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Napoleonische Repression

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Wenig verwunderlich hatte die Französische Revolution auch in deutschen Landen zu einer geistigen Aufbruchsstimmung geführt, der vorerst die oben erwähnten Restriktionen ihren Schwung nicht nehmen konnten. Dies lag in allererster Linie daran, dass nun neben der Adelsherrschaft, die auch in Frankreich bald wieder installiert werden sollte, ein starkes Bürgertum auf den Plan der Geschichte getreten war. Für unser Thema der Zensur hatte dies tiefgreifende Auswirkungen. Standen bis ins 18. Jahrhundert Autoren in den meisten Fällen in Diensten adeliger Mäzene oder veröffentlichten ihre Texte neben ihren Berufen als Staatsdiener oder Lehrer, so wurde nun die Schriftstellerei (wie auch andere Künste) zum Broterwerb. Voraussetzung dafür war eine Änderung im Urheberrecht. Neben den Verleger, der bis dato die Buchrechte innehatte und diese an Drucker vergab, trat nun der Autor als Eigentümer seiner Schriftstücke. Dieses sogenannte geistige Eigentum war 1791 und 1793 mittels zwei Gesetzen als »Propriété littéraire et artistique« im revolutionären Frankreich eingeführt worden. Preußen folgte erst 1837.

Mit dem bürgerlichen Eigentumsrecht, das im Bereich des Publikationswesens nun Verleger, Drucker und Autoren kennt, stehen den staatlichen Zensurbehörden plötzlich nicht bloß religiöse und politische Andersdenkende bzw. Widerständler gegenüber, die es möglichst mundtot zu machen gilt, sondern wirtschaftliche Interessen. Veröffentlichungsverbote treffen neben dem politischen Feld, auf dem sie ihre Wirkung zeigen sollen, große und kleine Unternehmer und bedrohen deren Existenzgrundlage. Und weil insbesondere die Verlagshäuser mit ihren bürgerlichen Besitzern wirtschaftlich wachsen und damit auch politisch an Einfluss gewinnen – wie wir noch sehen werden –, mischt sich der Kampf um Meinungsfreiheit mit unternehmerischem Gewinnstreben. Die allesamt adeligen Herrscherhäuser müssen danach trachten, ihre Zensurmaßnahmen der neuen Zeit anzupassen.

Dazu kommt, dass im Druckereiwesen technische Änderungen zu einer Ausweitung der Kapazitäten führen. Mit der Erfindung der Zylinder-Schnellpresse zu Anfang des 19. Jahrhunderts – die erste ging 1811 in London in Betrieb57 – konnten Auflagenzahlen von Büchern und Zeitungen wesentlich gesteigert werden. Diese Kapazitätsausweitung korrespondierte mit der steigenden Alphabetisierungsrate, die in deutschsprachigen Gebieten um 1800 bei geschätzt 25 % der Bevölkerung lag.58

Es blieb Napoléon Bonaparte vorbehalten, neue Wege in der Zensur zu gehen. Der aus Korsika stammende französische General lässt am 9. November 1799 die beiden postrevolutionären Parlamentskammern durch seine Leibgarde auseinandertreiben und putscht sich somit, erst 30-jährig, an die Macht. Feldzüge gegen Italien, die Schweiz, Preußen, Österreich und Russland erweiterten diese zu einer europäischen.

Am 27. Oktober 1806, 14 Tage nach der siegreichen Schlacht gegen das preußische Heer in Jena, zog Napoléon in Berlin ein. Noch am selben Tag erhielt der Zensor für politische und historische Schriften vom französischen Kommandanten den Bescheid, dass von nun an die Zensur in seinen Händen liege. Zwei Tage später bestellte er die Herausgeber der beiden Tageszeitungen zu sich und instruierte sie über das neue Wording. Bereits am nächsten Tag war in beiden Blättern vom »begeisterten Empfang Napoléons durch die Berliner Bürgerschaft« zu lesen.59 Die neuen Herren des französischen Deutschlands duldeten keinen Widerspruch. Jede nationale Regung gegen die Besatzung wurde im Keim erstickt. Oft war es Napoléon persönlich, der – wie zum Beispiel in Baden – sämtliche Zeitungen schließen ließ. Ähnliches passierte 1810 in Hamburg und Frankfurt.60

Paris übernahm die Deutungshoheit über Politik und Geschichte fast überall in Europa, bis auf dem Wiener Kongress 1813/1814 das nach-napoleonische Zeitalter eingeläutet wurde.

Einem engen Vertrauten von Napoléon, Jean Guillaume Locré de Roissy, ist es zu verdanken, dass wir heute von der einfach gestrickten Sichtweise des französischen Feldherrn bezüglich der Zensur wissen und wie er diese vollkommen in den Dienst seiner Machtallüren stellte. In einem zwischen 1808 und 1811 aufgezeichneten Gespräch zwischen de Roissy und Napoléon antwortet dieser auf die Frage, was er unter Zensur verstünde, folgendermaßen: »Nun, was ist Zensur? Es ist das Recht, die Äußerung von Gedanken zu verhindern, die den Frieden des Staates, seine Interessen und seine Ordnung stören. Die Zensur muss daher immer entsprechend dem Zeitalter, in dem man lebt, und gemäß den Umständen, in denen man sich befindet, angewandt werden.«61 Wenn man bei den angesprochenen »Umständen« an die 3,5 bis 6 Millionen Toten denkt,62 die in ganz Europa und insbesondere in Russland den Expansionsplänen des kleinen Korsen zum Opfer fielen, dann kann man sich nicht mehr darüber wundern, dass Napoléon harte Zensurmaßnahmen gegen jene rechtfertigte, die »den Frieden des Staates stören«.

Tatsächlich ging das napoleonische Frankreich planmäßig daran, »Ordnungsstörer« zu verfolgen. Politische Nachrichten mussten überall dort, wo die französische Soldateska das Sagen hatte, also in fast ganz Europa, Inhalt und Diktion des regierungsamtlichen Pariser Blattes »Moniteur« übernehmen. Eine zentrale Zensurbehörde überwachte auch den Buchmarkt mittels strenger Richtlinien vor jeder einzelnen Veröffentlichung. Druckwerke wurden in private (»domaine privé«) und öffentliche (»domaine publique«) eingeteilt, wobei letztere einen zusätzlichen Zensurvorgang inklusive einer Stempelmarkengebühr durchlaufen mussten.63 Dazu kam ein fein gesponnenes Netz an Spitzeln, die für die Überwachung neuralgischer Punkte in den Städten verantwortlich waren und insbesondere auf Verleger und Buchhändler ein scharfes Auge zu werfen hatten.

Zensur

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