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Wenn der Zufall zu Hilfe kommt...

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Von diesen ersten Programmwochen habe ich so gut wie nichts miterlebt. Noch zu Heiligabend hatte ich voller Hoffnung in meinem möblierten Zimmer gesessen und auf den Briefträger gewartet, überzeugt davon, bereits zu den Feiertagen nach Adlershof gerufen zu werden. Auch nach den Feiertagen lief ich regelmäßig zum Briefkasten, vergeblich.

Mit dem Jahr 1952 ging der Resturlaub zu Ende, ein neuer Arbeitsvertrag war nicht geschlossen, ich somit arbeitslos, also auch ohne Einkommen. Arbeitslosengeld gab es nicht. Ersparnisse besaß ich nicht. Ich wollte arbeiten, konnte nicht einfach abwarten. Also fuhr ich wieder und wieder nach Adlershof. Die S-Bahn-Fahrt kostete Gott sei Dank nur zwanzig Pfennige.

Wie jeder Besucher erhielt ich an der Wache einen Passierschein, auf dem neben der aktuellen Uhrzeit die zu besuchende Abteilung vermerkt war. In der Personalabteilung musste ich mehr oder weniger lange warten, um zu hören, ich müsse mich noch gedulden. Dann bekam ich den Passierschein, samt Uhrzeit und Unterschrift zurück. Woche für Woche dasselbe Spiel.

Ende Februar - meine Wirtsleute hatten mir aus Mitleid die Monatsmiete gestundet - musste ich besonders lange im Vorraum der Personalabteilung warten. Ich merkte nur, es wurde heftig telefoniert. Ich nahm es als gutes Zeichen - und täuschte mich erneut.

Wieder auf dem Rückweg kam mir, energisch ausschreitend, ein untersetzter Mann mit schütterem Haupthaar entgegen. In ihm erkannte ich verblüfft Hermann Zilles, den ich noch beim BERLINER RUNDFUNK wähnte. Unwillkürlich grüßte ich ihn mit Namen. Er stutzte, blieb stehen, musterte mich und erinnerte sich an die Mitarbeit in der einst von ihm verantworteten Veranstaltungsreihe. Dann stellte er verwundert fest, noch gar nicht zu wissen, dass ich bei ihm arbeite.

Das würde ich gern, konnte ich nur entgegnen. Ich hätte meine Bewerbung bereits fünf Tage vor Weihnachten abgegeben. Wieder sein prüfender Blick, dann sagte er: "Da stimmt was nicht. Kommen Sie mal mit."

Kurz und gut, Hermann Zilles ließ die Personalleiterin mit meiner Akte kommen, wischte ihre Bedenken, man könne doch nicht in meiner Gegenwart über gewisse Probleme sprechen, mit einer ärgerlichen Handbewegung beiseite. Sie sprach ihn betont mit Genosse Zilles an und verwies auf Passagen der Akte. Er las alles, dachte nach, zwirbelte dabei seine buschigen Augenbrauen, schlug dann den Hefter zu, schob ihn von sich und sagte: "Der Quatsch interessiert mich nicht. Ich kenn' den Mann, ich will ihn haben."

Das geschah an einem Freitag. Ab Montag, 23. Februar 1953, durfte ich mich Dramaturg des FERNSEHZENTRUMS BERLIN nennen.

Nun war Hermann Rodigast mein Chef. Er verfügte über eine Hälfte eines großen Zimmers. Die andere gehörte Hans-Hendrik Wehding, dem musikalischen Leiter des Senders. Über ihnen stand noch Horst Heydeck als Leiter der Kulturredaktion.

Meine neuen Vorgesetzten hatten den Schritt zum Fernsehen vom Hörfunk aus gemacht. Ich stellte unter den redaktionellen Mitarbeitern einen Exoten dar, denn ich kam 'vom Film'. Also hatte ich mich sofort um das Filmische zu kümmern, zuerst bei Eigeninszenierungen von Theater- und Opernwerken, dann bei den ersten Schritten zur großen Form der Fernsehdramatik.

Warum ihnen meine Spezialisierung wichtig war, begriff ich erst richtig, als ich mir die aktiven Sendestudios ansehen wollte. Rodigast und Wehding sahen sich kurz an und lachten laut auf. Dann winkte mir mein Chef, ihm zu folgen. Ich entdeckte mehr Provisorien als komplette Anlagen. In dem beeindruckenden Studiobau konnte von den vier unterschiedlich großen Studios zu ebener Erde noch kein einziges fernsehtechnisch genutzt werden. Am kleinsten der Vier hatte man gerade mit der Installation entsprechender Einrichtungen begonnen. Nur aus dem zimmergroßen Gelass neben dem Hauptschaltraum waren Livesendungen möglich. Weil aber eigene Programmbeiträge dringend gebraucht wurden, mussten die noch nicht sendefähigen Hallen als Film-Studios genutzt werden. Auf diesem Wege konnte man produzieren, was elektronisch noch nicht herzustellen war. Und so musste ich mir meine Frage: "Was ist Fernsehen?" selbst beantworten: Fernsehen ist immer das gerade Machbare.

