Читать книгу Ein Sender für Deutschland? - Hans Müncheberg - Страница 3

Einige persönliche Vor-Sätze

Оглавление

Vom ersten Tag an war ich nicht beim Adlershofer Fernsehen. Wer war es schon, ist dabei geblieben und weilt noch unter den Lebenden?

Außerdem: Welcher Tag ist der erste gewesen? War es der 30. Oktober 1949, als die Projektierung eines Fernsehzentrums für Berlin begann? War es der 4. Juni 1952, als regelmäßige Testsendungen so provisorisch wie überraschend ausgestrahlt werden mussten? Könnte es nicht mit mehr Berechtigung der 21. Dezember 1952 gewesen sein, als das offizielle Versuchsprogramm eröffnet wurde?

Aus bundesrepublikanischer Sicht wird meist ein späterer Termin genannt, der dritte Tag des Jahres 1956, der Tag, an dem das FERNSEHZENTRUM BERLIN unter dem neuen Namen DEUTSCHER FERNSEHFUNK offiziell begann, ein reguläres Programm über mehrere Sendetürme und manche Grenze hinweg zu verbreiten.

Dass noch vor Weihnachten 1952 von Adlershof aus das Fernsehen senden würde, hatte ich bereits Ende November gehört. Hermann Rodigast, zu diesem Zeitpunkt erster und einziger Dramaturg des FERNSEHZENTRUMS, war in das Spielfilmstudio der DEFA gekommen, um technische und personelle Unterstützung für geplante filmische Vorproduktionen des künftigen Senders zu vereinbaren. Bei dieser Gelegenheit besuchte er dann die gutbesetzte Dramaturgie des Studios, verbreitete die Kunde vom großen Experiment Fernsehen und versuchte, Mitstreiter zu gewinnen.

Seine Botschaft erreichte auch mich, der humorvolle Mann mit dem dröhnenden Lachen gefiel mir, aber meine Wünsche zielten in eine andere Richtung. Innerhalb der DEFA sollte ein Kinderfilmstudio gegründet werden. Für Kinder Filme voller Phantasie zu entwickeln, war eine Aufgabe, die mich mehr reizte. Wer mir in jenen Tagen prophezeit hätte, dass ich mich drei Wochen später beim Fernsehen bewerben würde, den hätte ich ausgelacht.

Der Wechsel von einem Betrieb des Landes in einen anderen erforderte, so waren damals die Regeln, die Zustimmung der jeweiligen Direktoren. Die DEFA-Studios galten als selbstständige Betriebe. Der von der SED-Spitze neu eingesetzte Hauptdirektor der DEFA, Hans Rodenberg, war für alle Studios zuständig. Ihn musste ich um Zustimmung bitten.

Am 15. Dezember 1952 durfte ich bei ihm vorsprechen. Er ließ mich meine Bitte formulieren und forderte mich auf, meinen Lebenslauf in allen wichtigen Stationen vorzutragen. Ich spürte, er wollte meine Aufrichtigkeit prüfen. Wieso hätte ich verschweigen sollen, was ich in fast jeden Fragebogen eintragen musste? Ich war Ostern 1940, mit zehn Jahren, von meinen Eltern auf die NATIONALPOLITISCHE ERZIEHUNGSANSTALT POTSDAM geschickt, dort als Jungmann bis zum April 1945 unterrichtet, ausgebildet, indoktriniert worden, um mit fünfzehn Jahren von meinem Anstaltsleiter, einem SS-Oberführer, ins letzte Aufgebot des groß-deutschen Reiches und in die Schlacht um Berlin befohlen zu werden. Noch am 2. Mai 1945, bei dem Versuch mit den letzten deutschen Einheiten nach Westen durchzubrechen, schwer verwundet, hatte ich nach und nach begreifen müssen, wie maßlos ich belogen worden war.

