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Die Anfänge der Zensur: Von der Macht der Kirche zur Staatsmacht Das Buch als Teufelswerk
ОглавлениеDie Geschichte der Zensur beginnt in unseren Breiten üblicherweise im Anschluss an die Erfindung des Buchdrucks zur Mitte des 15. Jahrhunderts. Die Technik zur Fertigung von beweglichen Lettern aus einer Bleilegierung erlaubte es, Schriftgut mittels Druckerpressen einer größeren Anzahl von Menschen zugänglich zu machen. Mit einem Mal war den Klöstern und Herrscherhäusern das Monopol an der Verschriftlichung und damit die Kodifizierung von Wahrheit bzw. davon, was sie als unumstößlich ansahen, entzogen. Es ging in Richtung Volksbildung, was für jene, die zuvor gottgegeben herrschten und verkündeten, eine Bedrohung darstellte. Mit Veröffentlichungsverboten und Strafen versuchten sie dieser schleichenden Demokratisierung des Wissens entgegenzutreten. Die anfangs hauptsächlich kirchliche und später staatliche Zensur nahm ihren Lauf.
Freilich wurden auch schon vor dem Buchdruck Meinungsäußerungen, die der jeweiligen Herrschaft nicht genehm waren, von dieser bekämpft, missliebige Denker verbannt oder hingerichtet und ihre Schriften verbrannt. Eine sehr frühe solche Schriftverbrennung ist von den Abhandlungen des griechischen Sophisten Protagoras überliefert. Seine Werke wurden auf Befehl des höchsten Athener Gerichtshofes, des Areopag, im Jahr 411 v. u. Z. auf der Agora den Flammen übergeben. Kurz darauf verurteilten ihn die Richter zum Tode, auf der Flucht nach Sizilien ertrank er im Mittelmeer. Sein Vergehen: er zweifelte in seiner Schrift »Über die Götter« an deren Existenz. »Was die Götter angeht«, so der Sophist, »so ist es mir nicht möglich, zu wissen, ob sie existieren oder nicht.«1 Diese agnostische Sicht auf die Existenz übernatürlicher Wesen sah das Athener Gericht als Gotteslästerung an, die nicht toleriert werden konnte.
Die Ausmerzung von Ideen fand auch anderswo statt, in der Hoffnung damit die eigene Herrschaft stabilisieren zu können. Der erste chinesische Kaiser und Gründer der Qin-Dynastie ließ im Jahr 213 v. u. Z. Streitgespräche von Vertretern unterschiedlicher philosophischer Schulen, insbesondere die Lehren von Konfuzius, verbrennen. Qin Shi Huangdi fürchte Diskurse außerhalb des Hofes, die er nicht kontrollieren konnte.2 Schriften von Konfuzius durften deshalb nur von ausgewählten Ratgebern gelesen und diskutiert werden.
Wirklich Fahrt nimmt die Geschichte der Zensur dann in der frühen Neuzeit auf. Die katholische Kirche, die seit der Inquisition zu Anfang des 13. Jahrhunderts ihren Verfolgungs- und Verbotswahn voll ausgebildet hatte und ketzerische Schriftstücke samt ihren Verfassern ins Feuer schickte, stößt nun zur Mitte des 15. Jahrhunderts auf das Phänomen des Buchdrucks. Im kurfürstlichen Mainz war es um 1450 einem gewissen Johannes Gensfleisch – der Welt unter dem Namen Gutenberg bekannt – gelungen, die Vervielfältigung von Schriften zu mechanisieren. Seine Erfindung rüttelte an den Grundfesten der damaligen kirchlichen