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V. Zusammenfassung und Ausblick

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A.1. Die Forderung nach Schriftgemäßheit von Lehre und Leben der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen erwies sich im Verlauf der Geschichte als Aporie und hat am Beginn des 21. Jahrhunderts mehr denn je als uneingelöst zu gelten.

Es stellt sich die Frage:

Muss der Protestantismus sich von seinem selbst auferlegten Anspruch verabschieden – oder aber diesen Anspruch neu formatieren?

A.2. Der ,Stadtplan der Bibel‘, den der Reformator Martin Luther durch sein Studium der Heiligen Schrift und seine geistliche Erfahrung entdeckt hatte, war offensichtlich keine sich zwangsläufig ergebende Perspektive; er ließ sich deshalb als hermeneutischer Schlüssel zum Umgang mit der Bibel nur bedingt formalisieren und für die Zukunft anwendbar machen.

Es stellen sich Fragen:

– Inwiefern haben sich die hermeneutischen Bedingungen so verändert, dass Luthers Zugang zur Bibel nicht deckungsgleich übernommen werden kann?

– Kann die Kirche bzw. die theologische Wissenschaft diese Veränderungen präzise benennen?

– Inwiefern haben Kirche und Theologie die Aufgabe und die Möglichkeiten, diese Bedingungen zu bearbeiten?

A.3. Das im Anschluss an Luther in der Zeit nach ihm konkretisierte Schriftprinzip galt faktisch nie ohne bekenntnismäßige oder andere hermeneutische Absicherungen.

Es stellen sich Fragen:

– Haben die aktuell jeweils geltenden Bekenntnisse noch die Kraft, Kirche(n) als Interpretationsgemeinschaft(en) der Heiligen Schrift zu einen?

– Sind neue exegetische Konsense in Sicht, die als hermeneutische Leitlinien geeignet wären, zur Basis von Interpretationsgemeinschaften zu werden?

– Welche Aufgaben stellen sich für wissenschaftliche Schriftauslegung und Systematik, wenn Antworten auf diese Fragen formuliert werden sollen?

1 ULRICH LUZ, Das Evangelium nach Matthäus, Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament, Bde. I–IV, Neukirchen-Vluyn 1985ff.

2 Ulrich LUZ, Theologische Hermeneutik des Neuen Testaments, Neukirchen-Vluyn 2014.

3 ebd., 8.

4 ebd., 8f (Hervorh. i. O.).

5 ebd., 10 (Hervorh. i. O.).

6 ebd. (Hervorh. i. O.).

7 vgl. dazu auch ULRICH LUZ, Kann die Bibel heute noch Grundlage für die Kirche sein? sowie DERS., Was heißt „Sola scriptura“ heute? Ein Hilferuf für das protestantische Schriftprinzip; dort (28) heißt es: „Für mich als Neutestamentler ist die Frage, ob es heute noch möglich ist, beim protestantischen Schriftprinzip zu bleiben, die schwierigste für meine evangelische theologische Identität.“

8vgl. auch FRIEDEMANN STENGEL, Sola scriptura im Kontext. Behauptung und Bestreitung des reformatorischen Schriftprinzips, Leipzig 2016. – Umfassend: JÖRG LAUSTER, Prinzip und Methode. Die Transformation des protestantischen Schriftprinzips durch die historische Kritik von Schleiermacher bis zur Gegenwart, Tübingen 2004.

9 WOLFHART PANNENBERG, Die Krise des Schriftprinzips, 13.

10 ROCHUS LEONHARDT, Unklarheit über die Klarheit der Schrift.

11 MARTIN LUTHER, Vom unfreien Willen, 13: „Wenn ein gemeiner Brunnen öffentlich auf dem Markte ist, wer wollt so närrisch sein und sagen, er wäre nicht am Tage öffentlich, ob etliche, die im Winkel wohneten, ihn nicht sehen?“

12 ROCHUS LEONHARDT, Unklarheit über die Klarheit der Schrift, 162 (Hervorh. i. O.).

13 zit. nach LUZ, Theologische Hermeneutik, 105f (Hervorh. i. O.; aus: MARTIN LUTHER, Assertio omnium articulorum, WA VII, 97; deutsch in: DERS., Lateinisch-deutsche Studienausgabe, Band 1 Der Mensch vor Gott, hrsg. v. Wilfried Härle u.a., Leipzig 2006, 78ff).

14 ROCHUS LEONHARDT, Unklarheit über die Klarheit der Schrift, 163 (Hervorh. i. O.).

15 ebd. (Hervorh. i. O.).

16 Die BEKENNTNISSCHRIFTEN DER EVANGELISCH-LUTHERISCHEN KIRCHE. Vollständige Neuedition, Göttingen u. Oakland 2014.

17 UNSER GLAUBE. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, 774f (Hervorh. Verf.).

18 ATHINA LEXUTT, Unica regula et norma, 143 (Hervorh. Verf.).

19 ebd., 159 (Hervorh. Verf.).

20 ebd., 164f (Hervorh. Verf.).

21 UNSER GLAUBE, 64 (Hervorh. Verf.).

22 vgl. ULRICH LUZ, Theologische Hermeneutik, 108ff.

23 so PETER STEMMER, Weissagung und Kritik, 41.

24 ebd., 44 (Hervorh. Verf.).

25 ebd.: „Das Lehrstück der ,analogia fidei‘ – und damit die Herrschaft der Dogmatik über Exegese und Hermeneutik – blieb nicht flacianisch. […] Sowohl die wichtigste Hermeneutik des 17. Jahrhunderts, die ,Philologia Sacra‘ von Salomon Glassius, als auch Johann Jacob Rambachs ,Institutiones hermeneuticae sacrae‘ […] lehren die ,analogia fidei‘“ (Hervorh. Verf.).

26 vgl. ULRICH LUZ, Theologische Hermeneutik, zitiert in Fußnote 4.

27 WOLFHART PANNENBERG, Überlegungen zum Problem der Bekenntnishermeneutik, 296f. – Vgl. auch DERS., Bleiben in der Wahrheit als Thema reformatorischer Theologie, 132: Pannenberg geht davon aus, „dass ein Lehrkonsens unter den aus der lutherischen Reformation hervorgegangenen Kirchen für eine Fortschreibung der Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts im nächsten und vollends in den folgenden Jahrhunderten kaum zu erzielen gewesen wäre. […] so sind die lutherischen Kirchen zwar im Bewusstsein ihres geschichtlichen Ursprungs vereint geblieben, auch in der Berufung auf die Augsburger Konfession als Grundbekenntnis der lutherischen Reformation, doch ohne die Fähigkeit zu gemeinsamer Fortschreibung verbindlicher kirchlicher Lehre, wie sie in den Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts ihren Ausdruck gefunden hat.“

28 GRUNDORDNUNG DER EKD, Vorspruch: „Für das Verständnis der Heiligen Schrift wie auch der altkirchlichen Bekenntnisse sind in den lutherischen, reformierten und unierten Gliedkirchen und Gemeinden die für sie geltenden Bekenntnisse der Reformation maßgebend“ (GO-EKD, 3).

29 ULRICH KÜHN, Welche Bedeutung hat das lutherische Bekenntnis heute?, 132.

30 ebd., 138f.

31 ULRICH KÜHN, Wie lehrt die Kirche heute verbindlich?, 131.

32 VOM GEBRAUCH DER BEKENNTNISSE (EKD-Texte 53), 9.

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