Читать книгу Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant - Страница 39

II.

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Das Ehe­paar Du Roy war seit zwei Ta­gen nach Pa­ris zu­rück­ge­kehrt und der Jour­na­list hat­te sei­ne alte Tä­tig­keit wie­der auf­ge­nom­men, in der Hoff­nung, bald von der Re­dak­ti­on des Lo­ka­len Teils ent­bun­den zu wer­den, um end­gül­tig das Res­sort Fo­res­tiers zu über­neh­men und sich ganz der Po­li­tik wid­men zu kön­nen.

Er ging abends mit fro­hem Her­zen nach der Woh­nung sei­nes Vor­gän­gers, um zu es­sen. Er sehn­te sich nach sei­ner Frau, de­ren kör­per­li­che und see­li­sche Rei­ze ihn im­mer mehr fes­sel­ten. Als er an ei­nem Blu­men­la­den am Ende der Rue Notre Dame de Lo­ret­te vor­bei­kam, kam er auf die Idee, für Ma­de­lei­ne einen Strauß Blu­men mit­zu­neh­men und er kauf­te ein großes Bund halb­ge­öff­ne­ter, duf­ten­der Ro­sen­knos­pen.

Auf je­dem Trep­pen­ab­satz sei­ner neu­en Woh­nung sah er sich selbst­ge­fäl­lig in dem Spie­gel, der ihn je­des Mal an sei­nen ers­ten Be­such in die­sem Hau­se er­in­ner­te.

Er hat­te sei­nen Schlüs­sel ver­ges­sen und klin­gel­te. Der Die­ner, den er auf An­ra­ten sei­ner Frau be­hal­ten hat­te, öff­ne­te ihm.

Ge­or­ges frag­te:

»Ist mei­ne Frau schon zu­rück?«

»Ja­wohl, mein Herr.«

Als er durchs Ess­zim­mer ging, wur­de er stut­zig, weil er drei Ge­de­cke er­blick­te. Der Tür­vor­hang zum Sa­lon war zu­rück­ge­schla­gen und er sah ne­ben­an Ma­de­lei­ne, die einen Strauß ganz ähn­li­cher Ro­sen in eine Vase auf dem Ka­min hin­ein­steck­te. Er wur­de ver­stimmt und miss­ver­gnügt, als hät­te ihn je­mand um sei­ne Idee und um die gan­ze Freu­de be­stoh­len, die er von die­ser Auf­merk­sam­keit er­war­te­te.

Er trat her­ein und frag­te:

»Hast du denn je­mand ein­ge­la­den?«

Sie ant­wor­te­te, ohne sich um­zu­wen­den, und ord­ne­te wei­ter ihre Blu­men:

»Ja und nein. Es ist mein al­ter Freund, der Graf de Vau­drec, der je­den Mon­tag hier zu es­sen pflegt, und er kommt heu­te wie ge­wöhn­lich.«

»Ah, sehr an­ge­nehm.«, mur­mel­te Ge­or­ges.

Er blieb hin­ter ihr ste­hen, mit sei­nem Strauß in der Hand; er hat­te Lust, ihn zu ver­ste­cken oder weg­zu­wer­fen. Trotz­dem sag­te er:

»Sieh mal, ich habe dir Ro­sen mit­ge­bracht.«

Has­tig dreh­te sie sich um und rief freu­de­strah­lend:

»Wie rei­zend von dir, dass du dar­an ge­dacht hast.«

Und sie reich­te ihm ihre Hän­de und Lip­pen mit ei­nem so un­ge­küns­tel­ten Aus­druck der Freu­de, dass er gleich wie­der ge­trös­tet war. Sie nahm sei­ne Blu­men, sog den Duft ein und stell­te sie dann mit der Fröh­lich­keit und Leb­haf­tig­keit ei­nes be­glück­ten Kin­des in eine lee­re Vase ge­gen­über der an­de­ren.

Sie be­trach­te­te prü­fend die Wir­kung und mur­mel­te:

»Es freut mich so, jetzt ist mein Ka­min hübsch und an­stän­dig ge­schmückt.« Gleich dar­auf füg­te sie mit in­ne­rer Über­zeu­gung hin­zu:

»Weißt du, Vau­drec ist rei­zend. Du wirst dich sehr rasch mit ihm be­freun­den.«

Die Klin­gel er­tön­te und kün­de­te den Be­such des Gra­fen an. Er trat ein, ru­hig und si­cher, als sei er bei sich zu Hau­se. Nach­dem er der Haus­frau ga­lant die Fin­ger ge­küsst hat­te, wand­te er sich zum Gat­ten, bot ihm die Hand und frag­te:

»Nun, wie geht es, mein lie­ber Du Roy?«

Er hat­te nicht mehr die stei­fe, ab­wei­sen­de Art von frü­her, son­dern sein ent­ge­gen­kom­men­des We­sen gab deut­lich zu er­ken­nen, dass die Um­stän­de nicht mehr die glei­chen wa­ren.

Der Jour­na­list war über­rascht, ver­such­te lie­bens­wür­dig zu sein, und nach we­ni­gen Mi­nu­ten hät­te man glau­ben kön­nen, dass sie sich schon seit zehn Jah­ren gut kann­ten und schätz­ten.

Dann sag­te Ma­de­lei­ne, de­ren Ge­sicht vor Freu­de strahl­te:

»Ich las­se euch al­lein. Ich muss einen Blick in die Kü­che wer­fen.«

Sie ging hin­aus und die bei­den Män­ner blick­ten ihr nach.

Als sie zu­rück­kam, un­ter­hiel­ten sie sich vom Thea­ter; es han­del­te sich um ein neu­es Stück, das kurz zu­vor auf­ge­führt war; sie wa­ren so völ­lig ei­ner Mei­nung, dass sie, wenn sie sich an­blick­ten, ein plötz­li­ches Freund­schafts­ge­fühl ver­spür­ten, so sehr stimm­ten ihre Ide­en über­ein.

Das Di­ner war rei­zend in­tim und herz­lich. Der Graf blieb bis spät in die Nacht, so wohl fühl­te er sich in die­sem rei­zen­den, neu­en Haus­halt.

