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5 › I. Das Wahlrecht zur Organisationsverfassung

I. Das Wahlrecht zur Organisationsverfassung

5I › 1. Ausgangssituation

1. Ausgangssituation

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Die Verfassung der deutschen AG geht von einem dreigliedrigen Organisationsaufbau aus. Die drei Organe der Unternehmensverfassung sind der Vorstand, der Aufsichtsrat und die Hauptversammlung. Dem Vorstand obliegt gem. § 76 Abs. 1 AktG die eigenverantwortliche Leitung der AG. Er wird in seiner Leitungsaufgabe laufend durch den Aufsichtsrat kontrolliert und überwacht (§ 111 Abs. 1 AktG). Der Aufsichtsrat ist auch für die Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder zuständig. Die Hauptversammlung als oberstes Organ der AG bestimmt über ihre Satzungsgebungskompetenz den wirtschaftlichen und rechtlichen Aufbau der Gesellschaft, bestellt die Aufsichtsratsmitglieder und beruft sie ab und erteilt den Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern Entlastung. Gem. § 119 Abs. 2 AktG kann die Hauptversammlung über Fragen der Geschäftsführung nur entscheiden, wenn der Vorstand es verlangt. Auch der Aufsichtsrat kann gem. § 111 Abs. 4 AktG keine Maßnahmen der Geschäftsführung übertragen erhalten. Die Satzung oder der Aufsichtsrat können jedoch anordnen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats durch den Vorstand vorgenommen werden dürfen. Diese Zustimmung kann gegebenenfalls durch einen Hauptversammlungsbeschluss auf Verlangen des Vorstands ersetzt werden. Durch das Zusammenspiel dieser Vorschriften wird die Machtbalance zwischen den Gesellschaftsorganen sichergestellt. Die Hauptversammlung als oberstes Gesellschaftsorgan mit grundsätzlicher Allzuständigkeit gibt es nach dem System des deutschen AktG nicht.[1]

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Durch die Trennung der Verwaltung in Aufsichtsrat und Vorstand folgt das deutsche Aktienrecht dem sog. dualistischen System. Aufgrund der Aufgabenteilung zwischen Vorstand (Leitung) und Aufsichtsrat (Überwachung) spricht man auch vom sog. Trennungsprinzip. Vorteile des Trennungssystems sind in der klaren personellen Aufteilung und in der ausschließlichen Zuweisung der laufenden Geschäftsführung an den Vorstand sowie der Effektivierung der Kontrolle zu sehen.[2] Das im anglo-amerikanischen Gesellschaftsrecht bekannte sog. Board-System geht demgegenüber von einem monistischen System aus. Beim monistischen System gibt es neben der Hauptversammlung als weiteres Organ ein einheitliches Verwaltungsorgan mit gebündelten Leitungs- und Kontrollfunktionen.[3] Geleitet wird dieses Verwaltungsorgan durch den sog. Chief Executive Officer (CEO), der durch die Vereinigung von Leitungs- und Überwachungsfunktionen eine sehr starke Stellung in der AG hat.[4]

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Nach deutschem Aktienrecht kann dem Vorstand eine dem CEO im monistischen System entsprechende starke Stellung nicht eingeräumt werden. In der Praxis wird dies als Nachteil angesehen, weil der Aufsichtsrat im dualistischen System aufgrund der geringeren Sachnähe nicht so stark in die laufenden Entscheidungsprozesse eingebunden werden kann. Es hat daher in der Vergangenheit z.B. bei der Deutsche Bank AG Versuche gegeben, dem Vorstandsvorsitzenden eine dem CEO vergleichbare Position einzuräumen, was bei Aktionärsschützern und in der Literatur immer wieder auf heftige Kritik in den Hauptversammlungen gestoßen ist.[5]

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Gleichwohl zeigen diese Versuche, dass insbesondere bei deutschen Großunternehmen ein Bedürfnis nach einem starken CEO besteht. Neben effektiveren und flexibleren Führungsstrukturen kann dieses Bedürfnis auch deshalb bestehen, weil ausländische Kapitalanleger mit dem Board-System besser vertraut sind und eine deutsche Kapitalgesellschaft mit einem monistischen System ein interessanteres Anlageobjekt sein kann.[6] Insbesondere auch für Familienunternehmen bietet die monistische Leitungsstruktur in ihren verschiedenen Ausprägungen eine interessante Alternative zum dualistischen System.[7]

5I › 2. Wahl zwischen dualistischem und monistischem System

2. Wahl zwischen dualistischem und monistischem System

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Die Aktienrechte in der EU sind im Hinblick auf die Leitungsstruktur sehr uneinheitlich. Während Deutschland, Österreich, Dänemark und die Niederlande ein rein dualistisches System haben, gibt es in Großbritannien, Belgien, Schweden, Luxemburg, Italien, Portugal und Irland ausschließlich das monistische System. Das französische und norwegische Aktienrecht kennen sowohl ein monistisches als auch ein dualistisches System.[8]

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Vor diesem europarechtlichen Hintergrund hatte die SE-VO zu entscheiden, welches System Anwendung finden soll. Die SE-VO hat sich im Bereich der Unternehmensverfassung entschieden, dem Satzungsgeber große Gestaltungsfreiheit zu geben. Die Satzung muss bestimmen, ob das monistische oder dualistische System gewählt wurde.[9] Gem. Art. 38 SE-VO muss die SE als Organ die Hauptversammlung (Art. 38a SE-VO) und ein Verwaltungsorgan haben. Dabei überlässt Art. 38 b SE-VO dem Satzungsgeber die Wahl für ein Aufsichtsorgan und ein Leitungsorgan (dualistisches System) oder für ein einheitliches Verwaltungsorgan (monistisches System).

