Читать книгу Achter Stock - Endstation - Hans-Jürgen Setzer - Страница 7
Lust oder Frust?
ОглавлениеLeon Walters spürte eine Mischung aus ganz tief im Bauch empfundenem Ärger und gleichzeitig auch Faszination. So elegant und charmant war er schon lange nicht mehr abgekanzelt worden. Die Mischung aus Wut und Erregung wurde zu einem innerlichen Beben, das seinen Ausgang suchte.
„So eine arrogante Gans, lässt uns einfach hier so stehen“, entfuhr es ihm. Das milderte seine Unruhe nur minimal. „Blöde Kuh!“ Schon besser. „Na, der werde ich es zeigen.“ Gut, das war der Impuls, der weiterführen könnte. „Ich werde einen Artikel schreiben, über den sie noch lange nachdenken wird, diese Schnepfe.“ Er wusste aber auch schon wenige Augenblicke später, dass durch den Auftrag seines Chefs der Spielraum gegen null ging. Den Ärger würde er also runterschlucken müssen.
Leon Walters erfuhr Respekt und Aufmerksamkeit bei Veranstaltungen, die er besuchte. Jeder wollte eine gute Presse. So etwas wie heute war ihm noch nie widerfahren. Dabei wäre Anna Liebenstein sogar so etwas wie sein Typ, wenn man das so ausdrücken konnte. Sie hatte etwa sein Alter. Er schätzte sie so um Ende 30, Anfang 40. Im Laufe der Jahre hatte er so seine Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gemacht. Er wirkte auf Frauen, sicher einerseits aufgrund seines Charmes und des Intellektes, den er zweifelsfrei hatte.
Schon im Studium der Germanistik und im Nebenfach des Journalismus bemerkte er oft die Blicke der Mitstudentinnen. Auf Partys hatte er immer sehr schnell Kontakt, der auch meist bis zum nächsten Morgen dauerte. Äußerlich bevorzugte er eher den sportlich-legeren Stil in seinen Klamotten. Nur sehr selten sah man ihn in Anzug und Krawatte. Und das war bis heute so geblieben. Er hasste Verkleidungen, wie er sie nannte. Andere konnten machen, was sie wollten, aber er wollte durch sein Inneres überzeugen, nicht durch seine Fassade. Obwohl, manchmal war er sich da nicht ganz so sicher. Warum schauten ihm alle hinterher? Sein Inneres kannten sie dann ja wohl noch nicht.
Und trotz der Beliebtheit bei den Damen war Leon immer solo gewesen. Mehr als ein kurzer Flirt, höchstens über einige Wochen, war nicht drin. Dann brauchte er seine Freiheit zurück. Dann störte plötzlich die Nähe der anderen Person. Er fühlte sich eingeengt und fast erdrückt.
„Wie kriege ich eine spannende Geschichte über den Moselblick hin?“ Klar, einen kurzen Artikel über Moselblick und Frau Liebenstein für den Chef musste er ja wohl zähneknirschend abliefern. Aber nur die Show heute zu beschreiben, das wäre doch gegen jede Journalistenehre.
„Ihre Artikelentwürfe erwarte ich, wie immer, bis morgen früh in meinem Email-Postfach. Für wen hielt die sich eigentlich? Insiderinformationen müssen her. Vielleicht sollte ich mal nach einem neuen Bewohner Ausschau halten, der frisch nach Moselblick kommt. Der wäre sicher noch nicht unter der Fuchtel der Liebenstein und es würden am ehesten unverfälschte Informationen dabei herauskommen. Gut, Leon, wie kommst du an die Daten der Neuen? Bei der Schreckschraube werden sicher alle vom Personal vorsichtig sein, Daten herauszurücken.“
Walters lief durch die Flure des Seniorenstifts und das Schicksal meinte es gut mit ihm. Eine Pflegerin wechselte gerade Namensschilder aus.
„Na, Schichtwechsel im Seniorenstift finden sicher sehr häufig statt, nicht wahr? Ich meine bei den Bewohnern, nicht beim Personal“, schob Leon nach. Er sah fragend zu der jungen Dame.
Die junge Krankenschwester schaute ein wenig verunsichert.
„Oh, tut mir leid, ich vergaß, mich vorzustellen. Mein Name ist Leon Walters vom Koblenzer Tageskurier. Ihre Chefin, Frau Liebenstein, war so liebenswürdig, uns die Einrichtung zu zeigen und nun schauen wir uns alle noch ein wenig um.“
„Ach so, ja, das Sterben gehört hier leider dazu. Aber dafür kommen ja auch immer wieder neue, liebenswürdige Bewohner.“
„Und Sie wechseln gerade die Schilder aus?“, fragte Leon.
„Ja, das muss sein, denn ein Zimmer bleibt natürlich nie lange leer. Morgen oder übermorgen wird das Zimmer allerspätestens schon wieder belegt, nachdem alles gereinigt wurde und die neuen Möbel des Nutzers angekommen sind. Der neue Bewohner soll sich ja gleich zu Hause fühlen und nichts vom Vorgänger bemerken. Das würde doch ein seltsames Gefühl aufkommen lassen.“
„Ich verstehe, junge Dame, vielen Dank. Das ist alles sehr gut durchdacht und einfühlsam“, erwiderte Leon. „Dann wünsche ich einen ruhigen Dienst oder wie sagt man?“
„Ja, danke, das passt schon. Auch für Sie einen schönen Tag, Herr Walters. Schön, Sie kennengelernt zu haben.“
Dem geschulten Journalistenauge war natürlich der Name auf dem Türschildchen nicht entgangen. Gut, das war ein Anfang. Peter Kastor. Der Name würde sich sicher per Internet oder Telefonverzeichnis ausfindig machen lassen.