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III.

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Als Du Roy am nächs­ten Mor­gen auf die Re­dak­ti­on kam, ging er so­fort zu Bois­renard.

»Mein lie­ber Freund,« sag­te er, »ich muss dich um eine Ge­fäl­lig­keit bit­ten. Seit ei­ni­ger Zeit fin­det man Spaß dar­an, mich Fo­res­tier zu nen­nen. Mir wird es all­mäh­lich zu dumm, und ich bit­te dich da­her, dei­nen Kol­le­gen in al­ler Freund­schaft mit­zu­tei­len, ich wür­de je­den, der sich noch ein­mal den Scherz er­laubt, ohr­fei­gen. Sie mö­gen sich selbst über­le­gen, ob die Al­bern­heit einen De­gen­stich wert ist. Ich wen­de mich an dich, weil du ein ru­hi­ger Mensch bist, der är­ger­li­che Ver­wick­lun­gen ver­hin­dern kann und au­ßer­dem, weil du bei mei­nem Duell se­kun­diert hast.«

Bois­renard ver­sprach den Auf­trag aus­zu­füh­ren. Du Roy ver­ließ die Re­dak­ti­on, um ein paar Be­sor­gun­gen zu ma­chen und kam nach ei­ner Stun­de wie­der. Nie­mand nann­te ihn mehr Fo­res­tier.

Als er nach Hau­se kam, hör­te er Frau­en­stim­men im Sa­lon.

»Wer ist da?« frag­te er.

»Ma­da­me Wal­ter und Ma­da­me de Ma­rel­le«, ant­wor­te­te der Die­ner.

Sein Herz be­gann zu klop­fen, dann sag­te er sich: »Halt, ich will mal se­hen«, und er öff­ne­te die Tür.

Clo­til­de saß in der Ecke am Ka­min. Ein Son­nen­strahl, der vom Fens­ter kam, be­leuch­te­te sie. Es kam Ge­or­ges vor, als wür­de sie bei sei­nem An­blick ein we­nig blas­ser. Er be­grüß­te zu­erst Frau Wal­ter und ihre bei­den Töch­ter, die wie zwei Schild­wa­chen ne­ben der Mut­ter sa­ßen, dann wand­te er sich zu sei­ner frü­he­ren Ge­lieb­ten. Sie reich­te ihm die Hand, er er­griff sie und drück­te sie kräf­tig, als ob er sa­gen woll­te: »Ich lie­be Sie noch im­mer.« Sie er­wi­der­te sei­nen Druck. Er frag­te:

»Ist es Ih­nen gut er­gan­gen, seit der Ewig­keit, wo wir uns nicht mehr ge­se­hen ha­ben?«

»Sehr gut, und Ih­nen, Bel-Ami?«

Dann wand­te er sich an Ma­de­lei­ne und füg­te hin­zu:

»Du ge­stat­test doch, dass ich ihn noch im­mer Bel-Ami nen­ne?«

»Selbst­ver­ständ­lich, liebs­te Clo­til­de, ich er­lau­be dir al­les, was du willst.«

Eine leich­te Iro­nie schi­en durch die­se Wor­te hin­durch zu­klin­gen. Ma­da­me Wal­ter sprach von ei­nem Fest, das Jac­ques Ri­val in sei­ner Jung­ge­sel­len­woh­nung ge­ben woll­te, ei­ner großen Fest­vor­stel­lung, zu der auch die Da­men der Ge­sell­schaft ein­ge­la­den wer­den soll­ten.

Sie sag­te: »Das wird sehr in­ter­essant wer­den, aber ich bin ver­zwei­felt, denn wir ha­ben nie­man­den, der uns be­glei­ten könn­te, und mein Mann muss aus­ge­rech­net an die­sem Tage ver­rei­sen.«

Du Roy stell­te sich so­fort zur Ver­fü­gung, und sie nahm sein Aner­bie­ten an.

»Mei­ne Töch­ter und ich wer­den Ih­nen sehr dank­bar sein.«

Er be­trach­te­te die jün­ge­re der bei­den Fräu­lein Wal­ter und dach­te: »Sie ist nicht schlecht, die klei­ne Suzan­ne, wahr­haf­tig nicht!«

Sie sah wie ein zar­tes, blon­des Püpp­chen aus. Ein biss­chen zu ma­ger, aber sehr zier­lich, mit schlan­ker Tail­le, ent­wi­ckel­tem Bu­sen und Hüf­ten, mit ei­nem ganz fei­nen Ge­sicht­chen, mit blau­grau­en Email­leau­gen, die wie mit dem Pin­sel ei­nes her­vor­ra­gen­den Mi­nia­tur­ma­lers ge­malt zu sein schie­nen. Sie hat­te eine et­was zu wei­ße, zu glat­te und gleich­mä­ßi­ge Haut, ihr Haar war gut fri­siert und bil­de­te eine künst­lich ge­kräu­sel­te und reiz­vol­le Wol­ke, ge­nau wie das der hüb­schen Lu­xus­pup­pen, die man oft in den Ar­men klei­ner Mäd­chen er­blickt, die selbst kaum grö­ßer sind als ihr Spiel­zeug.

Die äl­tes­te Schwes­ter Rose war häss­lich, flach und nichts­sa­gend. Sie ge­hör­te zu je­nen Mäd­chen, die man stets über­sieht, die man nicht an­spricht und von de­nen man nicht re­det.

Die Mut­ter stand auf und wand­te sich zu Ge­or­ges:

»Also ich ver­las­se mich auf Sie, nächs­ten Don­ners­tag um zwei Uhr.«

»Sie kön­nen sich auf mich ver­las­sen, Ma­da­me«, er­wi­der­te er.

Als sie fort war, ver­ab­schie­de­te sich auch Ma­da­me de Ma­rel­le. »Auf Wie­der­se­hen, Bel-Ami.« Jetzt drück­te sie ihm die Hand sehr lan­ge und kräf­tig und ihn rühr­te die­ses schwei­gen­de Ge­ständ­nis. Er fühl­te sich plötz­lich von ei­ner Lei­den­schaft für die­se klei­ne net­te Zi­geu­ner­frau er­fasst, die ein so gu­ter Ka­me­rad war und ihn viel­leicht wirk­lich lieb hat­te. »Ich gehe mor­gen, sie be­su­chen«, dach­te er.

So­bald er mit sei­ner Frau al­lein war, brach Ma­de­lei­ne in ein fröh­li­ches und hei­te­res La­chen aus. Sie sah ihm in die Au­gen und sag­te: »Weißt du, dass Frau Wal­ter in dich ver­liebt ist?«

Er woll­te ihr nicht glau­ben und ant­wor­te­te: »Ach, lass doch.«

»Sei ver­si­chert. Sie sprach von dir mit ei­ner ge­ra­de­zu tol­len Be­geis­te­rung. Das ist sehr merk­wür­dig von ihr! Sie möch­te für ihre Töch­ter zwei sol­che Män­ner wie dich fin­den. Zum Glück ist so was bei ihr ohne Be­deu­tung.«

Er be­griff nicht, was sie mein­te.

»Wie­so ohne Be­deu­tung?«

Sie ant­wor­te­te mit der Über­zeu­gung ei­ner Frau, die ih­res Ur­teils si­cher ist:

»Noch nie ist über Frau Wal­ter der lei­ses­te Ver­dacht laut ge­wor­den, ver­stehst du, nie, nie­mals! Sie steht rein da in je­der Be­zie­hung. Ihren Mann kennst du ja so gut wie ich. Aber sie, das ist et­was an­de­res. Üb­ri­gens hat sie sehr dar­un­ter ge­lit­ten, dass sie einen Ju­den ge­hei­ra­tet hat, trotz­dem ist sie ihm treu ge­blie­ben; sie ist eine an­stän­di­ge Frau.«

Du Roy war über­rascht.

