Читать книгу Ein Sender für Deutschland? - Hans Müncheberg - Страница 16
Ein neuer Chef kommt selten allein
ОглавлениеDas Interregnum unter Gerhard Probst dauerte nicht drei, es dauerte sieben Monate. Im Juni 1954 begann die Amtszeit Heinz Adamecks als Intendant, die später nahtlos in den Vorsitz des STAATLICHEN KOMITEES FÜR FERNSEHEN BEIM MINISTERRAT DER DDR mündete. Als langjähriger Kaderchef verstand er es, sich und alle Positionen so zu arrangieren, dass er jeden Machtwechsel innerhalb der SED-Führung und manche Krise im eigenen Amt überstand.
Der neue Intendant war in einem thüringischen Dorf aufgewachsen. Sohn eines Saisonarbeiters, ging er als Hilfskraft mit dem Vater in eine Ziegelei und konnte dort als Lagerarbeiter nebenbei eine kaufmännische Lehre abschließen. Zum Jahrgang 1921 gehörend, wurde er kurz nach Kriegsbeginn zur Wehrmacht eingezogen. Von den dreißig Jungen seiner Klasse hat außer ihm nur noch einer den Krieg überlebt. Er hatte das Glück gehabt, 1944 einer Gruppe anzugehören, die von einem kriegsmüden Feldwebel als Überläufer zur ROTEN ARMEE geführt wurde. Nach zeitweiligem Einsatz beim Nachschub der sowjetischen Streitkräfte, arbeitete er in Tbilissi als Brigadier und dann in einer gesellschaftlichen Funktion unter deutschen Kriegsgefangenen. Er wurde auf eine politische Hochschule der UdSSR geschickt und im Sommer 1949 als deren Absolvent bereits in Frankfurt/Oder von der Kaderkommission des Zentralkomitees der SED empfangen. Sein Weg führte ihn sogleich in das Innenministerium des Landes Thüringen. Dort war er der Kaderleiter für das gesamte Landespersonal. Nach Gründung der DDR wurde er beauftragt, im Rundfunk der jungen Republik, dessen Mitarbeiter überwiegend eine bürgerlich-demokratische, humanistische Grundhaltung besäßen, in kürzester Frist die Position der Partei der Arbeiterklasse auszubauen. (1)
In einem Tonband-Interview sagte mir Heinz Adameck 1982 zu den Gründen für seinen Wechsel zum Fernsehen: "Dann kam der Zeitpunkt, wo dieses kleine Experimentier-Fernsehen in die Breite, in die Größe ging, und da wurde mir der Vorschlag gemacht: Es ist noch Zeit, du bist noch nicht zu alt, einen großen Vorzug bringst du mit - Menschenkenntnis, Kaderkenntnis. Du gehst ins Fernsehen. Und so kam ich als Intendant nach Adlershof.(...) Es gab die prinzipielle Erkenntnis: Mit unserem Fernsehen wächst ein politisches, künstlerisches, unterhaltendes Instrument ersten Ranges heran, dessen sich jede Gesellschaft bedienen wird, und wir müssen uns rechtzeitig darauf einstellen. Es war dafür eine Konzeption erforderlich, die Ausgangspositionen dafür zu schaffen hatte, was das DDR-Fernsehen heute als politisches Instrument der Partei der Arbeiterklasse ist.(...) Was ich mitbrachte, war eine klare Vorstellung, wohin grundsätzlich so ein Instrument geführt werden muß. Was ich aber nicht wußte, war, wie Fernsehen gemacht wird." (1)
Damals wurde der neue Intendant viel in den Studios und in den Redaktionsräumen gesehen. Wenn er sich von erfahrenen Dramaturgen, Redakteuren oder Regisseuren Gewachsenes und Werdendes erläutern ließ, hatte er erstaunlich viel Zeit für Gespräche. In späteren Jahren war er seltener Gast in den Studios.
Es gab in der DDR den Slogan: Die Kader entscheiden alles! Auf diesem Gebiet hatte Heinz Adameck bereits über zwei Jahre Zeit gehabt, geeignetes Personal, vor allem Mitglieder der im Staat führenden Partei, nach Adlershof zu entsenden. Fragen der technischen Ausrüstung hingen stets von der laufenden Wirtschaftsplanung, vor allem von den vorhandenen Devisen ab. Da auch die industrielle Produktion von Fernsehgeräten erst am Anfang einer nur mühsam zu beschleunigenden Entwicklung stand, musste mit Jahren gerechnet werden, bis das erwünschte Instrument jene Leistungsfähigkeit erreichte, die gefordert war. Konzeptionell wurde, vor allem im aktuellen Bereich, unverzüglich begonnen.
