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2. Kapitel: Das offizielle Versuchsprogramm und die "kleine" Form

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Am 21. Dezember 1952 zeigte sich zum ersten Mal das neue Kennzeichen des Senders auf den Bildschirmen. Es wurde beherrscht von den sechs hohen Buchstaben des Standortes BERLIN - grafisch den sechs Säulen des Brandenburger Tores zugeordnet -, rechts daneben die Fernsehuhr. Als sie auf die zwanzigste Stunde des Tages rückte, erschien nach einer kurzen Abblende die erste Ansagerin des FERNSEHZENTRUMS BERLIN auf dem Bildschirm: Margit Schaumäker. In einer kurzärmligen weißen Bluse stand sie zwischen den beiden, noch nicht vom Bildausschnitt erfassten Sprechertischen, an denen in gedeckten Anzügen der Intendant und sein späterer Oberspielleiter saßen. Vor einem Standmikrofon postiert, konnten die Zuschauer das ihr abgeforderte respektvolle Stehen höchstens ihrer etwas anderen Blickrichtung entnehmen. Was später zur Selbstverständlichkeit wurde, galt in jener Minute nicht. Man war noch nicht zum vertrauten Gast im Wohnzimmer des Zuschauers geworden, der dem Gerätebesitzer gegenübersitzen durfte.

Abblenden, schneller Schwenk der Kamera, aufblenden: Hermann Zilles stellte sich als Intendant des neuen Senders vor und kündigte an, man wolle nun allabendlich mit den neuesten Informationen, mit Kostproben der ernsten Künste und auch mit unterhaltenden Beiträgen ein abwechslungsreiches Zwei-Stunden-Programm bieten.

Abblenden, schneller Schwenk zu anderen Seite, aufblenden: Gottfried Herrmann schaute kurz in die Kameraoptik, dann senkte er den Blick auf einen ehrwürdigen Klassikerband und las mit ausdrucksstarker und wohlklingender Stimme Worte, Sätze, Verse aus dem Werk Johann Wolfgang von Goethes. Später wurde beziehungsreich erzählt, es sei der Westöstliche Diwan gewesen.

Abblenden, kurzer Schwenk zur Mitte, aufblenden: Mit verbindlichem Lächeln führte die ansagende Schauspielerin durch die weitere Sendefolge. Jeweils zu Beginn des Programms wolle man den verehrten Zuschauern in der Standardsendung Aktuelle Kamera Informationen zum Zeitgeschehen in Wort und Bild geben. Danach seien sie zu einer aktuellen Filmreportage in eigener Sache eingeladen: Fernsehen aus der Nähe betrachtet, dann...

Intendant Zilles, der den Ansagetext selbst verfasst hatte, blieb neben Margit Schaumäker sitzen und verfolgte jeden gesprochenen Satz, ihn mit dem geschriebenen vergleichend. Er konnte zufrieden sein.

Inzwischen hatten die Personen am 2. Sprechertisch gewechselt. Herbert Köfer, vom Deutschen Theater in Berlin zum FZ gewechselt, las die Meldungen der Aktuellen Kamera.

Abblende. Filmstart: Günter Hansel (Buch), Bruno Siebert (Kamera), Rolf Bramann (Schnitt) und Otto Holub (Regie) hatten einen filmischen Rundgang über das noch im Ausbau befindliche Gelände des FZ, wie das FERNSEHZENTRUM BERLIN verkürzt genannt wurde, unternommen und sowohl die bereits fertigen als auch die noch im Ausbau befindlichen Arbeitsbereiche vorgestellt. In 25 Minuten wurde der damals aktuelle Entwicklungsstand dargeboten, heute ein historisches Dokument.

Es folgten an diesem ersten offiziellen Fernsehabend aus Berlin-Adlershof zwei sowjetische Dokumentarfilme, mit denen der Sender den Jubilar des Tages würdigte. Ein Volkskunstfilm mit dem beschwörenden Titel Für ewige Freundschaft, dann als Abschluss ein Dokumentarfilm: Stalingrad.

