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Aller Anfang ist schwer

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Mia Neumanns erster Arbeitstag begann zum Glück mit einer Spätschicht. Das bedeutete, sie konnte ausschlafen, in Ruhe bei Mutter frühstücken, sich zurechtmachen und musste um 13:00 Uhr im Seniorenstift sein. Das war gut so, denn in der Nacht vorher hatte sie Besuch von Tim und seinem Freund Steven gehabt. Sie kamen gegen ein Uhr vorbei, um „Hallo“ zu sagen. Tim sagte, er sei abends bereits da gewesen, habe Mia nicht zu Hause angetroffen, denn er habe nur mal nach dem Rechten sehen wollen. Steven war Fußballer und körperlich gut durchtrainiert, also hatten sie beide bei ihr übernachtet und in der Nacht kamen sie alle nicht viel zum Schlafen. Gut also, dass der Tag nicht mit einer Frühschicht um sechs Uhr begann. Im Schichtdienst wechselte das so alle zwei bis drei Tage. Das würde eine ganz schöne Umstellung bedeuten.

Heute jedoch fuhr sie gegen 12:30 Uhr mit ihrem Elektrokabinenroller zum Seniorenstift. Sie fuhr in die Tiefgarage und parkte ihren Roller auf einem nummerierten Personalparkplatz. Sie schaute in den Rückspiegel, verbesserte ihr Make-up, stieg aus, steckte die Elektroaufladverbindung in eine nahestehende Ladesäule und schloss ab. Sie ging in Richtung des Aufzugs, dieser kam gerade an. Anna Liebenstein stieg aus, um in ihrer Mittagszeit kurz etwas in der Stadt zu besorgen.

„Ah, hallo Mia, schön Sie zu sehen. Sie haben heute Ihren ersten Arbeitstag, nicht wahr? Alles Gute und wir sehen uns sicher nachher mal im Bewohnerbereich. Wenn Sie Sorgen haben, wenden Sie sich jederzeit an mich. Viel Erfolg.“

„Vielen Dank, Frau Liebenstein, das ist nett. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.“

Sie bestieg den Fahrstuhl und es lag noch der Duft eines betörenden Parfüms in der Luft. Mia holte tief Luft und ihr wurde fast schwindlig. Der Fahrstuhl zeigte die Zahlen eins bis neun, wobei die acht und die neun als Knöpfe ausgespart waren und nicht wählbar. Dazu gab es ein erstes und ein zweites UG. Das waren dann wohl die Stockwerke und zwei Untergeschosse. Es lief typische Fahrstuhlmusik und eine freundliche Damenstimme sagte: „Willkommen in der Seniorenresidenz Moselblick. Bitte nennen Sie ein Stockwerk oder drücken Sie einen Wählknopf. Ansonsten werden Sie in fünf Sekunden mit einem unserer Informationsmitarbeiter verbunden.“ Sie drückte auf die sieben, denn Sie sollte zunächst zur Verwaltung ihre Papiere abgeben und dann auf die Station im sechsten Stock. Im neunten Stockwerk lag sozusagen der Himmel der Einrichtung mit der Führungsetage. Hinter dem weiblichen Petrus als Wachhund am Empfang im neunten Stock regierte Anna Liebenstein. Offensichtlich konnte man nicht einfach im Fahrstuhl dorthin fahren und in den achten Stock auch nicht. Okay, es war verständlich, dass nicht jeder Besucher überall direkt hinfahren konnte, um sich dort dann zu verlaufen. Im Keller stand beim zweiten Untergeschoss Kühlräume/human, im ersten Untergeschoss Küche.

Die Fahrstuhltür schloss sich, jedoch fuhr der Fahrstuhl nicht wie erwartet nach oben, sondern bewegte sich nach unten. Im ersten Untergeschoss öffnete sich die Tür und ein muskulöser Herr, der stark nach Essen roch, stieg ein. Er schaute sie sehr eindringlich an. „Schönen guten Tag, junge Dame. Na, was macht denn eine so junge hübsche Frau im Altenheim? Oma besuchen?“, lachte Sascha Berg.