Herrschaftsstruktur. Der erste Kirchenfürst, der diese Gefahr erkannte, war nicht zufällig Berthold von Henneberg, in Personalunion Erzbischof und Kurfürst von Mainz, der bereits 1486, also noch lange vor dem Auftauchen einer protestantischen Gefahr, eine Zensurbehörde einrichtete; und zwar genau in jener deutschen Stadt, in der Gutenberg seine Schüler im Buchdruck unterrichtete. Die vom Mainzer Erzbischof eingesetzten Zensoren drohten jedem, der ein Buch druckte oder auch nur las, das keine behördliche Genehmigung vorweisen konnte – mithin ohne Erteilung eines »Imprimatur«3 erschien – mit der Exkommunikation und einer hohen Geldstrafe.4 Im Jahr darauf, am 19. Dezember 1487, meldete sich erstmals ein Papst in Sachen Buchzensur zu Wort. Der als eifriger Hexenverbrenner bekannte Innozenz VIII. unterwarf das Druckwesen »für die gesamte Christenheit« einer kirchlichen Durchsicht. Sein Nachfolger setzte noch eines drauf. Alarmiert durch Berichte, wonach vor allem im Rheinland Druckwerke außerhalb kirchlicher Kontrolle entstanden und – wie es hieß – den »guten Sitten«, von denen freilich der Papst selbst und seine Entourage nicht viel hielten, widersprachen, verschärfte Alexander VI. (1431−1503) die Zensurbestimmungen. Zusätzlich zur nachträglichen Konfiszierung und Verbrennung kritischer Schriften forderte er in seiner Bulle »Inter multiplices« im Jahr 1501 die Vor- oder Präventivzensur für Köln, Mainz und Trier: »Die Buchdruckerkunst ist sehr nützlich«, gab sich der Papst in der Bulle der modernen Technik aufgeschlossen, »sofern sie die Vervielfältigung bewährter und nützlicher Bücher erleichtert; sie würde aber sehr schädlich werden, wenn sie zum Drucken verderblicher Schriften missbraucht würde. Darum müssen die Drucker durch geeignete Mittel angehalten werden, das Drucken solcher Schriften zu unterlassen, welche dem katholischen Glauben zuwider oder geeignet sind, den Gläubigen Anstoss zu geben. (…) So verbieten Wir kraft apostolischer Autorität allen in besagten Kirchenprovinzen wohnenden Druckern und ihren Gehülfen bei der Strafe der Excommunicatio (…) und bei für die apostolische Kammer einzuziehenden Geldstrafen, fortan Bücher, Tractate oder Schriften irgendwelcher Art zu drucken ohne vorherige Befragung der besagten Erzbischöfe …«5 Zehn Jahre später erweiterte ein Nachfolger von Alexander VI., Leo X. (1475−1521), die Bestimmungen über eine kirchliche Präventivzensur auf das gesamte Gebiet der Christenheit.
Die Zensurpäpste der Renaissance entstammten den reichsten Familien und waren durchwegs blaublütig; Alexander VI. kam aus dem aragonesischen Adelsgeschlecht der Borgja/Borgia und Leo X. war ein Sprössling der der florentinischen Medici-Dynastie. Mit ihnen blühte der Nepotismus in den schillerndsten Farben. Ihre politischen Gegner bekämpften sie gnadenlos. So gingen zwei der bedeutendsten Ausschlussverfahren aus der Kirchengemeinschaft auf ihr Engagement zurück. Alexander VI. exkommunizierte den dominikanischen Bußprediger Hieronymus Savonarola, Leo X. machte sich mit Martin Luthers Bannfluch die Hände schmutzig.