Das Programm der ersten Sendewoche vermittelte bereits einen Eindruck von der thematischen Vielfalt in der redaktionellen Konzeption. Mehrere Sendereihen wurden eingeführt, um spezielle Zuschauergruppen anzusprechen: Freunde der Literatur, Liebhaber der Musik und des Tanzes, Kinder und ihre junggebliebenen Eltern.

So begannen Sendungen unter dem vielversprechenden Titel Das gute Buch. Bereits Heiligabend wurde der Roman Goya von Lion Feuchtwanger mit einer kurzen Lesung und einer einfühlsamen Buchbesprechung vorgestellt.

Da sich das live gesprochene Wort als probates künstlerisches Mittel anbot, wurde dieser Sendereihe schon nach wenigen Wochen eine weitere hinzugefügt: Meisterwerke Deutscher Kultur. In ihrem Rahmen erfolgte am 22.01.1953 die Premiere einer ersten Fernsehspiel-Szene, von Horst Heydeck nach dem Werk E.T.A. Hoffmanns gestaltet. In ihr blickten der Dichter, gespielt von Michael Degen, und ein Invalide, dargestellt von Werner Peters, durch Des Vetters Eckfenster auf die Berliner und kamen zu dem Schluss, das Volk habe an äußerer Sittsamkeit gewonnen.


Speziell für kleine Zuschauer wurden in der Weihnachts- und der anschließenden Ferienzeit, unmittelbar nach den Nachrichten und dem Wetterdienst, die ersten Kindersendungen unter der Rubrik Die Fernsehspielzeugschachtel ausgestrahlt. Abend für Abend wurden Märchenfilme oder heiter-besinnliche Episoden vorgeführt. Erst später rückten die Kindersendungen auf Nachmittags- und Vorabendtermine.

Freunde außergewöhnlicher Werke hatten schon am zweiten Programmtag den zauberhaften Puppenfilm Aladins Wunderlampe, gestaltet von dem berühmten Sergej Obraszow, erleben können.

Am dritten Programmabend erklang die erste Folge von Musik gesehen mit Werken von Beethoven und Diabelli. Heiligabend sah und hörte man erstmalig einen Beitrag im Adlershofer Programm, der auch in den folgenden Jahren wieder und wieder zu dieser festlichen Zeit ausgestrahlt wurde: Deutsche Glocken rufen zur Weihnacht. In einem harmonischen Dreiklang ertönten vom Erfurter Dom die Maria Gloriosa, der Dicke Peter vom Kölner Dom und die neue Friedensglocke aus Frankfurt an der Oder. Sie verstummten erst, als die Hoffnung auf eine baldige Herstellung der deutschen Einheit Mitte der sechziger Jahre aufgegeben werden musste.

Ohne zu ahnen, dass es sich dabei um den Vorläufer einer später zwingend werdenden Tradition handeln könnte, stand am 1. Weihnachtsfeiertag eine Oper auf dem Programm, noch als Film: Figaros Hochzeit.

Zwei weitere Sendereihen begannen am 3. Feiertag. Über eine Ratesendung unter dem Titel Wer rät mit - wer gewinnt?, wollte das Fernsehen mit seinen Zuschauern in ein kritisch-konstruktives Gespräch kommen. Es sollte ihm nicht schwer gemacht werden. So hatte bei der ersten Folge schon halb gewonnen, wer am Vorabend Zuschauer eines zweiten Opernfilms Rigoletto gewesen war. Wer nun noch markante Bauwerke erkennen konnte, die Wartburg, das Ulmer Münster und den Dresdener Zwinger, der besaß hohe Gewinnchancen, denn noch hatte Fortuna unter recht wenigen Einsendungen auszuwählen.

Es folgte schließlich, nach dem inoffiziellen Test vom 3. August 1952, der offizielle Start der ersten Reihe großer Unterhaltungssendungen unter dem Markenzeichen Das Fernsehkarussell mit der Versicherung: "Fünfzig Minuten Varieté, Humor, Tanz und Kleinkunst".

