Читать книгу Achter Stock - Endstation - Hans-Jürgen Setzer - Страница 16
Wer kann es besser?
ОглавлениеLeon Walters hatte, wie so oft, den richtigen Riecher. Er saß seit mehreren Stunden vor dem Seniorenstift in seinem privaten Wagen. Der Dienstwagen war für solche Dinge einfach eine Fehlkonstruktion. Da könnte man ja gleich eine Leuchtreklame auf dem Dach anbringen. Er konnte kaum noch sitzen. Es war kurz vor Feierabend für das Verwaltungspersonal im Stift und er wartete auf eine Eingebung für eine gute Story. Das mit Peter Kastor war eine Sache. Daraus konnte man sicher eine lesenswerte Geschichte für viele Leser machen. Dennoch, Leon war immer auf der Suche nach dem ultimativen Kick: Der Verschwörungsgeschichte, die als Sensation einschlagen würde. Das war wie eine Sucht. Und er hatte so ein seltsames Gefühl, seit er mit diesem Auftrag betraut wurde, sie vielleicht hier finden zu können.
Viel Aufregendes konnte er nicht erkennen. Er hatte ein Richtmikrofon dabei, um Geräusche aus der Umgebung zu verstärken und ein kleines Fernglas mit integrierter Infrarotfunktion. Mit einem Kopfhörer konnte er damit Gespräche belauschen und beobachten. Das Ganze war gekoppelt mit einem Rekorder, mit dem man aufzeichnen konnte. Günstig war es, dafür die Seitenfenster herunterzukurbeln. Ein Gespräch zwischen dem Koch und einem Besucher an der Rampe erschien ihm mehr als seltsam.
Der Herr mit russischem Akzent, David nannte er sich, forderte von dem Koch Sascha Fleisch in großen Mengen. Das klang nach einer illegalen Machenschaft. Das ließ sich vielleicht nutzen, würde allerdings kaum jemanden interessieren, außer der Chefin des Heims. Auf einen Zettel schrieb er: „Wir müssen dringend über David reden. Ich melde mich morgen bei Ihnen.“ Dazu packte er seine Visitenkarte und steckte es in einen Umschlag auf den er schrieb: „An den Küchenchef.“ Er gab es bei einem Hilfskoch am Küchenhintereingang ab und war sich sicher, dass Sascha anrufen würde. Ein wenig zufriedener stieg er wieder in seinen Wagen.
Eigentlich wollte er gerade aufgeben, sich eine Pizza holen und nach Hause fahren. Da geschah es. Anna Liebenstein kam um die Ecke und lief zu Fuß die Straße entlang, sich dabei häufiger umschauend. Es wirkte irgendwie auffällig. Wenige Augenblicke später sah er Sascha Berg auf seinem Fahrrad wie einen unauffälligen Schatten ihr folgen.
„Was wird denn das? Wenn du so weitermachst, sieht sie dich, Berg, du Schussel“, sagte Leon zu sich selbst. „Der lässt ja wirklich nichts aus, wie es scheint“, gab er ein wenig mürrisch von sich.
Plötzlich drehte Sascha Berg um und brauste mit seinem Fahrrad in umgekehrter Richtung davon, kaum, dass er die Verfolgung von Anna Liebenstein aufgenommen hatte. Leon duckte sich schnell, um nicht gesehen zu werden.
„Gut, dann übernehme ich die Verfolgung, Kollege. Das halte ich sowieso für die bessere Idee.“ Leon Walters stieg leise und vorsichtig aus seinem Wagen. Er hatte sich sportlich gekleidet in einem Trainingsanzug, als wolle er joggen gehen und zog eine Baseballkappe tief ins Gesicht. Er hätte sich nicht einmal selbst in seinem Spiegelbild erkannt. Auf der anderen Straßenseite, in einem Grünstreifen, lief er hin und her, machte dabei Gymnastik und beobachtete unauffällig jede Bewegung der Altenheimchefin.