Mit dem Anbringen von 95 Thesen am Tor der Wittenbergischen Schlosskirche, in denen sich der Augustinermönch und Theologielehrer Martin Luther gegen die moralisch verrottete und zutiefst korrupte Kirchenelite wandte, begann ein neues Kapitel in der europäischen Zensurgeschichte. Der Thesenanschlag vom 31. Oktober 1517, der sich konkret gegen die immer dreister werdenden Formen des katholischen Ablasshandels wandte,6 löste eine Welle von Repressionen seitens der Kirchenhierarchie – und später auch von Seiten des Kaisers – aus. Die Kirchenoberen fühlten sich auch und insbesondere in ihrer wirtschaftlichen Macht bedroht. Denn seit dem späten 15. Jahrhundert war der Handel mit dem Gnadenakt, den katholische Priester zur Vergebung der Sünden ihrer Gläubigen betrieben, ausgeufert. Papst Leo X. trieb das Geschäft mit Ablasspapieren auf die Spitze. Überall in katholischen Landen waren diese von Priestern unterzeichneten Gnadenakte, die den Sünder vor dem Fegefeuer bewahrten und ihm das Himmelreich versprachen, käuflich erwerbbar. Rom und die einzelnen Kirchenprovinzen pflegten sich die Gewinne aus dem Ablasshandel zu teilen. Und diese waren beträchtlich. In der Hauptstadt der weströmischen Christenheit reichten sie dazu aus, den Bau des Petersdoms zu finanzieren. Einzelne Kirchenhäupter wie Albrecht von Brandenburg aus dem Hause Hohenzollern, zugleich Erzbischof mehrerer Bistümer, leisteten sich durch den Handel der Gnadenerlässe ein ausschweifendes Leben. Albrecht konnte damit auch seine Schulden bei den Augsburger Fuggern begleichen.7 Einer seiner Geldeintreiber, der Mönch Johann Tetzel, trieb es besonders ungeniert. Mit ebenso simplen wie eingängigen Sprüchen auf seinen Ablasszetteln – »Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt« – nutzte er die Angst der Menschen für seine und des Kirchenfürsten Geschäfte.
Welch bizarre Auswüchse das von oberster Kirchenstelle zur käuflichen Ware gemachte Seelenleben der Gläubigen annahm, zeigt eine Episode aus dem Landkreis Teltow-Fläming in Brandenburg. Wieder einmal war Johann Tetzel in der Berliner Nikolaikirche mit Ablassgeschäften tätig, als ein ihm unbekannter Mann für eine Sünde um Vergebung bat und dafür bezahlte, die dieser erst am nächsten Tag begehen wollte. Tetzel willigte ein und warf die Münzen in seinen bekannten Kasten. Am Morgen darauf zog er Richtung Süden weiter und wurde bei Trebbin überfallen und seines Ablasskastens beraubt. Es stellte sich heraus, dass er tags zuvor dem Räuber bereits seine Sünde vergeben hatte.8
Dergestalt war die vom katholischen Klerus dominierte Gesellschaft, als Martin Luther dagegen zu wettern begann. Das Verbot seiner Schriften folgte prompt. Und am 3. Januar 1521 belegte ihn Papst Leo X. mit einem Kirchenbann. Verurteilt bzw. exkommuniziert wurde Luther wegen »der Verbreitung von Irrlehren«. Und schon vier Monate später mischte sich auch Kaiser Karl V. ein; am 25. Mai 1521 erließ der Habsburger und damals mächtigste Mann Europas das sogenannte »Wormser Edikt«, mit dem die Reichsacht über den Augustinermönch aus Wittenberg verhängt wurde. Einen zuvor vom Hof angebotenen Widerruf seiner Thesen lehnte Luther ab. Mit dem Edikt waren Druck und Verbreitung von Luthers Schriften verboten, er selbst sollte verhaftet und nach Rom ausgeliefert werden und es war jedermann verboten, den Häretiker bei sich aufzunehmen.