„Moin, ich fang heute hier neu an, auf Station sechs“, gab Mia als Antwort und dachte: „Du hast mir gerade noch gefehlt, Schwätzer.“

„Wow, gleich bei den Allesvergessern, mutig, na dann viel Spaß dort. Ich bin hier der Küchenbulle Sascha. Sag mal, kennen wir uns nicht von irgendwoher?“ Er streckte seine verschwitzte Hand aus und fragte: „Und wie heißt die neue Schönheit von Station sechs?“

„Mia, ich wüsste nicht, dass wir uns kennen“, sagte sie und dachte: „Immer dieselbe blöde Anmache.“

„Willkommen Mia, na, dann hoffen wir, dass wir uns bald besser kennenlernen. Wir haben ja bald Betriebsfest. Wenn du was brauchst, sag Bescheid, Sascha hilft immer, wo er kann.“

Bing, die Tür sprang auf und Mia war erlöst und erleichtert. Der Geruch und die etwas aufdringliche Art passten ihr gerade nicht so ins Konzept, denn sie war ohnehin etwas nervös, hatte sogar vorher etwas Durchfall gehabt und von dem Essensgeruch wurde ihr außerdem übel.

Sascha grübelte. Er war sich sicher, dieses Gesicht bereits einmal gesehen zu haben, wusste es allerdings nicht zuzuordnen. Na ja, die jungen hübschen Dinger sehen sich irgendwie alle ähnlich. Er gab seine neuen Lebensmittelbestellungen in der Verwaltung ab und fuhr zurück zur Küchenetage.

„Chef, da ist jemand für Sie im Büro“, flüsterte ein Küchenhelfer.

„Wer ist es denn“, fragte Sascha laut.

„Keine Ahnung, er sagt Walter oder so ähnlich.“

„Kenn ich nicht.“ Sascha Berg ging in sein Büro und sah dort einen jungen, schlanken Mann mit randloser Brille und im dunkelblauen Anzug mit einer Aktentasche unterm Arm.

„Guten Tag, Herr Berg. Ich weiß nicht, ob Sie mich kennen? Normalerweise habe ich überwiegend mit Ihrer Chefin, Frau Liebenstein, zu tun. Vor einigen Tagen hatten wir noch eine Führung durchs Haus mit ihr. Mein Name ist Leon Walters.“

Sascha zuckte deutlich erkennbar mit der Schulter. „Ach, der Herr mit dem Zettel, was wollen Sie von mir?“

„Ich schreibe einen Artikel über Ihre Einrichtung und dachte mir, es wäre viel schöner für unsere Leser etwas von der Basis her zu erfahren. Die da oben, die machen nur Marketing, das kennen wir beide, das hat nix mit der Realität zu tun, nicht wahr?“

„Ja, aber das geht nicht. Sie müssen zu unserer Presseabteilung oder zur Chefin und um eine Genehmigung bitten. Ich krieg sonst riesigen Ärger.“

„Wir wollen nicht unnötig Wirbel und die Pferde scheu machen. Das würde David sicher ebenfalls so sehen, denke ich.“

Wieder ging ein kurzes Zucken durch Saschas Schulterregion. „Aha, ich verstehe, soll das hier eine Erpressung werden?“

„Na, na, so ein unschönes Wort. Sagen wir, es wird eine fruchtbare Zusammenarbeit. Es soll ihr Schaden nicht sein und niemand von da oben erfährt, dass ich hier bei Ihnen war und was ich beobachtet habe, von mir nicht und von Ihnen nicht. Ich brauche nur ein paar interessante Informationen. Wenn wir einen guten Artikel hinkriegen, sollte ein Monatslohn für Sie drin sein, steuerfrei natürlich. Außerdem hatte Frau Liebenstein bisher nichts gegen unsere Recherchen, ganz im Gegenteil.“

„Mmh, ich weiß nicht, heute geht es auf keinen Fall“, stotterte Sascha.

„Na schön, dann denken Sie mal drüber nach, bitte nicht zu lange. David ist ungeduldig, wie Sie wissen. Es muss nicht hier im Hause stattfinden. Ich melde mich wieder bei Ihnen, für alle Fälle mein Kärtchen. Schönen Tag noch, Herr Berg, und Grüße an David.“

Ein böser Blick ging von Sascha Berg zu Leon Walters und dabei wieder ein Schulterzucken.

„Leon Walters, Chefredakteur des Koblenzer Tageskuriers“ las Sascha, steckte die Karte in sein Portemonnaie zu der anderen aus dem Briefumschlag und wendete sich wieder der Abendessenszubereitung zu.

Leon Walters musste schmunzeln. „Wahnsinn, was ich dem Riesenkerl für einen Schrecken eingejagt habe.“

Achter Stock - Endstation

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