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1.18 Das Opfer

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Ihr Status

der Verletzlichkeit hatte inzwischen die Runde gemacht. Auch die Motten des Missbrauchs verfügten nämlich über einen gut funktionierenden Buschfunk und ihre Trommeln hatten eine große Reichweite. Ihre Botschaft reichte bis hinauf an die Spitze eines Eisberges und klingelte zuckersüß im Ohr eines eiskalten Mannes, eines skrupellosen Geschäftsmannes. Er stand in dem Ruf, einer jener gnadenlos gewinnorientierten Geschäftsmänner zu sein, die über Leichen gehen. Sie pflasterten seinen Weg.

Am ersten Montag nach Produktionsende fand mal wieder die monatliche Chefvisite statt. Zeit für eine gründliche Bestandsaufnahme und notwendige Feinjustierungen. Da wurden in trauter Männerrunde die Weichen gestellt für das zukünftige Late-Night-Programm der pornosüchtigen Kundschaft. Monster, Mumien, Mutationen...

„Nadja, so so. Die soll ja ein echter Rohdiamant sein.“, sagte er durch den schmalen grinsenden Schlitz in seiner unteren Gesichtshälfte. Sein Grinsen war sehr dünn, wie mit einem scharfen Rasiermesser ins Gesicht geschnitten. Er lächelte, ohne die Mundwinkel zu heben, ohne jede sichtbare Regung, weder innerlich noch äußerlich.

Jeder im Konferenzraum wusste, dass diese Grimasse nichts mit guter Laune zu tun hatte. Sie glich eher dem Zucken der Lefzen eines Raubtieres, das ein schmackhaftes Opfer ausgespäht hatte und nun zum Sprung ansetzte.

Denn er hatte die Lizenz zum Jagen und Töten, und er besaß das Privileg, als als Erster aus dem hungrigen Rudel seinen Appetit zu stillen. Schließlich war er der Häuptling der Menschenfresser und hielt sich für das obere Ende der Nahrungskette.

„Das ganze Standardprogramm liegt wie Blei in den Lagern. Mit diesem langweiligen Einheitsbrei kann man heutzutage keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Macht endlich die Augen auf! Unsere Konkurrenten zeigen uns, was die Kunden wirklich wünschen. Sie wollen an die Hand genommen und an ihr Limit geführt werden, und anschließend weiter darüber hinaus. Sie wollen die Grenze des guten Geschmacks überschreiten. Von nett gevögelten Friseusen und Hausfrauen kriegt heute doch kein Schwanz mehr einen hoch.“

Während er tief Luft holte, machten schwarze, bauchige Thermoskannen und eine Dose mit salzigem Knabberkram die Runde. Mit zittrigen Händen wurde Kaffee nachgeschenkt und zugegriffen, geräuschvolles Schlürfen und Kauen.

Fressen und gefressen werden. Mir kam es vor, als würde sich dieses altbewährte Ausschlussprinzip in diesem Moment aufheben. Während wir massenweise Salzbrezeln und Kräcker in uns hineinstopften, wurden wir lebendig verspeist.

Als die Faust des Menschenfresserhäuptlings urplötzlich auf den großen, runden Tisch donnerte, schwappte Tee und Kaffee über, selbst mir, der ich inzwischen relativ schmerzfrei war, was die Machtspielchen des Pornopaten anging, fielen vor Schreck ein paar Krümel des staubtrockenen Gebäcks aus der offenen Kinnlade.

„Hat hier keiner einen halbwegs vernünftigen Vorschlag? Für was bezahle ich euch unkreative Sesselfurzer eigentlich?“

Jetzt erwachte die Versammlung aus dem Halbschlaf, geschäftig blätterte man in dicken Ordnern. Ich fühlte mich nicht angesprochen, als ausführendes Organ lagen weitreichende Konzepte nicht in meinem Verantwortungsbereich. Also schloss ich meine Augen und träumte mich weg. Aus Erfahrung kannte ich die Prozedur in- und auswendig, die als nächstes auf dem Programm stand, die monatliche Machtdemonstration.

„Meint ihr im Ernst, dass ihr in euren Unterlagen irgend etwas findet, von dem ich noch nichts weiß?“

Da war er wieder, der allwissende Pornopate. Ich verkniff mir ein zynisches Grinsen und war heilfroh, dass ich in meiner Rolle als Künstler und Vorzeigeregisseur der Produktionsfirma eine gewisse Narrenfreiheit besaß und in Momenten wie diesen so tun konnte, als ginge mich der ganze Zirkus rein gar nichts an.