Meine erste Aufgabe wurde also durch das gerade Machbare bestimmt. Unser musikalischer Leiter hatte den damaligen Star-Tenor der Berliner STAATSOPER Alexander Miltschinow zu Filmaufnahmen dreier Opernarien verpflichtet. Da Regisseur Siegfried Tittert gleichfalls von der Oper kam und keine Filmerfahrung besaß, hatte ich die optischen Bücher zu entwerfen und den Regisseur bei den Dreharbeiten zu beraten.

Am Donnerstag meiner zweiten Fernseh-Arbeitswoche wirbelte die Nachricht vom Tod J.W. Stalins auch die Arbeit der Kulturredaktion durcheinander. Am Freitag wurde für die DDR Staatstrauer angeordnet, im FERNSEHZENTRUM das Programm umgestellt. Horst Heydeck und Hermann Rodigast hatten für den Samstagabend eine Gedenksendung zu schaffen: Begegnungen mit Stalin, ungefähr 15 Minuten, am Ende rezitierte Gottfried Herrmann das Johannes R. Becher-Gedicht Sieg der Vernunft. Am Sonntagabend kam eine weitere Gedenksendung in das Programm: Das Gedicht Neue Menschen von Hedda Zinner, gefolgt von der Stalin-Kantate des damals prominenten Lyrikers Kuba.


An der in letzter Sekunde beschafften Stalin-Kantate hatte sich erwiesen, wie wichtig es für den Sender war, über filmische Vorproduktionen der unterschiedlichsten Art zu verfügen, um selbst ein Abendprogramm von nur zwei Stunden kurzfristig von heiter auf tiefernst umstellen zu können. Nun nahm auch für mich der Arbeitsdruck zu.

Hermann Rodigast und der Chef des leistungsstarken Fernsehorchesters, der Komponist Jean-Kurt Forest, hatten auf der Basis des 'Ur-Boris' eine sehr dichte Fernsehfassung der Oper Boris Godunow von Modest Mussorgskij erarbeitet. Die Regie wurde wieder Siegfried Tittert übertragen. Die Innenaufnahmen sollten im bisher leeren Studio IV gemacht werden. Von mir wurde erneut das 'optische Buch' erwartet.

Fast parallel war die Regisseurin Inge von Wangenheim, später auch als Schriftstellerin und Essayistin bekannt geworden, gemeinsam mit mir als Drehbuchautoren dabei, einen spannungsreichen Einakter der irischen Dramatikerin Isabella Gregory fernsehgerecht zu verfilmen: Nun steigt für uns der Mond. Es war ein Kammerspiel, auch wenn die Handlung in einen nordirischen Hafen führte. Die Kulissen wurden in dem noch nicht anders zu nutzenden Studio II aufgebaut.

Beide Filme wurden noch mit traditioneller Filmtechnik auf ein 35-mm-Negativ in schwarz-weiß mit Lichtton fixiert. An ein Farbfernsehen war damals genau so wenig zu denken, wie an die Möglichkeit, eine elektronisch gesendete Inszenierung in irgendeiner Weise fixieren zu können.

Aufzeichnungen, die wiederholt werden konnten, gab es im Adlershofer Fernsehen erst viereinhalb Jahre später und auch dann erst als filmische Fixierung des auf dem Bildschirm Flimmernden. Durch diese technische Unterentwicklung, die es ähnlich, wenn auch zeitlich kürzer, in den Anfangsjahren des bundesdeutschen Fernsehens gegeben hatte, sind leider viele herausragende Experimente der Frühzeit nur noch in der Erinnerung einst Beteiligter vorhanden.

Wir versuchten damals herauszufinden, was sich für die Besonderheiten eines individuellen TV-Empfangserlebnisses an gestalterischen Möglichkeiten ergeben könnte. Nur bebilderter Hörfunk durfte es nicht sein. Kinoähnlicher Film konnte es nicht sein. Im szenischen Bereich ergab sich daher eine Nähe zum Kammerspiel des Theaters, auf dem Gebiet unterhaltender Sendungen zum Brettl, zum intimen Kabarett.

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