Читать книгу Achter Stock - Endstation - Hans-Jürgen Setzer - Страница 22
Das Leben im Seniorenstift
ОглавлениеDie Multimedia-Begrüßung der Neuankömmlinge war inzwischen schon eine Weile vorüber. Anna Liebenstein hatte die Fragen zu Abläufen, Kosten, Besuchsmöglichkeiten, Ausgängen, Aktivitäten und Ausflügen beantwortet und die neuen Bewohner wurden von jeweils einer Schwester oder einem Pfleger aus dem jeweiligen Wohnbereich abgeholt. Peter Kastor sollte in den sechsten Stock, Suite 991. Seine mitgebrachten Sachen waren bereits dorthin verbracht worden. Die Einwohner durften ein bis zwei kleine Möbelstücke, ihre Wäsche und einige kleine Utensilien von zu Hause mitbringen. Leon Walters jedoch war spurlos verschwunden. Anna Liebenstein hielt nach ihm Ausschau. Fehlanzeige. Für ihren Geschmack hatte er ein bisschen zu viel Eigeninitiative, schien unkontrollierbar für sie. Er tauchte auf und verschwand, wie er wollte.
„So, Herr Kastor, da wären wir also in Ihrem neuen Zuhause. Sie können sich kurz frisch machen. Dann gehen wir erst einmal in die Wohnbereichsküche zu den anderen. Ich werde Sie bekannt machen und Sie können dann gemeinsam Mittagessen. Nachher werde ich Sie dann Ihrer Hauptbezugsschwester vorstellen. Sie hat heute auch ihren ersten Tag. Sie können sich also gegenseitig ein wenig helfen. Wenn es Fragen gibt, die nur alte Hasen beantworten können, bin ich natürlich für Sie da. Ich hole Sie in etwa zehn Minuten zum Essen ab. Einverstanden?“
„Äh, ja gut, ich beeile mich“, stammelte Peter.
„Keine Hektik, wir haben Zeit. Ich hole Sie ab. Bis gleich“, antwortete die ältere Schwester.
Zehn Minuten würden ihm also bleiben, sich mit seinen neuen vier Wänden zum ersten Mal vertraut und sich ein wenig frisch zu machen. Er kam in einen hellen Raum mit sonnig gelben Wänden. Es gab einen kleinen Balkon zur Südseite raus, dort standen ein Stuhl und ein kleiner Tisch mit Sonnenschirm. Im Zimmer befand sich sein alter Birkenholzsekretär. Er streichelte zart darüber. Es war eines der beiden Wunschmöbel, die er mitgebracht hatte und der alte Schaukelstuhl, in dem seine Frau Susanne immer so bequem gesessen hatte. Darauf lag die alte Decke, die sie gerne zum Zudecken benutzt hatte. Manchmal glaubte er fast noch, sie rieche nach ihr, obwohl sie schon so oft gewaschen worden war, dass es gar nicht sein konnte. Dieser Stuhl stand vor der Fernseh-Kommunikationsecke mit PC-Internet-Arbeitsplatz. An einer Wand stand ein einfaches Bett, frisch bezogen, wie es schien. Eine Tür ging in ein kleines Badezimmer mit Toilette, Dusche und Waschbecken. Er warf sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht, trocknete sich ab und schaute in den Spiegel. „So Peter, da bist du nun also angekommen, auf deiner letzten Reise. Ach Susanne, das ist dir alles erspart geblieben. Hoffentlich dürfen wir bald vereint sein.“
„Herr Kastor, sind Sie soweit? Guten Tag, mein Name ist Schwester Mia. Ich bin ab heute Ihre Bezugsschwester.“
„Ah, schön. Hallo, Sie sind es, die Neue. Ihre Kollegin hat mir davon erzählt. Da haben Sie ja die richtigen beiden zusammengewürfelt, oder? Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht verlaufen“, witzelte Peter.
„Ach, das kriegen wir schon hin, Herr Kastor. Dann wollen wir mal in den Speiseraum gehen, okay?“
„Ja, auf in den Kampf! Ohne Mampf, kein Kampf. Was gibt es denn Leckeres?“, fragte Peter.
„Griesbrei mit Zimt und Kirschen“, lautete Mias Antwort.
„Na, wenn das kein guter Start ist! Eines meiner Lieblingsgerichte“, freute sich Peter.
„So, heute reißen die Neuvorstellungen nicht ab. Gerade erst haben Sie mich als die Neue auf Station sechs kennengelernt und schon bringe ich Ihnen noch einen neuen Bewohner mit. Darf ich Ihnen Herrn Peter Kastor vorstellen? Er wohnt ab heute hier bei uns in 991. Heißen wir ihn willkommen.“
Alle wachen Augen waren auf Peter Kastor gerichtet und das dürfte so ungefähr ein Viertel der Bewohner gewesen sein, einige klopften auf die Tische oder spendeten Applaus. Einige starrten weiter, wie eingeschläfert, zu Boden.
„Hier ist Ihr neuer Stammplatz, neben Herrn Tom Thommsen. Ich wünsche einen guten Appetit. Sie kommen klar, Herr Kastor?“
„Ja, lieben Dank, Schwester Mia.“
„Na, Gott sei Dank“, dachte Peter. Tom sah auf den ersten Blick ganz umgänglich aus und gehörte noch nicht zu den „lebenden Toten“.
„Ich bin Tom.“
„Peter.“ Sie gaben sich die Hand.
„Hier nimm, bevor es kalt ist oder noch schlimmer, nix mehr da.“
„Danke und guten Appetit.“
„Ja, lass es dir schmecken, sofern das geht, heute geht es, glaube ich jedenfalls“, sagte Tom.
„Sag mal, habe ich richtig gehört? Tom Thommsen? Kommst du aus Amerika?“
„Nein, aus Norddeutschland. Es war der erste Running Gag meiner Eltern. Damit man vorne und hinten unterscheiden konnte, Vorname ohne, Nachname mit H. Hat mich in meinem Leben immer gleich in den Mittelpunkt als Depp gebracht. Ich danke ihnen heute noch dafür.“
„Tja, jeder hat so sein Päckchen zu tragen“, schmunzelte Peter. „Dafür fuhr ich immer einen Kastortransporter, nicht besser.“
Tom verschluckte sich fast vor Lachen.