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Die Karlsbader Beschlüsse von 1819

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»Das Mittelalter hatte seine Hexenprozesse und Ketzergerichte, wir haben unsere politischen Preß- und entfernten Hochverratsprozesse.«67 Dieses kräftige Zitat stammt aus der Feder des Rechtswissenschaftlers Carl Theodor Welcker und ist der ersten Auflage des von ihm herausgegebenen Staatslexikons entnommen, einer in den 1830er Jahren erschienenen 15-bändigen Enzyklopädie. Welcker spricht damit die bleierne Zeit der politischen Reaktion an, die nach dem Wiener Kongress das deutsche Geistesleben lahmlegte. Der Nachwelt unter dem Namen Biedermeier bekannt, steht diese bis zur Revolution des Jahres 1848 reichende Epoche für eine von oben erzwungene politische Totenstille, in der sich unten im Volk das Kleingeistige, Hausbackene, Reaktionäre spiegelte. Der Begriff »Biedermeier« geht im Übrigen auf die fiktive Figur des Spießbürgers Gottlieb Biedermaier zurück, die in den Gedichten des humoristischen Dichters Ludwig Eichrodt eine Hauptrolle spielte, der sich freilich erst in den 1850er Jahren über das Menschenbild der Vergangenheit lustig machen konnte.

Der entscheidende Schritt in Richtung Totalzensur wurde im böhmischen Karlsbad getan. Dort, im bekannten Kurort, trafen einander im heißen August des Jahres 1819 die Minister des »Deutschen Bundes«, dem seit 1815 alle deutschsprachigen Fürstentümer unter Einschluss Österreichs angehörten und der territorial vom ostpreußischen Königsberg bis an die Adria und vom schlesischen Kattowitz bis Luxemburg reichte – eine wahrhaft deutsch-europäische Einigung in der Nachfolge des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Wiederum war es Österreichs starker Mann, Fürst Metternich, der den Vorsitz führte. Getrieben von allgemeiner Revolutionsangst, galt es für die Herren des deutschsprachigen Europa, diese auszutreiben und den aufstrebenden demokratischen Kräften Einhalt zu gebieten. Mit einer großen, zuvor in dieser Komplexität nie dagewesenen Repressionsmaschine gingen Kaiser, Könige und Adelshäuser ans Werk. In vier Gesetzeswerken wurden studentische Organisationen verboten, Schulen und Universitäten überwacht, eine allgemeine Turnsperre verhängt, liberal und national gesinnte Lehrer entlassen sowie ein Pressegesetz in Blei gegossen, das jede freie Meinungsäußerung unterband. Das vollkommen Neue daran war die Zentralisierung der Maßnahmen in einer einzigen Untersuchungskommission, die von Mainz aus den gesamten Raum des »Deutschen Bundes« an die Kette legte. Mit den »Karlsbader Beschlüssen«, die kurz darauf an der Bundesversammlung in Frankfurt formal angenommen wurden, war die politische Zersplitterung der deutschen Landschaften in Fragen der Zensur und anderer Verbote überwunden.

Offiziell galt der Mord des Burschenschafters Karl Ludwig Sand am russischen Generalkonsul – deutscher Abstammung – August von Kotzebue am 23. März 1819 als Auslöser für die Karlsbader Beschlüsse. Kotzebue war glühender Gegner jeder revolutionären Strömung und attackierte in seinen Schriften die deutschen Burschenschaften, in denen er die Brutstätten von Liberalismus und Nationalismus sah. Der 25-jährige Sand war dabei, als am Wartburgfest 1817 im Zuge einer Bücherverbrennung auch Kotzebues Werk »Geschichte des deutschen Reiches« in die Flammen geworfen wurde. Mit den Worten »Du Vaterlandsverräter« ermordete Sand den Autor vor den Augen seiner Familie.

