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I.

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Da das Wet­ter sehr schön war, so hat­ten die Bau­ers­leu­te schnel­ler als sonst ge­ges­sen und wa­ren aufs Feld ge­gan­gen.

Rose, das Dienst­mäd­chen, blieb ganz al­lein in der großen Kü­che zu­rück, auf de­ren Herd noch ei­ni­ge Koh­len in der Asche un­ter dem vol­len Was­ser­kes­sel glimm­ten. Sie goss hin und wie­der et­was von die­sem Was­ser in einen Zu­ber und wusch lang­sam ihre Schüs­seln auf; wäh­rend sie zu­wei­len einen Blick auf die zwei hel­len Vier­e­cke warf, wel­che die Son­ne durch das Fens­ter auf dem läng­li­chen Ti­sche bil­de­te, und in de­nen sich deut­lich die schad­haf­ten Stel­len der Schei­ben ab­ho­ben.

Drei ke­cke Hüh­ner such­ten un­ter den Stüh­len nach Brot­kru­men; durch die halb­of­fe­ne Tür drang die laue Luft des Stal­les und der Dunst des Hüh­ner­hofs, auf wel­chem die Häh­ne in der war­men Mit­tags­son­ne mun­ter kräh­ten.

Als das Mäd­chen sei­ne Ar­beit be­en­det, den Tisch ab­ge­wischt, den Herd ver­sorgt und die Tel­ler auf dem ho­hen Ge­stell hin­ten ne­ben der ein­för­mig ti­cken­den höl­zer­nen Uhr ge­ord­net hat­te, seufz­te sie auf; denn sie fühl­te sich nie­der­ge­schla­gen und be­drückt, ohne recht zu wis­sen warum. Sie schau­te die ge­schwärz­ten Kalk­wän­de an, die ver­rauch­ten Bal­ken der De­cke, von wel­chen Spin­nen­net­ze, Bück­lin­ge und Zwie­bel­bün­del her­un­ter­hin­gen; dann setz­te sie sich nie­der, an­ge­wi­dert von den ver­schie­de­nen Aus­düns­tun­gen, wel­che die Ta­ges­hit­ze und das Son­nen­licht aus dem Bo­den her­vor­brach­ten, auf dem schon so Man­cher­lei seit so lan­ger Zeit ein­ge­trock­net war. Hie­rin misch­te sich noch der schar­fe Ge­ruch der Milch, die in dem küh­len Rau­me ne­ben­an zum Ge­rin­nen auf­ge­stellt war. Rose woll­te sich ei­gent­lich jetzt an eine Näh­ar­beit set­zen, aber es fehl­te ihr die rech­te Lust dazu und sie ging vor die Hau­stü­re, um et­was fri­sche Luft zu schöp­fen.

Als sie ins Freie trat und von der Son­ne be­schie­nen wur­de, ging ihr or­dent­lich das Herz auf, und sie fühl­te im gan­zen Kör­per ein ei­gen­tüm­li­ches Be­ha­gen.

Aus dem Dün­ger­hau­fen vor der Türe stieg fort­wäh­rend ein leich­ter Rauch em­por, und die Hüh­ner tum­mel­ten sich ver­gnügt auf dem­sel­ben her­um, leg­ten sich auf die Sei­te und scharr­ten hin und wie­der mit ei­nem Fus­se nach Wür­mern. Der stol­ze Hahn stand mit­ten un­ter ih­nen. Je­den Au­gen­blick wähl­te er sich ei­nes sei­ner Hüh­ner aus, um die er mit lo­cken­dem Tone her­um­balz­te. Das Tier er­hob sich nach­läs­sig und emp­fing ihn, ru­hig die Füs­se aus­stre­ckend und sich auf den Flü­geln stüt­zend. Dann schüt­tel­te es die Fe­dern, aus de­nen eine Men­ge Staub her­um­flog, und mach­te sich’s von Neu­em auf dem Dün­ger be­quem, wäh­rend der Hahn laut krä­hend sei­nen Tri­umph ver­kün­de­te. Von sämt­li­chen Hö­fen der Nach­bar­schaft ant­wor­te­ten die Häh­ne, als woll­ten sie sich ge­gen­sei­tig zum Lie­bes­wett­kamp­fe her­aus­for­dern.

Mecha­nisch schau­te das jun­ge Mäd­chen dem Trei­ben der Hüh­ner zu, und als es dann die Au­gen auf­schlug, war es wie ge­blen­det von dem An­blick der blü­hen­den Obst­bäu­me, die wie be­schneit aus­sa­hen.