Als er fort war, sag­te Ma­de­lei­ne zu ih­rem Mann:

»Ist er nicht ein ent­zücken­der Mensch? Er ge­winnt un­ge­heu­er, wenn man ihn bes­ser kennt. Er ist ein zu­ver­läs­si­ger, gu­ter, er­ge­be­ner und treu­er Freund. Ach! Ohne ihn …«

Sie führ­te ih­ren Ge­dan­ken nicht zu Ende und Ge­or­ges er­wi­der­te:

»Ja, ich fin­de ihn sehr an­ge­nehm. Ich glau­be, wir wer­den uns gut ver­ste­hen.«

»Weißt du,« fuhr sie so­gleich fort, »wir ha­ben heu­te Abend noch zu ar­bei­ten, be­vor wir zu Bett ge­hen. Ich hat­te kei­ne Zeit, es dir vor Tisch zu sa­gen, weil Vau­drec gleich kam. Ich habe sehr wich­ti­ge Nach­rich­ten über Marok­ko er­hal­ten. Der Ab­ge­ord­ne­te Lar­oche-Ma­thieu, der zu­künf­ti­ge Mi­nis­ter, hat sie mir ge­bracht. Wir müs­sen einen rich­ti­gen, großen Sen­sa­ti­ons­ar­ti­kel schrei­ben. Die Tat­sa­chen und die Zah­len habe ich alle. Komm, wir wol­len uns gleich an die Ar­beit set­zen. Da, nimm die Lam­pe.«

Er nahm die Lam­pe und sie gin­gen ins Ar­beits­zim­mer.

Die­sel­ben Bü­cher stan­den rei­hen­wei­se im Bü­cher­schrank, den jetzt die drei Va­sen schmück­ten, die Fo­res­tier am Tage vor sei­nem Tode am Golf Juan ge­kauft hat­te. Un­ter dem Tisch lag der Fuß­sack des Ver­stor­be­nen für die Bei­ne Du Roys be­reit, und als er Platz ge­nom­men hat­te, griff er zur El­fen­bein­fe­der, die sein Vor­gän­ger mit sei­nen Zäh­nen an der Spit­ze an­ge­kaut hat­te. Ma­de­lei­ne lehn­te sich an den Ka­min und steck­te eine Zi­ga­ret­te an. Sie er­zähl­te, was sie Neu­es er­fah­ren hat­te, ent­wi­ckel­te ihre Ge­dan­ken und den Plan des Ar­ti­kels, wie sie ihn zu schrei­ben be­ab­sich­tig­te.

Er hör­te auf­merk­sam zu und mach­te sich ei­ni­ge No­ti­zen. Als sie fer­tig war, er­hob er ei­ni­ge Ein­wen­dun­gen; er fass­te die Fra­ge an­ders auf, er­wei­ter­te sie und ent­wi­ckel­te sei­ner­seits einen Plan, nicht bloß zu dem Ar­ti­kel, son­dern zu ei­nem Feld­zug ge­gen das jet­zi­ge Mi­nis­te­ri­um. Die­ser An­griff soll­te den Kampf er­öff­nen. Sei­ne Frau hör­te so auf­merk­sam und ge­spannt zu, dass sie so­gar zu rau­chen auf­hör­te; sie ver­folg­te Ge­or­ge­s’ Ge­dan­ken­gang, ihr er­öff­ne­ten sich wei­te Per­spek­ti­ven und hin und wie­der mur­mel­te sie:

»Ja … rich­tig … sehr gut … Ta­del­los … sehr stark.«

Als er zu spre­chen auf­hör­te, sag­te sie:

»Nun wol­len wir schrei­ben.«

Aber der An­fang fiel ihm noch im­mer sehr schwer und er muss­te mit größ­ter Mühe die Wor­te zu­sam­men­su­chen. Da neig­te sie sich sanft über sei­ne Schul­ter und be­gann ihm lei­se die Sät­ze ins Ohr zu flüs­tern. Von Zeit zu Zeit hielt sie inne und frag­te:

»Ist das rich­tig, wie du es ge­meint hast?«

Er ant­wor­te­te:

»Ja, vor­treff­lich.«

Sie fand schar­fe Wen­dun­gen und gif­ti­ge Bos­hei­ten, um den Mi­nis­ter­prä­si­den­ten zu tref­fen. Sie ver­quick­te, wie es nur eine Frau ver­mag, spöt­ti­sche Be­mer­kun­gen über sein Ge­sicht mit de­nen über sei­ne Po­li­tik in so ko­mi­scher und geist­rei­cher Wei­se, dass man la­chen und zu­gleich die Rich­tig­keit und Schär­fe ih­rer Beo­b­ach­tung bil­li­gen muss­te. Du Roy setz­te zu­wei­len ei­ni­ge Zei­len hin­zu, die die Trag­wei­te und Wir­kung des An­griffs ver­tief­ten und ver­schärf­ten. Er ver­stand sich vor­treff­lich auf die Kunst, ver­steck­te und zwei­deu­ti­ge Bos­hei­ten an­zu­brin­gen; er hat­te es ge­lernt, als er den Nach­rich­ten­teil re­di­gier­te; und wenn eine Tat­sa­che, die Ma­de­lei­ne für un­an­fecht­bar hielt, ihm zwei­fel­haft oder ge­fähr­lich er­schi­en, so ließ er sie nur ah­nen und brach­te es meis­ter­haft fer­tig, sie dem Le­ser im Geis­te noch schär­fer ein­zu­prä­gen, als wenn er et­was Po­si­ti­ves be­haup­tet hät­te.

Als der Ar­ti­kel be­en­det war, las ihn Ge­or­ges laut und pa­the­tisch vor. Sie fan­den ihn bei­de aus­ge­zeich­net und lä­chel­ten sich über­rascht und ent­zückt zu, als hät­ten sie sich ein­an­der of­fen­bart. Be­wun­dernd und zärt­lich sa­hen sie sich in die Au­gen und dann um­arm­ten sie sich stür­misch, heiß und lei­den­schaft­lich. Du Roy nahm die Lam­pe:

»Und nun ins Bett­chen«, sag­te er mit ei­nem glü­hen­den Blick.

