Читать книгу Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant - Страница 58
I.
ОглавлениеDa das Wetter sehr schön war, so hatten die Bauersleute schneller als sonst gegessen und waren aufs Feld gegangen.
Rose, das Dienstmädchen, blieb ganz allein in der großen Küche zurück, auf deren Herd noch einige Kohlen in der Asche unter dem vollen Wasserkessel glimmten. Sie goss hin und wieder etwas von diesem Wasser in einen Zuber und wusch langsam ihre Schüsseln auf; während sie zuweilen einen Blick auf die zwei hellen Vierecke warf, welche die Sonne durch das Fenster auf dem länglichen Tische bildete, und in denen sich deutlich die schadhaften Stellen der Scheiben abhoben.
Drei kecke Hühner suchten unter den Stühlen nach Brotkrumen; durch die halboffene Tür drang die laue Luft des Stalles und der Dunst des Hühnerhofs, auf welchem die Hähne in der warmen Mittagssonne munter krähten.
Als das Mädchen seine Arbeit beendet, den Tisch abgewischt, den Herd versorgt und die Teller auf dem hohen Gestell hinten neben der einförmig tickenden hölzernen Uhr geordnet hatte, seufzte sie auf; denn sie fühlte sich niedergeschlagen und bedrückt, ohne recht zu wissen warum. Sie schaute die geschwärzten Kalkwände an, die verrauchten Balken der Decke, von welchen Spinnennetze, Bücklinge und Zwiebelbündel herunterhingen; dann setzte sie sich nieder, angewidert von den verschiedenen Ausdünstungen, welche die Tageshitze und das Sonnenlicht aus dem Boden hervorbrachten, auf dem schon so Mancherlei seit so langer Zeit eingetrocknet war. Hierin mischte sich noch der scharfe Geruch der Milch, die in dem kühlen Raume nebenan zum Gerinnen aufgestellt war. Rose wollte sich eigentlich jetzt an eine Näharbeit setzen, aber es fehlte ihr die rechte Lust dazu und sie ging vor die Haustüre, um etwas frische Luft zu schöpfen.
Als sie ins Freie trat und von der Sonne beschienen wurde, ging ihr ordentlich das Herz auf, und sie fühlte im ganzen Körper ein eigentümliches Behagen.
Aus dem Düngerhaufen vor der Türe stieg fortwährend ein leichter Rauch empor, und die Hühner tummelten sich vergnügt auf demselben herum, legten sich auf die Seite und scharrten hin und wieder mit einem Fusse nach Würmern. Der stolze Hahn stand mitten unter ihnen. Jeden Augenblick wählte er sich eines seiner Hühner aus, um die er mit lockendem Tone herumbalzte. Das Tier erhob sich nachlässig und empfing ihn, ruhig die Füsse ausstreckend und sich auf den Flügeln stützend. Dann schüttelte es die Federn, aus denen eine Menge Staub herumflog, und machte sich’s von Neuem auf dem Dünger bequem, während der Hahn laut krähend seinen Triumph verkündete. Von sämtlichen Höfen der Nachbarschaft antworteten die Hähne, als wollten sie sich gegenseitig zum Liebeswettkampfe herausfordern.
Mechanisch schaute das junge Mädchen dem Treiben der Hühner zu, und als es dann die Augen aufschlug, war es wie geblendet von dem Anblick der blühenden Obstbäume, die wie beschneit aussahen.
Plötzlich machte ein junges Huhn in tollem Übermut einige Luftsprünge und rannte dann mehrmals an dem mit Bäumen bepflanzten Graben auf und ab; dann blieb es stehen, wandte den Kopf und schien sich sehr zu verwundern, dass es allein war.
Auch sie spürte Lust herumzulaufen, sich Bewegung zu machen und dabei hätte sie sich gleichzeitig doch ebensogern niedergelegt, hätte die Glieder gestreckt und sich in der lauen Luft ausgeruht. Noch unentschlossen ging sie einige Schritte und machte, von einem tierischen Behaglichkeitsgefühl beseelt, die Augen zu; dann begab sie sich langsam in den Hühnerstall, um nach Eiern zu suchen. Sie brachte deren dreissig heim und ordnete sie im Schranke; doch der Küchengeruch wurde ihr aufs Neue lästig und sie ging abermals hinaus, um sich etwas ins Gras zu setzen.
Das Gehöft, von Bäumen umschattet, schien im Schlafe zu liegen. Das hohe Gras, aus dem der gelbe Löwenzahn wie kleine Flämmchen hervorstach, trug ein sattes Grün, das neue Grün des Frühlings. Rings um den Fuss der Apfelbäume bildete deren Schatten einen dunklen Kreis, und die Strohdächer der Häuser, aus deren Gipfel die schwertartigen Blätter der Iris hervorragten, dampften etwas, als ob die Feuchtigkeit der Scheunen und Ställe durch das Stroh entwiche.