Schon im November 1954 wurde die noch rudimentäre Aktuelle Kamera in Inhalt und Form verändert. Zu den Aufgaben einer Nachrichtensendung gab es Debatten. Heinz Adameck dazu: "Da spielte noch der Augenzeuge eine Rolle. Da gab es so eine Auffassung: Das machen die doch schon, wir müssen uns in das Spektrum der Gesellschaft einfügen, wir bringen einen neuen Punkt. Das hat sich aber alles (...) dadurch überholt, daß die Verbreitung des Fernsehens so rasch vor sich ging, daß eines Tages die Wochenschau überholt war, weil alles schon in der Aktuellen Kamera gelaufen war. Und zu diesem Zweck wurden zu den bewährten Mitarbeitern einige neu hinzugeholt: Heinz Grote, Günter Nerlich, Werner Popp, um nur einige zu nennen." (1)
Horst Heydeck wie Hermann Rodigast waren Parteimitglieder, auch Karlheinz Rahn, der Ende 1953 als dritter Dramaturg nach Adlershof gekommen und zum Spezialisten für Märchenspiele und jugendgemäße Fernsehdramatik geworden war. Ein Mann von kompakter Statur, 1944 aus der Wehrmacht desertiert, von dänischen Widerstandskämpfern verborgen, lernten wir ihn als einen Mann kennen, der nicht nur beharrlich und voller Phantasie an seine Arbeit ging, sondern sich von Anfang an für Gerechtigkeit gegen jedermann einsetzte. Das hat ihn, obwohl Genosse, acht Jahre später in Gegensatz zur Politik der gewaltsamen Teilung Berlins und in die Fänge der Staatssicherheit gebracht.
Mit Beginn der Spielzeit 1954/55 kam Dr. Günter Kaltofen von den Städtischen Bühnen Leipzigs zu uns. Aus christlichem Hause stammend, vielseitig gebildet, ein Theatermann aus Liebe zur Literatur. Der schlanke, hochgewachsene Mann mit Brille und bald schon schütterem Haar, war zuerst für die Studiogastspiele, dann auch für Direktübertragungen aus den Theatern verantwortlich. Mit ihm, so meinten wir damals, besaß das Fernsehen - nach Hermann Rodigast als Rundfunkmann und mir als Spielfilmvertreter - nun einen Repräsentanten der dritten Wurzel unserer Fernsehdramatik. - Gestaltet für das individuelle Erlebnis daheim (wie beim Hörspiel), optisch in Einzelbildfolgen präsentiert (wie beim Spielfilm), durchgehend gespielt sowie zeitgleich miterlebt (wie im Theater), aus diesen drei Quellen, so meinten wir, sei die neue Gattung FERNSEHSPIEL zu definieren.
Schon bald versah Intendant Adameck den schwierigsten Programmbereich, die TV-Dramatik, mit einem eigenen Chef: Werner Fehlig. Im Gegensatz zu vielen anderen, stammte er aus einer großbürgerlichen Familie. Sein Vater war in verantwortlicher Position beim Thyssen-Konzern tätig gewesen und hatte mit den maßgeblichen Großindustriellen verkehrt, die sich vor 1933 zusammentaten, um die Braunen an die Macht zu bringen. Das ließ bald einen tiefen Riss durch die Familie gehen. Fehligs ältere Schwester war mit Wolfgang Heinze verheiratet, der 1944 nach einem Hochverratsprozess hingerichtet wurde. Zu dieser Zeit war Werner Fehlig bereits als Kapitän im Einsatz, musste nun aber von Bord gehen. So gehörte er zu den relativ wenigen U-Boot-Kommandanten, die den Krieg überlebt hatten.