Sie ant­wor­te­te:

»Ge­hen Sie vor­an, mein Ge­bie­ter, und be­leuch­ten Sie mir den Weg.«

Er ging vor­an und sie folg­te ihm ins Schlaf­zim­mer, da­bei kit­zel­te sie ihn mit den Fin­gern zwi­schen Na­cken und Kra­gen, da­mit er ra­scher ge­hen soll­te, denn die­se Art Lieb­ko­sung konn­te er nicht ver­tra­gen.

Der Ar­ti­kel er­schi­en mit der Un­ter­schrift »Ge­or­ges Du Roy de Can­tel« und er­reg­te großes Auf­se­hen. In der Kam­mer gab es eine stür­mi­sche Sit­zung. Va­ter Wal­ter be­glück­wünsch­te den Ver­fas­ser und über­trug ihm die po­li­ti­sche Re­dak­ti­on der Vie Françai­se. Die Lo­kal­nach­rich­ten über­nahm wie­der Bois­renard.

Es be­gann nun­mehr in der Zei­tung ein ge­schick­ter und hef­ti­ger Feld­zug ge­gen das zu­stän­di­ge Mi­nis­te­ri­um. Die An­grif­fe wa­ren ge­wandt und schlau ge­führt und auf Tat­sa­chen auf­ge­baut, bald iro­nisch, bald ernst, bald hu­mo­ris­tisch, bald gif­tig; sie tra­fen scharf und si­cher, so­dass alle Welt er­staunt war. Die an­de­ren Blät­ter zi­tier­ten fort­wäh­rend die Vie Françai­se und druck­ten gan­ze Spal­ten ab, und die ein­fluss­rei­chen, po­li­ti­schen Macht­ha­ber er­kün­dig­ten sich, ob man die­sen un­be­kann­ten, er­bit­ter­ten Feind nicht mit Hil­fe ei­ner Prä­fek­tur zum Schwei­gen brin­gen könn­te.

In po­li­ti­schen Krei­sen wur­de Du Roy bald eine viel­ge­nann­te Per­sön­lich­keit.

Er spür­te sei­nen wach­sen­den. Ein­fluss an den Hän­de­drücken und der Art des Hut­ab­neh­mens. Und sei­ne Frau wie­der­um er­füll­te ihn mit Stau­nen und Be­wun­de­rung durch den Scharf­sinn ih­res Geis­tes, die Ge­schick­lich­keit ih­rer In­for­ma­tio­nen und die Zahl ih­rer Be­kannt­schaf­ten.

Wenn er nach Hau­se kam, fand er stets in sei­nem Sa­lon ir­gend­ei­nen Se­na­tor oder Ab­ge­ord­ne­ten, einen hö­he­ren Staats­be­am­ten oder Ge­ne­ral, die mit Ma­de­lei­ne wie mit ei­ner al­ten Freun­din ernst und ver­trau­lich ver­kehr­ten. Wo hat­te sie alle die­se Leu­te ken­nen­ge­lernt? In der Ge­sell­schaft, mein­te sie. Aber wie war es ihr ge­lun­gen, ihr Ver­trau­en und ihre Freund­schaft zu ge­win­nen? Das konn­te er nicht be­grei­fen.

»Sie wäre ein schlau­er und tüch­ti­ger Di­plo­mat«, dach­te er.

Oft kam sie zu spät zum Es­sen und stürz­te dann au­ßer Atem rot und er­regt ins Zim­mer, und ehe sie noch den Schlei­er ab­ge­legt hat­te, sag­te sie:

»Heu­te habe ich was In­ter­essan­tes. Den­ke dir, der Jus­tiz­mi­nis­ter hat zwei Rich­ter er­nannt, die Mit­glie­der der ge­misch­ten Kom­mis­si­on wa­ren. Wir wer­den ihm eins ver­set­zen, an das er lan­ge den­ken wird.«

Und der Mi­nis­ter be­kam eins ver­setzt, und am nächs­ten Tage eins und am über­nächs­ten noch eins. Der Ab­ge­ord­ne­te Lar­oche-Ma­thieu, der je­den Diens­tag in der Rue Fon­taine zu Mit­tag aß — nach­dem Graf Vau­drec am Tage vor­her den An­fang ge­macht hat­te —, schüt­tel­te kräf­tig und ener­gisch der Frau und dem Gat­ten die Hand und war au­ßer sich vor Freu­de. Er wie­der­hol­te im­mer­fort:

»O Gott, das ist ein rich­ti­ger Feld­zug. Wenn wir jetzt kei­nen Er­folg ha­ben …«

Er hoff­te sehr, auf die­se Wei­se das Por­te­feuil­le des Aus­wär­ti­gen zu er­gat­tern, auf das er schon lan­ge hin­ziel­te.

Er war ei­ner von die­sen Po­li­ti­kern mit meh­re­ren Ge­sich­tern ohne Über­zeu­gung, ohne große Fä­hig­kei­ten, ohne Mut und ernst­li­che Kennt­nis­se; er war Pro­vinz­ad­vo­kat und galt in ei­ner De­par­te­ment­haupt­stadt als hüb­scher Mann; er ver­stand es, durch alle Par­tei­en sich durch­zu­schlän­geln, er war eine Art von re­pu­bli­ka­ni­scher Je­suit, ein li­be­ra­ler Pilz von höchst zwei­fel­haf­tem We­sen, wie sie zu Hun­der­ten auf dem volks­tüm­li­chen Dün­ger­hau­fen des all­ge­mei­nen Stimm­rechts ge­dei­hen. Sei­ne ma­chia­vel­lis­ti­sche Bau­ern­schlau­heit ließ ihn un­ter sei­nen Kol­le­gen, un­ter die­sen ent­gleis­ten und ge­schei­ter­ten Exis­ten­zen, aus de­nen Ab­ge­ord­ne­te ge­wählt wer­den, als stark und ge­wandt er­schei­nen. Er war ele­gant, kor­rekt, ge­müt­lich und lie­bens­wür­dig ge­nug, um Kar­rie­re zu ma­chen. In der Ge­sell­schaft hat­te er Er­folg, al­ler­dings in der ziem­lich wahl­los durch­ein­an­der ge­misch­ten und we­nig vor­neh­men Ge­sell­schaft der heu­ti­gen ho­hen Staats­be­am­ten.