Mit der Durchsetzung von Kirchenbann und Reichsacht haperte es nicht zuletzt deshalb, weil eine Reihe deutscher Fürsten insgeheim mit den lutherischen Auffassungen sympathisierte. Durch die territoriale Zersplitterung der deutschen Lande und den Gegensatz zwischen Kaiser und Landesfürsten konnten die »Protestanten« immer wieder Länder finden, deren Herrscher ihnen Unterschlupf boten. In einem zeitgenössischen Bericht wird deutlich, wie sehr die kirchliche und kaiserliche Zensur im Falle Luthers an der Wirklichkeit scheiterte: »Luthers Bücher werden auf dem Markt (in Straßburg, d. A.) an Tischen feilgehalten, während unmittelbar daneben die kaiserlichen und päpstlichen Erlasse angeschlagen sind, die den Verkauf der Bücher verbieten.«9 In einem anderen Bericht weiß der Schweizer Reformator Johannes Oekolampad von einer Bücherverbrennung der besonderen, so nicht beabsichtigten Art. Denn gegenteilig zur Vollzugsmeldung des Nuntius Hieronymus Aleander nach Rom, in der von einer erfolgreichen Bücherverbrennung der Dominikaner im burgundisch-niederländischen Löwen die Rede ist, hat Oekolampad die Situation vor Ort genau beobachtet und festgestellt, dass es neben einer Handvoll lutherischer Schriften vor allem die Manuskripte von Dominikaner-Lehrern waren, die die örtlichen Studenten ins Feuer warfen, »sodass mehr Werke von ihren Autoritäten verbrannt wurden als von den Werken Martin Luthers.«10
Während sich die Verbote gegenüber den lutherischen Schriften als reichlich ineffizient herausstellten, verschärfte das Wormser Edikt das Zensurgeschehen insofern, als dass damit erstmals eine Vorzensur im gesamten Kaiserreich eingeführt wurde. Alle Schriften mussten – auch das oft nur theoretisch – vor Drucklegung eigens dafür geschaffenen Zensurbehörden vorgelegt werden.
Wie sehr die Unterdrückung von Büchern respektive Ideen mit der Durchsetzung der jeweils herrschenden Machtansprüche in Einklang steht, zeigt das württembergische Beispiel. Im Jahr 1522 verbot der damalige habsburgische Statthalter Wilhelm von Waldburg in Ausführung des Wormser Edikts sämtliche protestantische Schriften, insbesondere die als Ketzertraktate bezeichneten Werke Luthers und Zwinglis, aber auch jene der Wiedertäufer. Nach einem Machtwechsel an der Spitze des württembergischen Hofes, der den in allerlei persönliche und politische Scharmützel verwickelt gewesenen Herzog Ulrich nach Stuttgart zurückbrachte, drehte sich der Zensorenspieß um. Als erster protestantischer Landesherr ließ Ulrich nun katholische Schriften überwachen und insbesondere jesuitische Werke unterdrücken.11 Die Zensur ging nun – vorerst nur in Württemberg – von protestantischer Seite aus.
Sobald sie an der Macht waren, verstanden es die Lutheraner, die ehemals gegen sie gerichtete Waffe des Bücherverbots in ihrem Sinn gegen den Feind und seine Schriften zu wenden. Ein besonders drastisches Beispiel von protestantischer Zensur ist auf direktes Geheiß des Reformators Johannes Calvin überliefert. Der Arzt und Theologe Michael Servetus hatte sich in seiner Schrift »Christianismi restitutio« (»Die Wiedereinsetzung des Christentums«) nicht nur gegen das Dogma der Dreifaltigkeit ausgesprochen, sondern auch dagegen, dass dem Menschen von Anfang an durch göttliche Fügung sein Schicksal vorherbestimmt sei, wie es die Prädestinationslehre des Augustinus postulierte. Zudem führte Servetus auch Kenntnisse aus der arabischen Medizin wie den Lungenkreislauf in die abendländische Wissenschaft ein. Calvin sah in derlei Ansichten eine Bedrohung der Glaubenslehre, ließ Servetus verfolgen, spürte ihn im französischen Vienne auf und machte ihm in Genf den Prozess. Am 26. Oktober 1553 wurde Servetus als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Es war auch der mutmaßlich erste exterritoriale Schuldspruch der Neuzeit und er kam auf Druck von Calvin zustande. Die Genfer Rechtsordnung sah für das »Delikt« der Ketzerei keine Todesstrafe vor, zudem war die »Tat« nicht in Genf verübt worden und der »Täter« stammte nicht aus Genf.12