Der Hauptdirektor ließ mich aussprechen, atmete tief durch und fragte: "Hans Müncheberg, ist Ihnen jemals bewusst geworden, dass Sie neunzehnhundertfünfundvierzig hätten erschossen werden müssen?!"

Es war nicht, wie ich zuerst hoffte, ein seltsamer Scherz, seine Frage war bitterernst gemeint. Nach seiner Überzeugung hatte ich als Schüler einer NS-Eliteschule mit Kriegsende mein Leben verwirkt. Weil ich offenbar nicht begriffen hätte, dass mir mein jetziges Leben von der Roten Armee geschenkt worden sei, und weil ich dieses zweite Leben nicht mit der einzig denkbaren Konsequenz als Mitglied der SED für die Sache der Sowjetunion einsetzte, sei ich für ihn ein unverbesserlicher Faschist und gehörte nach Westdeutschland. Beim Kinderfilm hätte ich also nichts zu suchen.

Tief getroffen, besaß ich gerade noch die Geistesgegenwart, ihn um Zustimmung für einen Wechsel zum Fernsehen zu ersuchen. Er überlegte kurz und knurrte unwillig: "Wenn man Sie dort will..."

Noch am selben Tag hatte ich meinen Arbeitsvertrag als Dramaturgie-Assistent bei der DEFA gekündigt, meinen Resturlaub genommen und am 19. Dezember 1952 alle für eine Bewerbung erforderlichen Unterlagen in Adlershof beim FERNSEHZENTRUM BERLIN abgegeben, zwei Tage, bevor mit der Ausstrahlung eines offiziellen Versuchsprogramms begonnen wurde.

In kritischen Situationen bin ich später gefragt worden, warum ich damals nicht in die Bundesrepublik gehen wollte. Von dem, was ich dann antwortete, will ich auch Jahrzehnte später nicht abrücken: Ich mochte nicht in jenen Staat gehen, in dem mein Anstaltsleiter Otto Calliebe, ein SS-Oberführer, der uns Kinder zum Heldentod abkommandiert hatte, wenig später anstandslos in Soltau, Niedersachsen, wieder Kinder unterrichten und Jugendliche zum Abitur führen durfte.

In der DDR wollte ich auch bleiben, weil ich damals davon überzeugt war, in diesem Teil Deutschlands werde ein neuer Weg beschritten, ein Weg in eine Zukunft, frei von Hass auf Menschen anderer Hautfarbe, Abstammung oder Denkungsweise, dafür bestimmt von Gerechtigkeit und Chancengleichheit für alle, die ehrlichen Herzens in einem besseren Deutschland leben wollten.

Mein Bleiben hatte natürlich Konsequenzen. Weil auch sie, meiner Überzeugung nach, oft Bestandteil meiner Geschichte im Adlershofer Fernsehen geworden sind, bitte ich um Nachsicht, wenn es mir nicht immer gelingen sollte, kühl, distanziert und rein objektiv zu bleiben.

Auf eine Besonderheit soll gleich zu Beginn hingewiesen werden: Das Adlershofer Fernsehen der Pionierzeit war nicht identisch mit dem umbenannten späteren FERNSEHEN DER DDR, dem zentral gelenkten, von künstlerisch-unterhaltenden Beiträgen begleiteten Verlautbarungsorgan des ZENTRALKOMITEES DER SOZIALISTISCHEN EINHEITSPARTEI DEUTSCHLANDS, eines sich ständig vervollkommnenden Machtapparates.

Aus der experimentellen Phase medialer Bedeutungslosigkeit aufsteigend, erlebten wir, oft naiv und gutgläubig arbeitend, in der Zeit des apparativen Mangels eine beglückende Freiheit des gedanklichen und praktischen Erprobens. Bald aber begann das Unwetter der Reglementierung heraufzuziehen. 1957 gab es das erste Wetterleuchten, 1958 das erste Donnergrollen und 1960 schlug es bereits mit erschreckender Wucht ein.

Ein Sender für Deutschland?

Подняться наверх