Man sag­te über­all von ihm: »Lar­oche wird ein­mal Mi­nis­ter.« Und er war ge­nau so fest wie die an­de­ren über­zeugt, dass er ein­mal Mi­nis­ter wür­de.

Er war Haupt­ak­tio­när der Zei­tung des Va­ter Wal­ter und war fast an al­len sei­nen fi­nan­zi­el­len Un­ter­neh­mun­gen be­tei­ligt.

Du Roy un­ter­stütz­te ihn ver­trau­ens­voll mit et­was un­kla­ren Hoff­nun­gen für die spä­te­re Zu­kunft. Üb­ri­gens setz­te er da­mit nur das Werk fort, das Fo­res­tier be­gon­nen hat­te. Die­sem hat­te Lar­oche-Ma­thieu die Ehren­le­gi­on ver­spro­chen, so­bald der Tag des Sie­ges ge­kom­men sei. Nun muss­te der Or­den auf die Brust des neu­en Gat­ten von Ma­de­lei­ne über­ge­hen. Das war al­les. Sonst hat­te sich ei­gent­lich nichts ge­än­dert. Man emp­fand es so deut­lich, dass sich nichts ge­än­dert hat­te, dass Du Roys Kol­le­gen ihn zu ne­cken be­gan­nen, was ihm auf die Dau­er läs­tig wur­de.

Man nann­te ihn nur noch Fo­res­tier. Sooft er ins Re­dak­ti­ons­bü­ro kam, rief je­mand: »Sag’ mal, Fo­res­tier.«

Er tat so, als ob er nicht hör­te und be­gann, die Brie­fe aus dem Schub­kas­ten her­aus­zu­su­chen. Die­sel­be Stim­me wie­der­hol­te noch lau­ter:

»He, Fo­res­tier!«

Und er ver­nahm ein un­ter­drück­tes Ge­läch­ter.

Du Roy ging nach dem Büro des Di­rek­tors, und der, wel­cher ihn eben ge­ru­fen hat­te, trat ihm in den Weg und sag­te:

»Oh, ver­zeih, ich woll­te dich spre­chen, aber es ist zu dumm, ich ver­wechs­le dich stets mit dem ar­men Charles. Das kommt da­von, weil alle dei­ne Ar­ti­kel den sei­ni­gen so ver­flucht ähn­lich sind. Alle Welt lässt sich da­durch täu­schen.«

Du Roy ant­wor­te­te nichts, aber er wur­de wü­tend und in sei­nem Her­zen be­gann er den To­ten dumpf und hef­tig zu has­sen.

Der Va­ter Wal­ter selbst hat­te er­klärt, als man sich über die schla­gen­de Ähn­lich­keit in Form und In­halt zwi­schen den Auf­sät­zen des neu­en und des al­ten po­li­ti­schen Re­dak­teurs wun­der­te:

»Ja, es ist Fo­res­tier, aber ein kräf­ti­ge­rer und ener­gi­sche­rer Fo­res­tier.«

Ein an­de­res Mal, als Du Roy zu­fäl­lig den Bil­bo­quet­schrank öff­ne­te, hat­te man die sei­nes Vor­gän­gers am Stiel mit schwar­zem Flor um­wun­den und sein ei­ge­nes, mit dem er un­ter An­lei­tung Saint-Po­tins zu spie­len pfleg­te, trug ein rosa Sei­den­bänd­chen; auf dem Brett, auf wel­chem die Bil­bo­quets der Grö­ße nach auf­ge­stellt wur­den, war ein Zet­tel an­ge­hef­tet, ähn­lich wie im Mu­se­um, auf dem stand:

»Alte Samm­lung Fo­res­tier & Co. — Fo­res­tier, Du Roy Nach­fol­ger G. m. b. H. Un­ver­äu­ßer­li­che Ge­gen­stän­de dür­fen bei je­der Ge­le­gen­heit selbst auf Rei­sen ge­braucht wer­den.«

Er schloss ru­hig den Schrank und sag­te so laut, dass es je­der hö­ren konn­te:

»Nei­di­sche Dumm­köp­fe gibt es über­all.«

Er war tief ver­letzt in sei­nem Stolz und sei­ner Ei­tel­keit, in die­ser be­son­ders emp­find­li­chen und ner­vö­sen und miss­traui­schen Schrift­stel­le­rei­tel­keit, die so­wohl dem kleins­ten Re­por­ter wie auch dem ge­ni­als­ten Dich­ter zu ei­gen ist.

Die­ses Wort »Fo­res­tier« kränk­te sein Ohr. Er fürch­te­te, es zu hö­ren, und er­rö­te­te je­des Mal, wenn er es doch hö­ren muss­te. Die­ser Name war für ihn bis­si­ger Spott ge­wor­den, ja mehr als Spott, eine schwe­re Be­lei­di­gung. Die­ser Name schrie ihm zu: »Dei­ne Frau macht die Ar­beit für dich ge­nau so, wie sie es für den an­de­ren ge­macht hat. Ohne sie wä­rest du nichts.«

Dass Fo­res­tier ohne Ma­de­lei­ne nichts ge­we­sen wäre, das woll­te er gern zu­ge­ben, aber er selbst — nein, das war ganz was an­de­res.

