner ge­wis­sen Zärt­lich­keit an sei­nen Arm. Sie fand ihn wirk­lich schlau, ge­wandt und stark. Jetzt, wo er ein Ver­mö­gen hat­te, muss­te er auch einen Ti­tel ha­ben. Das war recht und bil­lig.

Der Ju­we­lier ver­beug­te sich.

»Sie kön­nen sich dar­auf ver­las­sen, es wird Don­ners­tag fer­tig sein, Herr Baron.«

Sie gin­gen am Vau­de­ville vor­bei. Dort wur­de ein neu­es Stück auf­ge­führt.

»Wenn du willst, ge­hen wir heu­te ins Thea­ter, ich wer­de se­hen, ob wir eine Loge be­kom­men?«

Sie fan­den eine Loge und nah­men sie. Er sag­te wei­ter:

»Wie wäre es, wenn wir heu­te im Re­stau­rant äßen?«

»Oh, bit­te, das möch­te ich sehr.«

Er war glück­lich wie ein Kö­nig, und zer­brach sich den Kopf, was sie sonst noch un­ter­neh­men könn­te.

»Wenn wir Ma­da­me de Ma­rel­le bä­ten, heu­te mit uns den Abend zu ver­brin­gen. Ihr Mann ist hier, wie ich hör­te, und ich wür­de mich sehr freu­en, ihn be­grü­ßen zu kön­nen.«

Sie gin­gen hin. Ge­or­ges, der sich vor ei­nem Zu­sam­men­tref­fen mit sei­ner Ge­lieb­ten fürch­te­te, war es ganz recht, dass sei­ne Frau da­bei war, um jede Aus­ein­an­der­set­zung un­mög­lich zu ma­chen.

Doch Clo­til­de schi­en sich über­haupt auf gar nichts mehr zu ent­sin­nen und zwang so­gar ih­ren Mann, der Ein­la­dung zu fol­gen.

Das Di­ner war lus­tig und der Abend ent­zückend. Ge­or­ges und Ma­de­lei­ne ka­men spät nach Hau­se zu­rück. Das Gas brann­te nicht mehr. Um die Stu­fen zu be­leuch­ten, zün­de­te der Jour­na­list von Zeit zu Zeit Wachss­treich­höl­zer an. Als sie den ers­ten Stock er­reicht hat­ten, be­leuch­te­te die Flam­me, die plötz­lich durch die Rei­bung ent­stand, ihre bei­den Ge­sich­ter, in­mit­ten der Dun­kel­heit des Trep­pen­hau­ses. Sie sa­hen wie zwei Ge­s­pens­ter aus, die auf­tauch­ten und so­fort wie­der be­reit wa­ren, in der Fins­ter­nis zu ver­schwin­den.

Du Roy er­hob sei­ne Hand, um ihre Spie­gel­bil­der hel­ler zu be­leuch­ten und sag­te lä­chelnd und tri­um­phie­rend:

»Da ge­hen die bei­den Mil­lio­näre!«

Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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