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Exkurs: Vom Zensor drangsaliert – Brockhaus, Büchner, Heine, Aston, Marx
ОглавлениеUnter der langen Herrschaft Metternichs und seiner in Mainz residierenden »Central-Polizei« litten gut zwei Generationen freiheitsliebender, liberaler, nationaler und sozialistischer Intellektueller. Stellvertretend für sie alle soll hier an das Zensurschicksal von Friedrich Arnold Brockhaus (1772−1823), Georg Büchner (1813−1837), Heinrich Heine (1797−1856), Louise Aston (1814−1871) und Karl Marx (1818−1883) erinnert werden.
Der aus einer westfälischen Pastorenfamilie stammende Friedrich Arnold Brockhaus ergriff wie sein Vater den kaufmännischen Beruf. In der Handelsdrehscheibe Amsterdam machte er – zusammen mit einem Kompagnon – einträgliche Geschäfte beim Import englischer Waren nach Europa. Erst 1805 widmete er sich dem Publikationswesen und eröffnete eine Verlagsbuchhandlung in Holland, wo er auch die satirische Zeitschrift »De Ster« (»Der Stern«) herausbrachte. Mit der Machtübernahme von Louis Bonaparte, einem Bruder des Franzosenkaisers, engte sich der politische Freiraum, den die vormalige Batavische Republik (Niederlande) kurzfristig genossen hatte, ein. »De Ster« fiel der Zensur zum Opfer.
Zurück in Deutschland widmete sich Brockhaus nun ganz dem Buch- und Zeitungsdruck. Mit den in seinem Verlag seit 1813 erschienenen »Deutschen Blättern«, einem offiziellen Organ der gegen Napoléon verbündeten Armeen, das Brockhaus im Auftrag des Oberbefehlshabers Fürst Karl Philipp zu Schwarzenberg herausgab, begab er sich politisch erneut auf dünnes Eis. Seine Berichte über die Völkerschlacht bei Leipzig missfielen den Herrschenden, die »Deutschen Blätter« überlebten das Zerwürfnis mit den staatlichen Autoritäten nicht.
Die »Karlsbader Beschlüsse« brachten dann Brockhaus in direkte Opposition gegen Metternich und dessen Auftragsschreiber, Friedrich von Gentz. Als einer der Verfasser der Karlsbader Zensurbeschlüsse fand Brockhaus in Gentz jenen Reibebaum, den sich der mittlerweile geschäftlich wohl situierte Verleger und Buchhändler nur wünschen konnte. Und er spielte ihm einen bösen Streich. Brockhaus fand nämlich heraus, dass Metternichs Adlatus in jungen Jahren ein Sendschreiben an den damaligen Preußenkönig verfasst hatte, in dem er von diesem eine liberale Politik und Preßfreiheit forderte. 22 Jahre nach dieser in den Augen des zum Metternich’schen Zensor aufgestiegenen Gentz jugendlichen Verfehlung besorgte sich Brockhaus das Manuskript von damals und ließ es flugs in hoher Auflage drucken. Nur zwei Monate nach der Verabschiedung der heftigsten Zensurmaßnahmen in den »Karlsbader Beschlüssen« stand deren Verfasser vor aller Öffentlichkeit als Mann ohne Prinzipien da. Zwischen Leipzig, Berlin und Wien herrschte Schadenfreude.
Brockhaus starb 51-jährig und hinterließ seinen Söhnen ein verlegerisches Erbe, von dem noch mehrere Generationen zehren konnten.
