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Die kurze 1848er-Freiheit und die Verrechtlichung der Zensur
ОглавлениеAls Ende Februar 1848 in Reaktion auf die königliche Aufhebung einer Wahlrechtsreform in Paris der Aufstand ausbrach, erreichte das revolutionäre Echo die Großstädte Berlin und Wien in nur vierzehn Tagen. Der Sturz von Staatskanzler Metternich zum 13. März 1848 in Wien und die Einberufung einer Nationalversammlung in Berlin sind die markantesten Fanale des kurzen Frühlings der Freiheit, die auch die Meinungs- und Pressefreiheit inkludierte. Sie war freilich nicht von Dauer.
Erstmals in deutschen und österreichischen Landen konnte angedacht werden, was zuvor unter Strafe verboten war. Die Revolution, in der sich Studenten, Bürger, Arbeiter und Bauern kurzfristig zusammengeschlossen hatten, sollte in eine Staatsverfassung, eine politische Konstitution, münden. Beide Begriffe – Verfassung oder Konstitution – unterlagen zuvor strengster Zensur, wie ein Handbillett des Habsburgers Kaiser Franz I. im Jahr 1817 dokumentiert. In einem überlieferten Wortwechsel mit seinem Leibarzt, Baron Stift, beruhigte ihn dieser während einer schweren Erkältung mit den Worten: »Euer Husten hat nichts zu bedeuten. Ich kenne Eure Majestät ja schon so lange, es geht nichts über eine gute Konstitution«. Daraufhin empört sich der Kaiser: »Was sagen Sie da! Wir sind alte Freunde, aber dieses Wort (Konstitution, d. A.) lassen Sie mich nicht wieder hören. Sagen sie ›eine dauerhafte Natur‹ oder in Gottes Namen eine gute Komplexion; eine gute Konstitution gibt es nicht!«84 In ganz Europa achteten die Fürstenhäuser panisch darauf, dass ihre Macht nicht durch verfassungsmäßige Niederschriften eingehegt wurde. Die 1848er-Revolution beendete die fürstliche Allmacht. Grund- und Bürgerrechte wurden kodifiziert, die Gleichheit vor dem Gesetz festgeschrieben, Versammlungs- und Pressefreiheit installiert.
Bereits ein Jahr nach den Aufständen, im März 1849, war der revolutionäre Elan im Keim erstickt. In Österreich ließ der erst 18-jährige Kaiser Franz Joseph I. von seinem Exil in Olmütz aus, wohin der Hof aus Angst vor den Revolutionären geflohen war, eine Verfassung zwecks Fortbestands seiner Macht dekretieren. Über Meinungs- und Pressefreiheit steht in den 123 Paragraphen nichts vermerkt, es geht – neben anderem – um Eigentumsrechte, Personenfreizügigkeit und Abschaffung der Leibeigenschaft.85 Selbst dieser zaghaft konstitutionelle Charakter einer ersten österreichischen Staatsordnung wurde schon zwei Jahre später wieder beseitigt. Das Vorpreschen des Habsburgers mit seiner oktroyierten Märzverfassung bewirkte zudem in außenpolitischer Hinsicht die Abnabelung Österreichs vom Deutschen Bund und damit die sogenannte kleindeutsche Lösung.
Erst Wochen danach, am 28. März 1849, reagierte die Frankfurter Nationalversammlung mit der Paulskirchenverfassung, die als politisches System eine konstitutionelle Monarchie vorsah. Zur Meinungs- und Pressefreiheit stand darin zu lesen: »Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern. Die Preßfreiheit darf unter keinen Umständen und in keiner Weise durch vorbeugende Maßnahmen, namentlich Censur, beschränkt, suspendiert oder aufgehoben werden.«86
Eine Reihe von deutschen Staaten weigerte sich allerdings, die neue Verfassung anzuerkennen, wodurch sie formal nie in Kraft trat.