Und auch zu Hau­se woll­te die­ses be­drücken­de Ge­fühl nicht von ihm wei­chen. Das gan­ze Haus mahn­te ihn jetzt an den To­ten, die Mö­bel, die gan­ze Ein­rich­tung, al­les, was er an­fass­te. In der ers­ten Zeit hat­te er nicht dar­an ge­dacht. Aber die Ne­cke­rei­en sei­ner Kol­le­gen hat­ten sei­nem Geist eine Wun­de bei­ge­bracht, die durch eine Men­ge bis­her un­be­ach­te­ter Klei­nig­kei­ten noch wei­ter auf­ge­ris­sen wur­de. Er konn­te nichts mehr in die Hand neh­men, ohne dass er Charles’ Hand dar­auf zu er­bli­cken glaub­te. Er sah und ge­brauch­te nur Din­ge, die je­ner auch einst be­nutzt hat­te, Ge­gen­stän­de, die er ge­kauft, ge­liebt und be­ses­sen hat­te. Und Ge­or­ges be­gann sich schon jetzt bei dem Ge­dan­ken an die frü­he­ren Be­zie­hun­gen sei­nes al­ten Freun­des zu sei­ner jet­zi­gen Frau zu be­un­ru­hi­gen und zu är­gern.

Bis­wei­len wun­der­te er sich selbst über die­se in­ne­re Em­pö­rung sei­nes Her­zens, die er sich nicht er­klä­ren konn­te, und er frag­te sich: »Zum Teu­fel, wie kommt das nur? Ich bin doch nicht auf die Freun­de Ma­de­lei­nes ei­fer­süch­tig; ich küm­me­re mich nicht dar­um, was sie treibt; sie kommt und geht, wie es ihr passt und nur der Ge­dan­ke an die­sen blö­den Kerl, den Charles, macht mich di­rekt wü­tend.« Und in Ge­dan­ken setz­te er hin­zu: »Im Grun­de war er ein Idi­ot, und das ist es, was mich so kränkt. Ich är­ge­re mich, dass Ma­de­lei­ne so einen Schafs­kopf hat­te hei­ra­ten kön­nen.«

Und er wie­der­hol­te sich im­mer­fort: »Wie konn­te die­se Frau so ein Vieh nur einen Au­gen­blick gern ha­ben?« Und sein Hass und sei­ne Ei­fer­sucht wur­den von Tag zu Tag durch un­zäh­li­ge Klei­nig­kei­ten auf­ge­sta­chelt, die ihn wie Na­del­sti­che pei­nig­ten. Im­mer­fort wur­de er an den an­de­ren er­in­nert. Bald durch eine Be­mer­kung Ma­de­lei­nes, bald durch ein Wort des Die­ners oder des Stu­ben­mäd­chens.

Ei­nes Abends frag­te Du Roy, der süße Spei­sen lieb­te: »Wa­rum ha­ben wir nie ein Zwi­schen­ge­richt? Du lässt nie wel­che auf­tra­gen.«

Die jun­ge Frau ant­wor­te­te fröh­lich:

»Das ist wahr, ich habe gar nicht dar­an ge­dacht; das kommt da­her, weil Charles sie nicht aus­ste­hen konn­te.

Er konn­te sich nicht mehr be­herr­schen und schnitt ihr mit ei­ner un­ge­dul­di­gen Be­we­gung das Wort ab:

»Ach weißt du, die­ser Charles be­ginnt mir auf die Ner­ven zu ge­hen. Es geht ja fort­wäh­rend: Charles hier, Charles dort. Charles lieb­te die­ses, Charles lieb­te je­nes. Nun ist Charles kre­piert, also soll man ihn end­lich in Ruhe las­sen.«

Ma­de­lei­ne sah ih­ren Mann er­staunt an. Sie be­griff die­sen plötz­li­chen Wut­aus­bruch nicht. Doch bald ahn­te sie mit ih­rem schar­fen Ver­stan­de, was in ihm vor­ging, die lang­sa­me Wühl­ar­beit die­ser ver­spä­te­ten Ei­fer­sucht, die je­den Au­gen­blick wuchs, und durch al­les ge­nährt wur­de, was ihn an den To­ten er­in­ner­te.

Sie hielt es viel­leicht für kin­disch, fühl­te sich je­doch ge­schmei­chelt und er­wi­der­te nichts.

Er är­ger­te sich über sei­ne Ge­reizt­heit, und dass er sich nicht hat­te be­herr­schen kön­nen. Abends nach dem Es­sen ar­bei­te­ten sie wie­der zu­sam­men an ei­nem Ar­ti­kel für den nächs­ten Tag und er ver­wi­ckel­te sich in den Fuß­sack. Er konn­te nicht mit den Fü­ßen hin­ein, warf ihn mit ei­nem Fuß­tritt bei­sei­te und frag­te la­chend: »Charles hat­te wohl im­mer kal­te Füße?«

Sie lach­te auch und ant­wor­te­te:

»Oh, er leb­te in ei­ner stän­di­gen Furcht vor Er­käl­tun­gen; er hat­te auch schwa­che Lun­gen.«

»Er hat­te es üb­ri­gens auch be­wie­sen«, er­wi­der­te Du Roy bos­haft. Dann setz­te er höf­lich und ga­lant hin­zu: »Zum Glück für mich.« Und er küss­te sei­ner Frau die Hand.

Doch als sie zu Bett gin­gen, frag­te er im­mer von dem­sel­ben Ge­dan­ken ver­folgt:

»Trug Charles auch baum­woll­ne Nacht­müt­zen, da­mit er kei­nen kal­ten Luft­zug an die Ohren krieg­te?«

Sie ging auf den Scherz ein und er­wi­der­te: »Nein, er band sich ein Ma­dras­tuch um die Stirn.«

Ge­or­ges zuck­te die Ach­seln und sag­te mit end­lo­ser Ver­ach­tung :

»So ein Affe.«

Seit­dem war Charles für ihn ein un­er­schöpf­li­cher Un­ter­hal­tungs­ge­gen­stand. Er sprach über ihn, bei je­dem An­lass und nann­te ihn nur noch »die­ser arme Charles« mit ver­ächt­lich mit­lei­di­gem Ton.

Und wenn er von der Re­dak­ti­on zu­rück­kam, wo man ihn zwei- oder drei­mal Fo­res­tier an­ge­re­det hat­te, so räch­te er sich dann und ver­folg­te den To­ten bis in sein Grab mit bit­ters­ten und ge­häs­sigs­ten Wit­zen. Er spöt­tel­te über sei­ne Feh­ler, sei­ne klein­li­chen ko­mi­schen Sei­ten, zähl­te sie mit Wohl­be­ha­gen auf, wo­bei er sie im­mer über­trieb und ver­grö­ßer­te, als woll­te er im Her­zen sei­ner Frau den Ein­fluss ei­nes ge­fähr­li­chen Ne­ben­buh­lers be­kämp­fen.