»Ich dach­te, sie wäre auch eine Jü­din.«

»Sie, im Ge­gen­teil. Sie ist Pa­tro­nats­da­me al­ler Wohl­tä­tig­keitsein­rich­tun­gen der Ma­de­lei­ne­kir­che. Sie ist so­gar kirch­lich ge­traut wor­den. Ich weiß nicht, ob sich Herr Wal­ter da­bei pro for­ma hat tau­fen, las­sen oder ob die Kir­che ein Auge zu­ge­tan hat.«

Ge­or­ges mur­mel­te:

»Ah, also sie ist in mich ver­liebt?«

»Ent­schie­den, und bis über die Ohren. Wenn du nicht schon ver­hei­ra­tet wä­rest, wür­de ich dir ra­ten, um die Hand von Suzan­ne zu bit­ten. Nicht wahr! Suzan­ne ist dir doch lie­ber wie Rose?« — Er dreh­te an sei­nem Schnurr­bart und sag­te: »Na, die Mut­ter scheint auch noch ein fri­sches und schnei­di­ges Weib zu sein!«

Ma­de­lei­ne wur­de un­ge­dul­dig:

»Weißt du, mein Klei­ner, ich gön­ne dir gern die Mut­ter. Aber in die­sem Fal­le habe ich kei­ne Angst. In ih­rem Al­ter be­geht man nicht den ers­ten Fehl­tritt. Da­mit muss man frü­her be­gin­nen.«

Ge­or­ges dach­te: »Wenn das wirk­lich wahr wäre, dass ich Suzan­ne hät­te hei­ra­ten kön­nen?« …

Dann zuck­te er mit den Ach­seln. »Ach was, das ist doch Un­sinn. Der Va­ter hät­te mich nie als Schwie­ger­sohn ak­zep­tiert.«

Im­mer­hin nahm er sich vor, Frau Wal­ters Be­neh­men ihm ge­gen­über et­was auf­merk­sa­mer zu be­ob­ach­ten, ohne üb­ri­gens sich da­bei zu fra­gen, ob er dar­aus einen Vor­teil zie­hen könn­te.

Den gan­zen Abend lang ver­folg­te ihn die Erin­ne­rung an sei­ne Lieb­schaft mit Clo­til­de; Erin­ne­run­gen, die zärt­lich und zu­gleich sinn­lich wa­ren. Er dach­te an ihre tol­len Strei­che, an ihre lus­ti­gen Ein­fal­le und an ihre ge­mein­schaft­li­chen Streif­zü­ge. Er sag­te sich im­mer wie­der: »Sie ist wirk­lich be­zau­bernd, ich gehe mor­gen be­stimmt zu ihr hin.« Am nächs­ten Mor­gen nach dem Früh­stück be­gab er sich tat­säch­lich nach der Rue de Ver­neuil. Das­sel­be Stu­ben­mäd­chen öff­ne­te ihm die Tür und frag­te ihn ge­müt­lich nach der Art klein­bür­ger­li­cher Dienst­bo­ten:

»Geht es Ih­nen gut, mein Herr?«

»Ja­wohl, mein Kind«, er­wi­der­te er und trat in den Sa­lon, wo eine un­ge­üb­te Hand Ton­lei­tern am Kla­vier spiel­te. Es war Lau­ri­ne. Er dach­te, sie wür­de ihm an den Hals flie­gen, aber sie stand ernst auf, grüß­te ihn fei­er­lich, wie eine Er­wach­se­ne und zog sich in wür­di­ger, re­ser­vier­ter Hal­tung zu­rück. Sie be­nahm sich voll­stän­dig wie eine tief­ge­kränk­te Frau, so­dass er ganz er­staunt und ver­dutzt da­stand. Nun kam die Mut­ter. Er er­griff ihre Hän­de und küss­te sie.

»Wie oft habe ich an Sie ge­dacht«, sag­te er.

»Und ich.«

Sie setz­ten sich und sa­hen sich lä­chelnd an, in­dem sie sich tief in die Au­gen sa­hen; sie hat­ten bei­de Lust, sich auf die Lip­pen zu küs­sen.

»Mei­ne lie­be klei­ne Clo, ich lie­be Sie!«

»Und ich dich auch.«

»Dann, dann bist du mir nicht mehr böse?«

»Ja und nein. Es hat mir sehr weh ge­tan. Da­rin aber be­griff ich dei­ne Grün­de und sag­te mir: ›Frü­her oder spä­ter kommt er doch zu mir zu­rück.’«

»Ich wag­te nicht wie­der­zu­kom­men, denn ich wuss­te nicht, wie du mich emp­fan­gen wür­dest. Ich wag­te es nicht, aber ich hat­te ein glü­hen­des Ver­lan­gen nach dir. Üb­ri­gens sag’ mir mal, was ist denn mit Lau­ri­ne los. Sie hat mich kaum be­grüßt und ist dann wü­tend fort­ge­gan­gen.«

»Ich weiß es nicht, aber seit dei­ner Hei­rat darf man nicht mehr über dich re­den. Ich glau­be, sie ist wirk­lich ei­fer­süch­tig.«

»Nicht mög­lich.«

»Doch, doch Liebs­ter. Sie nennt dich nicht mehr Bel-Ami, son­dern sie nennt dich Mon­sieur Fo­res­tier.«

Du Roy wur­de rot und beug­te sich zu der jun­gen Frau.

»Gib mir dei­nen Mund«, bat er.

Sie hielt ihm ihre Lip­pen hin.

»Wo kön­nen wir uns wie­der­se­hen?« frag­te er.

»In … in der Rue Con­stan­ti­no­ple.«

»Wie! die Woh­nung ist nicht ver­mie­tet?«

»Nein, ich habe sie be­hal­ten.«

»Du hast sie be­hal­ten?«

»Ja, ich dach­te, du wür­dest wie­der­kom­men.«

Sei­ne Brust hob sich vor stol­zer Freu­de. Die­se Frau lieb­te ihn also wirk­lich mit ei­ner ech­ten be­stän­di­gen und in­ni­gen Lie­be. Er flüs­ter­te:

»Ich lie­be dich über al­les.« Dann frag­te er:

»Geht es dei­nem Man­ne gut?«

»Ja, sehr gut, er war einen Mo­nat hier. Vor­ges­tern ist er ab­ge­reist.«

Du Roy konn­te sich nicht ent­hal­ten zu la­chen.

»Wie gut sich das trifft.«

»O ja,« ant­wor­te­te sie, »das trifft sich sehr gut, aber selbst wenn er hier ist, ge­niert er uns auch nicht, du weißt ja?«

»Du hast recht. Er ist üb­ri­gens ein rei­zen­der Mensch.«

»Und du,« frag­te sie, »wie ge­fällt dir das neue Le­ben?«

»We­der be­son­ders gut, noch be­son­ders schlecht. Mei­ne Frau ist eine Le­bens­ge­fähr­tin, eine Bun­des­ge­nos­sin.«

»Wei­ter nichts?«

»Wei­ter nichts … was das Herz an­geht …«

»Ich ver­ste­he es wohl. Sie ist doch sehr nett?«

»Ja, ent­schie­den, aber sie reizt mich nicht.« — Er nä­her­te sich Clo­til­de und mur­mel­te:

»Wann se­hen wir uns wie­der?«

»Mor­gen … wenn du willst.«

»Ja. Mor­gen um zwei Uhr.«

»Um zwei Uhr.« — Er er­hob sich, um zu ge­hen; dann stam­mel­te er et­was ver­le­gen:

»Weißt du, ich möch­te die Woh­nung in der Rue de Con­stan­ti­no­ple von jetzt an auf mei­ne ei­ge­ne Rech­nung neh­men. Ich will es. Das geht nicht, dass du sie wei­ter be­zahlst.«

In ei­ner An­wand­lung von Be­wun­de­rung küss­te sie ihm nun die Hand und flüs­ter­te:

»Tue so, wie du willst. Mir ge­nügt, dass ich sie für un­ser Wie­der­se­hen be­wahrt habe.«

Und Du Roy ver­ließ sie, das Herz vol­ler Be­frie­di­gung.

Er ging an ei­nem Schau­fens­ter ei­nes Fo­to­gra­fen vor­über, und das Bild ei­ner statt­li­chen Dame mit großen Au­gen er­in­ner­te ihn an Frau Wal­ter. »Ei­gent­lich ist sie noch gar nicht so übel,« sag­te er sich, »wie kommt es, dass mir noch nie et­was auf­ge­fal­len ist? Ich bin neu­gie­rig, wie sie mich Don­ners­tag emp­fan­gen wird.«

Er rieb sich die Hän­de und ging freu­de­strah­lend wei­ter. Er emp­fand Freu­de des all­sei­ti­gen Er­fol­ges; die egois­ti­sche Freu­de des ge­schick­ten Man­nes, dem al­les ge­lingt, und die zärt­li­che Freu­de der be­frie­dig­ten Ei­tel­keit und Sinn­lich­keit, wie sie durch Frau­en­lie­be er­regt wird.

