Читать книгу Zensur - Hannes Hofbauer - Страница 9
Zensur im Zeitalter der Aufklärung
ОглавлениеDie Säkularisierung des gesellschaftlichen Lebens seit Anfang des 18. Jahrhunderts trug schon früh aufklärerische Tendenzen in sich. Nach und nach löste die Einsicht in eine menschliche Vernunft als Kompass der Orientierung den Glauben an Gottgegebenes ab. Säkularisierung bedeutete im Kontext der modernen Staatsbildung aber auch die Zusammenballung von politischer Machtfülle in einzelnen Herrscherhänden. Spätabsolutismus, so umstritten der Terminus in der neueren Wissenschaft auch sein mag, überlappt sich mit dem Zeitalter der Aufklärung. Am Absolutismus reiben sich die Geister der Vernunft. So ist es nicht verwunderlich, dass die Zensur im Dienste der Herrschaft gerade die innovativsten und radikalsten Denker trifft, wenn auch – wie oben beschrieben – territorial lückenhaft und eben nicht durchgängig. Dies kann sogar, wie im Falle des Philosophen Johann Gottlieb Fichte dazu führen, dass ein und derselbe Mensch mal als herrschaftlich eingesetzter Zensor und mal als Zensierter in die Annalen eingeht.
Auch die Zielsetzung von Zensurmaßnahmen änderte sich mit dem Bedeutungsgewinn des rationalen Denkens. Nun ging es nicht mehr hauptsächlich darum, moralisch, theologisch oder für die Staatsraison schädliche Schriftstücke zu verbieten, um der Aufrechterhaltung des Bildes von der hehren Reinheit Gottes und des Fürsten willen, wie argumentiert wurde. Jetzt schlich sich in das Zensurgeschehen der Kampf um Deutungshoheit ein. Druckverbote wurden – je nach politischer Ausrichtung – zum »Instrument obrigkeitlich geförderter Aufklärung oder Gegenaufklärung«.42 Dabei ist zu beobachten, dass auch in aufgeklärten Kreisen Zensurmaßnahmen als notwendig erachtet wurden, um, so die dahinterstehende Idee, ein Zurück in dunkle Zeiten menschlicher Dummheit zu vermeiden. Die an oberster Stelle postulierte Preßfreiheit ging dabei oft auch Hand in Hand mit Veröffentlichungsverboten für anti-aufklärerische Stimmen.
Ein wirkliches Kind der Aufklärung ist die Theaterzensur. Schauspiel und Oper standen zur Mitte des 18. Jahrhunderts in ihrer Hochblüte. Viele bekannte Schriftsteller, Philosophen und Musiker fühlten sich der »ratio« verpflichtet. So kam es, dass die Bühnen als Kampfplatz um die Diskurshoheit und um die Reinheit der Sprache einen wichtigen Rang einnahmen. Es entstand eine neue Form der Zensur, die nicht gegen die Aufklärung, sondern in ihrem Namen durchgesetzt wurde.43 Wichtigster Wortführer für ein dermaßen zensiertes Theater war der in Brandenburg geborene und in Wien zum politischen Reformer aufgestiegene Joseph Freiherr von Sonnenfels (1732−1817). Aus einem jüdischen Haus stammend, konvertierte er als Knabe zum Katholizismus, studierte Rechts- und Staatswissenschaften und war ein vehementer Verfechter des Hochdeutschen. Dies und sein Glaube an den vernunftbegabten Menschen führte ihn auch dazu, gegen das – wie er es nannte – unsittliche und pöbelhafte Stehgreiftheater ins Feld zu ziehen. In den Wanderbühnen sah er sprachlich und moralisch Unsauberes, das es im Namen des Fortschritts auszulöschen galt. Ihnen war freilich schwer beizukommen, sie vagabundierten seit dem Ende des 30-jährigen Krieges durch deutsche Lande, waren – wie der Name sagt – ortsungebunden und folgten in ihren Aufführungen der derben Volkskultur.
Demgegenüber empfanden Sonnenfels und seinesgleichen das »geregelte Drama« auf einer »stehenden Bühne« als notwendige Einrichtungen, um – mit Hilfe der Zensur – eine »moralische Anstalt« zu kreieren, die letztlich im deutschen Nationaltheater enden sollte.44
Neben der Zensur der Aufklärung gab es freilich weiterhin auch anti-aufklärerische Publikationsverbote. Bis zur Französischen Revolution 1789 beherrschte der Ruf nach Preßfreiheit bzw. die Unterdrückung derselben das intellektuelle Terrain. Als Schlagwort hallte es allen Zensoren entgegen. Der Dichter Christoph Martin Wieland, der neben Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe und Johann Gottfried Herder zum sogenannten Weimarer »Viergestirn« zählte, sah wie alle seine aufklärerischen Zeitgenossen in der Preßfreiheit das Um und Auf gegen die fortschrittsfeindliche »Tyranney«. In einem Aufsatz aus dem Jahr 1785 schrieb er: »Freyheit der Presse ist Angelegenheit und Interesse des ganzen Menschengeschlechts. (…) Man raube uns diese Freyheit, so wird das Licht, dessen wir uns gegenwärtig erfreuen, bald wieder verschwinden.«45 Auch die Gegner einer Zensur-freien Welt mussten sich am Begriff der Preßfreiheit abarbeiten. Beispielsweise ist überliefert, dass der Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. das von ihm 1788 verordnete Anziehen der Verbotsschraube damit begründete, dass die »Preßfreiheit in Preßfrechheit«46 ausgeartet sei.