Die Magd kam zu dem Wagenschuppen, wo man die Karren und sonstiges Ackergerät aufbewahrte. Dort befand sich an der Biegung des Grabens eine große Grube, in welcher zahllose Veilchen ihren zarten Duft verbreiteten, und über deren Rand hinweg man auf das Feld sehen konnte. Es war eine große Fläche, auf der das Getreide heranwuchs; dazwischen standen einzelne Baumgruppen. Hin und wieder bemerkte man in der Ferne arbeitende Menschen, die sich wie Puppen ausnahmen, Schimmel so groß wie ein Spielzeug, die ein Kinderkärrchen zogen und von einem Manne geführt würden, der nicht höher schien, wie ein Finger.
Sie holte aus der Scheune ein Strohbündel und warf es in die Grube, um sich darauf zu setzen; aber es passte ihr so noch nicht und sie löste das Strohband, breitete das Bündel aus und legte sich, die Hände unter den Kopf und die Füsse langgestreckt, auf den Rücken.
Ganz langsam schloss sie die Augen in süsser Behaglichkeit halb entschlummernd. Sie wäre beinahe ganz eingeschlafen, hätte sie nicht plötzlich auf ihrer Brust zwei Hände gespürt, infolge dessen sie mit einem Satz in die Höhe sprang. Es war Jacques, der Knecht, ein großer, wohlgewachsener Picarde, der ihr seit einiger Zeit schon nachging. Er arbeitete gerade in der Schäferei, und da er gesehen hatte, dass sie ihr schattiges Plätzchen aufsuchte, war er ganz leise, mit verhaltenem Atem und lüsternen Augen, die Haare noch voll Stroh, herbeigeschlichen.
Er versuchte sie zu küssen; aber sie stiess ihn, ebenso stark wie er, mit Leichtigkeit von sich; und er bat sie heuchlerisch um Verzeihung. Dann setzten sie sich beide hin und plauderten freundschaftlich. Sie sprachen vom Wetter, das so günstig für die Ernte wäre, von der schönen Jahreszeit, von ihrem Herrn, wie gut er sei, dann von den Nachbarn, vom ganzen Lande, von ihnen selbst, von ihrem Dorfe, ihrer Jugend, ihren Erinnerungen, ihren Eltern, die sie auf so lange Zeit, vielleicht für immer hätten verlassen müssen. Ihr wurde weich zu Mute, als sie an alles dieses dachte, und er, mit seinem unbezähmbaren Verlangen, rückte wieder näher zu ihr hin, sodass ihre Schultern sich berührten und er vor Begehrlichkeit erschauerte.
»Ich habe meine Mutter lange nicht gesehen«, sagte sie; »es ist hart, wenn man immer so getrennt ist.« Und ihr Auge schweifte sinnend in die Ferne, über den ganzen Horizont, weit nach Norden, tief da unten, wo ihr Heimatsdörfchen lag.
Plötzlich nahm er die Gelegenheit wahr, umarmte sie und wollte sie von Neuem küssen; aber sie schlug ihm mit der geschlossenen Faust so kräftig ins Gesicht, dass seine Nase zu bluten anfing. Er sprang auf und stützte sich an einen Baumstumpf. Da wurde sie doch mitleidig, und auf ihn zugehend fragte sie:
»Hat es Dir sehr wehe getan?«
Er fing an zu lachen. Nein, es wäre nichts gewesen; sie hätte nur gerade die falsche Stelle getroffen. »Verfluchte Hexe!« sagte er leise für sich und sah sie voll Bewunderung an; ein gewisser Respekt, eine Zuneigung ganz anderer Art, der Anfang einer wirklichen Liebe zu diesem kecken Mädchen hatte ihn ergriffen.
Als das Blut zu tropfen aufgehört hatte, schlug er ihr vor, einen kleinen Gang zu machen, denn er fürchtete die starke Hand seiner Nachbarin, wenn sie so nahe beisammen geblieben wären. Aber sie nahm von selbst seinen Arm, wie es die Verlobten bei ihren abendlichen Spaziergängen machen und sagte:
»Das ist nicht brav von Dir, Jacques, dass Du so wenig Achtung vor mir hast.«
Er widersprach. Nein, an Achtung fehle es ihm nicht; aber er sei eben furchtbar verliebt.
»Du willst mich also wirklich heiraten?« fragte sie ihn.