Plötz­lich mach­te ein jun­ges Huhn in tol­lem Über­mut ei­ni­ge Luft­sprün­ge und rann­te dann mehr­mals an dem mit Bäu­men be­pflanz­ten Gra­ben auf und ab; dann blieb es ste­hen, wand­te den Kopf und schi­en sich sehr zu ver­wun­dern, dass es al­lein war.

Auch sie spür­te Lust her­um­zu­lau­fen, sich Be­we­gung zu ma­chen und da­bei hät­te sie sich gleich­zei­tig doch eben­so­gern nie­der­ge­legt, hät­te die Glie­der ge­streckt und sich in der lau­en Luft aus­ge­ruht. Noch un­ent­schlos­sen ging sie ei­ni­ge Schrit­te und mach­te, von ei­nem tie­ri­schen Be­hag­lich­keits­ge­fühl be­seelt, die Au­gen zu; dann be­gab sie sich lang­sam in den Hüh­ner­stall, um nach Ei­ern zu su­chen. Sie brach­te de­ren dreis­sig heim und ord­ne­te sie im Schran­ke; doch der Kü­chen­ge­ruch wur­de ihr aufs Neue läs­tig und sie ging aber­mals hin­aus, um sich et­was ins Gras zu set­zen.

Das Ge­höft, von Bäu­men um­schat­tet, schi­en im Schla­fe zu lie­gen. Das hohe Gras, aus dem der gel­be Lö­wen­zahn wie klei­ne Flämm­chen her­vor­stach, trug ein sat­tes Grün, das neue Grün des Früh­lings. Rings um den Fuss der Ap­fel­bäu­me bil­de­te de­ren Schat­ten einen dunklen Kreis, und die Stroh­dä­cher der Häu­ser, aus de­ren Gip­fel die schwert­ar­ti­gen Blät­ter der Iris her­vor­rag­ten, dampf­ten et­was, als ob die Feuch­tig­keit der Scheu­nen und Stäl­le durch das Stroh ent­wi­che.

Die Magd kam zu dem Wa­gen­schup­pen, wo man die Kar­ren und sons­ti­ges Acker­ge­rät auf­be­wahr­te. Dort be­fand sich an der Bie­gung des Gra­bens eine große Gru­be, in wel­cher zahl­lo­se Veil­chen ih­ren zar­ten Duft ver­brei­te­ten, und über de­ren Rand hin­weg man auf das Feld se­hen konn­te. Es war eine große Flä­che, auf der das Ge­trei­de her­an­wuchs; da­zwi­schen stan­den ein­zel­ne Baum­grup­pen. Hin und wie­der be­merk­te man in der Fer­ne ar­bei­ten­de Men­schen, die sich wie Pup­pen aus­nah­men, Schim­mel so groß wie ein Spiel­zeug, die ein Kin­der­kärr­chen zo­gen und von ei­nem Man­ne ge­führt wür­den, der nicht hö­her schi­en, wie ein Fin­ger.

Sie hol­te aus der Scheu­ne ein Stroh­bün­del und warf es in die Gru­be, um sich dar­auf zu set­zen; aber es pass­te ihr so noch nicht und sie lös­te das Stroh­band, brei­te­te das Bün­del aus und leg­te sich, die Hän­de un­ter den Kopf und die Füs­se lang­ge­streckt, auf den Rücken.

Ganz lang­sam schloss sie die Au­gen in süs­ser Be­hag­lich­keit halb ent­schlum­mernd. Sie wäre bei­na­he ganz ein­ge­schla­fen, hät­te sie nicht plötz­lich auf ih­rer Brust zwei Hän­de ge­spürt, in­fol­ge des­sen sie mit ei­nem Satz in die Höhe sprang. Es war Jac­ques, der Knecht, ein großer, wohl­ge­wach­se­ner Pi­car­de, der ihr seit ei­ni­ger Zeit schon nach­ging. Er ar­bei­te­te ge­ra­de in der Schä­fe­rei, und da er ge­se­hen hat­te, dass sie ihr schat­ti­ges Plätz­chen auf­such­te, war er ganz lei­se, mit ver­hal­te­nem Atem und lüs­ter­nen Au­gen, die Haa­re noch voll Stroh, her­bei­ge­schli­chen.