Er wie­der­hol­te:

»Sag’ mal, Ma­de­lei­ne, ent­sinnst du dich noch des Ta­ges, als die­ser Dumm­kopf Fo­res­tier uns be­wei­sen woll­te, dass die di­cken Men­schen kräf­ti­ger wä­ren als die ma­ge­ren?«

Dann woll­te er al­ler­lei in­ti­me Ein­zel­hei­ten über den Ver­stor­be­nen er­fah­ren, wor­über die jun­ge Frau un­wil­lig schwieg. Doch er war hart­nä­ckig und be­stand dar­auf.

»Sag’ doch, er­zäh­le es mir mal, er muss­te in die­sem Au­gen­bli­cke recht ko­misch sein?«

»Höre doch end­lich auf,« mur­mel­te lei­se Ma­de­lei­ne, »lass ihn in Ruhe.«

Er ließ nicht nach:

»Nein, sag’ doch. Er war sehr un­ge­schickt im Bett, die­se Bes­tie.« Und er schloss je­des Mal mit den Wor­ten: »Das war aber ein Vieh!«

Ei­nes Abends ge­gen Ende Juni rauch­te er am Fens­ter eine Zi­ga­ret­te. Es war sehr heiß, und er be­kam Lust, einen Spa­zier­gang zu ma­chen.

»Mei­ne klei­ne Made,« frag­te er, »willst du wohl mit mir ins Bois kom­men?«

»Selbst­ver­ständ­lich sehr gern.«

Sie nah­men einen of­fe­nen Wa­gen und fuh­ren über die Champs Elysée nach dem Bois de Bou­lo­gne. Es war eine wind­stil­le Nacht, eine von die­sen schwü­len Näch­ten, wo die über­hei­ße Luft von Pa­ris wie Back­ofenglut in die Brust dringt. Ein Heer von Drosch­ken führ­te ein gan­zes Volk von ver­lieb­ten Pär­chen spa­zie­ren. Ein Wa­gen folg­te dicht auf den an­de­ren.

Ge­or­ges und Ma­de­lei­ne amü­sier­ten sich, alle die­se Pär­chen zu be­ob­ach­ten, die an ih­nen vor­bei­fuh­ren, die Frau­en in hel­len Som­mer­klei­dern, die Män­ner meist in dunklen An­zü­gen. Es war ein Rie­sen­strom von Ver­lieb­ten, der un­ter dem hei­ßen Ster­nen­him­mel nach dem Bois zog. Man hör­te nur das dump­fe Rol­len der Rä­der. Und in je­der Drosch­ke saß im­mer wie­der ein Lie­bes­paar lang hin­ge­streckt auf den Pols­tern, stumm und zärt­lich an­ein­an­der ge­schmiegt, glü­hend vor Be­gier­de und lei­den­schaft­lich in Er­war­tung der be­vor­ste­hen­den Umar­mung. Die war­me Nacht schi­en von Küs­sen und Lie­be durch­tränkt zu sein. Eine zärt­li­che Sinn­lich­keit schweb­te in der Luft und mach­te die­se noch schwü­ler und drücken­der. Alle die­se Paa­re, von den glei­chen Ge­dan­ken und Ge­füh­len ein­ge­nom­men, von dem Ver­lan­gen be­rauscht, schie­nen eine glü­hen­de Lei­den­schaft von sich aus­zu­strah­len. Alle die­se Wa­gen, von Lie­be be­la­den, über de­nen Lieb­ko­sun­gen zu flat­tern schie­nen, streu­ten auf die Vor­über­fah­ren­den eine Art sinn­li­ches Flui­dum aus. Und Ge­or­ges und Ma­de­lei­ne fühl­ten sich von der Zärt­lich­keit, die in der Luft her­um­schweb­te, an­ge­steckt und rück­ten nä­her zu­ein­an­der, ohne ein Wort zu sa­gen, et­was be­drückt durch die schwü­le Luft und die in ih­nen er­wa­chen­de Er­re­gung.

Als sie hin­ter den Be­fes­ti­gun­gen an ei­ner Kur­ve vor­bei­fuh­ren, küss­ten sie sich und sie stam­mel­te et­was ver­wirrt:

»Wir sind ge­nau so kin­disch wie in Rou­en.«

Als sie in den Wald hin­ein­fuh­ren, hat­te sich der große Wa­gen­strom et­was zer­schla­gen. Auf dem Wege um die Seen, den das jun­ge Paar ein­schlug, fuh­ren die Drosch­ken in grö­ße­ren Ab­stän­den von­ein­an­der, aber der dich­te Schat­ten der Bäu­me, die et­was küh­le­re Luft, die un­ter dem wei­ten Ster­nen­him­mel durch das Grün der Blät­ter und durch klei­ne Bäch­lein, die un­ter den Baum­zwei­gen rie­sel­ten, er­frischt wur­de, ver­lieh den Küs­sen der hier spa­zie­ren­fah­ren­den Pär­chen einen lei­den­schaft­li­che­ren und ge­heim­nis­vol­le­ren Reiz. Ge­or­ges press­te sei­ne Frau an sich und flüs­ter­te:

»O mei­ne klei­ne Made«

Sie sag­te: »Ent­sinnst du dich des Wal­des bei dir auf dem Lan­de? Wie es dort un­heim­lich war. Es schi­en mir, als wäre er voll von schreck­lich wil­den Tie­ren und als ob er kein Ende hät­te. Hier da­ge­gen ist es ent­zückend. Ich füh­le das lieb­ko­sen­de Fä­cheln des Win­des, und ich weiß ge­nau, dass am an­de­ren Ende Sèvres liegt.«

»Oh,« er­wi­der­te er, »im Wal­de bei mir auf dem Lan­de gibt es nur Hir­sche und Füch­se, Rehe und zu­wei­len auch Wild­schwei­ne und hier und da die Hüt­te ei­nes Förs­ters.« Förs­ter — Fo­res­tier — die­ser Name des To­ten, der sei­nem Mun­de ent­quoll, über­rasch­te ihn, als ob er aus dem dunklen, ge­heim­nis­vol­len Dickicht käme, und er stock­te, er­grif­fen von je­ner boh­ren­den, un­be­greif­li­chen Ei­fer­sucht, die ihn seit ei­ni­ger Zeit plag­te.