Während in den verschiedenen deutschen Fürstentümern die gegenseitigen Verbote von römisch-katholischen und protestantischen Druckschriften immer unübersichtlicher wurden, stand der Kaiserhof in Wien treu zu Papsttum und gegen die protestantischen Ketzer. Die bischöfliche Residenz von Wien richtete eine eigene Visitationskommission ein und beauftragte sie, protestantische Schriften aufzuspüren und zu vernichten. Bischof Johann von Revellis, Beichtvater von Erzherzog Ferdinand, dem späteren Kaiser, ging nach seiner Ernennung im Jahr 1523 rigoros gegen Priester vor, die sich der Reformationsbewegung angeschlossen hatten. Insbesondere Wiedertäufer, die in jenen Jahren überall in deutschen Landen auf Seiten der großen Bauernaufstände standen, wurden vom katholischen Klerus und dem Wiener Hof als Erzfeinde betrachtet. Ihre Schriften zählten zu den geächtetsten, ihre Prediger landeten nicht selten, wie Balthasar Hubmaier, am Scheiterhaufen. Im Jahr 1528 bezahlte sogar ein Wiener Buchhändler mit seinem Leben, weil er zum wiederholten Male dabei ertappt worden war, verbotene Bücher zu verkaufen. Er wurde, wie es im ersten Standardwerk der deutschen Zensurgeschichte, dem 1883 erschienenen »Index der verbotenen Bücher«, heißt, enthauptet.13
Dasselbe Schicksal ereilte den aus Nürnberg stammenden Buchdrucker und -händler Johann Herrgott. Neben Nachdrucken von Thomas Müntzers »Ausgedrückte Entblößung« und Luther-Schriften gilt Herrgott auch als Urheber einer sozialrevolutionären Flugschrift mit dem Titel »Von der neuen Wandlung eines christlichen Lebens«.14 Darin spricht er sich für die Gleichheit aller Menschen aus und konkret für eine gerechte Aufteilung aller Güter auf der Basis von Gemeinschaftseigentum, »so das es keyner besser haben wird denn der ander«.15 Am 20. Mai 1527 wird Herrgott wegen des Druckens herätischer Schriften (und wohl auch wegen seiner sozialutopischen Gesinnung) am Marktplatz in Leipzig mit dem Schwert enthauptet.16
Der im September 1555 zwischen dem Kaiser (Karl V.) – bzw. dessen Stellvertreter und Bruder (Ferdinand I.) – und den Reichsständen geschlossene »Augsburger Religionsfrieden« sicherte den protestantischen Fürsten deren Besitz und über die berühmt gewordene Formel »cuius regio, eius religio«17 auch die freie Religionsausübung. Toleranz gegen Andersgläubige ging damit nicht einher. Vielmehr konnte jeder Herrscher die Konfession seiner Untertanen festlegen. Die katholische Kirche blieb davon unbeeindruckt. Mehr noch: sie erhöhte ihre Schlagzahl und legte nur vier Jahre nach dem »Religionsfrieden« ein Verzeichnis verbotener Bücher auf, den »Index librorum prohibitorum«. Dieser 1559 unter der Ägide der römischen Inquisition verbreitete Katalog sollte für die kommenden 400 Jahre die umfangreichste Zensurliste auf der Erde bleiben. Erst das Zweite Vatikanische Konzil im Jahre 1966 beendete dieses dunkle Kapitel der Kirchengeschichte und legte keine neue Index-Liste verbotener Schriften mehr auf.
Sobald die Anzeige über ein Buch bei der vom Papst ernannten Kongregation einging, begann ein ausgetüfteltes Indizierungsverfahren, an dessen Ende festgestellt wurde, ob es sich bei dem Schriftstück um ein von der universalen Lehre abweichendes und deshalb gefährliches Werk handelte oder nicht. Herätische Schriftsteller wurden in den Index aufgenommen und unterlagen der kirchlichen Zensur, ihre Lektüre galt als schwere Sünde, in manchen Fällen als Todsünde. Auf die Zensur-Liste kamen auch unmoralische und unzüchtige Texte sowie alles, was die Kirchenoberen als Wahrsagerei oder Magie ansahen. Eine Todsünde zieht nach kirchlichem Glauben nicht nur den Verlust der göttlichen Gnade und damit das Höllenfeuer nach dem Tod mit sich, sondern schließt den Sünder auch von der Gemeinschaft der Gläubigen im Hier und Jetzt aus und verwehrt ihm ein kirchliches Begräbnis. In voraufgeklärten Zeiten konnte ein solcher Ausschluss die physische Existenz vernichten, was wohl auch das Ziel der Index-Drohung war.