Als der Don­ners­tag kam, frag­te er Ma­de­lei­ne:

»Gehst du nicht zum Preis­fech­ten bei Ri­val?«

»O nein, das macht mir we­nig Ver­gnü­gen. Ich gehe in die Ab­ge­ord­ne­ten­kam­mer.«

Es war herr­li­ches Wet­ter, er nahm des­halb einen of­fe­nen Lan­dau­er und fuhr, Frau Wal­ter ab­zu­ho­len. Er war über­rascht, als er sie er­blick­te; so schön und jung fand er sie. Sie hat­te ein hel­les, leicht aus­ge­schnit­te­nes Som­mer­kleid an und un­ter dem gel­ben Spit­zen­ein­satz sah er die vol­len Run­dun­gen der Brüs­te. Noch nie hat­te sie so frisch aus­ge­se­hen und er hielt sie wirk­lich für be­geh­rens­wert. Sie be­wahr­te eine stil­le und vor­neh­me Hal­tung, eine ge­wis­se müt­ter­li­che Ruhe, durch die sie den fri­vo­len Bli­cken der Män­ner zu­meist nicht auf­fiel. Al­les, was sie sag­te, war et­was mehr oder min­der Be­kann­tes, Kon­ven­tio­nel­les und nie über­trie­ben. Ihr Ide­en­kreis war wohl klas­si­fi­ziert und ge­ord­net und fern von jeg­li­cher Art der Aus­schrei­tung.

Ihre Toch­ter Suzan­ne war ganz in Rosa ge­klei­det und glich ei­nem auf­ge­frisch­ten Wat­teau­bild, wäh­rend ihre äl­te­re Schwes­ter wie eine Er­zie­he­rin aus­sah, die die­ses rei­zen­de Püpp­chen be­auf­sich­ti­gen muss­te.

Vor Ri­vals Woh­nung stand eine Wa­gen­rei­he. Du Roy bot Frau Wal­ter den Arm und sie gin­gen hin­ein.

Das Preis­fech­ten wur­de zum Bes­ten der Wai­sen­kin­der des 6. Pa­ri­ser Stadt­be­zirks ver­an­stal­tet un­ter dem Pa­tro­nat al­ler Se­na­to­ren- und De­pu­tier­ten­frau­en, die zur Vie Françai­se Be­zie­hun­gen hat­ten.

Frau Wal­ter hat­te ver­spro­chen, mit ih­ren Töch­tern hin­zu­kom­men, lehn­te es aber ab, Pa­tro­nats­da­me zu sein, da sie mit ih­rem Na­men nur die von der Kir­che an­ge­reg­ten Wohl­tä­tig­keits­ver­an­stal­tun­gen un­ter­stüt­ze; nicht etwa aus über­mä­ßi­ger Fröm­mig­keit, son­dern weil ihre Ehe mit ei­nem Ju­den sie, wie sie glaub­te, zu ei­ner ge­wis­sen re­li­gi­ösen Hal­tung zwang. Und das von dem Jour­na­lis­ten ver­an­stal­te­te Fest trug einen re­pu­bli­ka­ni­schen An­strich, der wo­mög­lich an­ti­kle­ri­kal aus­ge­legt wer­den konn­te.

Seit drei Wo­chen stand in den Zei­tun­gen al­ler Par­tei­rich­tun­gen zu le­sen: »Un­ser be­rühm­ter Kol­le­ge Jac­ques Ri­val hat den vor­treff­li­chen und groß­her­zi­gen Plan ge­fasst, zu­guns­ten der Wai­sen­kin­der des 6. Stadt­be­zirks von Pa­ris ein großes Schau­fech­ten in sei­nem hüb­schen Fecht­saal, der zu sei­ner Jung­ge­sel­len­woh­nung ge­hört, zu ver­an­stal­ten; die Ein­la­dun­gen er­fol­gen durch Ma­da­me La­loig­ne, Ma­da­me Re­mon­tel und Ma­da­me Ris­so­lin, die Gat­tin­nen der Se­na­to­ren glei­chen Na­mens, so­wie durch die Gat­tin­nen der be­kann­ten Ab­ge­ord­ne­ten: Ma­da­me Lar­oche-Ma­thieu, Ma­da­me Per­ce­rol und Ma­da­me Fir­min. Wäh­rend der Pau­se wird eine Samm­lung ver­an­stal­tet und der Er­trag un­mit­tel­bar dem Maire des 6. Stadt­be­zirks oder des­sen Ver­tre­ter aus­ge­hän­digt wer­den.« — Es war eine Rie­sen­re­kla­me, die der Jour­na­list für sich und sei­nen Vor­teil in­sze­niert hat­te.

Jac­ques Ri­val emp­fing die Gäs­te am Ein­gang sei­ner Woh­nung, wo ein Bü­fett ein­ge­rich­tet war, des­sen Kos­ten von den Ein­nah­men ab­ge­zo­gen wer­den soll­ten. Mit lie­bens­wür­di­ger Hand­be­we­gung zeig­te er auf die Trep­pe, die zum Kel­ler führ­te. Da hat­te er einen Fecht- und Schieß­raum ein­ge­rich­tet. Er sag­te:

»Hin­un­ter, mei­ne Da­men, bit­te, hin­un­ter. Das Fech­ten wird im Kel­ler statt­fin­den.« Er eil­te der Frau sei­nes Chefs ent­ge­gen, dann drück­te er Du Roy die Hand und sag­te:

»Gu­ten Tag, Bel-Ami!«

»Wer hat Ih­nen ge­sagt, dass …?« frag­te die­ser er­staunt.

»Ma­da­me Wal­ter, die die­sen Na­men sehr nett fin­det«, ant­wor­te­te Ri­val, ohne ihn aus­re­den zu las­sen.

»Ja,« sag­te Frau Wal­ter er­rö­tend, »ich ge­ste­he, dass, wenn ich Sie nä­her ge­kannt hät­te, dann wür­de ich Sie wie die klei­ne Lau­ri­ne auch ›Bel-Ami‹ nen­nen. Der Name passt sehr gut zu Ih­nen.«

Du Roy lach­te: »Aber ich bit­te Sie, Frau Wal­ter, tun Sie das.«

»Nein, dazu sind wir nicht ge­nug be­freun­det«, sag­te sie sehr lei­se.

»Wol­len Sie mir die Hoff­nung ge­ben, dass wir in Zu­kunft es sein wer­den?« frag­te er.

»Wir wer­den se­hen«, ant­wor­te­te sie.

Am Ein­gang zum Kel­ler trat er zur Sei­te. Die schma­le Trep­pe war mit Gas be­leuch­tet und der kras­se Über­gang vom Ta­ges­licht zu die­sem gelb­li­chen Schein hat­te et­was Düs­te­res. Ein Keller­ge­ruch stieg die Wen­del­trep­pe hin­auf, ein Ge­ruch von er­wärm­ter Feuch­tig­keit, von ver­schim­mel­ten Wän­den, die für die­sen Tag ab­ge­wischt wa­ren; ein Duft nach Weih­rauch, Frau­en, Lu­bin, Ver­vei­ne und Veil­chen.

Man ver­nahm vie­le Stim­men durch die­ses Loch, das Wo­gen ei­ner er­reg­ten Men­ge. Der Kel­ler war von Gas­lam­pen und ve­ne­zia­ni­schen La­ter­nen er­leuch­tet, die zwi­schen den Blät­tern ver­steckt wa­ren, mit de­nen man die Wän­de aus­ge­schmückt hat­te. Man sah nichts wie grü­ne Äste. Die De­cke war mit Farn­kraut ge­schmückt, der Bo­den mit Blu­men und Blät­tern be­streut. Man fand die­se Ein­rich­tung ent­zückend. Im klei­nen Kel­ler im Hin­ter­grun­de war die Büh­ne für die Fech­ter ein­ge­rich­tet, von bei­den Sei­ten stan­den zwei Rei­hen Stüh­le für die Preis­rich­ter. Im gan­zen Kel­ler wa­ren Bän­ke auf­ge­stellt, die im gan­zen zwei­hun­dert Per­so­nen auf­neh­men konn­ten. Ein­ge­la­den wa­ren vier­hun­dert.