Nach ei­ner mi­nu­ten­lan­gen Pau­se frag­te er:

»Bist du auch mit Charles hier öf­ter her­aus­ge­fah­ren?«

»Ja, sehr oft.«

Auf ein­mal hat­te er Lust nach Hau­se um­zu­keh­ren, es war ein Ver­lan­gen, das ihm das Herz be­drück­te, aber Fo­res­tiers Bild war in sei­nem Geis­te wie­der le­ben­dig und er konn­te nur noch an ihn den­ken und von ihm re­den. Er frag­te mit bos­haf­ter Stim­me:

»Sag’ doch, Made?«

»Was ist’s, mein Lieb­ling?«

»Hast du die­sen ar­men Charles be­tro­gen?«

Sie er­wi­der­te ver­ächt­lich:

»Du bist zu dumm mit dei­nem ab­ge­schmack­ten Zeug.«

Doch er ließ nicht nach:

»Sag’ doch, mei­ne lie­be Made, sei auf­rich­tig und ge­steh’ es, du hast ihn be­tro­gen? Ge­ste­he, dass du ihn be­tro­gen hast!«

Sie schwieg, wie alle Frau­en, et­was ver­letzt durch sei­ne Wor­te. Er fuhr ei­gen­sin­nig fort:

»Don­ner­wet­ter, wenn je­mand dazu ge­schaf­fen war, Hör­ner zu tra­gen, dann war er es. O ja, be­stimmt. Es hät­te mir so rie­si­gen Spaß ge­macht, zu er­fah­ren, dass man dem ar­men Fo­res­tier Hör­ner auf­ge­setzt hat­te. Was für ein blö­der Schafs­kopf war er doch!«

Er merk­te, dass sie lä­chel­te, viel­leicht über ei­ni­ge Erin­ne­run­gen aus den ver­gan­ge­nen Zei­ten; er drang im­mer mehr in sie.

»Sag’ doch! Was ist denn da­bei? Es wäre doch so ko­misch, wenn du ge­ra­de mir ge­stün­dest, dass du ihn be­tro­gen hast.«

Er zit­ter­te tat­säch­lich in der Hoff­nung und dem Ver­lan­gen, dass sie den Charles, die­sen ver­hass­ten Charles, den ver­wünsch­ten To­ten, so lä­cher­lich und schmach­voll be­tro­gen hät­te und doch … doch sta­chel­te eine an­de­re ver­wor­re­ne und un­be­stimm­te Emp­fin­dung sei­ne Neu­gier­de an. Er wie­der­hol­te:

»Made, mei­ne klei­ne Made, ich bit­te dich, sag’ es mir l Er hat­te es doch wirk­lich ver­dient, und es wäre recht dumm von dir ge­we­sen, ihm kei­ne Hör­ner auf­zu­set­zen.«

Sein hart­nä­cki­ges Bit­ten mach­te ihr jetzt of­fen­bar Spaß, denn sie lach­te ein paar­mal kurz und lei­se auf. Er hielt sei­ne Lip­pen ganz dicht an das Ohr sei­ner Frau:

»Nun bit­te, gib es doch zu.«

Mit ei­ner kur­z­en Be­we­gung riss sie sich los und sag­te schroff:

»Du bist zu dumm, man ant­wor­tet nicht auf sol­che Fra­gen.« Sie sag­te es in ei­nem so selt­sa­men Tone, dass ein Käl­te­schau­er ihm durch die Adern rann. Er blieb be­trof­fen, stumm und atem­los sit­zen, als hät­te ihn in­ner­lich ein Schlag ge­trof­fen.

Die Drosch­ke fuhr jetzt an dem See ent­lang, in dem sich der Him­mel und die Ster­ne ab­spie­gel­ten. Zwei Schwä­ne schwam­men lang­sam auf dem Was­ser und wa­ren im Dun­kel kaum zu se­hen. Ge­or­ges rief dem Kut­scher zu: »Um­keh­ren!« Und der Wa­gen dreh­te um und fuhr an den an­de­ren vor­bei, die im Schritt da­her ka­men und de­ren La­ter­nen wie große Au­gen durch die Nacht leuch­te­ten. »Wie selt­sam hat­te sie das ge­sagt.« Frag­te sich Du Roy: »War das ein Ge­ständ­nis?« Und die fast si­che­re Ge­wiss­heit, dass sie ih­ren ers­ten Mann hin­ter­gan­gen hat­te, mach­te ihn jetzt ra­send vor Wut.

Er hat­te Lust, sie zu schla­gen, zu wür­gen und an den Haa­ren zu rei­ßen. Oh, wenn sie ihm geant­wor­tet hät­te: »Mein Lieb­ling, hät­te ich ihn be­trü­gen wol­len, so hät­te ich es doch mit dir ge­tan.« Wie hät­te er sie dann um­armt, an sich ge­presst und an­ge­be­tet. Un­be­weg­lich mit ge­kreuz­ten Ar­men saß er jetzt da und hielt die Au­gen zum Him­mel ge­rich­tet. Er war zu auf­ge­regt, um den­ken zu kön­nen. Er fühl­te nur den Zorn und den Hass in sich wach­sen, der im Her­zen ei­nes je­den Man­nes ge­gen­über der lau­ni­schen Be­gier­de der Frau er­wacht. Er fühl­te zum ers­ten Mal die dump­fe Angst des Ehe­man­nes, der Ver­dacht ge­schöpft hat­te. Kurz und gut, er war ei­fer­süch­tig. Ei­fer­süch­tig auf den To­ten, für die Rech­nung Fo­res­tiers. Es war eine selt­sa­me und quä­len­de Ei­fer­sucht, in die sich ein spon­ta­ner Hass ge­gen Ma­de­lei­ne misch­te. Sie hat­te doch den an­de­ren be­tro­gen, wie konn­te er noch Ver­trau­en zu ihr ha­ben. All­mäh­lich be­ru­hig­te er sich in­ner­lich. Er kämpf­te ge­gen sei­ne in­ne­ren Qua­len an und dach­te: »Alle Frau­en sind Dir­nen, man muss sie für sich aus­nut­zen, aber nichts von sich und von sei­nem Geis­te ih­nen ge­ben.« Er hat­te Lust, sei­ne bit­te­re Stim­mung durch Wor­te der Ver­ach­tung und des Ekels Aus­druck zu ge­ben. Er be­zwang sich aber und ließ sie nicht laut wer­den und im­mer wie­der wie­der­hol­te er für sich: »Dem Star­ken ge­hört die Welt. Man muss stark und über al­les er­ha­ben sein.«

