Читать книгу Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant - Страница 24

Yveline Samoris

Оглавление

Grä­fin Sa­mo­ris.

– Die Dame da un­ten in Schwarz?

– Sie selbst. Sie trau­ert um ihre Toch­ter, die sie ge­tö­tet hat.

– Nicht doch! Was er­zäh­len Sie mir da!

– Eine ganz ein­fa­che Ge­schich­te ohne Ver­bre­chen und Ge­walt­ta­ten. Frau Sa­mo­ris hat mit Herrn Rap­pa­port nichts zu tun.

– Was war denn aber der Grund?

– Fast nichts. Vie­le He­tä­ren, sagt man ja, sind zu an­stän­di­gen Wei­bern ge­bo­ren, und vie­le so­ge­nann­te an­stän­di­ge Da­men sind ge­bo­re­ne He­tä­ren, nicht wahr? So ist Frau Rap­pa­port – par­don! Frau Sa­mo­ris – eine ge­bo­re­ne He­tä­re, und ihre Toch­ter war zum ehr­ba­ren Wei­be ge­bo­ren.

– Ich ver­ste­he Sie nicht recht.

– Ich wer­de es Ih­nen gleich er­klä­ren. Die Grä­fin Sa­mo­ris ge­hört zu je­nen Tal­mi-Frem­den, wie sie auf Pa­ris all­jähr­lich zu Hun­der­ten her­ab­reg­nen. Sie war eine Grä­fin aus Un­garn oder der Walachei, oder sonst wo­her, und tauch­te ei­nes Win­ters in ei­nem Hau­se der Champs-Élysées, die­ses Aben­teu­rer-Vier­tels, auf, wo sie ihre Sa­lons al­ler Welt öff­ne­te.

Ich ging auch hin. Wa­rum? wer­den Sie fra­gen. Ich weiß es selbst nicht recht. Ich ging hin, wie wir alle hin­ge­hen, weil dort ge­spielt wird, weil die Wei­ber ge­fäl­lig und die Män­ner Gau­ner sind. Sie ken­nen ja die­se Frei­beu­ter­welt mit ih­ren man­nig­fa­chen Aus­hän­ge­schil­dern, sie sind alle von ed­ler Ge­burt, alle ha­ben Ti­tel, und alle sind auf den Ge­sandt­schaf­ten un­be­kannt, aus­ge­nom­men die Spio­ne. Alle spre­chen von Ehre, auch wenn von ih­ren Stie­feln die Rede ist, prah­len mit ih­ren Vor­fah­ren und er­zäh­len von ih­rem Le­ben; sie sind al­le­samt Auf­schnei­der, Lüg­ner und Schel­me, ver­däch­tig wie ihre Kar­ten, trü­ge­risch wie ihre Na­men, kurz, eine rech­te Gal­gen-Ari­sto­kra­tie.

Ich lie­be die­se Leu­te! Es ist in­ter­essant, sie zu durch­schau­en, in­ter­essant, sie ken­nen zu ler­nen, amüsant, sie an­zu­hö­ren; sie sind oft geist­reich und nie ba­nal, wie öf­fent­li­che Be­am­te. Ihre Wei­ber sind im­mer hübsch, mit ei­nem klei­nen Stich ins Aus­län­disch-Gau­ner­haf­te, vom Ge­heim­nis ih­res Da­seins um­wit­tert, das sie viel­leicht zur Hälf­te in ei­nem Kor­rek­ti­ons­hau­se ver­bracht ha­ben. Im All­ge­mei­nen ha­ben sie präch­ti­ge Au­gen und un­wahr­schein­lich schö­nes Haar; sie lie­be ich gleich­falls!

Frau Sa­mo­ris ist der Ty­pus die­ser Aben­teue­rin­nen. Sie ist ele­gant, üp­pig und noch schön, rei­zend und ver­schla­gen; man spürt, sie ist las­ter­haft bis ins Mark. Bei ihr amü­sier­te man sich be­son­ders gut, man spiel­te, tanz­te, sou­pier­te… kurz­um, man ging in ih­rem Hau­se al­len welt­li­chen Ver­gnü­gun­gen nach.

Sie hat­te eine schon er­wach­se­ne Toch­ter, eine große und stol­ze Er­schei­nung. Sie war im­mer fröh­lich, im­mer zu Kurzweil auf­ge­legt, im­mer über das gan­ze Ge­sicht lä­chelnd und von lei­den­schaft­li­cher Tanz­lust. Aber sie war un­schul­dig, un­wis­send und von Her­zen naiv; sie sah nichts, wuss­te nichts, ver­stand nichts und er­riet nichts von al­le­dem, was im Hau­se ih­rer Mut­ter vor­ging.

