Читать книгу Ein Sender für Deutschland? - Hans Müncheberg - Страница 15
Experimente auf neuen Wegen
ОглавлениеOstersonntag 1954! Der außergewöhnliche Sendetag ermöglichte ein ungewöhnliches Experiment: Die erste Sendung einer vollständigen Oper aus dem kleinen Studio I. Der Musikenthusiast Karl-Georg Braun und Fernsehregisseur Bodo von Schweykowski hatten eine knappe Fernsehfassung der Komischen Oper Der Barbier von Sevilla erarbeitet, die das ermöglichte. Vom Orchester des FERNSEHZENTRUMS unter Leitung von Otto Gerdes waren vorab mit Ursula Richter, Hans Löbel, Joseph Burgwinkel, Amelie Walter-Sachs, Werner Liebing und Herbert Rössler die Musikaufnahmen gemacht worden, sodass die Sendung schauspielerisch live, aber mit der vom Tonband zeitgleich in das Studio und über den Sender (Play-back) eingespielten Musik ohne Pause über volle 86 Minuten laufen konnte.
Dieses Verfahren, Live-Play-back genannt, wurde noch viele Jahre erfolgreich angewandt. Später berühmt gewordene Darsteller wie Ruth Maria Kubitschek und Manfred Krug haben in entsprechend gesendeten Weihnachtsopern der folgenden Jahre ihren ersten großen Erfolg erlebt.
Am 1. Mai folgte ein weiterer Schritt zu größeren künstlerischen Gestaltungen. Mit den Autoren F.K. Kaul und Günter Cwojdrak habe ich als Dramaturg versucht, in filmisch-dramatischer Erzählweise das historische Geschehen zu umreißen, das zur Ausrufung des ersten Maitages als internationaler Kampf- und Feiertag aller Arbeiter führte. Es geschah in Chikago 1886. Zum Verständnis der historischen Zeit und Ausgangslage war es wichtig, in einigen Außenszenen das Auftreten der Arbeiterführer während des Generalstreiks in Chikago zu zeigen. Das wäre im Studio nicht überzeugend zu lösen gewesen, also verlangte Regisseur Gottfried Herrmann, Filmszenen zum Einblenden in ein Live-Spiel vorproduzieren zu können. Für die Live-Teile im Studio ermöglichten sie zugleich die notwendigen Umbauten der Dekoration.
Als Zeitzeuge notierte dazu der Regisseur Hans Joachim Hildebrandt Jahrzehnte später: "Das Fernsehspiel ist mir als erste Großproduktion in Erinnerung. Hier zeichnete sich eine Produktionsweise ab, die für die fünfziger und sechziger Jahre bestimmend werden sollte. Das Bilderlebnis war total. Im Studio I wurden mehrmals die Dekorationen gewechselt, während größere Filmszenen eingespielt wurden, außerdem war das Ansagestudio einbezogen worden.
Man muß sich die Gestaltung der Sendung vor Augen führen: Da wurde in Studio I eine Szene gespielt, dann folgte die Filmeinblendung - in der Zeit wurde umgebaut. Es mußte alles klappen, man konnte die Sendung nicht unterbrechen... Der Raum war eng. Wände wurden abgebaut, in den Gang hinausgetragen, neue Teile wurden aufgebaut, Scheinwerfer nachgerichtet, die Kamera in neue Position gebracht, und das alles in drei oder vier Minuten. Dann ging das Spiel nahtlos weiter." (1)
Im Frühjahr 1954 war eine außergewöhnliche Meldung durch die Weltpresse gegangen: Ein radioaktiv verstrahlter japanischer Fischer habe sich geweigert, in das amerikanische Strahlenhospital verlegt zu werden. Er hatte zur Mannschaft des Fischdampfers Fukurya Maru gehört, der nach dem Test der erste H-Bombe der USA im 1. November 1952 auf dem Eniwetok-Atoll noch weit außerhalb der angegebenen Sperrzone in einen radioaktiven Asche-Regen geraten war. Nun befürchtete er, dort nicht Patient, sondern Versuchsobjekt zu sein.
Die Meldung schockierte. Wissenschaft und Humanität waren in doppelter Weise infrage gestellt! Also schrieb ich unter dem Titel Die Todeswolke das erste aktuelle Fernsehspiel des FERNSEHZENTRUMS.
Im Mittelpunkt der Handlung stand ein Arzt aus den USA, der Patienten aus Hiroshima geholfen hatte. Er war in Japan zur Autorität geworden und geriet in einen tiefen Konflikt, als der Fischer ihn, der jetzt im Dienst der US-Atomenergie-Kommission stand, zum Arzt seines Vertrauens erklärte.
Um trotz der Raumnot im Studio beweglich zu sein, sollten die von den USA verbreiteten Dokumentarfilm-Passagen über den Test für das Spiel genutzt werden. Sie waren für uns die Außenaufnahmen, während im Gegenschnitt die Innenszenen mit Vertretern der US-Atomenergie-Kommission ablaufen konnten.
Hannes Fischer aus Dresden übernahm die Regie und gewann trotz der Ferienzeit gute Darsteller. Die Erstsendung am 7. Juli 1954 fand ein sehr positives Echo - wohl auch wegen der Kritik am Rüstungswettlauf, der den USA mit dem big stick der Nuklearwaffen die Vorherrschaft sichern sollte. Man befand sich im Kalten Krieg. Es wurde also entschieden, das Fernsehspiel zu wiederholen. Nun bedeutete damals jede Wiederholung eine komplette Wiederaufführung. Sie wurde dann während des Messe-Sonderprogramms 1954 auch erfolgreich gesendet.