Im Frühsommer 1834 schloss sich der damals erst 20-jährige Karl Georg Büchner einer »Gesellschaft für Menschenrechte« an und begann für diese bzw. ihre Ideen zu agitieren. In einem achtseitigen Aufruf, dem später berühmt gewordenen »Hessischen Landboten«, wandte er sich vor allem gegen die soziale Ungerechtigkeit und prangerte den Umgang der Fürsten mit dem niedrigen Volk an, Bauern und Handwerker würden von ihnen wie Tiere behandelt. Auch an der Justiz ließ Büchner kein gutes Haar und bezeichnete sie als »Hure der Fürsten«. Seine Botschaft gipfelte im Appell: »Friede den Hütten, Krieg den Palästen!«72
Was Büchner bereits in der Einleitung voraussah und wovor er warnte, nämlich die politische Verfolgung nicht nur des Autors, sondern auch der Leserschaft, trat unmittelbar darauf ein. Die Geheimpolizei setzte sich auf die Fährten der Mitwisser, verhaftete mehrere von ihnen und trieb Büchner im Frühjahr 1835 in die Flucht nach Straßburg und später nach Zürich, wo er zwei Jahre später an Typhus verstarb. Sein Mitherausgeber des »Hessischen Landboten«, der Butzbacher Lehrer Friedrich Ludwig Weidig, verendete nach zwei Jahren Folter im Darmstädter Arrest.
Die Veröffentlichung von Büchners Drama »Dantons Tod« ist ein Musterbeispiel der biedermeierlichen Zensurpolitik. Erschienen zwischen März und April 1835 in der Zeitschrift »Phönix«, entsprach das Werk in keiner Weise jenem Text, den Büchner verfasst und abgegeben hatte. »Phönix«-Herausgeber Karl Gutzkow entstellte das Manuskript zur Unkenntlichkeit, glättete politische Dialoge und strich alle umgangssprachlichen Ausdrücke. Aus dem Exil beschwerte sich Büchner darüber in einem Brief an seine Eltern: »Fast auf jeder Seite weggelassen, zugesetzt, und fast immer auf die dem ganzen nachtheiligste Weise. Manchmal ist der Sinn ganz entstellt oder ganz und gar weg (…). Der Titel ist abgeschmackt, und mein Name steht darauf, was ich ausdrücklich verboten hatte.«73
Büchners schriftstellerischen Ruhm konnte die politische Verfolgung nicht schmälern. Sein Grab an der Bergstation der Seilbahn auf den Rigi bei Luzern ist heute noch Anziehungspunkt vieler, vor allem junger Menschen.
Sein ganzes schriftstellerisches Leben lang hatte Heinrich Heine mit der Zensur zu kämpfen. Der aus einer Düsseldorfer jüdischen Familie stammende, als Harry geborene Heine wurde ganz im Geiste der Aufklärung – der Haskala – erzogen. Mit Gedichten und Reiseliteratur machte er sich ebenso einen Namen, wie er vielen auch als Ahnherr des politischen Journalismus gilt und den Stil des Feuilletons prägte, wie wir es seit damals kennen.
Seine sozialkritischen, ja frühsozialistischen Ansichten führten unweigerlich zum Konflikt mit den Herrschenden. Sein späterer Biograph, Georg Lukács, sah in Heine einen Schriftsteller, der »Marx und Engels näher stand als irgendein Zeitgenosse«.74 Der Kampf um die Freiheit des Wortes prägte sein Leben. Dass er darunter mehr verstand als bloße Textzensur, wird aus einem seiner frühen Werke klar, der Tragödie »Almansor«. Diese lässt der Dichter um das Jahr 1500 im christlich gewordenen spanischen Granada spielen. Der kurz zuvor vertriebene junge Moslem Almansor kehr aus dem Exil ins heimatliche Granada zurück und trifft dort Hassan, seinen früheren Diener. Von ihm erfährt der Heimkehrer, mit welch repressiven Mitteln der katholische Großinquisitor Ximenesseine Macht festigt, und auch von einer Verbrennung von 5000 Büchern, die dieser angeordnet hatte. In den Versen Heinrich Heines liest sich das folgendermaßen:
»Almansor: ›Wir hörten, dass der furchtbare Ximenes Inmitten auf dem Markte zu Granada Mir starrt die Zung im Munde – den Koran In eines Scheiterhaufen Flammen warf.‹ Hassan: ›Das war ein Vorspiel nur, Dort wo man Bücher verbrennt, Verbrennt man auch am Ende Menschen.‹«75
Dass Heine ausgerechnet eine Koranverbrennung der Reconquista anspricht, ist bemerkenswert zu einer Zeit, als – sechs Jahre vor Erscheinen des Dramas – auf dem Wartburgfest in Eisenach 1817 von Burschenschaftern undeutsche Schriften zusammen mit allerlei Gegenständen in die Flammen geworfen wurden. Zensur, gleich welcher Art und Richtung, war Heine jedenfalls ein Gräuel.