– Wo­her wis­sen Sie das?

– Wo­her ich das weiß? Das ist bei der gan­zen Sa­che das drol­ligs­te. Ei­nes schö­nen Mor­gens klin­gel­te es bei mir und mein Kam­mer­die­ner mel­de­te einen Herrn Jo­seph Bonen­thal, der mich zu spre­chen wünsch­te. Ich frag­te gleich:

– Wer ist die­ser Herr?

– Ich weiß nicht recht, gnä­di­ger Herr, sag­te mein dienst­ba­rer Geist, es ist viel­leicht ein Die­ner.

Es war auch wirk­lich ein Die­ner, der bei mir in Stel­lung ge­hen woll­te.

– Wo­her kom­men Sie? frag­te ich ihn.

– Von Frau Grä­fin Sa­mo­ris.

– Ach!… Aber in mei­nem Hau­se geht es an­ders zu, als bei ihr.

– Ich weiß wohl, gnä­di­ger Herr, des­halb woll­te ich gra­de zum gnä­di­gen Herrn kom­men. Ich habe von den Leu­ten da ge­nug; das macht man wohl mal mit, aber man bleibt doch nicht da.

Da ich gra­de noch einen Die­ner brauch­te, nahm ich ihn.

Ei­nen Mo­nat spä­ter starb Yve­li­ne Sa­mo­ris auf ge­heim­nis­vol­le Wei­se. Ich habe alle Ein­zel­hei­ten ih­res To­des von Jo­seph er­fah­ren, der sie wie­der­um von sei­ner Freun­din, der Kam­mer­zo­fe der Grä­fin, hat­te.

Ei­nes Abends war Ball bei Sa­mo­ris und zwei neue Gäs­te plau­der­ten hin­ter der Tür. Fräu­lein Yve­li­ne, die eben ge­tanzt hat­te, lehn­te sich ge­gen die­se Tür, um ein we­nig Luft zu ho­len. Sie sa­hen sie nicht kom­men und das Mäd­chen ver­stand ihre Un­ter­hal­tung.

– Aber wer ist denn der Va­ter des jun­gen Mäd­chens? frag­te der eine.

– Ein Rus­se, scheint es, ein Graf Ru­wa­loff. Er sieht die Mut­ter nicht mehr.

– Und der jetzt re­gie­ren­de Herr?

– Je­ner eng­li­sche Prinz, der sich ins Fens­ter lehnt. Frau Sa­mo­ris be­tet ihn an. Nur dau­ern ihre An­be­tun­gen nie län­ger als vier bis sechs Wo­chen. Üb­ri­gens se­hen Sie ja, dass es an Freun­den nicht fehlt; alle sind be­ru­fen… und fast alle wer­den aus­er­wählt. Das ist ein et­was teu­rer Scherz, aber… Bas­ta!

– Wo­her hat sie denn aber den Na­men Sa­mo­ris?

– Von dem ein­zi­gen Man­ne viel­leicht, den sie ge­liebt hat, ei­nem jü­di­schen Ban­kier aus Ber­lin, der Sa­mu­el Bor­ris hieß.

– Gut. Ich dan­ke Ih­nen, Jetzt, wo ich un­ter­rich­tet bin, sehe ich klar. Und ich wer­de ge­ra­de aufs Ziel ge­hen.

Wel­cher Sturm der Ent­rüs­tung in dem Ge­hirn die­ses jun­gen Mäd­chens aus­brach, das alle In­stink­te ei­nes an­stän­di­gen Wei­bes be­saß; wel­che Verzweif­lung die­se un­schul­di­ge See­le er­fass­te; wel­che Qua­len die­sem un­auf­hör­li­chen Froh­sinn, die­sem be­zau­bern­den La­chen, die­ser über­mü­ti­gen Le­bens­freu­de ein Ende be­rei­te­ten; wel­cher Kampf in dem Her­zen des ar­men jun­gen We­sens tob­te, bis der letz­te Gast ge­gan­gen war: das al­les hat mir Jo­seph nicht ver­ra­ten kön­nen. Aber noch an dem­sel­ben Abend trat Uve­li­ne plötz­lich in das Zim­mer ih­rer Mut­ter, die sich ge­ra­de hin­le­gen woll­te, hieß das Kam­mer­mäd­chen her­aus­ge­hen, das hin­ter der Tür ste­hen blieb, und sag­te mit blei­chem Ge­sicht und großen Au­gen:

– Mama, dies habe ich eben im Sa­lon ge­hört. Und da­mit er­zähl­te sie die Un­ter­hal­tung, die ich Ih­nen eben an­ver­trau­te, Wort für Wort wie­der.