Nachdem Joseph II. durch den Tod seiner Mutter, Maria Theresia, 1780 vom Mitregenten zum Alleinherrscher im Habsburger-Land geworden war, änderte sich auch die Wiener Zensurpolitik – allerdings nur für wenige Jahre. Dem aufgeklärten Zeitgeist folgend, erließ der 40-jährige Kaiser am 13. Oktober 1781 ein neues, liberaleres Zensurgesetz. Meinungsfreiheit war damit allerdings noch lange nicht gewährt. Zwar durften bislang unter den Habsburgern verbotene Bücher von Josef Abbt, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Heinrich Jacobi und vielen anderen nun auch an der Donau vertrieben werden, was zuvor nur gegen einen besonderen Erlaubnisschein (»erga schedam«) möglich gewesen war;47 tatsächlich ließ Joseph II. allerdings zensorische Milde hauptsächlich gegen die »seiner Politik förderlichen anti-kirchlichen Kampfschriften« walten, wie es der Zensur-Forscher Julius Marx ausdrückt.48 Was der Durchsetzung des zeitgleich zur Zensur-Reform erlassenen Toleranzpatents diente, mit dem die Gegenreformation beendet wurde, dafür konnten Presse und Schriftsteller die Fesseln des Verbotes abstreifen. Für viele andere Themen musste der Ruf nach Preßfreiheit aufrecht erhalten werden.
Das habsburgische Theaterleben konnte von dem kurzen josephinisch-liberalen Frühling nicht profitieren, zu viel Angst hatte der Wiener Hof vor Menschenansammlungen, selbst wenn diese durch Eingangs- und Ausgangskontrollen einigermaßen eingehegt werden konnten. Also achteten eigene Zensoren genau darauf, was auf den Bühnen gesprochen wurde. Die damalige »politische Korrektheit« mutet heute seltsam an, strukturell ist die Veränderung in den vergangenen 220 Jahren allerdings nicht so dramatisch. Verboten war damals jede despektierliche Äußerung im Zusammenhang mit religiösen Andeutungen, es sei denn, diese richteten sich gegen heidnische oder islamische Gebräuche. Biblische Begriffe, seien sie aus dem Ersten oder Zweiten Testament, durften in negativer Konnotation nicht vorkommen. So war es z. B. verboten, jemanden »alt wie Methusalem« zu nennen; über den vorsintflutlichen Großvater von Noah, der laut Bibel 969 Jahre alt geworden ist, war das Witzemachen verboten. Stattdessen hörte man dann von den Brettern der Bühnen herab »alt wie Nestor«; der sagenhafte Herrscher in der griechischen Mythologie blieb den Zensoren unverdächtig. Offiziell gecancelt wurden auch Aussagen wie »fett wie ein Domprobst«. Damit konnte man die Kirche lächerlich machen und ihre Vertreter als gierig und unersättlich darstellen. Ein Mönch durfte nicht von einem dicken Schauspieler gespielt werden.
Auch in der Buch- und Zeitungswelt endete die kurze und sehr unvollständige Freiheit des Publizierens 1789, als das Volk von Paris die Bastille stürmte, und vier Jahre später die Adelsköpfe rollten. Im Dezember 1789 verfügte Joseph II., dass ab sofort kein Manuskript ohne vorherige Zensur mehr gedruckt werden dürfe. Kurz darauf, Anfang Januar 1790, wurde der Hausierhandel mit Büchern generell verboten. Für die Zurückdrängung des katholischen Klerus aus weiten Teilen der Gesellschaft hatte der Kaiser die Zensur-Zügel knapp zehn Jahre lang lockern lassen, was auch den machttechnisch angenehmen Nebeneffekt hatte, dass sich Opposition nicht gegen das Herrscherhaus, sondern gegen die Mönchskutten ungestraft entladen konnte. Nun, da es anderswo, im Reich Louis XVI., dem eigenen Stand buchstäblich an den Kragen ging, schaltete die Wiener Hofburg wieder auf Repression.
Die einzige Erleichterung, die vom Reformwerk Joseph II. in puncto Zensurpolitik übrigblieb, war die Anerkennung des Privateigentums von Büchern. War es noch unter seiner Mutter, Maria Theresia, möglich, indizierte Schriften bis in den Wohnraum des einzelnen Besitzers aufzustöbern und zu konfiszieren, so überlebte das josephinische Eigentumsrecht auch die Pariser Umstürze. Verbotene Bücher durften erst einkassiert werden, wenn sie in der Öffentlichkeit auftauchten. Wer sie zu Hause im Regal stehen hatte, konnte dafür nicht belangt werden.49