Vor dem Po­di­um stan­den schlan­ke jun­ge Leu­te im Fecht­ko­stüm mit lan­gen Glie­dern, hoch­ge­dreh­ten Schnurr­bär­ten und po­sier­ten vor den Zuschau­ern. Man nann­te sie beim Na­men und zeig­te auf die Fecht­meis­ter und Ama­teu­re, auf die Berühmt­hei­ten des Fecht­spor­tes. Um sie her­um stan­den jün­ge­re und äl­te­re Her­ren in schwar­zen Gehrö­cken und plau­der­ten mit den Fech­tern. Auch sie woll­ten ge­se­hen, er­kannt und be­merkt wer­den; das wa­ren die Fürs­ten der ed­len Fecht­kunst in Zi­vil, die Sach­ver­stän­di­gen im Stich und Hieb.

Fast die gan­zen Bän­ke wa­ren von Frau­en be­setzt; man hör­te das Rau­schen ih­rer Klei­der und das Ge­mur­mel ih­rer Stim­men. Sie fä­chel­ten sich wie im Thea­ter; denn es herrsch­te schon eine er­sti­cken­de Hit­ze in die­ser laub­ge­schmück­ten Grot­te. »Man­del­milch! Li­mo­na­de! Bier!« hör­te man von Zeit zu Zeit einen Witz­bold ru­fen. Frau Wal­ter und ihre Töch­ter setz­ten sich auf die Plät­ze in der ers­ten Rei­he, die für sie re­ser­viert wa­ren. Als Du Roy sie hin­ge­führt hat­te, woll­te er sich zu­rück­zie­hen und sag­te:

»Ich muss Sie lei­der ver­las­sen, die Her­ren dür­fen die Bän­ke nicht be­set­zen.«

Frau Wal­ter sag­te zö­gernd:

»Ich möch­te Sie aber sehr gern hier­be­hal­ten. Sie kön­nen mir die Na­men der ein­zel­nen Fech­ter nen­nen. Wenn Sie hier am Ende der Bank ste­hen­blei­ben, wer­den Sie si­cher nie­man­den stö­ren.«

Sie sah ihn mit ih­ren großen sanf­ten Au­gen an und fuhr fort zu bit­ten:

»Nicht wahr, Sie blei­ben bei uns, Herr … Herr Bel-Ami. Wir kön­nen Sie nicht ent­beh­ren.«

»Ich ge­hor­che mit Ver­gnü­gen, gnä­di­ge Frau«, er­wi­der­te er.

Über­all hör­te man das Ur­teil des Pub­li­kums:

»Die­ser Kel­ler­raum ist sehr spa­ßig … sehr nett.« Ge­or­ges kann­te die­sen ge­wölb­ten Raum nur zu gut. Er dach­te an je­nen Vor­mit­tag, den er hier am Tage vor sei­nem Duell zu­ge­bracht hat­te, ganz al­lein, ge­gen­über der klei­nen wei­ßen Schei­be, die ihm aus dem Hin­ter­grund des wei­ten Kel­lers wie ein großes, furcht­ba­res Auge ent­ge­gen­leuch­te­te. Von der Trep­pe her er­tön­te Jac­ques Ri­vals Stim­me:

»Es geht gleich los, mei­ne Da­men!«

Und sechs Her­ren in eng­an­lie­gen­den stei­fen Klei­dern, die den Brust­kas­ten her­vor­tre­ten lie­ßen, be­tra­ten das Po­di­um und setz­ten sich auf die für die Jury be­stimm­ten Stüh­le. Man flüs­ter­te ihre Na­men: es wa­ren der Ge­ne­ral de Ray­nal­di, der Vor­sit­zen­de, ein klei­ner Mann mit großem Schnurr­bart, der Ma­ler Jo­se­phin Rou­det, ein großer kahl­köp­fi­ger Mann mit lan­gem Voll­bart, Matt­héo de Ujar, Si­mon Ra­mon­cel, Pier­re de Car­vin, drei jun­ge ele­gan­te Her­ren, und schließ­lich der Fecht­meis­ter Gas­pard Mer­ler­o­ri.

Dann er­schie­nen zwei Zet­tel an den bei­den Sei­ten des Kel­lers. Rechts stand: Mon­sieur Crè­vecœur, und links Mon­sieur Plu­meau.

Es wa­ren zwei Fecht­meis­ter, zwei tüch­ti­ge Fecht­meis­ter zwei­ten Ran­ges. Sie tra­ten auf, bei­de sehr ha­ger, mit mi­li­tä­ri­schen Al­lü­ren und stei­fen Be­we­gun­gen. Sie be­grüß­ten sich mit den Waf­fen, wie zwei Au­to­ma­ten, und der Kampf be­gann. In ih­ren Kit­teln aus Lei­ne­wand und weißem Le­der sa­hen sie wie zwei Pier­rot­sol­da­ten aus, die sich zum Scherz mit­ein­an­der schlu­gen.

Von Zeit zu Zeit hör­te man das Wort »Ge­trof­fen« und die sechs Preis­rich­ter streck­ten mit Ken­ner­mie­ne ihre Köp­fe aus. Das Pub­li­kum sah wei­ter nichts als zwei le­ben­de Ma­rio­net­ten, die sich schnell be­weg­ten und die Arme vor­streck­ten.

Man ver­stand nichts, aber man war doch zu­frie­den. Die bei­den Ge­stal­ten er­schie­nen den meis­ten doch ein biss­chen un­gra­zi­ös und et­was lä­cher­lich. Man dach­te an die höl­zer­nen Ham­pel­män­ner, die zu Neu­jahr auf den Bou­le­vards ver­kauft wer­den.

Die bei­den ers­ten Fech­ter wur­den durch die Her­ren Plan­ton und Ca­ra­pin ab­ge­löst. Ein Fecht­meis­ter vom Zi­vil und der an­de­re vom Mi­li­tär. Plan­ton war sehr klein und Ca­ra­pin sehr dick. Es sah aus, als müss­te er gleich beim ers­ten Flo­rett­stich wie ein auf­ge­bla­se­ner Bal­lon plat­zen. Man lach­te. Plan­ton sprang wie ein Affe. Ca­ra­pin be­weg­te nur sei­nen Arm; der Rest sei­nes Kör­pers blieb in­fol­ge sei­ner Kor­pu­lenz un­be­weg­lich, und er fiel alle fünf Mi­nu­ten mit sol­cher Wucht und Kraft aus, als fass­te er den schwers­ten Ent­schluss sei­nes Le­bens. Nach­her hat­te er die größ­te Mühe, um sich wie­der zu­rück­zu­leh­nen.

Die Ken­ner er­klär­ten sein Fech­ten für sehr kraft­voll und scharf. Das Pub­li­kum glaub­te und klatsch­te ihm Bei­fall.

Dann tra­ten die Her­ren Po­ri­on und La­pal­me auf, ein Fecht­leh­rer und ein Ama­teur; sie lie­fer­ten eine wil­de Schlacht und stürz­ten ra­send auf­ein­an­der los, so­dass die Preis­rich­ter mit ih­ren Stüh­len flüch­ten muss­ten, und tob­ten über das Po­di­um von ei­nem Ende bis zum an­de­ren, in­dem sie mit kräf­ti­gen, ko­mi­schen Aus­fäl­len bald vor­dran­gen, bald zu­rück­wi­chen. Ihre klei­nen Sprün­ge nach rück­wärts brach­ten die Da­men zum La­chen, aber and­rer­seits im­po­nier­te dann wie­der ein ener­gi­scher An­griff der einen oder der an­de­ren Sei­te. Ein un­be­kann­ter Jüng­ling aus der Zuschau­er­men­ge äu­ßer­te sei­ne Mei­nung über die­se Zim­mer­gym­nas­tik, in­dem er rief: »Nicht so stür­misch, es geht doch nach Stun­den.« Die­se Ge­schmack­lo­sig­keit wur­de von al­len Sei­ten sehr miss­fäl­lig auf­ge­nom­men und man rief: »Pst! Pst!« Das Ur­teil der Sach­ver­stän­di­gen wur­de bald be­kannt, die Kämp­fer hät­ten viel Mut und Kraft, aber nicht im­mer die not­wen­di­ge Ge­nau­ig­keit und Si­cher­heit ge­zeigt.

Der ers­te Teil schloss mit ei­nem sehr schö­nen Waf­fen­gang zwi­schen Jac­ques Ri­val und dem be­kann­ten bel­gi­schen Meis­ter Le­begue. Ri­val ge­fiel den Da­men sehr. Er war wirk­lich eine schö­ne Er­schei­nung, gut ge­wach­sen, be­händ und gra­zi­öser als alle, die vor ihm auf­ge­tre­ten wa­ren. In der Art, wie er pa­rier­te und aus­fiel, lag eine ge­wis­se welt­li­che Ele­ganz, die all­ge­mein ge­fiel und umso auf­fal­len­der war, da sein Geg­ner sehr ener­gisch, aber plump und un­gra­zi­ös kämpf­te. »Man spürt so­fort den Mann von gu­ter Er­zie­hung«, sag­te man.