Über die Jahrhunderte der Existenz des katholischen Index landeten viele berühmte Denker und Schriftsteller darauf. Naturwissenschaftler wie Kopernikus, Newton und Darwin waren ebenso darunter wie die Philosophen Voltaire, Descartes und Kant oder der Schriftsteller Heinrich Heine sowie seine Kollegen Balzac, Flaubert und Hugo.
Mit dem gesellschaftlichen Einflussverlust der Kirche ab dem 18. Jahrhundert wurde das Scheitern dieser Art von Zensur immer offensichtlicher. Manch ein Verleger entdeckte den im Verbot steckenden Werbeeffekt und ließ den Satz »Verboten vom Heiligen Offizium«18 auf den Buchumschlag drucken. Einen letzten Bedeutungsgewinn erlebte die österreichische Fassung des kirchlichen Index dann noch im Jahre 1777, und zwar auf eine ganz besondere Art. Der Wiener Buchhändler und Antiquar Johann Georg Binz erkannte im Index eine gute Einnahmequelle, weil es immer mehr Menschen gab, die gerade jene Bücher lesen wollten, die von kirchlicher Seite als verboten galten. Der gedruckte Index ging immer häufiger über den Ladentisch. Schließlich endete der schwunghafte Handel mit ihm damit, dass die Zensurbehörde den Index auf den Index setzte.19
Am Reichstag zu Speyer kam es im Jahr 1529 zu einem offenen Widerspruch evangelischer Fürsten und Städte. Sie protestierten – daher auch der spätere Name der »Protestanten« – gegen die Reichsacht, mit der zehn Jahre zuvor Martin Luther zur persona non grata erklärt worden war und verweigerten dem anwesenden Kaiser-Vertreter Ferdinand I. jegliche Hilfe gegen den drohenden Vormarsch der Osmanen, die nur wenige Monate später vor Wien standen. Innen- bzw. gesellschaftspolitisch brachte der Reichstag eine allgemeine Vorzensur sämtlicher Schriftstücke, »nichts Neues« durfte ohne vorherige Prüfung und Genehmigung mehr gedruckt werden.20 Kurz darauf einigten sich staatliche und kirchliche Autoritäten auf eine Impressumspflicht, die im gesamten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ab 1530 gelten sollte. Drucker und Druck-Ort mussten auf dem Titelblatt angegeben werden, um die Verfolgung von missliebigen Erzeugnissen zu erleichtern. Geklappt hat das oft nur theoretisch. In der Praxis fehlten zum einen die Mittel der Überwachung und zum anderen oft auch der Wille zur Verfolgung. Nach dem Motto: der Kaiser ist weit, nahm man es in den Druckerwerkstätten nicht immer ernst mit den Gesetzen.
Je mehr sich die staatliche Überwachung der Druckwerke über die Jahrzehnte durchsetzte, desto einfallsreicher wurden jene Verleger, die sich keiner Vorzensur unterwerfen wollten. Der bekannteste Fall ist jener des Verlages »Pierre Marteau«, der 1663 in Cöln gegründet wurde. So stand es jedenfalls für lange Zeit auf der Impressumsseite der von ihm publizierten Bücher. In Wirklichkeit war »Pierre Marteau« ein Fake-Name und Cöln ein fingierter Verlagsort, den die Amsterdamer Verlegerfamilie Elsevir benutzte, um Zensurmaßnahmen zu umgehen. Auch unter dem ins Deutsche übersetzten Verlagsnamen »Peter Hammer« erschienen ab 1683 bis zur bürgerlichen Revolution 1848 unzensierte Titel, weil die Behörden bei der Nachverfolgung des Impressums immer wieder ins Leere tappten. Andere beliebte Fake-Impressen wiesen Druckorte wie Babylon, Tobolsk oder Utopia auf,21 ein besonders gewitzter Verleger nannte als seinen Druckort »Rom, zu St. Peters Hof«.22 Im Widerstand gegen die Zensur entwickelten Verleger, Drucker und Autoren viel Kreativität.