Elektrisierte Spannung breitete sich aus, hinter meinen geschlossenen Lidern konnte ich die Atmosphäre im Raum knistern hören. Ich sah es förmlich vor mir, wie sie da im Kreis saßen, die kreativen, überbezahlten Pornographen, und sich gequält bogen unter dem eisigen Schweigen und stechenden Starren ihres Bosses. Wie sie verzweifelt versuchten, sich der Reichweite seiner Pupillen zu entziehen, die unerbittlich in ihr Nervenkostüm stachen wie spitze Nadeln. Unscheinbare, aber überaus wirkungsvolle Folterinstrumente, die langsam, wie der Lichtstahl eines Leuchtturms, die Runde machten und jeden Einzelnen ausführlich ins Visier nahmen.

Es war kein Mucks zu hören. Die Stimmung im Raum als Totenstille zu umschreiben, wäre nicht übertrieben gewesen. Gebannt hielten die Schreibtischtäter den Atem an und stellten sich tot. Ich sah sie vor mir, wie ihre Blicke eingeschüchtert nach einem unverbindlichen Anhaltspunkt suchten, wie sie von den schwarzen Thermoskannen zu den Keksdosen und wieder retour eierten. Alles war besser als ein direkter Blickkontakt mit der dunklen Macht.

Denn jeder von ihnen wusste nur zu gut, was das bedeutet hätte. Wer in diese Augen sah, der lernte das Fürchten und badete ins Eis.

Wenn Blicke töten könnten...

Mir schien es so, als wären seine durchaus dazu imstande. Stechende Blicke, die seinem Gegenüber bis ins Mark drangen, um ihm das Leben auszusaugen.

„Also Folgendes... .“

Als ob ein barmherziger Samariter eine große Tür geöffnet und die Sonne hereingelassen hätte.

„...würde ich vorschlagen.“

Die versammelten Herren atmeten erleichtert aus. Auf dieses Zeichen hin öffnete ich meine Augen und landete wieder im Konferenzraum.

„Wie heißt die Kleine noch? Die, die so natürlich und unverbraucht wirkt vor der Kamera?“

Ein ganz Eifriger meldet sich zu Wort.

„Nadja.“

„Genau, die meine ich. Ich habe das Material gesichtet. Sie ist ein Rohdiamant, wunderbar ungeschliffen. Ihren Manager habe ich auch schon kontaktiert, bis auf einige Details ist eigentlich schon alles in trockenen Tüchern. Ich habe ihn bei der Gelegenheit beauftragt, ein paar neue Nadjas aufzureißen. Der Typ ist zwar ein ausgemachter Schwachkopf, aber als Fischer hat er ein gewisses Talent. Er hat einen guten Riecher für Mädchen, die danach schreien geopfert zu werden.“

Er grinst selbstzufrieden. Die Angelegenheit entwickelte sich ganz nach seinem Geschmack. Zögerlich stahl sich auch ein erstes vorsichtiges Lächeln auf die Gesichter seines Publikums.

„Jetzt brauchen wir unbedingt einen unmissverständlichen Titel, damit die Kunden auch gleich wissen worum es geht und, dass unser Produkt ihre geheimsten Wünsche erfüllt. Knallharte Vergewaltigungen am laufenden Band. Selbstverständlich ist das alles Fake, nur gestellt. Aber mit dem gewissen Etwas, was die Sache realistischer erscheinen lässt. Deshalb werden wir diese Nummern auch nicht mit den abgefuckten Altprofis als Opfern drehen, denen kein Schwein ihre Tränen und Angst abkauft. Einfach schon aus dem Grund, weil sich jeder unserer Kunden schon ein Dutzend mal auf sie einen heruntergeholt hat und deren gelangweilte Visagen allmählich satt hat. Das künstliche Gestöhne, diese ganze hundsmiserable Schauspielerei....“

Verschwörerisch blickt er in die Runde und senkt seine Stimme.

„Nein, was wir brauchen sind naive, eingeschüchterte Mädchen, unbedarftes Frischfleisch à la Nadja. Sehr junge Frauen, denen man die Verzweiflung ansieht und abnimmt, einfach, weil sie echt und authentisch ist. Und dann stellen wir mit denen die Dinge an, die sonst nur die Nutten mitmachen. Das volle Programm, das alles beinhaltet, wovon Männer heimlich träumen. Gang-Bang-Massaker mit jungfräulichen Drei-Loch-Stuten sozusagen...“

Während mir allmählich mulmig wurde, redete sich der Pornopate zunehmend in Rage, er schien voll in seinem Element zu sein. Die kalten Stahlaugen fingen plötzlich an zu leuchten und ein schwärmerischer Zug trat in sein ansonsten eher wächsern wirkendes Gesicht.