Er hat­te Er­folg und wur­de be­klatscht.

Doch seit ei­ni­ger Zeit be­un­ru­hig­te die Zuschau­er ein merk­wür­di­ges Geräusch über ih­ren Köp­fen. Es war ein star­kes und hef­ti­ges Hin- und Her­lau­fen, das von schal­len­dem Ge­läch­ter be­glei­tet wur­de. Die zwei­hun­dert Ein­ge­la­de­nen, die nicht in den Kel­ler hin­ab­stei­gen konn­ten, schie­nen sich auf ihre ei­ge­ne Art zu amü­sie­ren. Auf der klei­nen Wen­del­trep­pe stan­den etwa fünf­zig Men­schen ein­ge­klemmt. Die Hit­ze wur­de un­ten un­er­träg­lich. Man rief: »Luft! Zu trin­ken!« Und der Witz­bold von vor­hin rief mit schar­fer Stim­me, die das Sum­men und Rau­schen der Ge­sprä­che über­tön­te: »Man­del­milch! Li­mo­na­de! Bier!«

Ri­val er­schi­en sehr rot in sei­nem Fech­t­an­zug. »Ich las­se gleich Er­fri­schun­gen brin­gen«, sag­te er und lief zur Trep­pe. Aber jede Ver­bin­dung mit dem Erd­ge­schoss war ab­ge­schnit­ten. Es wäre leich­ter ge­we­sen, die De­cke zu durch­bre­chen, als die­se Mau­er von Men­schen, die auf den Stu­fen zu­sam­men­ge­drängt stan­den. Ri­val schrie:

»Rei­chen Sie die Eis­ge­trän­ke für die Da­men her­über.«

Fünf­zig Stim­men wie­der­hol­ten: »Eis, Eis.« End­lich er­schi­en ein Ta­blett. Doch die Glä­ser, die dar­auf stan­den, wa­ren leer. Die Ge­trän­ke selbst wa­ren un­ter­wegs aus­ge­trun­ken.

Eine lau­te Stim­me brüll­te: »Man er­stickt ja da un­ten, macht doch end­lich Schluss, da­mit wir nach Hau­se kön­nen.«

Eine an­de­re Stim­me er­tön­te: »Ein­sam­meln«, und das Pub­li­kum wie­der­hol­te la­chend, trotz­dem es vor Hit­ze keuch­te: »Ein­sam­meln, ein­sam­meln, ein­sam­meln.« Sechs Da­men gin­gen zwi­schen den Bän­ken her­um und man hör­te das lei­se Geräusch von Geld­stücken, die in die Bör­se fie­len.

Du Roy nann­te Frau Wal­ter die Na­men der be­rühm­ten Leu­te un­ter den Gäs­ten. Es wa­ren Le­be­män­ner, Jour­na­lis­ten von großen und al­ten Zei­tun­gen, die in­fol­ge ih­rer Er­fah­rung und ih­rem Re­nom­mee auf die Vie Françai­se her­ab­sa­hen. Sie ha­ben so vie­le sol­cher po­li­ti­schen Finanz­blät­ter ster­ben se­hen, die aus ei­ner ver­däch­ti­gen Spe­ku­la­ti­on ent­stan­den und durch den Sturz ei­nes Mi­nis­te­ri­ums von der Bild­flä­che ge­fegt wor­den wa­ren. Auch Ma­ler und Bild­hau­er wa­ren an­we­send; be­kannt­lich meist Sports­leu­te, ein Dich­ter von der Aka­de­mie, der Auf­se­hen er­reg­te, zwei Mu­si­ker und vie­le vor­neh­me Aus­län­der, hin­ter de­ren Na­men Du Roy die Sil­be »Rast« setz­te, was Ra­staquouè­re be­deu­te­te, um, wie er mein­te, den Eng­län­der nach­zuah­men, die auf ih­ren Vi­si­ten­kar­ten hin­ter dem Na­men die Sil­be »Esq.« setz­ten.

Ir­gend­je­mand rief Du Roy zu: »Gu­ten Tag, lie­ber Freund!«

Es war der Graf de Vau­drec. Er ent­schul­dig­te sich bei den Da­men und ging fort, um ihn zu be­grü­ßen; als zu­rück­kehr­te, er­klär­te er:

»Er ist rei­zend, der Vau­drec, wie man bei ihm die Ras­se fühlt.«

Frau Wal­ter ant­wor­te­te nichts. Sie war et­was müde und ihre Brust hob sich müh­sam bei je­dem Atem­zug, wo­durch Du Roys Au­gen auf sie ge­lenkt wur­den. Von Zeit zu Zeit be­geg­ne­te sich sein Blick mit dem der »Frau Di­rek­tor«, ei­nem ver­le­ge­nen, zö­gern­den, flüch­ti­gen Blick, der einen Au­gen­blick auf ihm ruh­te, um sich so­fort wie­der ab­zu­wen­den. »Schau, schau,« sag­te er sich, »soll­te ich die auch schon er­obert ha­ben?«

Die Geld­samm­le­rin­nen ka­men vor­bei, die Bör­sen wa­ren be­reits voll ge­füllt mit Gold und Sil­ber und ein neu­er Zet­tel er­schi­en auf dem Po­di­um mit der An­kün­di­gung: »Grrr­ro­ße Über­ra­schung.« Die Mit­glie­der der Jury be­ga­ben sich auf ihre Plät­ze. Al­les war­te­te.

Es er­schie­nen zwei Frau­en im Fecht­ko­stüm mit dem Flo­rett in der Hand. Sie tru­gen ein dunkles Tri­kot und ganz kur­ze Röck­chen, die nur zur Hälf­te die Schen­kel be­deck­ten. Sie hat­ten, einen star­ken Schutz­pols­ter auf der Brust an, so­dass sie den Kopf hoch tra­gen muss­ten und nicht sen­ken konn­ten. Sie wa­ren hübsch und jung und lach­ten, als sie die Zuschau­er be­grüß­ten. Lan­ger Bei­fall emp­fing sie.

Dann nah­men sie Stel­lung, wäh­rend sich das Pub­li­kum ga­lan­te und net­te Scher­ze zu­flüs­ter­te. Ein lie­bens­wür­di­ges Lä­cheln trat auf die Ge­sich­ter der Preis­rich­ter, die je­den Tref­fer mit ei­nem leich­ten Bra­vo­ruf be­glei­te­ten.

Den Zuschau­ern ge­fiel die­ser Kampf und sie äu­ßer­ten dar­über ihre Freu­de. Sie er­reg­ten die Be­gier­de der Män­ner und er­weck­ten bei den Da­men den an­ge­bo­re­nen Sinn des Pa­ri­ser Pub­li­kums für die et­was zwei­deu­ti­gen Keck­hei­ten, für den knal­li­gen Dir­nen­schick und für die Pseu­do­ele­ganz und Pseu­do­gra­zie der Ka­ba­rett- und Ope­ret­ten­sän­ge­rin­nen.

Je­des Mal, wenn eine der Fech­te­rin­nen aus­fiel, durch­lief ein Zu­cken der Freu­de das Pub­li­kum. Be­son­ders die eine, die dem Pub­li­kum den Rücken zu­wand­te, ließ den Mund und die Au­gen der Zuschau­er auf­sper­ren, und es war nicht ge­ra­de das Spiel der Hand­ge­len­ke, was man am gie­rigs­ten be­trach­te­te.

Sie er­hiel­ten to­sen­den Bei­fall.

Es folg­te ein Sä­bel­fech­ten, das aber kaum be­ach­tet wur­de; denn alle lausch­ten neu­gie­rig, was über ih­nen ei­gent­lich vor­ging. Seit ei­ni­gen Mi­nu­ten hat­te man ein Geräusch ver­nom­men, als ob man eine Woh­nung aus­räum­te; die Mö­bel wur­den lär­mend um­her­ge­rückt und über den Fuß­bo­den ge­schleift. Plötz­lich er­tön­te durch die De­cke Kla­vier­spie­len und man hör­te ganz deut­lich ein rhyth­mi­sches Stamp­fen der Füße. Die Gäs­te oben hat­ten einen Ball ver­an­stal­tet, um sich da­durch zu ent­schä­di­gen, dass sie nichts ge­se­hen hat­ten.

