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Eine erste TV-Leistungsschau
ОглавлениеNachdem die erforderliche Relaisstrecke fertig war, konnte am 28. August 1953 der Fernsehsender Leipzig in Betrieb genommen werden. Zwei Tage später begann das erste Sonderprogramm des FERNSEHZENTRUMS zur Leipziger Messe. Es lief vom 30. August bis zum 9. September 1953. Für diese 11 Tage mit jeweils zwei Stundensendungen am Vormittag, einer Stunde am Nachmittag und dem abendlichen Zweistundenprogramm war ein illustriertes Programmheft er-schienen. In seinem Grußwort schrieb Intendant Hermann Zilles u. a.: "Wir wollen zeigen, was wir seit dem Beginn unseres offiziellen Versuchsprogramms am 21. Dezember vorigen Jahres gelernt haben. Wir senden deshalb in diesem Sonderprogramm einige - man kann wirklich sagen – Kostbarkeiten aus unseren bisherigen Sendungen. Wir bringen aber auch eine Reihe von Neuaufführungen, die wir sorgfältig vorbereitet haben..." (5)
Am ersten Abend hatte unser Opernfilm Boris Godunow Premiere, es folgten die Dramatisierung einer Novelle von Albert Maltz Der Glücklichste auf Erden, die Premiere von Nun steigt für uns der Mond, eine Fernsehfassung des Schäferspiels Die Laune des Verliebten von Johann Wolfgang von Goethe sowie Fernsehspiele nach den Kurzgeschichten Das Chamäleon und Das Kunstwerk von Anton Tschechow. Wiederholt wurden Märchenspiele für Kinder und auch das erfolgreiche Fernsehspiel Der hessische Landbote. Es gab große Unterhaltungssendungen, dazu viel Musik, Ballett, Volkstanz, ein großes Opernkonzert Schaut her, ich bin's, Operetten-Estraden und zum Abschluss, am 9. September, eine große zweistündige Fernseh-Revue.
Die neue Eigenbauserie von Ikonoskop-Kameras hatte ihre Bewährungsprobe bestanden. Sie konnten über Stunden hintereinander arbeiten. Alles schien gut gelaufen zu sein. Es gab aber ein überaus gewichtiges Projekt, das nicht bis zum vorgesehenen Sendetermin am 3. September fertig geworden war: Die Gewehre der Frau Carrar, das gefilmte Studiogastspiel des BERLINER ENSEMBLES mit dem Einakter von Bertolt Brecht. Dieses Werk schien auf besondere Weise für eine Fernsehübertragung geeignet zu sein. Es war ein in sich geschlossenes, dramatisches Kammerspiel, hatte durch den Korea-Krieg an Aktualität gewonnen, erforderte zwar nur einen geringen dekorativen Aufwand, erwies sich dennoch als zu groß für unser Studio I. So wurde die Bühnendekoration in einem eigens dafür angemieteten Johannisthaler Filmstudio aufgebaut.
Die Probleme begannen mit den Aufnahmen im Filmstudio. Da sehr wenig Zeit zur Verfügung stand, sollte die Inszenierung in einem Zug durchgespielt, dabei von drei Filmkameras gleichzeitig aufgenommen und das Material am Schneidetisch montiert werden. Hier wurde also für einen Film das später dominierende Mehrkamera-Prinzip vorweggenommen.
Helene Weigel wollte die Filmaufzeichnung jedoch als eine Dokumentation der Theaterinszenierung sehen und die Handlung in der aufgebauten Bühnendekoration nur in der Totale gefilmt wissen. Keine Nahaufnahmen, nichts halbnah. Ihre Begründung: "Man muss von den Schauspielern immer auch die Füße sehen können. Mitunter sagen die mehr als das Gesicht." (4)
Es wurde schließlich vereinbart, dass die mittlere Kamera für eine permanente Totale zuständig sei. Die beiden seitlich stehenden Kameras, die dramaturgisch wichtige Schnittbilder festhalten sollten, interessierten die Prinzipalin nicht.