Neben der vor allem durch die Herrscherhäuser Preußens, Österreichs und Russlands betriebenen politischen Restauration waren auch im Bürgertum Stimmen laut geworden, die sich durch das Jahr der völligen Pressefreiheit gestört sahen. Der Historiker Wolfram Siemann spricht für die Monate nach dem Aufstand von einer »exzessiv wahrgenommenen Pressefreiheit«, die alteingesessenen Buchhändlern und Verlegern mit ihren »hohen Auflagen des Tagesschrifttums«87 unangenehme Konkurrenz machte. Hunderte neue Zeitungen und ungezählte Flugschriften hatten im Revolutionsjahr 1848 die großen Städte überschwemmt. Dass darunter viele waren, die sich nicht einzig und allein der hehren Freiheit verschrieben hatten, darf angesichts der aufgestauten Volkswut nicht verwundern. Antisemitisches war darunter und Frauenverhöhnung, rassistische Anklänge und allerlei Derbes. Und manchmal vermischte sich Gutes und Böses, Erhabenes und Verächtlichmachendes, wie beispielsweise auch in der letzten, von Karl Marx herausgegebenen Ausgabe der Neuen Rheinischen Zeitung, dem Flaggschiff der Progressiven und Linken. Das Abschiedswort zur Ausgabe des 19. Mai 1849, dem Tag ihres Verbotes, steuerte der Dichter Ferdinand Freiligrath in Form eines Gedichtes bei:
»Kein offner Hieb in offner Schlacht,
Es fällen die Nücken und Tücken,
Es fällt mich die schleichende Niedertracht
Der schmutzigen West-Kalmücken!«88
Ausgerechnet das mongolische Volk der Kalmücken – womöglich in Anspielung auf die Russen? – muss hier als Inbegriff der Reaktion herhalten, die hinterhältig den journalistischen Hoffnungsträger liquidiert. Deshalb nach Zensur zu rufen, wie es manch ehrbarer und gutsituierter Unternehmer tat, war damit allerdings mitnichten gerechtfertigt.
Die neue Verbotswelle trieb tausende deutsche Intellektuelle bevorzugt nach England, in die Schweiz und nach Frankreich; unter ihnen auch Karl Marx und Ferdinand Freiligrath, Heinrich Heine und den Literaten Georg Friedrich Herwegh.
Nach der Niederschlagung der 1848er-Revolution änderte sich das Zensurwesen substanziell. An die Stelle der Allmacht des staatlich bestimmten Zensors trat eine zunehmende Verrechtlichung der Publikationskontrolle. Eine Rückkehr zur ebenso einfachen wie repressiven Vorzensur gab es nicht. Stattdessen rollte die Staatsmacht einen Wulst von Gesetzen aus, die Drucker, Verleger und Buchhändler behördlich an die Kandare nahmen. Mittels der Vergabe von Gewerbekonzessionen, staatlichen Berufsprüfungen und Kautionshinterlegungen wurden die Hersteller von Zeitungen und Büchern einem neuen Regime unterworfen. Mit der Verrechtlichung erhöhte der Staat das ökonomische Risiko in der ganzen Branche. Dreh- und Angelpunkt dafür war der Konzessionszwang,89 der Verleger und Buchhändler dazu verpflichtete, vom Staat eine Betriebsgenehmigung einzuholen. Zudem musste beispielsweise bei der Gründung einer Zeitung eine Kaution hinterlegt werden, mit der mögliche Strafzahlungen bei Zensurvergehen beglichen werden konnten. Genehmigungspflichten und Konzessionsvergaben mit Kautionen zu verbinden, lief letztlich darauf hinaus, dass die jeweiligen Unternehmer sich einer Selbstzensur unterwarfen, um behördliche Betriebsschließungen und vor allem auch hohe Strafen zu vermeiden, für die sie bereits im Vorfeld gezwungen wurden, ein Gelddepot anzulegen.
Idealtypisch wurde diese Verrechtlichung im preußischen Pressegesetz vom 12. Mai 1851 umgesetzt. Es ging implizit von der Gefährlichkeit des Journalismus für die Obrigkeit aus und halste dessen Kontrolle den Eigentümern auf, ohne auf direkte staatliche Überwachung zu verzichten. Denn neben den Konzessionen und der Kautionspflicht bestand eine Ablieferung von Pflichtexemplaren jeder Publikation an die Polizeibehörde, die damit die Aufgabe eines Zensors übernahm. Über allen Druckwerken schwebte damit das Damoklesschwert der Beschlagnahmung.