Das Pub­li­kum im Fecht­saal brach zu­erst in lau­tes Ge­läch­ter aus, dann aber er­wach­te bei den Da­men die Tanz­lust, sie küm­mer­ten sich nicht dar­um, was auf dem Po­di­um vor­ging und spra­chen ganz laut mit­ein­an­der. Man fand den Ein­fall der Zuspät­ge­kom­me­nen, einen Ball zu ver­an­stal­ten, sehr wit­zig; da oben lang­weil­ten sich die Leu­te of­fen­bar nicht, und nun woll­te man auch hin­auf.

In­zwi­schen wa­ren zwei neue Kämp­fer auf­ge­tre­ten; sie sa­lu­tier­ten und nah­men Stel­lung ein, so si­cher und ge­bie­te­risch, dass alle Bli­cke ihre Be­we­gun­gen auf­merk­sam ver­folg­ten. Sie fie­len aus und rich­te­ten sich auf mit sol­cher elas­ti­schen Gra­zie, mit so maß­vol­ler Ener­gie, mit so si­che­rer Kraft und so ru­hi­gen kunst­ge­rech­ten Be­we­gun­gen, dass auch die lai­en­haf­te Men­ge über­rascht und hin­ge­ris­sen wur­de.

Ihre Ge­nau­ig­keit beim Tref­fen, ihre be­son­ne­ne Ge­wandt­heit, ihre schnel­len Be­we­gun­gen, die so gut be­rech­net wa­ren, dass sie lang­sam er­schie­nen, zo­gen die Bli­cke auf sich und fes­sel­ten sie durch die Macht der Voll­kom­men­heit ih­rer Kunst. Das Pub­li­kum fühl­te, dass ihm hier et­was sel­ten Schö­nes vor­ge­führt wur­de, dass zwei große Künst­ler in ih­rem Fach das Bes­te vor­führ­ten, was es an Ge­schick­lich­keit, List, Er­fah­rung und phy­si­scher Kraft ge­ben konn­te. Nie­mand sprach ein Wort, so sehr wa­ren alle Bli­cke an sie ge­fes­selt. Dann, als sie den letz­ten Stoß ge­wech­selt, und sich die Hand ge­schüt­telt hat­ten, brach ein to­ben­der Bei­falls­sturm aus. Man stampf­te mit den Fü­ßen, man schrie und heul­te. Je­der kann­te ihre Na­men: es wa­ren Ser­gent und Ra­vi­gnac.

Die auf­ge­reg­ten Ge­mü­ter wur­den streit­süch­tig. Die Män­ner sa­hen ihre Nach­barn miss­trau­isch und feind­lich an; man hät­te ei­nes Lä­chelns we­gen leicht ein Duell pro­vo­zie­ren kön­nen; so­gar Leu­te, die nie ein Flo­rett in der Hand ge­hal­ten hat­ten, pro­bier­ten mit ih­ren Spa­zier­stö­cken alle mög­li­chen Hie­be und Pa­ra­den.

Nach und nach ström­te je­doch die Men­ge die klei­ne Trep­pe wie­der hin­auf. Man woll­te end­lich et­was zu trin­ken ha­ben. Ein all­ge­mei­ner Un­wil­le ent­stand, als man fest­stell­te, dass die Tanz­lus­ti­gen das Bü­fett be­reits voll­stän­dig aus­ge­plün­dert hat­ten, dann mit der Er­klä­rung fort­ge­gan­gen wa­ren, es wäre un­er­hört, zwei­hun­dert Men­schen hier­her zu be­stel­len und ih­nen über­haupt nichts zu zei­gen.

Nichts war mehr da, kei­ne Sü­ßig­keit, kein Stück­chen Ku­chen, kein Trop­fen Cham­pa­gner, kei­ne Li­mo­na­de, Bier, kei­ne Früch­te, nichts. Al­les war ge­plün­dert, ge­raubt und fort­ge­ges­sen.

Man ließ die Die­ner die Ein­zel­hei­ten er­zäh­len; sie be­müh­ten sich da­bei erns­te Ge­sich­ter zu ma­chen, konn­ten je­doch das La­chen kaum un­ter­drücken. »Die Da­men wa­ren wil­der als die Män­ner,« ver­si­cher­ten sie, »sie ha­ben ge­ges­sen und ge­trun­ken, bis sie krank wur­den.« Es klang fast so, als schil­der­ten Über­le­ben­de den Über­fall und die Plün­de­rung ei­ner Stadt wäh­rend ei­nes Raub­zu­ges.

Nun muss­te man also auf­bre­chen. Die Her­ren be­dau­er­ten die zwan­zig Fran­cs, die sie ge­spen­det hat­ten und är­ger­ten sich über alle, die oben um­sonst ge­schlemmt hat­ten.

Die Pa­tro­nats­da­men hat­ten über drei­tau­send Fran­cs ge­sam­melt. Nach Ab­zug al­ler Un­kos­ten blie­ben für die Wai­sen­kin­der des 6. Stadt­be­zir­kes zwei­hun­dertzwan­zig Fran­cs üb­rig.

Du Roy hat­te die Fa­mi­lie Wal­ter hin­aus­be­glei­tet und war­te­te auf sei­nen Lan­dau­er. Auf der Heim­fahrt saß er Frau Wal­ter ge­gen­über und be­geg­ne­te wie­der ih­rem zärt­li­chen und flüch­ti­gen Blick, der ver­le­gen und ver­wirrt schi­en. »Ich glau­be wahr­haf­tig, sie beißt an«, dach­te er. Er lä­chel­te dank­bar und zu­frie­den, denn nun war er si­cher, dass er wirk­lich Glück bei Frau­en hat­te, denn Ma­da­me de Ma­rel­le schi­en ihn auch, seit­dem ihr Lie­bes­ver­hält­nis von Neu­em be­gon­nen hat­te, ra­send und lei­den­schaft­lich zu lie­ben.

Er kam sehr ver­gnügt nach Hau­se.

Ma­de­lei­ne er­war­te­te ihn im Sa­lon.

»Ich habe Neu­ig­kei­ten«, sag­te sie. »Die Marok­ko­an­ge­le­gen­heit wird im­mer ver­wi­ckel­ter. Es ist sehr gut mög­lich, dass Frank­reich schon bin­nen we­ni­gen Mo­na­ten eine Ex­pe­di­ti­on dort­hin schi­cken wird. Auf je­den Fall wird man das be­nut­zen, um das Mi­nis­te­ri­um zu stür­zen, und dann be­kommt Lar­oche-Ma­thieu end­lich das Por­te­feuil­le des Aus­wär­ti­gen.

Du Roy woll­te sei­ne Frau et­was ne­cken, und tat so, als glau­be er kein Wort. »Man wür­de doch nicht so tö­richt sein, mit den Dumm­hei­ten von Tu­nis von Neu­em zu be­gin­nen.«

Sie zuck­te un­ge­dul­dig die Ach­seln. »Aber ich sage dir, es ist so, es ist so! Be­greifst du denn nicht, dass es eine wich­ti­ge Geld­fra­ge für sie ist. Heut­zu­ta­ge, mein Lie­ber, bei al­len wich­ti­gen po­li­ti­schen An­ge­le­gen­hei­ten, muss man sich fra­gen: ›Wo steckt das Ge­schäft?‹ Aber nicht wie frü­her: ›Wo steckt die Frau?‹«

»Ah«, mur­mel­te er mit gleich­gül­ti­ger Mie­ne, um sie noch mehr zu rei­zen.

»Du bist ge­nau so naiv wie Fo­res­tier«, sag­te sie wü­tend.

Sie woll­te ihn ver­let­zen und er­war­te­te einen Zor­nes­aus­bruch. Aber er lä­chel­te und sag­te:

»Wie Fo­res­tier, den du be­tro­gen hast?«

»Oh! Ge­or­ges!« mur­mel­te sie ge­trof­fen.