„...Anal-Fisting, Ultra-Deep-Throat, Anpissen und als Dreingabe noch ein bisschen Sadomaso für Anfänger. Schläge bis die Arschbacken glühen. Da bleibt kein Wunsch unerfüllt und sei er auch noch so extravagant.“

Allmählich begann ich zu ahnen, worauf dieser Wahnsinn hinauslief. Mir blieb sie Spucke weg. Dem Pornopaten wohl auch, kein Wunder, so enthusiastisch hatte ich ihn vorher noch nie vom Leder ziehen sehen. Mit einem lauten Plopp öffnete er eine Flasche Mineralwasser.

„Ich weiß, das ist im Prinzip alles nichts Neues...“

Er hob seinen spitz zulaufenden, sorgsam manikürten Zeigefinger und stach mit einer heftigen Aufwärtsbewegung himmelwärts, als wollte er da oben jemandem ein Auge ausstechen.

„Der kleine, aber feine Unterschied ist, wir veranstalten all diese herrlichen Sauereien mit blutjungen Fotzen, die so rüberkommen wie Jungfrauen, die wir am Tag zuvor aus ihrem Kinderzimmer entführt haben.“

Mit diesem grenzwertigen Satz goss er sich so stürmisch ein, dass das Sprudelwasser über den Rand des Glases schäumte. Und das ihm, der sonst jede Handbewegung überaus korrekt ausführte, der so pedantisch in jeder seiner Gesten war, dass sie schon fast wie einstudiert wirkten. Wie die Bewegungsabläufe einer fleischgewordenen Maschine...

Diese Assoziation brachte mich auf eine seltsame Idee. Wäre es nicht möglich, dass diese graue, gruselige Eminenz gar kein lebendiges Wesen, nicht aus Fleisch und Blut war, sondern ein ferngesteuerter Automat, der von finsteren Mächten aus einem höllischen Jenseits gesteuert wurde?

„Tobt euch nur aus, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Vorschläge sind willkommen. Hautsache, das Ganze wirkt schön brutal und authentisch. Und natürlich muss alles absolut legal ablaufen, da sichern wir uns ab. Ich habe unseren Anwalt schon informiert. Die Darstellerinnen unterschreiben vor den Aufnahmen einen Vertrag, in dem sie erklären, dass sie freiwillig bei dem Dreh mitgemacht haben und ihnen keine Gewalt angetan wurde.“

Ein breites Schmunzeln machte die Runde. Jetzt waren die Sesselfurzer und der Häuptling wieder Verbündete. Beim Thema Vergewaltigung und Jungfrauen fanden sie ihren gemeinsamen Nenner.

Frauenhasser unter sich. Tja, so ein Feind vereint. Auch, wenn dieser Zustand der Harmonie nur sehr vorübergehend und extrem fadenscheinig war, wie sich kurz darauf zeigte.

Ich fühlte mich mal wieder vollkommen fehl am Platz. Allein unter Menschenfressern. Was zur Hölle, hatte ich hier bloß verloren? Meinen Selbstrespekt?

Mein Verhältnis zum weiblichen Teil der Erdbevölkerung war zwar ausgesprochen ambivalent, von einem Ausnahmezustand wie Hass aber meilenweit entfernt. Ich bezeichnete ihn eher als gleichzeitige Anziehung und Abstoßung auf verschiedensten Ebenen, als ein vielschichtiges Wirrwarr zwiespältiger Emotionen. Doch trotz meines Beziehungschaos konnte ich mir ein Leben ohne Frauen auf diesem Planeten nicht vorstellen, wollte es mir nicht vorstellen. Mein Dasein allein mit dem männlichen Geschlecht auf dem Planeten Erde zu fristen, glich in meinen Augen einem Urteil von horriblem Ausmaß. Lebenslänglich interniert mit Milliarden von Männern in einem Hochsicherheitsknast...

„Was, verflucht noch mal, gibt es hier eigentlich zu grinsen?“

Die Mienen der Versammelten gefroren schlagartig. Die Heiterkeit war ihnen von einer Sekunde auf die andere aus den Gesichtern gewischt.

„Wenn wir uns rechtlich nicht hundertprozentig absichern, kommen wir in des Teufels Küche, ist euch das bewusst?“

Alles zurück auf Anfang, das Stechen der eisigen Augen traf auf beklommenes Schweigen. Dieses Mal war auch ich wie erstarrt. Ich hatte es kommen sehen, auch wenn ich die Entwicklung, die die Dinge in letzter Zeit nahmen, bisher nicht wahrhaben wollte. Mich schockierte daher nicht so sehr die unheimliche Strahlkraft des bösen Blicks, dagegen war ich allmählich immun. Was mich echt beunruhigte, war das neue Projekt.

Auch, wenn ich mal wieder folgsam meine Klappe hielt, die Gedanken waren und blieben frei.

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