Читать книгу Andersfremd - Hans-Henning Paetzke - Страница 17
Ein Schnippchen geschlagen
ОглавлениеDie Bindungen an meine Geburtsstadt haben sich zu verschiedensten Zeiten und aus verschiedensten Gründen immer wieder erneuert. Als ich 1968 jenes Land, das DDR geheißen hat, verließ und ihm voller Glücksgefühle keine einzige Träne nachweinte, nahm ich in Leipzig Abschied vom Grab Georg Dertingers, vom früheren Generalsekretär der christlichen Blockpartei CDU und ersten Außenminister der DDR, der Anfang 1953 verhaftet, 1954 als angeblicher Spion zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt und 1964 begnadigt worden war. Sein dorniger Weg hatte ihn ebenso in den Hafen eines katholischen Leipziger Verlags einlaufen lassen wie mich. Abschied nahm ich auch von Inge, Assistentin von Ernst Bloch, auf Anraten der Organe gefeuert, als Lektorin in einem katholischen Verlag untergekommen, bis zu Ernst Blochs Tod 1977 immer wieder von der Stasi vorgeladen, um nach dem Philosophen befragt zu werden, Abschied von einer mütterlichen Freundin also, die mir zwei Dinge mit auf den Weg gab: Zum einen solle ich viel deutsch lesen, um das muttersprachliche Gespür für die Sprache nicht zu verlieren, und zum anderen solle ich ihr ein ungarisches Buch vorschlagen und ins Deutsche übersetzen.
Schnell hatte ich mit Hilfe ungarischer Freunde einen hervorragenden ungarischen Autor und dessen neuesten Roman entdeckt: Saulus. Ein gewagtes Buch, für die DDR ein trojanisches Pferd, geht es doch in Miklós Mészölys Roman um nichts weniger als um die Frage, ob aus einem Verfolger, sprich: einem Staatssicherheitsdienstler, wenn er auf der Suche nach der absoluten Wahrheit seinen Irrtum erkannt habe, ein Verfolgter werden könne. Inge, die Miklós in Budapest kennenlernt und sowohl vom Autor als auch von dessen Buch, von dessen Format ihr andeutungsweise eine Vorstellung vermittelt wird, begeistert ist, erkennt die Chance, unter dem Aushängeschild eines religiösen Romans in Leipzig brisante Literatur verlegen, der Zensurbehörde ein Schnippchen schlagen zu können.
1970 erscheint der Roman auf Deutsch. Das Ostberliner Büro für Urheberrechte hat die Attacke gegen die sozialistische Literatur verstanden, wenn auch verspätet, und mich davon in Kenntnis gesetzt, dass ich als Übersetzer von nun an in der DDR unerwünscht sei. 20.000 in Kirchen und kirchlichen Buchhandlungen verkaufte Exemplare und das Erlernen der ungarischen Sprache während der Arbeit an dem Buch haben sich gelohnt.