Die Grä­fin war be­trof­fen und wuss­te zu An­fang nicht, was sie sa­gen soll­te. Dann stell­te sie al­les ener­gisch in Ab­re­de, er­fand eine Ge­schich­te, schwur und rief Gott zum Zeu­gen an.

Das jun­ge Mäd­chen ging ver­wirrt, aber nicht über­zeugt, und pass­te seit­her auf.

Ich en­sin­ne mich noch sehr deut­lich der selt­sa­men Ver­än­de­rung, die mit ihr vor­ge­gan­gen war. Sie war im­mer ernst und trau­rig und blick­te uns mit ih­ren großen Au­gen starr an, als ob sie auf dem Grund un­se­rer See­len le­sen woll­te. Wir wuss­ten nicht, was wir da­von hal­ten soll­ten, und glaub­ten wohl, sie such­te einen Mann, sei es für im­mer, sei es vor­über­ge­hend.

Ei­nes Abends war sie nicht mehr in Zwei­fel: sie über­rasch­te ihre Mut­ter. Da sag­te sie kalt, wie ein Ge­schäfts­mann, der sei­ne Ver­trags-Be­din­gun­gen vor­schlägt:

– Mama, ich habe mich zu Fol­gen­dem ent­schlos­sen. Wir wer­den alle bei­de fort­zie­hen, in eine klei­ne Stadt oder aufs Land, wir wer­den dort ohne viel Auf­se­hen le­ben, wie wir kön­nen. Dein Schmuck al­lein ist ein Ver­mö­gen wert. Wenn du Ge­le­gen­heit fin­dest, einen an­stän­di­gen Mann zu hei­ra­ten, umso bes­ser. Fin­de ich auch einen, noch viel bes­ser. Wenn du nicht dar­ein wil­ligst, wer­de ich mich tö­ten.

Dies­mal schick­te die Grä­fin ihre Toch­ter zu Bett und ver­bot ihr ein für alle mal, ihr wie­der sol­che Lek­tio­nen zu hal­ten, die sich in ih­rem Mun­de nicht ge­ziem­ten.

– Ich gebe dir einen Mo­nat Be­denk­zeit, ant­wor­te­te Yve­li­ne. Wenn un­ser Da­sein sich in ei­nem Mo­nat nicht ge­än­dert hat, wer­de ich mich tö­ten, da es für mein Le­ben kei­nen an­de­ren an­stän­di­gen Aus­weg gibt.

Da­mit ging sie.

Als ein Mo­nat her­um war, wur­de im Hau­se Sa­mo­ris im­mer noch ge­tanzt und sou­piert.

Yve­li­ne gab nun vor, sie hät­te Zahn­weh, und ließ bei ei­nem Apo­the­ker in der Ge­gend et­was Chlo­ro­form ho­len. Am nächs­ten Tage fing sie wie­der an, und je­des Mal, wenn sie aus­ging, brach­te sie sich be­lang­lo­se Do­sen die­ses Be­täu­bungs­mit­tels mit und füll­te sie in eine Fla­sche.

Ei­nes Mor­gens fand man sie tot in ih­rem Bet­te; sie war schon kalt und hat­te eine Chlo­ro­form-Mas­ke vor­’m Ge­sicht.

Ihr Sarg war mit Blu­men über­deckt, die Kir­che weiß aus­ge­schla­gen. Bei der Trau­er­fei­er war ein großer Men­schen­an­drang.

Don­ner­wet­ter ja! wahr­haf­tig, wenn ich das vor­her ge­wusst hät­te – aber man weiß ja nie et­was – ich hät­te das Mä­del viel­leicht ge­hei­ra­tet. Sie war ganz al­ler­liebst.

– Und die Mut­ter, was ist aus der ge­wor­den?

– Oh, die hat ge­weint… Erst seit acht Ta­gen be­ginnt sie ihre nächs­ten Be­kann­ten wie­der zu emp­fan­gen.

– Und was hat sie ge­sagt, um die­sen Tod zu er­klä­ren?

Sie hat von ei­nem Füll­ofen ge­spro­chen, des­sen Mecha­nis­mus ent­zwei ge­gan­gen wäre. Da die Un­fäl­le mit die­sen Din­gern ehe­dem viel Lärm ge­macht ha­ben, lag nichts Un­wahr­schein­li­ches dar­in.

*

Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

Подняться наверх