Dies wurde auch klar, als sein Verleger Johann Friedrich Cotta eine Artikelserie von Heine, in der dieser von seinem französischen Exil aus die Pariser Juli-Revolution euphorisch beschrieb, erst anonym abdruckte und dann – nach einer Intervention von Metternich – die Fortsetzung der Serie einstellte. Cottas Konkurrent, Julius Campe, fasste Heines Pariser Reportagen in einem Buch zusammen, den berühmten »Französischen Zuständen«. Sie trafen auf ein offenes Ohr bei freiheitsliebendem, liberalem Publikum in Deutschland und ließen die Verlegerkasse klingeln. Nach polizeilichen Hausdurchsuchungen und Verhören weigerte sich Campe jedoch, Heines Vorrede zum Buch im Original abzudrucken. Der empörte Schriftsteller veranstaltete deswegen eine eigene Auflage in Paris, die mit dem Satz begann: »Wie ich vernehme, ist die Vorrede zu den ›Französischen Zuständen‹ in einer so verstümmelten Gestalt erschienen, daß mir wohl die Pflicht obliegt, sie in ihrer ursprünglichen Ganzheit herauszugeben.«76
Am Höhepunkt seines Kampfes gegen die Zensur im Deutschen Bund griff Heine zum Mittel des Zensurstriches, um auf die amtlich verordneten Textlücken in überhöhter Form hinzuweisen. Im zwölften Kapitel seiner »Reisebilder« steht dann zu lesen:77
»Die deutschen Zensoren - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Dummköpfe - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -.«
Die Reaktion auf diese Provokation folgte prompt. Der Hinweis auf Lücken im Text wurde verboten. Im Jahr 1835 beschloss der Frankfurter Bundestag als ständig tagender Kongress des »Deutschen Bundes« ein vollkommenes Verkaufs- und Publikationsverbot aller Schriften Heinrich Heines, einschließlich derer, die in Zukunft erscheinen könnten. Nachdem 1844 dann noch ein preußischer Haftbefehl gegen den Dichter erlassen wurde, blieb Heine nur das Exil in Paris. Dort starb er im Alter von 59 Jahren.
Die zu Unrecht in Vergessenheit geratene deutsche Schriftstellerin und Feministin Louise Aston war eine der wenigen politisch verfolgten Frauen ihrer Zeit. Geboren im sachsen-anhaltinischen Gröningen, wurde die Tochter eines evangelischen Theologen in jungen Jahren, wie damals in ihren Kreisen üblich, standesgemäß verheiratet. Ihr Ausbruch aus dem bürgerlichen Leben führte sie mitten hinein in eine vormärzlich-revolutionäre Grundhaltung, die sie die Institution der Ehe aus frauenrechtlicher Sicht ablehnen ließ. »Die Ehe macht zum Eigentum, was nimmer Eigentum sein kann: die freie Persönlichkeit; weil sie ein Recht gibt auf Liebe, auf die es kein Recht geben kann.«78
Derlei Bekenntnisse kamen zur Mitte des 19. Jahrhunderts gesellschaftlich nicht gut an, umso weniger, wenn sie von einer emanzipierten Frau getätigt wurden, die sich offen gegen Religion und Patriarchat stellte. In intellektuellen Berliner Literaturzirkeln fiel sie auch dadurch auf, dass sie Männerhosen trug, rauchte und ein freies Liebesleben führte. Mehrmalige denunziatorische Eingaben von Nachbarn führten dazu, dass Louise Aston als wahrscheinlich erste deutsche Frau im Jahr 1846 aus einer Stadt – Berlin – ausgewiesen wurde, und zwar wegen »unsittlichen Verhaltens«.79 In Reaktion darauf erschien ihre Streitschrift »Meine Emancipation, Verweisung und Rechtfertigung«, die zumindest in ihren Zirkeln Aufsehen erregte.