Zu einer eigenen, knappen Sendeform, einer Mischung aus Information und Unterhaltung wurde sehr bald der tägliche Wetterdienst. Die anschauliche Darstellung der Großwetterlage mit der Prognose für Berlin und Umgebung gewann sehr schnell große Beliebtheit. Als Dr. Heinz Runge, der zumeist "diensthabende Meteorologe der Zentralen Wetterdienststelle Potsdam", seinen Rang erkannt hatte, flocht er in seinen kurzen Vortrag Zitate und Reime, Volksweisheiten und passende Sentenzen ein, sodass nachträglich festgestellt werden kann: Dr. Runge wurde zu einem der ersten Fernseh-Unterhaltungsstars.

Diese erste Programmwoche konnten in Ostberlin und im näheren Umkreis einzelne Zuschauer oder auch größere Gruppen von Interessierten in Fernsehstuben auf insgesamt 75 Bildschirmen von Empfängern des Typs Leningrad verfolgen. Die Größe des Bildschirms entsprach in etwa dem, was heute als Weltpostkarte bezeichnet wird. Spötter fragten für eine gewisse Zeit denn auch: "Was hast du denn gestern Abend auf der Postkarte gesehen?"

Da auch in Westberlin das Programm verfolgt wurde, war Wochen später im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL unter anderem zu lesen: "... Bei ihrem kulturellen Neuaufbau fangen die Fernsehleute ganz unten an - auf der Mitte zwischen Hilfsschul- und Funktionärsniveau. In der Rätselsendung »Musiker, Maler und Poeten« zeigt man zum Beispiel ein Porträt Richard Wagners und verrät, daß der dargestellte Komponist in Bayreuth begraben liege. Arien aus den Meistersingern und Lohengrin werden geschmettert, außerdem erfährt der Rätselfreund, daß eine Oper des Gesuchten im Titel - und zwar als Schlußwort - den Namen einer von den Amis zerstörten Stadt trage. Die gleiche Oper des fraglichen Mannes verherrliche einen Poeten, der in Wirklichkeit Schuster gewesen sei. Wer es herausbekomme, könne 100 Ostmark gewinnen.(...)

Die Kindermärchen, die Sonntag nachmittags als Puppen-Trickfilme gebracht werden, gelten als das bisher reinste Vergnügen, das Adlershof zu versenden hat..."(3)

Der Titel der SPIEGEL-Glosse lautete übrigens: "Zilles' bunte Bühne".

Vom Beginn an bestand ein unübersehbarer Widerspruch zwischen redaktionellen Wünschen und technischen Möglichkeiten. Mehr als fünf Monate stand für das gesamte Programm neben Dia- und Filmgebern nur das Ansagestudio zur Verfügung, wohnzimmergroß im zweiten Obergeschoss direkt neben dem Hauptschaltraum gelegen, ein Raum, den die Scheinwerfer sehr schnell aufheizten.

Um nicht einen zu großen Programmanteil durch filmische Vorproduktionen und Übernahmen aus dem internationalen Dokumentar- und Spielfilmangebot bestreiten zu müssen, wurde nach Wegen gesucht, um möglichst viel aus dem winzigen Raum senden zu können. Film wurde natürlich gebraucht, denn die erste Ikonoskop-Kamera heizte sich nicht nur schnell auf, sie musste nach spätestens einer Stunde Laufzeit für eine kürzere Spanne abgeschaltet werden.

Es könnte der Eindruck entstanden sein, als hätte sich das FERNSEHZENTRUM BERLIN ausschließlich mit Kunst, Literatur und Märchen befasst. Die Märchen des politischen Alltags wurden selbstverständlich auch in den Rhythmus meist kurzer, selten länger als 10 bis 15 Minuten dauernder Programmteile eingefügt. Während am Neujahrsabend noch eine musische Reihe begann, Ballett-Solisten, folgten Tage und Wochen später populärwissenschaftliche und journalistische Sendereihen: Neues aus der Wissenschaft, Erbauer des besseren Morgen waren Wirtschaftssendungen, Land des Friedens - Land der Zukunft Filmberichte über Vorbildhaftes aus der Sowjetunion. Unter Wußten Sie schon? liefen Sendungen zu volkswirtschaftlichen Fragen im eigenen Land. Gute Saatvorbereitung - gute Ernte, der Titel sagte schon alles. Bald gab es auch den allwöchentlichen Kommentar zum Zeitgeschehen und eine monatliche Reihe Junge Pioniere lieben ihre Heimat.

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