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2.5.1 Grundsätzliche Kompetenzverteilung

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Nach Art. 43 Abs. 1 S. 1 SE-VO führt das Verwaltungsorgan die Geschäfte der SE. Dementsprechend bestimmt § 22 Abs. 1 SEAG, dass der Verwaltungsrat die Gesellschaft leitet und die Grundlagen ihrer Tätigkeit überwacht. Die laufenden Geschäfte werden gem. § 40 Abs. 2 S. 1 SEAG von den geschäftsführenden Direktoren geführt, die gem. § 40 Abs. 1 S. 2 SEAG auch gleichzeitig Mitglieder des Verwaltungsrats sein können.[64]

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Im Grundsatz treffen den Verwaltungsrat damit gebündelt alle Aufgaben, die im dualistischen System der Aufsichtsrat und der Vorstand jeweils getrennt wahrzunehmen haben.[65] Trotz des Zusammenfallens der Aufgaben hat sich in der internationalen Corporate Governance-Debatte herausgebildet, dass auch beim monistischen System die Trennung von Geschäftsführung und Überwachung erforderlich ist. Teilweise wird aufgrund dieser Erkenntnis von einer Konvergenz des dualistischen und monistischen Systems gesprochen.[66]

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Es stellt sich die Frage, was unter den Leitungsaufgaben, die der Verwaltungsrat wahrzunehmen hat, und unter den laufenden Geschäftsführungsmaßnahmen, die den geschäftsführenden Direktoren obliegen, zu verstehen ist. Diese Frage ist im Ansatz mit der Frage nach dem Rahmen der eigenverantwortlichen Leitung der Gesellschaft durch den Vorstand im dualistischen System[67] vergleichbar. Anders als dem Vorstand (§ 76 Abs. 1 AktG) steht den geschäftsführenden Direktoren jedoch gerade keine Eigenverantwortlichkeit bei der Führung der Geschäfte der Gesellschaft zu. Sie unterliegen gem. § 44 Abs. 2 SEAG den Weisungen des Verwaltungsrats und sind damit einem GmbH-Geschäftsführer vergleichbar.[68]

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Wie ein Geschäftsführer (§ 38 Abs. 1 GmbHG) können die geschäftsführenden Direktoren ohne Begründung vom Verwaltungsrat abberufen werden (§ 40 Abs. 5 S. 1 SEAG). Wenn die geschäftsführenden Direktoren gleichzeitig Mitglieder des Verwaltungsrats sind, muss die Abberufung durch die Hauptversammlung gem. § 29 SEAG erfolgen. Die Abhängigkeit der geschäftsführenden Direktoren ist damit im Vergleich zum Vorstand im dualistischen System sehr groß oder umgekehrt gewendet ihre Selbständigkeit eher gering.

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Nach dem gesetzlichen Modell der SE-VO und des SEAG sind grundsätzlich zwei Arten von geschäftsführenden Direktoren denkbar. Es gibt geschäftsführende Direktoren aus der Mitte des Verwaltungsrats und externe geschäftsführende Direktoren, die nicht gleichzeitig dem Verwaltungsrat angehören.[69] Die Möglichkeit, unterschiedliche geschäftsführende Direktoren zu haben, ergibt sich aus § 40 Abs. 1 S. 2 SEAG, der vorsieht, dass Mitglieder des Verwaltungsrats zu geschäftsführenden Direktoren bestellt werden können. Die Überwachungsfunktion soll dadurch sichergestellt werden, dass die Mehrheit des Verwaltungsrats weiterhin aus nichtgeschäftsführenden Mitgliedern bestehen soll.[70]

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Unter Beachtung dieser Vorgaben kann die Satzung die Geschäftsführung durch die geschäftsführenden Direktoren frei bestimmen. Sie kann vorsehen, dass sämtliche geschäftsführenden Direktoren gleichzeitig Verwaltungsratsmitglieder sind. Die Satzung kann aber auch vorsehen, dass sämtliche geschäftsführende Direktoren verwaltungsratsfremd sind. Daher ist bei der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister die genaue Funktionsverteilung im Handelsregister offenzulegen.[71]