Der aufsehenerregende Mord an dem Monarchie-treuen Kotzebue war freilich nur der Vorwand, den die Herrschenden in deutschen Landen zu nutzen wussten. Tatsächlich lagen die nun verordneten Maßnahmen in dieser oder jener Form schon längst auf den Schreibtischen der Ministerien in Wien und Berlin. Deutschland, so hieß es im Gesetzestext von 1819, bedürfe des »Zustandes der vollkommenen Ruhe« und diese könne »unter einem wilden Zwiespalt der Meinungen (…) unmöglich gedeihen.«68 Folgerichtig sollte nur mehr eine Meinung erlaubt sein, diejenige, die für Ruhe und Ordnung unter der Führung der Monarchen sorgte. Alle übrigen Stimmen wurden als »Volksverhetzer« oder »Demagogen« gebrandmarkt.

Konkret bedeutete dies, sämtliche Presseorgane der Vorzensur zu unterwerfen, wobei man – Ironie der Geschichte – im ganzen Text der Beschlüsse das Wort Zensur vergeblich sucht. Diese Zurückhaltung in der Begriffswahl ging auf Baden-Württemberg zurück, denn Stuttgart plante just für die Tage der Veröffentlichung der »Karlsbader Beschlüsse« die Aufnahme der Pressefreiheit in seine Verfassung. Diese währte dann vom 25. September bis 1. Oktober 1819, dem Tag, an dem der Württembergische Vertreter die Beschlüsse von Karlsbad auch in seinem Land für bindend erklärte.

Im gesamten Gebiet des »Deutschen Bundes« gehörte nun – bis 1848 – die Preßfreiheit der Vergangenheit an. Alle Druckwerke, die unter 20 Bögen (320 Seiten) stark waren, unterlagen ab sofort der Vorzensur. Der Text jeder Zeitung und jeden handlichen Buches musste vorab Zensoren vorgelegt werden. Sollte keine Freigabe erfolgen, durfte der entsprechende Redakteur für fünf Jahre keine Zeitung oder keinen Verlag im deutschen Sprachraum mehr leiten. Für Bücher größeren Umfangs überließ es die Mainzer Untersuchungskommission den einzelnen Staaten, dafür eine Nachzensur einzurichten, also das Werk erst nach der Drucklegung zu überprüfen. Von wissenschaftlichen Wälzern, so die Überlegung dieser möglichen Ausnahme von der Vorzensur, ging wohl wenig Gefahr für den Bestand der Monarchien aus. Während Bayern dort, wo es erlaubt war, auf Nachzensur setzte (und diese vergleichsweise zurückhaltend anwandte), verzichteten Österreich, Preußen und Sachsen sowie Hannover auf jede Ausnahme. Hier war die Vorzensur für jedes Werk üblich.

Wie ernst es der nun zentralistisch verwalteten Zensurbehörde mit der Durchsetzung war, zeigt das Beispiel des Großherzogtums Baden. Dort war in Anerkennung der französischen Julirevolution von 1830 der Versuch unternommen worden, die Vorzensur im Pressewesen aufzugeben. Sogleich trat der »Deutsche Bund« auf den Plan und Metternich persönlich drohte gar damit, diese Unbotmäßigkeit militärisch eindämmen zu wollen.69 Im vormärzlichen Karlsruhe herrschte – verglichen mit anderen deutschen Staaten – ein liberalerer Geist. So bildete sich Ende der 1830er Jahre beispielsweise ein badischer Jungfrauverein, in dem sich Mädchen versammelten, die sich gemeinsam verschworen, mit keinem Zensor zu tanzen und schon gar keinen zu heiraten. Freilich starben ob dieses Widerstandes die großherzöglichen Zensoren nicht aus.70

Auch die im Königreich Württemberg erscheinende Zeitung »Teutscher Beobachter« geriet mehrmals ins Fadenkreuz der Zensurkommission; dies allein deshalb, weil dort Berichte über revolutionäre Stimmungen in Spanien und Italien zu lesen waren.71 Das »System Metternich« war für Spielräume dieser Art nicht zu haben, Zensur und Spitzelwesen erreichten unter ihm eine bis dahin nicht gekannte Perfektion. Es ist bezeichnet, dass Metternich seinem kurzfristigen Gegenspieler auf französischer Seite, Polizeiminister Joseph Fouché, der das napoleonisch-französische Zensurwesen in extenso betrieben hatte, nach dessen Verbannung 1816 in Österreich Asyl gewährte.

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