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1.32 Einsam unter Vielen

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Clemens, was meinst du?

Sollen wir die Szene, in der die vier Typen zum krönenden Abschluss gemeinsam auf sie drauf pissen, noch mal aus ihrer Perspektive drehen? Ich glaube, subjektiv käme das im Schnitt doch sehr viel geiler rüber, oder?“

Ich nickte meinem Kameramann geistesabwesend zu.

„Von mir aus.“

Gestern nahm ich all meinen Mut zusammen und beschloss, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Als ich die Lage sondierte, stellte ich überrascht fest, dass die großen, metallenen Tore des grauen Lagers offen standen und niemand sie bewachte. Da begriff ich, dass es mir frei stand, diesen gespenstischen Ort zu verlassen und es hauptsächlich darum ging, endlich eine Entscheidung zu treffen.

Also nahm ich all meinen Mut zusammen und lief hinaus in die angrenzende Wildnis. Doch auch dort war kein Lebewesen außer mir, kein Geräusch, kein Geruch, eine erstarrte Welt. Nur der harte, rissige Lehmboden unter meinen nackten Füssen, die Bäume gänzlich entlaubt, ihre Stämme schimmerten schwarz wie aus verbranntem Plastik. Am Himmel stand eine schlohweiße, sengende Sonne, doch ich fror und taumelte zitternd durch diese öde, farblose Mondlandschaft.

Nach einem langen, trostlosen Marsch, hörte ich das leise Rauschen fließenden Wassers in der Ferne. Mit letzter Kraft erreichte ich das Ufer. Die Oberfläche des Flusses glänzte mit der Farbe ranzigen Öls, träge rann er dahin, nichts als totes Treibgut dümpelte in seinen Wellen. Als ich mich herabbeugte, nahm der üble Gestank zu, wurde beißend und unerträglich. Ich hielt den Atem an und betrachtete mein Spiegelbild auf der matt glänzenden Haut des vergifteten Stroms.

Von mir war nicht viel übrig, spärliche Reste meines Gesichts auf einem fast skelettierten Schädel. Ich erkannte mich kaum wieder. Da erkannte ich, dass dieser Ort die Hölle auf Erden war und es für mich kein Entkommen gab.

Weinend sank ich auf die Knie, gab mich geschlagen und alle Hoffnung auf und kroch schließlich, auf allen Vieren, zurück zu den Leichenbergen in das graue Lager, um mich vor meinem Spiegelbild und vor mir selbst zu verstecken.

„Clemens, soll ich dir noch einen Kaffee holen? Mann, du bist heute nicht so ganz bei der Sache, was? Ging es denn noch lange gestern Abend? Wohl ein bisschen über die Stränge geschlagen, was?“

Hilfe, schoss es mir durch den Kopf. Ich verlasse meinen Körper. Ich verwandele mich in einen Geist.

Der Kameramann grinste bis über beide Backen. Auch er hatte offensichtlich Geschmack gefunden an der filmischen Gewaltspirale, dem kollektiven Killerinstinkt, der das Filmset jetzt seit fast zwei Wochen beherrschte. Gerade wurde die zehnte Frau vor seiner laufenden Kamera hingerichtet und er bekam anscheinend nicht genug von dem harten Stoff. Er hatte Blut geleckt, wie alle aus dem Team. Besonders die Herren von der Produktion waren ganz aus dem Häuschen. Endlich mal wieder ein richtiger Kassenschlager. Die Anzahl der täglichen Downloads sprach für sich, und auch bei den oldschool verkauften DVDs des neuen Produkts kam Freude auf. Dass die Vergewaltigungen jetzt in Serie gehen sollten, war längst beschlossene Sache. Mich überraschte nur, dass sich so viele bereitwillige Opfer und Täter fanden. Aber solange die Kohle stimmte, schien dem Nachwuchs an Pornodarstellern, Männern wie Frauen, alles scheißegal zu sein. User unter sich.

Letztendlich war es nicht so sehr das sogenannte Schweigen der Lämmer, das mich so bleiern runterzog. Es war die Tatsache, dass sie gut gelaunt und mit wackelnden Pobacken im Gänsemarsch auf das Schafott marschierten und ihre frisch frisierten und mittels fingerdicker Schminke unkenntlich gemachten Köpfe mit einem wohligen Seufzer unter das Fallbeil legten.

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