Als die erste Gesamtmontage im Film-Schneideraum besehen werden konnte und es doch filmische Schnittakzente gab, kam es zu einem heftigen Streit mit Helene Weigel. Nur der Hinweis auf den noch sehr kleinen Bildschirm machte sie nachdenklich. Alles lag nun am Urteil Bertolt Brechts. Der Schnittmeister Rolf Bramann, von der DEFA zum Fernsehen gekommen, erinnerte sich an die entscheidende Stunde: "Abnahmevorführung in Anwesenheit von Brecht im Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft [heute das Palais am Festungsgraben- H.M.] in Berlin im Filmsaal. Brecht hatte in der obersten Reihe Platz genommen, mir wurde die darunter angewiesen. Alle Mitarbeiter hatten ein schlechtes Gefühl. Neuland war die Verfilmung eines Theaterstückes immer noch. Film ab - alle Angst schien umsonst. Der große Meister ließ Zustimmung und Anerkennung für das Kollektiv laut werden. Wir waren glücklich. Wenn Brecht etwas lobte, so musste es wirklich akzeptabel sein. Auch Egon Monk, Regisseur und damaliger Schüler von Brecht, sah sich bestätigt." (1)
Abgesehen von der Verzögerung, die den Einsatz im Rahmen des Messe-Sonderprogramms verhinderte, ist ein auch heute noch sehenswertes künstlerisches Dokument entstanden. Bleibt hinzuzufügen, dass mit dieser Filmaufzeichnung Egon Monk seine erste Fernsehregie absolvierte, Jahre bevor er beim Nordwestdeutschen Rundfunk in Hamburg Leiter der Abteilung Fernsehspiele wurde.
Durch das Messe-Sonderprogramm, das eine Leistungsdichte des FERNSEHZENTRUMS demonstriert hatte, die wohl elf Tage, jedoch nicht auf Dauer geboten werden konnte, wurden die Erwartungen der Zuschauer enorm gesteigert. Und so verstärkte sich auch das Drängen der künstlerisch-redaktionellen Mitarbeiter des Senders nach besseren produktions- und aufnahmetechnischen Bedingungen. Von zwei großen Unterhaltungsabenden abgesehen, hatte keine der live vermittelten Sendungen länger als eine halbe Stunde sein können. Die große Form, das echte Fernsehspiel, die vollständige Operninszenierung, das komplette Theaterstück waren uns aus rein technischen Gründen noch verwehrt. Was wir dringend brauchten, waren mehr und leistungsfähigere Kameras, war die Fertigstellung der anderen Studios. Sie als Filmstudios zu nutzen, half zwar wiederholbare Programmteile zu schaffen, kostete jedoch zu viel Zeit, Aufwand und Geld.
Die Studiotechnik unter Oberingenieur Augustin fühlte sich überfordert. Sie konnte nicht unter Laborverhältnissen einen industrieähnlichen Produktionsausstoß ermöglichen. Entweder Importe, aus welcher Himmelsrichtung auch immer, oder Geduld, so lautete ihre Antwort, ein Drittes gäbe es nicht.
Die Situation konnte der für alle Medien zuständigen ZK-Abteilung unter Hermann Axen nicht verborgen bleiben. Er sagte den zumeist parteilosen Technikern wirksame Hilfe zu, doch nichts geschah.
Die Programm-Verantwortlichen versuchten nun, den Zwang zu vielfachen Wiederholungssendungen mit einer guten Idee zu kaschieren. Anfragen und Bitten der Zuschauer halfen dabei. Am 7. Oktober 1953, dem Nationalfeiertag der DDR, begann eine Sendereihe, deren Grundform sich über Jahrzehnte, ja bis heute erhalten hat: Aus unserer Wunschmappe. Es sind Sendungen, zusammengestellt nach Programmwünschen unserer Zuschauer.