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Art. 43 Abs. 4 SE-VO bestimmt für Länder, in denen ein monistisches System nach dem nationalen Aktienrecht nicht möglich ist, dass der Mitgliedstaat entsprechende Vorschriften in Bezug auf die SE erlassen „kann“. Daraus wird teilweise gefolgert, dass Mitgliedstaaten zur Einräumung einer Wahlmöglichkeit zwischen den Systemen nicht gezwungen werden sollen.[10]

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Die Diskussion, ob Art. 43 Abs. 4 und Art. 39 Abs. 5 SE-VO einen Rechtssetzungsbefehl enthalten, erscheint müßig. Wenn der nationale Gesetzgeber von der Kompetenzzuweisung keinen Gebrauch macht, gilt die SE-VO aufgrund der Normenhierarchie gem. Art. 9 SE-VO und der direkten Anwendbarkeit gem. Art. 288 AEVV unmittelbar. Die Wahlfreiheit folgt dann direkt aus Art. 38 b SE-VO, der der SE das Recht gibt, sich in ihrer Satzung für das monistische oder das dualistische System zu entscheiden.[11]

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Die SE-VO enthält auch materiell-rechtliche Regelungen zur Unternehmensverfassung. Die Regelungsdichte ist allerdings relativ gering. Der nationale Gesetzgeber, der keine ergänzenden Regelungen schaffen will, kann die SE-VO direkt zur Anwendung kommen lassen. Letztendlich wird die Handhabung der Unternehmensleitung jedoch erschwert, wenn in einem nationalen Aktienrecht nicht bekannte Leitungssysteme für die SE allein über die SE-VO zur Anwendung kommen. Allein deshalb besteht ein faktischer Regelungszwang für den nationalen Gesetzgeber, das jeweils in seinem nationalen Aktienrecht nicht bekannte Leitungssystem in seinem Ausführungsgesetz zur SE-VO zu regeln.[12]

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Die Alternative, dass der Satzungsgeber fehlende Regelungen im nationalen Recht ausgestaltet und sich ein eigenes Leitungssystem über die Satzung zusammenstellt, ist rechtlich nicht umsetzbar. Denn die Satzungsautonomie besteht gem. Art. 9 Abs. 1 b SE-VO nur dort, wo die SE-VO sie ausdrücklich zulässt.[13]

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Der deutsche Gesetzgeber hat von der Ermächtigung in Art. 43 Abs. 4 SE-VO Gebrauch gemacht und das monistische System in den §§ 20–49 SEAG ausführlich geregelt. Das monistische System soll durch diese Regelungen mit dem vom dualistischen System geprägten deutschen Aktienrecht kompatibel gemacht werden. Der Gesetzgeber verfolgt dabei das Ziel, das monistische Modell so flexibel und zugleich mit hinreichender Regelungsdichte auszustatten, dass es für die SE mit Sitz in Deutschland zu einer wirklich handhabbaren Alternative zum dualistischen Modell wird.[14]

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Wie die funktionale Trennung zwischen Geschäftsführungs- und Überwachungsaufgaben, die im 14. Erwägungsgrund der SE-VO als wünschenswert bezeichnet wird und in Ziff. 3 DCGK geregelt ist, im monistischen System umgesetzt werden soll, war bei Einführung der SE eine ebenso spannende Frage wie die Frage nach der Einfügung deutscher Arbeitnehmermitbestimmung in das monistische System.[15] Auch die Einführung des monistischen Systems in das deutsche Konzernrecht stellte den deutschen Gesetzgeber und den Rechtsanwender vor interessante Fragestellungen.[16] Festzustellen ist, dass die SE in Deutschland trotz anfänglicher Zweifel große Attraktivität entfaltet hat.[17] Dies gilt nicht nur für Großkonzerne wie die Allianz SE, BASF SE oder Porsche SE, sondern zunehmend auch für den Mittelstand. Es verwundert daher nicht, dass besonders in Deutschland aus der Praxis gewonnene Verbesserungsvorschläge für die SE-VO gemacht werden.[18] Zum 21.3.2014 waren europaweit 2125 SE registriert. Von diesen waren 81 % dualistisch strukturiert und 15 % monistisch. Bei 4 % der registrierten SE war die Leitungsstruktur unbekannt. In Deutschland waren zu diesem Zeitpunkt 292 SE registriert. Bei 111 dieser deutschen SE hat man sich in der Satzung für eine monistische Leitungsstruktur entschieden. Das dualistische System wurde dagegen bei 198 Gesellschaften gewählt. Bei 38 deutschen SE ist die Leitungsstruktur wiederum unbekannt.[19]

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