Er ver­such­te sie zu küs­sen; aber sie stiess ihn, eben­so stark wie er, mit Leich­tig­keit von sich; und er bat sie heuch­le­risch um Ver­zei­hung. Dann setz­ten sie sich bei­de hin und plau­der­ten freund­schaft­lich. Sie spra­chen vom Wet­ter, das so güns­tig für die Ern­te wäre, von der schö­nen Jah­res­zeit, von ih­rem Herrn, wie gut er sei, dann von den Nach­barn, vom gan­zen Lan­de, von ih­nen selbst, von ih­rem Dor­fe, ih­rer Ju­gend, ih­ren Erin­ne­run­gen, ih­ren El­tern, die sie auf so lan­ge Zeit, viel­leicht für im­mer hät­ten ver­las­sen müs­sen. Ihr wur­de weich zu Mute, als sie an al­les die­ses dach­te, und er, mit sei­nem un­be­zähm­ba­ren Ver­lan­gen, rück­te wie­der nä­her zu ihr hin, so­dass ihre Schul­tern sich be­rühr­ten und er vor Be­gehr­lich­keit er­schau­er­te.

»Ich habe mei­ne Mut­ter lan­ge nicht ge­se­hen«, sag­te sie; »es ist hart, wenn man im­mer so ge­trennt ist.« Und ihr Auge schweif­te sin­nend in die Fer­ne, über den gan­zen Ho­ri­zont, weit nach Nor­den, tief da un­ten, wo ihr Hei­mats­dörf­chen lag.


Plötz­lich nahm er die Ge­le­gen­heit wahr, um­arm­te sie und woll­te sie von Neu­em küs­sen; aber sie schlug ihm mit der ge­schlos­se­nen Faust so kräf­tig ins Ge­sicht, dass sei­ne Nase zu blu­ten an­fing. Er sprang auf und stütz­te sich an einen Baum­stumpf. Da wur­de sie doch mit­lei­dig, und auf ihn zu­ge­hend frag­te sie:

»Hat es Dir sehr wehe ge­tan?«

Er fing an zu la­chen. Nein, es wäre nichts ge­we­sen; sie hät­te nur ge­ra­de die falsche Stel­le ge­trof­fen. »Ver­fluch­te Hexe!« sag­te er lei­se für sich und sah sie voll Be­wun­de­rung an; ein ge­wis­ser Re­spekt, eine Zu­nei­gung ganz an­de­rer Art, der An­fang ei­ner wirk­li­chen Lie­be zu die­sem ke­cken Mäd­chen hat­te ihn er­grif­fen.

Als das Blut zu trop­fen auf­ge­hört hat­te, schlug er ihr vor, einen klei­nen Gang zu ma­chen, denn er fürch­te­te die star­ke Hand sei­ner Nach­ba­rin, wenn sie so nahe bei­sam­men ge­blie­ben wä­ren. Aber sie nahm von selbst sei­nen Arm, wie es die Ver­lob­ten bei ih­ren abend­li­chen Spa­zier­gän­gen ma­chen und sag­te:

»Das ist nicht brav von Dir, Jac­ques, dass Du so we­nig Ach­tung vor mir hast.«

Er wi­der­sprach. Nein, an Ach­tung feh­le es ihm nicht; aber er sei eben furcht­bar ver­liebt.

»Du willst mich also wirk­lich hei­ra­ten?« frag­te sie ihn.

Er zö­ger­te an­fangs, dann sah er sie von der Sei­te an, wäh­rend ihre Au­gen wie­der traum­ver­lo­ren in die Fer­ne schweif­ten. Sie hat­te rote vol­le Wan­gen, ihr kat­tu­ne­nes Leib­chen um­schloss eine vol­le, üp­pi­ge Brust, ihre Lip­pen wa­ren frisch und an ih­rem halb­of­fe­nen Hal­se glänz­ten klei­ne Schweiß­perl­chen. Er fühl­te sich von neu­er Lei­den­schaft be­wäl­tigt, und in­dem er sei­nen Mund ih­rem Ohre nä­her­te, flüs­ter­te er:

»Ja, ich wer­de Dich hei­ra­ten.«

Da um­schlang sie sei­nen Hals mit bei­den Ar­men und küss­te ihn so lan­ge, bis sie bei­de fast den Atem ver­lo­ren.

Von die­ser Zeit an be­gann für sie die alte und doch ewig neue Lie­bes­ge­schich­te. Sie hock­ten in al­len Win­keln zu­sam­men, sie tra­fen sich beim Mon­den­schein im Schut­ze ei­nes Heu­sch­obers und tra­ten sich beim Es­sen mit ih­ren schwe­ren be­schla­ge­nen Schu­hen un­ter dem Ti­sche fast die Knie blau.

Dann schi­en Jac­ques all­mäh­lich die Ge­schich­te lang­wei­lig zu fin­den; er ging Rose aus dem Wege, sprach nicht mehr mit ihr und ver­mied es, al­lein mit ihr zu­sam­men zu sein. In ihr stie­gen lang­sam Zwei­fel an sei­ner Treue auf und es be­mäch­tig­te sich ih­rer eine tie­fe Trau­rig­keit. Nach ei­ni­ger Zeit fühl­te sie, dass ihr Um­gang mit Jac­ques nicht ohne Fol­gen ge­blie­ben war.