„Wo wohnst du oder was hast du vor, Anna? Du wirst es mir verraten, oder?“
Plötzlich bog Anna Liebenstein in einer Häuserfront in einen schmalen Korridor zwischen zwei hohen Häusern ab und ging eine Kellertreppe hinunter. Die Tür knarrte und quietschte wie in einem alten Gruselfilm.
„Was macht sie denn in dieser dunklen Gegend?“, fragte sich Leon.
Vorsichtig näherte er sich dem Gebäude. Er versuchte, irgendwo eine Gelegenheit zu finden, um etwas hören oder sehen zu können. Auf der Rückseite des Hauses gab es ein altes Kellerfenster mit Sprossen und vielen kleinen Scheiben, die dunkel gestrichen waren. Ein kleiner Kratzer in der Farbe von innen gab die Sicht frei. Dort sah er eine lange, schwere Tafel aus edlem Holz. In den Tisch war ein großes Dreieck als Aussparung eingelassen. Dieses Zeichen (Delta) war überall zu erkennen, an den Wänden, als Kerzenleuchter und auf den Gewändern. Etwa 30 Frauen waren in schwarzen Roben, ebenfalls mit diesem Zeichen versehen, darin versammelt. Anna trat hinzu und setzte sich mit zwei Begleiterinnen an den Kopf der Tafel. Sie saß außen links, in der Mitte eine etwas ältere Dame mit strengem Blick und die Haare zu einem Knoten geformt. Hören konnte er leider nichts. Eine junge, sehr attraktive Dame wurde hereingeführt.
Leon glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Sie wurde entblößt und zu einem Stuhl geführt, der dem beim Frauenarzt in gewisser Weise ähnelte, doch war er primitiv aus Holz und Leder und bildete ein Dreieck mit der Spitze nach vorne. Die junge Frau wurde auf den Stuhl gesetzt und an jeder Seite von drei Schwestern gehalten. Die ältere Dame vom Dreiergespann lief dreimal bedeutungsvoll in Form eines Dreiecks mit einem rauchenden Gefäß um diese herum.
„Oh Gott, was haben die vor?“, entfuhr es Leon. Gleichzeitig erregte ihn die Vorstellung der unter den Roben offensichtlich nicht allzu viel Kleidung tragenden Damen. Die Großmeisterin trat nun mit dem rauchenden Gefäß zwischen die Beine der Frau und zog einen kleinen glühenden Metallstab heraus. Die junge Frau schloss die Augen und Leon konnte es kaum glauben. Sie führte den Stab an sie heran und drückte ihn oberhalb der Stelle, die Leon als Mann am liebsten bei Frauen mochte. Er kauerte sich instinktiv zusammen, als hätte man ihn selbst gebrandmarkt. Zu sehen war, soweit er das aus der Entfernung erkennen konnte, wieder dieses Delta. Die junge Dame ertrug es offensichtlich ohne größeren Widerstand, schien fast in einer Art Trance, sonst müsste das doch höllisch weh tun, sagte er sich. Danach traten alle der Reihe nach vor sie hin und küssten ihren Schambereich mit der neuen Verzierung.
Es gab einen Schlag und eine Flasche klirrte zu Boden. Leon Walters hatte in der freudigen Erregung leider übersehen, dass irgend so ein Penner hinter ihm eine leere, alte Weinflasche abgestellt hatte, die nun blöderweise zu Boden kullerte und einen riesigen Lärm verursachte. Er rannte so leise und so schnell er konnte zu seinem Wagen und fuhr und fuhr und fuhr.
Erst nach etwa zwei Stunden kam er in seiner Wohnung an, obwohl sie höchstens zehn Minuten entfernt lag. Er war völlig verwirrt und hatte nicht einmal bemerkt, dass er die ganze Zeit im Kreis gefahren war. Er wollte sichergehen, dass ihm wirklich niemand gefolgt war. Er hatte offensichtlich Glück. „Was um alles in der Welt war denn das eben?“ Er lag lange wach und schlief in dieser Nacht sehr unruhig und träumte immer wieder von der Situation in dem Keller.