Fehlig, 1954 ein erprobter Rundfunkmann, sagte mir 1982 in einem Interview zu seinem Wechsel nach Adlershof: "Es kam für mich wirklich ganz überraschend. (...) Die Vorstellung, an diesem Versuchsprogramm, was man ja damals noch für recht mickrig hielt, mitarbeiten zu sollen, war seltsam. (...) Ich kam hin als jemand, der viel weniger über das Medium wußte, als die, die schon da waren. Insofern war die erste Zeit sicher dadurch geprägt, daß ich überhaupt erst einmal zu sehen hatte, was bisher geleistet wurde, und was an Vorstellungen und Ideen da ist."(1)
Werner Fehlig versuchte, unter uns nicht mehr zu sein als ein Gleicher unter Gleichen. Er schaffte es bald, jenen Grad an Kompetenz zu erwerben, der die Voraussetzung für eine erfolgreiche Leitungsarbeit war.
Der Sender kannte keine Sommerpause – und dann verlangte die neue „Spielzeit“ gründliche Vorbereitungen. Damals rechneten wir im Bereich der Fernsehdramatik nach Theaterbrauch in Spielzeiten, auch bei Vertragsabschlüssen.
So haben wir im Sommer 1954 Hans-Erich Korbschmitt, an den Dresdener Theatern erfolgreich, eingeladen, bei uns Molières Komödie Der Geizige zu inszenieren. Ich konnte ihm eine Fernsehfassung vorschlagen, die ein kontinuierliches Live-Spiel in unserem kleinen Studio I ermöglichte.
"Ich habe erst mal gesagt, es geht nicht, denn in so einem Studio kann man gar nicht arbeiten", bekannte Hans-Erich Korbschmitt später seinen Schock nach Besichtigung des Studios. "Wir haben uns überlegt - Bühnenbildner war Horst Hennicke -, was man machen kann. Und da sind wir zu einer völlig (...) anachronistischen Bühnenbildauffassung gekommen. Wir haben nämlich, anstatt eine Barocktreppe zu bauen, eine Wendeltreppe gebaut - ein absoluter Formalismus, er gab uns aber die Möglichkeit, Auftritte von oben nach unten(...) zu machen. Der Einstieg und Ausstieg aus der Szene ging immer über diese Treppe. Es war natürlich optisch sehr interessant, man konnte Füße fotografieren und tolle Sachen machen." (1) Die Sendung lief sehr erfolgreich am 25. Juli 1954.
Als im Frühsommer 1954 das Rohdrehbuch für den Fernsehfilm Der verschenkte Leutnant vorlag, ging es um die Auswahl eines geeigneten Regisseurs. Ich schlug den mir aus meiner Arbeit im DEFA-Spielfilmstudio bekannten Wolfgang Luderer vor. Er war zur Filmarbeit für das Fernsehen bereit, wollte aber die optischen Wirkungsmöglichkeiten für den Bildschirm zuvor kennenlernen. Wir boten ihm die Inszenierung von Lessings Lustspiel Der junge Gelehrte an. Er griff zu. Im Herbst 1981 sagte er zu dem Versuch: "Ich habe als allererstes eine Probe mit der Kamera gemacht, zum Erstaunen und auch Erschrecken aller, weil ich sehen wollte, wie das funktioniert(...) Ich wollte feststellen, was ich mit dem Ding machen, und wie ich [so] arrangieren kann(...), daß es kontinuierlich geht und optisch ein bißchen interessant bleibt für den Betrachter, also nicht, daß er wie im Theater sitzt und nur ein Bild sieht, sondern für ihn (...) ein Kinoeindruck entsteht."(1)
Es muss insgesamt gelungen sein, denn als Wolfgang Luderer und ich nach der Sendung mit interessierten DEFA-Kollegen sprachen, sagten die: „Interessante intime Bilderzählung in der einen Dekoration, gut gemacht - wir haben die Schnitte gar nicht bemerkt."
Wir konnten darauf nur antworten: "Das war auch gar nicht möglich. Es gab keine Schnitte. Was ihr gesehen habt, war eine Choreographie für eine Live-Kamera."
Die Sendung lief am 5. September 1954. Einen Monat darauf war das 315 m² große Studio III mit zwei Ikonoskop-Kameras unterschiedlicher Brennweite einsatzbereit, einige Wochen später auch der Theatersaal, ausgerüstet sogar mit drei Kameras. Nun war die große Form nicht länger Wunsch oder Ausnahme, nun waren abendfüllende Fernsehspiele mit mehreren Schauplätzen und endlich auch mit filmischer Bildmontage, waren große Unterhaltungssendungen, waren Kindersendungen und Konzerte live möglich. Wichtig auch: Die Zuschauer konnten selbst ins FERNSEHZENTRUM kommen und endlich in die Sendungen mit einbezogen werden.