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Dies führt zu zwei unterschiedlichen Geschäftsführungsmodellen innerhalb des monistischen Systems. Nach dem ersten Modell (geschäftsführende Direktoren sind gleichzeitig Verwaltungsratsmitglieder) erhalten die geschäftsführenden Direktoren einen stärkeren Einfluss auf die Entscheidungsfindung im Konzern als der Vorstand im dualistischen System, weil sie an den Beratungen und Beschlüssen des Verwaltungsrats mitwirken und damit erheblichen Einfluss auf die Entscheidungen des Verwaltungsrats ausüben können. Gleichzeitig überwachen sich die Direktoren in diesem Modell aber selbst. Ein vollständiger Zusammenfall von Geschäftsführung und Überwachung wird nur dadurch verhindert, dass gem. § 40 Abs. 1 S. 2 SEAG die Zahl der nicht geschäftsführenden Mitglieder im Verwaltungsrat höher sein muss als die der geschäftsführenden Mitglieder. Diese Sicherung ist jedoch eher fragwürdig. Bei bestehender Beschlussfähigkeit des Verwaltungsrats können Mitglieder des Verwaltungsrats, die nicht gleichzeitig geschäftsführende Direktoren sind, fehlen, sodass die geschäftsführenden Direktoren sich dann tatsächlich selbst kontrollieren. Die geschäftsführenden Direktoren müssen gegebenenfalls auch bei voller Besetzung des Verwaltungsrats nur ein nicht geschäftsführendes Mitglied auf ihre Seite ziehen. Ob eine solche Konstellation nach modernen Corporate Governance-Kriterien akzeptabel ist, ist stark zweifelhaft.[72]

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Eine Lösung könnte sein, eine Zweidrittelmehrheit der nicht geschäftsführenden Mitglieder im Verwaltungsrat in § 40 Abs. 1 S. 2 SEAG vorzusehen. Denkbar wäre auch eine Regelung, wonach die Beschlussfähigkeit im Verwaltungsrat nur gegeben ist, wenn eine Mehrheit der nicht geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder anwesend ist. Es ist jedoch klarzustellen, dass diese Überlegungen de lege ferenda erfolgen. De lege lata ist klar, dass die Eigenüberwachung in dem beschriebenen Sinne zulässig ist, da Art. 43 Abs. 1 S. 2 SE-VO den Mitgliedstaaten Gestaltungsfreiheit einräumt, die der nationale Gesetzgeber wie beschrieben wahrgenommen hat.

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Das oben beschriebene zweite Modell, die Wahrnehmung der laufenden Geschäftsführung durch externe Geschäftsführer, die nicht gleichzeitig Verwaltungsratsmitglieder sind, nähert sich dem dualistischen System an. Die Überwachungsmöglichkeit ist noch weitergehend gegeben als im dualistischen System. Denn der Verwaltungsrat kann eigene Geschäftsführungsmaßnahmen ergreifen und den geschäftsführenden Direktoren Weisungen erteilen (§§ 22 Abs. 1, 44 Abs. 2 SEAG). Diese Möglichkeit der „aktiven Überwachung“ durch mitunternehmerisches Zusammenwirken wird als vorteilhafte Gestaltungsmöglichkeit im monistischen System und als Beitrag zur verbesserten Corporate Governance angesehen.[73] Sofern der Verwaltungsrat diese Aufgabe professionell wahrnimmt und nicht das Tagesgeschäft zu steuern versucht, ist dem zuzustimmen. Eine solche Maximierung der Überwachung ermöglicht eine Abschwächung des Prinzipal-Agenten-Konflikts, der insbesondere bei fremdgeführten Familienunternehmen existiert.[74]

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