Nachdem sich Aston während der März-Revolution 1848 an den Aufständen in Schleswig-Holstein und Berlin beteiligt hatte, wurde sie im Dezember 1848 erneut aus der preußischen Hauptstadt verwiesen. In diesem Fall war es ihr revolutionäres Engagement und die von ihr herausgegebene Zeitschrift Der Freischärler, in der sie einen politischen Umbruch propagierte, die zur Abschiebung führten. Als »Briefbotin der Demokratie« reiste sie die Jahre nach 1848 durch Europa und machte in insgesamt 14 Städten negative Bekanntschaft mit den Behörden, die für die Aufenthaltsgenehmigung zuständig waren.80 Der Zensur schlug sie meistens ein Schnippchen, indem sie ihre Schriften an den unterschiedlichsten Orten drucken ließ und zu Recht damit spekulierte, dass die Kommunikation zwischen den zersplitterten deutschen Fürstentümern nicht wirklich funktionierte.
Der aus dem damals preußischen Trier stammende Philosoph und Ökonom Karl Marx machte gleich zu Beginn seiner Laufbahn als politischer Journalist Bekanntschaft mit der Zensur. Als Hauptredakteur der von liberal eingestellten Kölner Unternehmern gegründeten Rheinischen Zeitung schlug er schon wenige Monate nach Erscheinen der ersten Nummer im Oktober 1842 einen radikalen oppositionellen Ton an. Die Berliner Behörden waren sogleich alarmiert und sandten – auf Basis der »Karlsbader Beschlüsse« – einen speziellen Zensor, dessen Einsprüche und Verbote Marx allerdings häufig ignorierte. Die Folge war ein Verbot des Blattes zum 1. April 1843, womit die Journalistenkarriere des Gesellschaftskritikers in Deutschland fürs Erste unterbrochen war. Aufenthalte in Frankreich und Belgien endeten nach kurzer Zeit mit formellen Ausweisungen. Zurück in Deutschland gründete Marx die Neue Rheinische Zeitung, der ebenfalls nur ein sehr kurzes, knapp einjähriges Leben beschieden war. Eine Anklage wegen »Aufreizung zur Rebellion« endete zwar 1849 mit einem Freispruch, aufgrund der Tatsache, dass Marx bereits Jahre zuvor die preußische Staatsbürgerschaft abgelegt hatte, ereilte ihn nun allerdings dasselbe Schicksal wie zuvor in Frankreich und Belgien: Ausweisung. Im Londoner Exil verfasste er schließlich mit Hilfe von Friedrich Engels sein weltberühmtes Werk.
Mindestens so interessant wie Marxens persönliche Erfahrung mit der Zensur ist seine politische und sozioökonomische Einschätzung derselben. Sein vehementes Eintreten für die Pressefreiheit, die er »Gestalt der Idee, der Freiheit, ein positiv Gutes«81 nennt, bestimmt sein lebenslanges Schaffen. Darüber hinaus analysiert er messerscharf die Funktion der Zensur und sieht in ihr »die Kritik als Monopol der Regierung.«82 Und er wehrt sich als einer der ganz wenigen Intellektuellen seiner Zeit dagegen, einen gemeinsamen Kampf für Gewerbefreiheit und Pressefreiheit zu führen. Seine Klassenanalyse zeigt ihm, dass die beiden nichts miteinander zu tun haben. »Deine Freiheit ist nicht meine Freiheit, ruft die Presse dem Gewerbe zu«, schreibt Marx an einer Stelle und plädiert dafür, dass sich die Presse »nicht zum Gewerbe herabwürdigen« lassen darf.83 Die bürgerlich-liberale Freiheit, für die Verleger als Unternehmer kämpfen, ist nicht die seine; in letzter Konsequenz sei sie, so Marx, die Unterordnung der Freiheit unter das Eigentum.