Der Wa­gen fuhr schnel­ler. Er kam an den Stadt­be­fes­ti­gun­gen vor­bei. Du Roy sah vor sich auf dem Him­mel einen ro­ten Schim­mer, gleich dem Feu­er­schein, ei­ner un­ge­heu­ren Esse. Er ver­nahm ein ver­wor­re­nes ge­wal­ti­ges, un­un­ter­bro­che­nes Ge­tö­se, das sich aus un­zäh­li­gen, ver­schie­den­ar­ti­gen Geräuschen zu­sam­men­setz­te, ein dump­fes Brau­sen, das bald nä­her, bald wei­ter klang, ein un­be­stimm­tes, un­ge­heu­e­res Vi­brie­ren des Le­bens, den Atem von Pa­ris, das in die­ser Som­mer­nacht wie ein mü­der und er­schöpf­ter Ko­loß keuch­te.

Ge­or­ges dach­te: »Ich wäre ja schön dumm, wenn ich mich är­gern wür­de. Je­der für sich. Der Sieg ge­hört dem Mu­ti­gen. Al­les ist nur Ego­is­mus. Der Ego­is­mus und der Ehr­geiz, vor­wärts zu kom­men und sich ein Ver­mö­gen zu er­wer­ben, ist mehr wert als der Ehr­geiz, eine Frau zu be­sit­zen und zu lie­ben.«

Am Ein­gan­ge der Stadt wur­de der Tri­umph­bo­gen mit sei­nen bei­den Rie­sen­schen­keln sicht­bar. Er glich ei­nem ge­wal­ti­gen Un­ge­heu­er, das sich in Be­we­gung set­zen woll­te, um die brei­te Ave­nue hin­ab­zu­schrei­ten. Ge­or­ges und Ma­de­lei­ne fuh­ren nun wie­der in der lan­gen Rei­he der heim­keh­ren­den Wa­gen, die die lei­den­schaft­li­chen und stum­men Lie­bes­paa­re nach Hau­se führ­ten. Ihm war, als ob die gan­ze Mensch­heit, be­rauscht von Lie­be, Lust und Glück, an ihm vor­über­fuhr.

Die jun­ge Frau schi­en zu ah­nen, was im In­ne­ren ih­res Man­nes vor­ging, und sie frag­te ihn mit sanf­ter Stim­me: »Woran denkst du, mein Freund? Seit ei­ner hal­b­en Stun­de hast du nicht ein Wort ge­spro­chen.«

Er er­wi­der­te et­was höh­nisch:

»Ich den­ke an alle die­se Dumm­köp­fe, die sich um­ar­men und küs­sen, und ich mei­ne, man hat im Le­ben wirk­lich Bes­se­res und Wich­ti­ge­res zu tun.«

»Nun ja,« mur­mel­te sie, »aber manch­mal ist es doch sehr schön.«

»Wenn man nichts an­de­res zu tun hat, dann ja, na­tür­lich ist es schön.«

Ge­or­ges Ge­dan­ken wa­ren von Wut und Bos­heit er­füllt, und er be­müh­te sich, sein Le­ben jeg­li­cher Poe­sie zu ent­klei­den. »Ich bin nicht so dumm,« dach­te er, »um Rück­sich­ten zu neh­men und auf ir­gen­det­was zu ver­zich­ten, mir Sor­gen und Är­ger zu be­rei­ten, wie ich es seit ei­ni­ger Zeit tue.« Der Ge­dan­ke an Fo­res­tier flog ihm noch ein­mal durch den Kopf, ohne in ihm eine Er­re­gung aus­zu­lö­sen. Es war ihm, als hät­ten sie sich wie­der aus­ge­söhnt, als wä­ren sie wie­der Freun­de ge­wor­den. Er hat­te Lust, ihm zu­zu­ru­fen: »Gu­ten Abend, al­ter Freund.«

Ma­de­lei­ne schi­en die­ses Schwei­gen zu be­drücken und sie frag­te:

»Wol­len wir, ehe wir nach Hau­se fah­ren, bei Tor­to­ni ein Eis es­sen?« Er blick­te sie von der Sei­te an. Das hel­le Licht ei­ner Gas­gir­lan­de vor ei­nem Café-Chan­tant fiel auf ihr fein­ge­schnit­te­nes blon­des Pro­fil; er dach­te: »Sie ist doch hübsch. Umso bes­ser! Wie du mir, so ich dir, mei­ne schö­ne Ge­fähr­tin; aber dass ich mir dei­net­we­gen Sor­gen ma­che — nein, eher glüht der Nord­pol vor Hit­ze!« Und laut ant­wor­te­te er:

»Sehr gern, mein Lieb­ling.«

Da­mit sie nichts mer­ken soll­te, küss­te er sie. Doch der jun­gen Frau er­schie­nen die Lip­pen ih­res Man­nes eis­kalt.

Trotz­dem lä­chel­te er ihr wie ge­wöhn­lich zu und reich­te ihr die Hand, um ihr beim Aus­s­tei­gen aus dem Wa­gen zu hel­fen.

Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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