»Was denn«, sag­te er spöt­tisch. »Hast du mir nicht selbst ge­sagt, dass du Fo­res­tier be­tro­gen hast?« Und im Tone tiefs­ten Mit­lei­des setz­te er hin­zu: »Ar­mer Teu­fel!«

Ma­de­lei­ne ant­wor­te­te nichts und dreh­te ihm den Rücken; dann nach ei­ner kur­z­en Pau­se sag­te sie:

»Wir wer­den Diens­tag Gäs­te ha­ben. Frau Lar­oche-Ma­thieu kommt mit der Vi­com­tes­se de Per­ce­mur zum Es­sen. Willst du noch Ri­val und Nor­bert de Va­ren­ne ein­la­den? Ich will mor­gen Ma­da­me Wal­ter und Ma­da­me de Ma­rel­le be­su­chen. Vi­el­leicht kommt Ma­da­me Ris­so­lin auch noch.«

Seit ei­ni­ger Zeit nutz­te sie den po­li­ti­schen Ein­fluss ih­res Man­nes aus, um neue Be­zie­hun­gen an­zu­knüp­fen, und die Frau­en der De­pu­tier­ten und Se­na­to­ren, die die Un­ter­stüt­zung der Vie Françai­se brauch­ten, in ihr Haus zu zie­hen.

»Sehr gut,« ant­wor­te­te Du Roy, »Ri­val und Nor­bert wer­de ich ein­la­den.«

Er rieb sich zu­frie­den die Hän­de, denn er hat­te jetzt eine gute Waf­fe ge­fun­den, um sei­ne Frau zu är­gern und sei­nen heim­li­chen Hass, sei­ne un­kla­re und quä­len­de Ei­fer­sucht, die in ihm seit je­ner Spa­zier­fahrt im Bois er­wacht war, zu be­frie­di­gen. Er re­de­te nie an­ders mehr von Fo­res­tier, ohne dar­auf zu deu­ten, dass ihm Hör­ner auf­ge­setzt wor­den wa­ren. Er fühl­te, dass er da­mit Ma­de­lei­ne zum Ra­sen brin­gen konn­te. Und zehn­mal am Abend fand er Ge­le­gen­heit, den Na­men die­ses »Hahn­reis von Fo­res­tier« in wohl­wol­len­der Iro­nie zu nen­nen.

Er hass­te nicht mehr den To­ten; er woll­te ihn rä­chen.

Sei­ne Frau schi­en es nicht zu hö­ren und saß ru­hig mit ih­rem gleich­gül­ti­gen Lä­cheln ihm ge­gen­über.

Da sie am nächs­ten Tag Frau Wal­ter be­su­chen woll­te, ging er et­was frü­her hin, um die Frau sei­nes Chefs al­lein zu fin­den und sich zu über­zeu­gen, ob sie wirk­lich in ihn ver­liebt war. Das amü­sier­te und schmei­chel­te ihm. Und dann … warum nicht … wenn es mög­lich ist. Um zwei Uhr war er auf dem Bou­le­vard Ma­les­her­bes. Man führ­te ihn in den Sa­lon; er war­te­te.

Bald er­schi­en Frau Wal­ter und reich­te ihm freu­dig die Hand.

»Welch glück­li­cher Zu­fall führt Sie her?«

»Kein Zu­fall, nur das Ver­lan­gen, Sie zu se­hen. Eine Macht hat mich zu Ih­nen ge­trie­ben, ich weiß es selbst nicht warum; ich habe Ih­nen auch gar nichts Be­stimm­tes zu sa­gen. Ich bin ge­kom­men! Ich bin da! Kön­nen Sie mir die­sen frü­hen Be­such und die Of­fen­heit mei­ner Er­klä­rung ver­zei­hen?«

Er sag­te das al­les ga­lant und scherz­haft, mit ei­nem Lä­cheln auf den Lip­pen, aber mit Ernst in der Stim­me.

Sie wur­de rot und mur­mel­te:

»Aber wirk­lich … ich ver­ste­he nicht — Sie über­ra­schen mich — —«

»Das ist eine hei­te­re Lie­bes­er­klä­rung, um Sie nicht zu er­schre­cken«, füg­te er hin­zu. Sie setz­ten sich hin. Sie nahm die Wor­te als Scherz auf.

»Also, das ist eine erns­te Er­klä­rung?«

»Aber ja! Schon lan­ge, so­gar sehr lan­ge hat­te ich sie auf dem Her­zen, aber ich wag­te nicht, sie aus­zu­spre­chen. Sie sol­len so streng und kalt sein …«

Jetzt wur­de sie wie­der si­cher und frag­te:

»Wa­rum ha­ben Sie denn ge­ra­de heu­te ge­wählt?«

»Ich weiß es nicht.«

Dann sag­te er ganz lei­se:

»Viel­mehr, weil ich seit ges­tern nur an Sie den­ke.«

Sie wur­de plötz­lich bleich und mur­mel­te:

»Ge­nug jetzt von die­sen Kin­de­rei­en, spre­chen wir von et­was an­de­rem.«

Aber er fiel so plötz­lich vor ihr auf die Knie, so un­er­war­tet, dass sie einen Schreck krieg­te. Sie woll­te auf­ste­hen, aber er hielt sie mit bei­den Ar­men fest und flüs­ter­te ihr lei­den­schaft­lich zu:

»Ja, es ist wahr, ich lie­be Sie seit lan­gem, wahn­sin­nig. Ant­wor­ten Sie mir nicht. Be­grei­fen Sie es denn nicht? Ich bin wahn­sin­nig. Ich lie­be Sie … Oh, wenn Sie wüss­ten, wie ich Sie lie­be!«

Sie at­me­te schwer, keuch­te, ver­such­te zu spre­chen, aber kein Wort kam über ihre Lip­pen. Sie stieß ihn mit bei­den Hän­den zu­rück, sie fass­te ihn am Haar und ver­such­te sei­nen Küs­sen aus­zu­wei­chen. Sie bog ih­ren Kopf nach links und nach rechts, mit ei­ner schnel­len has­ti­gen Be­we­gung und schloss die Au­gen, um ihn nicht mehr zu se­hen.

Er be­rühr­te durch das Kleid ih­ren Kör­per, er strei­chel­te und be­tas­te­te sie; ihr Wi­der­stand schwand un­ter die­ser has­ti­gen und ro­hen Lieb­ko­sung. Er stand auf, um sie ganz an sich zu zie­hen, aber in die­ser Se­kun­de ent­wisch­te sie ihm und flüch­te­te von ei­nem Ses­sel zum an­de­ren. Eine Ver­fol­gung kam ihm lä­cher­lich vor; er ließ sich in einen Stuhl nie­der, ver­barg sein Ge­sicht in den Hän­den und schi­en krampf­haft zu schluch­zen. Dann sprang er auf, rief: »Adieu, adieu!« und stürz­te hin­aus.

Er nahm im Vor­zim­mer sei­nen Spa­zier­stock und ging ru­hig die Trep­pe hin­ab, in­dem er sich sag­te: »Wahr­haf­tig, ich glau­be, die Sa­che geht gut.«

Er ging auf ein Te­le­gra­fen­bü­ro und schick­te Clo­til­de ein blau­es Brief­chen; er bat sie für mor­gen um ein Ren­dez­vous.

Als er zur ge­wohn­ten Stun­de heim­kehr­te, frag­te er sei­ne Frau:

»Nun, hast du alle dei­ne Leu­te zum Di­ner bei­sam­men?«

»Ja, nur Ma­da­me Wal­ter hat mir noch nicht be­stimmt zu­ge­sagt. Sie weiß nicht, ob sie frei sein wird; sie ist un­ent­schlos­sen und er­zähl­te mir Gott weiß was für Ge­schich­ten über ihre Pf­lich­ten und ihr Ge­wis­sen. Mir schi­en das et­was ko­misch zu sein. Es ist üb­ri­gens egal, ich hof­fe, sie kommt schließ­lich doch.«

Er zuck­te die Ach­sel.

»Ich glau­be es auch, sie wird kom­men.«

Trotz­dem war er sei­ner Sa­che nicht ganz si­cher und blieb et­was un­ru­hig bis zum Tage des Di­ners.

Am sel­ben Tage früh mor­gens er­hielt Ma­de­lei­ne einen kur­z­en Brief von Frau Wal­ter: »Ich habe mich mit großer Mühe für heu­te Abend frei ge­macht. Ich kom­me mit größ­tem Ver­gnü­gen; lei­der kann mein Mann mich nicht be­glei­ten.«

Du Roy dach­te sich: »Es war ganz schlau von mir, dass ich nicht wie­der hin­ge­gan­gen bin. Jetzt hat sie sich be­ru­higt, aber — Vor­sicht!«

Un­ge­dul­dig er­war­te­te er sie. Sie er­schi­en sehr ru­hig, et­was kühl und ab­wei­send. Er be­nahm sich sehr be­schei­den zu­rück­hal­tend und so­gar de­mü­tig. Ma­da­me Lar­oche-Ma­thieu und Ma­da­me Ris­so­lin ka­men mit ih­ren Män­nern. Die Vi­com­tes­se de Per­ce­mur sprach über die vor­neh­me Welt. Ma­da­me de Ma­rel­le war rei­zend in ih­rem ge­schmack­vol­len Fan­ta­sie­kleid, es war ein ei­gen­tüm­li­ches schwarz-gel­bes spa­ni­sches Ko­stüm, das ihre hüb­sche Fi­gur, ih­ren Bu­sen und die schö­nen Arme vor­teil­haft zur Gel­tung brach­te und ih­rem Vo­gel­ge­sicht­chen einen ener­gi­schen Aus­druck ver­lieh.