Er zögerte anfangs, dann sah er sie von der Seite an, während ihre Augen wieder traumverloren in die Ferne schweiften. Sie hatte rote volle Wangen, ihr kattunenes Leibchen umschloss eine volle, üppige Brust, ihre Lippen waren frisch und an ihrem halboffenen Halse glänzten kleine Schweißperlchen. Er fühlte sich von neuer Leidenschaft bewältigt, und indem er seinen Mund ihrem Ohre näherte, flüsterte er:
»Ja, ich werde Dich heiraten.«
Da umschlang sie seinen Hals mit beiden Armen und küsste ihn so lange, bis sie beide fast den Atem verloren.
Von dieser Zeit an begann für sie die alte und doch ewig neue Liebesgeschichte. Sie hockten in allen Winkeln zusammen, sie trafen sich beim Mondenschein im Schutze eines Heuschobers und traten sich beim Essen mit ihren schweren beschlagenen Schuhen unter dem Tische fast die Knie blau.
Dann schien Jacques allmählich die Geschichte langweilig zu finden; er ging Rose aus dem Wege, sprach nicht mehr mit ihr und vermied es, allein mit ihr zusammen zu sein. In ihr stiegen langsam Zweifel an seiner Treue auf und es bemächtigte sich ihrer eine tiefe Traurigkeit. Nach einiger Zeit fühlte sie, dass ihr Umgang mit Jacques nicht ohne Folgen geblieben war.
Anfangs wusste sie in ihrer Bestürzung keinen Rat, dann aber geriet sie in heftigen Zorn, der sich von Tag zu Tag steigerte, weil er sorgfältig jedes Zusammentreffen mit ihr vermied.
Schliesslich eines Nachts, als alles im Hofe schlief, schlüpfte sie leise nur im Rock aus ihrer Kammer, huschte mit blossen Füssen über den Hof und stiess die Tür des Stalles auf, wo Jacques auf einem ganz mit Stroh gefüllten Hängeboden über seinen Pferden schlief. Als er sie kommen hörte, stellte er sich laut schnarchend, aber sie schwang sich hinauf, und neben ihm niederkniend weckte sie ihn mit derben Püffen.
»Was willst Du?« fragte er sich aufrichtend.
»Ich will«, sagte sie laut, vor Wut zitternd und mit den Zähnen knirschend, »ich will, dass Du mich heiratest, denn Du hast mir die Ehe versprochen.«
»Sehr gut«, sagte er lachend, »man hätte viel zu tun, wenn man jedes Mädchen heiraten wollte, mit dem man sich eingelassen hat.«
Aber mit einem Griff hatte Rose ihn an der Gurgel gepackt, warf ihn hintenüber, ehe er sich von seiner Bestürzung erholen konnte und würgte ihn, während sie über ihn gebeugt ihm ins Gesicht schrie:
»Ich bin schwanger, hörst Du? ich bin schwanger!«
Er holte stöhnend Atem und so blieben sie alle beide eine Zeit lang fast regungslos und stumm in dieser nächtlichen Stille, die nur durch das Schnauben eines Pferdes unterbrochen wurde, welches sich einen Strohhalm aufsuchte und denselben langsam zerkaute. Da Jacques einsah, dass sie die Stärkere war, so stammelte er endlich:
»Nun gut, da es so steht, muss ich Dich heiraten.«
Aber sie traute seinen Versprechungen nicht:
»Aber sofort!« sagte sie; »Du wirst das Aufgebot gleich verkündigen lassen.«
»Sofort!« antwortete er.
»Schwöre es beim ewigen Gott!«
Nach kurzem Zögern sagte er:
»Ich schwöre es beim ewigen Gott!«
Da ließ sie seine Kehle los und ging, ohne noch ein Wort zu sagen, hinaus.
Einige Tage verstrichen, ohne dass sie ihn sprechen konnte und die Stalltüre war seit jener Nacht jedes Mal sorgfältig verschlossen; aus Furcht vor einem Skandal wagte sie kein Geräusch zu machen.
Dann sah sie eines Morgens zur Frühsuppe einen anderen Knecht eintreten.
»Ist Jacques fort?« fragte sie.
»Allerdings; ich bin an seine Stelle gekommen.«
Sie begann so heftig zu zittern, dass sie den Wasserkessel nicht loshaken konnte; dann ging sie, als alles bei der Arbeit war, in ihre Kammer hinauf und weinte, das Gesicht in ihre Kissen vergrabend, damit sie niemand hörte. Im Laufe des Tages suchte sie sich zu erkundigen; aber sie hatte so das Bewusstsein ihres Unglücks, dass sie ein malitiöses Lächeln auf den Gesichtern aller Leute zu sehen glaubte, die sie fragte. Im Übrigen brachte sie nur in Erfahrung, dass er die Gegend für immer verlassen habe.