An­fangs wuss­te sie in ih­rer Be­stür­zung kei­nen Rat, dann aber ge­riet sie in hef­ti­gen Zorn, der sich von Tag zu Tag stei­ger­te, weil er sorg­fäl­tig je­des Zu­sam­men­tref­fen mit ihr ver­mied.

Sch­liess­lich ei­nes Nachts, als al­les im Hofe schlief, schlüpf­te sie lei­se nur im Rock aus ih­rer Kam­mer, husch­te mit blos­sen Füs­sen über den Hof und stiess die Tür des Stal­les auf, wo Jac­ques auf ei­nem ganz mit Stroh ge­füll­ten Hän­ge­bo­den über sei­nen Pfer­den schlief. Als er sie kom­men hör­te, stell­te er sich laut schnar­chend, aber sie schwang sich hin­auf, und ne­ben ihm nie­der­kni­end weck­te sie ihn mit der­ben Püf­fen.

»Was willst Du?« frag­te er sich auf­rich­tend.

»Ich will«, sag­te sie laut, vor Wut zit­ternd und mit den Zäh­nen knir­schend, »ich will, dass Du mich hei­ra­test, denn Du hast mir die Ehe ver­spro­chen.«

»Sehr gut«, sag­te er la­chend, »man hät­te viel zu tun, wenn man je­des Mäd­chen hei­ra­ten woll­te, mit dem man sich ein­ge­las­sen hat.«

Aber mit ei­nem Griff hat­te Rose ihn an der Gur­gel ge­packt, warf ihn hin­ten­über, ehe er sich von sei­ner Be­stür­zung er­ho­len konn­te und würg­te ihn, wäh­rend sie über ihn ge­beugt ihm ins Ge­sicht schrie:

»Ich bin schwan­ger, hörst Du? ich bin schwan­ger!«

Er hol­te stöh­nend Atem und so blie­ben sie alle bei­de eine Zeit lang fast re­gungs­los und stumm in die­ser nächt­li­chen Stil­le, die nur durch das Schnau­ben ei­nes Pfer­des un­ter­bro­chen wur­de, wel­ches sich einen Stroh­halm auf­such­te und den­sel­ben lang­sam zer­kau­te. Da Jac­ques ein­sah, dass sie die Stär­ke­re war, so stam­mel­te er end­lich:

»Nun gut, da es so steht, muss ich Dich hei­ra­ten.«

Aber sie trau­te sei­nen Ver­spre­chun­gen nicht:

»Aber so­fort!« sag­te sie; »Du wirst das Auf­ge­bot gleich ver­kün­di­gen las­sen.«

»So­fort!« ant­wor­te­te er.

»Schwö­re es beim ewi­gen Gott!«

Nach kur­z­em Zö­gern sag­te er:

»Ich schwö­re es beim ewi­gen Gott!«

Da ließ sie sei­ne Keh­le los und ging, ohne noch ein Wort zu sa­gen, hin­aus.

Ei­ni­ge Tage ver­stri­chen, ohne dass sie ihn spre­chen konn­te und die Stall­tü­re war seit je­ner Nacht je­des Mal sorg­fäl­tig ver­schlos­sen; aus Furcht vor ei­nem Skan­dal wag­te sie kein Geräusch zu ma­chen.

Dann sah sie ei­nes Mor­gens zur Früh­sup­pe einen an­de­ren Knecht ein­tre­ten.

»Ist Jac­ques fort?« frag­te sie.

»Al­ler­dings; ich bin an sei­ne Stel­le ge­kom­men.«

Sie be­gann so hef­tig zu zit­tern, dass sie den Was­ser­kes­sel nicht los­ha­ken konn­te; dann ging sie, als al­les bei der Ar­beit war, in ihre Kam­mer hin­auf und wein­te, das Ge­sicht in ihre Kis­sen ver­gra­bend, da­mit sie nie­mand hör­te. Im Lau­fe des Ta­ges such­te sie sich zu er­kun­di­gen; aber sie hat­te so das Be­wusst­sein ih­res Un­glücks, dass sie ein ma­li­ti­öses Lä­cheln auf den Ge­sich­tern al­ler Leu­te zu se­hen glaub­te, die sie frag­te. Im Üb­ri­gen brach­te sie nur in Er­fah­rung, dass er die Ge­gend für im­mer ver­las­sen habe.

Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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