Du Roy führ­te Frau Wal­ter zu Tisch, aber er sprach mit ihr nur über ernst­haf­te Din­ge und mit ei­ner et­was über­trie­be­nen Ehr­furcht. Von Zeit zu Zeit blick­te er Clo­til­de an. »Sie ist ja frei­lich hüb­scher und fri­scher«, dach­te er. Dann fiel sein Blick auf sei­ne Frau, die fand er auch nicht übel, ob­gleich er ge­gen sie eine zähe, ver­steck­te und grim­mi­ge Wut hat­te. Aber Frau Wal­ter reiz­te ihn durch die Schwie­rig­kei­ten der Erobe­rung und durch die Ab­wechs­lung, die Män­ner im­mer lie­ben und be­geh­ren.

Sie woll­te früh­zei­tig nach Hau­se.

»Ich wer­de Sie be­glei­ten«, sag­te er.

Sie wei­ger­te sich, aber er be­stand dar­auf.

»Wa­rum wol­len Sie nicht. Sie ver­let­zen mich tief. Ich muss doch an­neh­men, dass Sie mir nicht ver­zei­hen wol­len. Sie se­hen, wie ru­hig ich bin.«

»Sie kön­nen Ihre Gäs­te nicht so im Stich las­sen«, er­wi­der­te sie.

Er lä­chel­te:

»Ach was, in zwan­zig Mi­nu­ten bin ich wie­der da. Kein Mensch wird es mer­ken. Wenn Sie nein sa­gen, ver­let­zen Sie mich bis ins Tiefs­te mei­nes Her­zens.«

»Gut, ich bin ein­ver­stan­den«, mur­mel­te sie.

Kaum wa­ren sie im Wa­gen, da er­griff er ihre Hän­de und küss­te sie lei­den­schaft­lich.

»Ich lie­be Sie, ich lie­be Sie. Las­sen Sie es mich Ih­nen sa­gen. Ich rüh­re Sie nicht an. Ich will nur im­mer­fort wie­der­ho­len, dass ich Sie lie­be.«

Sie stam­mel­te:

»Oh, … nach­dem Sie mir ver­spro­chen ha­ben — Das ist nicht recht … Das ist schlecht von Ih­nen.«

Er tat, als müs­se er sich mit Ge­walt be­herr­schen; dann fuhr er mit ver­hal­te­ner Stim­me fort:

»Se­hen Sie, wie ich mich be­herr­sche. Und doch … las­sen Sie mich nur das eine sa­gen … Ich lie­be Sie … las­sen Sie mich es Ih­nen täg­lich wie­der­ho­len … ja, gön­nen Sie mir täg­lich einen Be­such von fünf Mi­nu­ten … las­sen Sie mich auf den Kni­en Ih­nen die­se Wor­te wie­der­ho­len und Ihr ge­lieb­tes Ant­litz be­wun­dern …«

Sie hat­te ihm ihre Hand ge­las­sen und wie­der­hol­te schwerat­mend:

»Nein, ich kann nicht, ich will nicht. Den­ken Sie doch, was man sa­gen wird, den­ken Sie an die Dienst­bo­ten, an mei­ne Töch­ter, Nein, es ist aus­ge­schlos­sen.«

Er fuhr fort:

»Ich kann nicht ohne Sie le­ben. Ob bei Ih­nen oder wo an­ders — ich muss Sie se­hen, und wenn es täg­lich nur eine Mi­nu­te wäre, da­mit ich Ihre Hand be­rüh­re, den Duft Ihres Klei­des ein­at­me, die Li­nie Ihres Kör­pers und Ihre großen schö­nen Au­gen, die mich wahn­sin­nig ma­chen, be­trach­ten kann.«

Sie hör­te die ba­na­len Lie­bes­phra­sen an, beb­te am gan­zen Kör­per und stam­mel­te:

»Nein … nein, es ist un­mög­lich, schwei­gen Sie!«

Er flüs­ter­te ihr ganz lei­se ins Ohr, denn er hat­te be­grif­fen, dass er die­se un­kom­pli­zier­te Frau nur all­mäh­lich er­obern konn­te, dass er sie be­stim­men muss­te, ihm ein Ren­dez­vous zu ge­ben, zu­nächst, wo sie woll­te und dann, wo er woll­te.

»Hö­ren Sie mich,« sag­te er, »es muss sein … ich wer­de Sie se­hen … ich wer­de auf Sie vor Ih­rer Tür war­ten … wie ein Bett­ler … ich gehe hin­auf … aber ich wer­de Sie se­hen … ich muss Sie se­hen … mor­gen.«

Sie wie­der­hol­te:

»Nein, nein, kom­men Sie nicht. Ich wer­de Sie nicht: emp­fan­gen. Sie müs­sen an mei­ne Töch­ter den­ken.«

»Dann sa­gen Sie mir, wo ich Sie tref­fen kann. … auf der Stra­ße … wo es auch sei … zu je­der Zeit: … wann Sie wol­len … nur dass ich Sie se­hen darf … Ich wer­de Sie be­grü­ßen und Ih­nen sa­gen: ›Ich lie­be Sie’, und wer­de ge­hen.«

Sie zö­ger­te, wuss­te nicht, was sie tun soll­te. Und da der Wa­gen schon vor ih­rer Tür hielt, mur­mel­te sie sehr schnell:

»Ich wer­de mor­gen um halb vier in die Tri­nité-Kir­che kom­men.«

Dann stieg sie aus und be­fahl dem Kut­scher:

»Fah­ren Sie Herrn Du Roy nach Hau­se.«

Als er zu­rück­kam, frag­te ihn sei­ne Frau: »Wo warst du denn so lan­ge?«

»Ich muss­te ein wich­ti­ges Te­le­gramm auf­ge­ben«, ant­wor­te­te er lei­se.

Ma­da­me von Ma­rel­le trat auf ihn zu.

»Wer­den Sie mich nach Hau­se brin­gen, Bel-Ami«, frag­te sie: »Sie wis­sen, dass ich nur un­ter die­ser Be­din­gung so weit vom Hau­se Ein­la­dun­gen zum Di­ner an­neh­me!«

Dann wand­te sie sich an Ma­de­lei­ne.

»Du bist doch nicht ei­fer­süch­tig?«

»Nein, nicht die Spur«, ant­wor­te­te Frau Du Roy lang­sam.

Die Gäs­te bra­chen auf, Frau Lar­oche-Ma­thieu sah wie ein klei­nes Pro­vinz­mä­del aus. Sie war die Toch­ter ei­nes No­tars und hei­ra­te­te Lar­oche, als er noch ein un­be­deu­ten­der Rechts­an­walt war. Frau Ris­so­lin war alt und prä­ten­ti­ös und mach­te den Ein­druck ei­ner al­ten Heb­am­me, de­ren Bil­dung aus ei­ner Leih­bi­blio­thek stamm­te. Die Vi­com­tes­se de Per­ce­mur schi­en alle An­we­sen­den zu ver­ach­ten, und sehr un­gern be­rühr­ten ihre »Samt­pföt­chen« die­se ge­mei­nen Ple­be­jer­hän­de.

Clo­til­de, in einen Spit­zen­schal gehüllt, sag­te beim Hin­aus­ge­hen zu Ma­de­lei­ne:

»Dein Di­ner ist fa­bel­haft ge­lun­gen. Du wirst bald den bes­ten po­li­ti­schen Sa­lon in Pa­ris ha­ben.«

Als sie mit Ge­or­ges al­lein war, um­arm­te sie ihn und sag­te:

»Du, mein lie­ber Bel-Ami, von Tag zu Tag lie­be ich dich mehr.«

Der Wa­gen schau­kel­te wie ein Boot. »Un­ser Zim­mer ist doch viel schö­ner«, sag­te sie. »O ja«, ant­wor­te­te er, aber er dach­te da­bei an Frau Wal­ter.

Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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