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IV. Neue Initiativen 1987/1988
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Das Jahr 1986 war gekennzeichnet durch die von Kommissionspräsident Delors ausgehende Initiative zur Vollendung des Binnenmarkts, die zur Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte[1] führte. Neben einer Stärkung der Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments im Rechtssetzungsverfahren sah der neu eingefügte Art. 100a EGV (jetzt Art. 114 AEUV) für die Rechtsangleichung bekanntlich nicht mehr nur den Erlass von Richtlinien, sondern von „Maßnahmen“ vor, unter denen neben Richtlinien auch Verordnungen i. S. v. Art. 189 Abs. 2 EGV (jetzt Art. 288 Abs. 2 AEUV) verstanden werden konnten, ferner ein revolutionäres Abstimmungsverfahren im Rat: An die Stelle des Einstimmigkeitsprinzips des Art. 100 EGV (jetzt Art. 115 AEUV) trat die Mehrheitsentscheidung nach gewogenen Stimmen. Die Kommission schlug in einem Weißbuch[2] eine lange Liste zu realisierender „Maßnahmen“ für die Vollendung des Binnenmarkts vor, zu denen auch das Gesellschaftsrecht zählte. Im Blick auf diesen Katalog forderte der Europäische Rat 1987, „die Anpassungen des Gesellschaftsrechts mit dem Ziel der Schaffung einer Gesellschaft europäischen Rechts rasch voranzutreiben“.[3]
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Auf diesen Anstoß hin arbeitete die Kommission 1988 ein Memorandum aus,[4] in dem sie die grundsätzlichen Probleme erneut erörterte und Lösungen aufgrund der bisherigen Erfahrungen vorschlug. Nach ermutigenden Stellungnahmen des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses legte sie am 25.8.1989 den zweiten „Vorschlag einer Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft“[5] vor, zugleich mit dem „Vorschlag einer Richtlinie zur Ergänzung des SE-Statuts hinsichtlich der Stellung der Arbeitnehmer“.[6]
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Diese Zweiteilung der Rechtsakte zeigte die neue Konzeption der Kommission: Herauslösung der Frage der Mitbestimmung aus dem System der „Europäischen AG“ und deren Verselbständigung. Als Grund hierfür gab die Kommission „die unterschiedlichen Bemühungen und Praktiken der Mitgliedstaaten in diesem Bereich an“.[7] Allerdings forderte sie in ihren Vorschlägen, dass „Verordnung und Richtlinie eine untrennbare Einheit bildeten und zum gleichen Zeitpunkt anwendbar sein müssten“.
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Aber auch bei den gesellschaftsrechtlichen Regelungen verließ die Kommission vollständig das Konzept des Jahres 1970. Sie verkürzte den Verordnungsvorschlag auf 137 (anstelle von 284) Artikel, indem sie alle die Grundregelung auffüllenden Vorschriften strich und für jede einzelne SE dafür das nationale Recht des Sitzes anzuwenden empfahl. Sie begründete diese Vorgehensweise mit der in der Zwischenzeit weit vorangeschrittenen und weiterhin voranschreitenden Harmonisierung der nationalen Gesellschaftsrechte. Der Zugang zur Rechtsform wurde durch eine erneute Herabsetzung des Mindestkapitals undifferenziert auf 100 000 ECU erweitert, „um das Statut in verstärktem Umfang kleinen und mittleren Unternehmen zugänglich zu machen“,[8] was eine völlig neue Zielsetzung für die neue Rechtsform bedeutete. Der Titel „Konzernrecht“ wurde „als für die SE nicht notwendig“ gestrichen. Sofern die Harmonisierungsrichtlinien für die Mitgliedstaaten Optionen vorsahen, wurden diese im Gegensatz zu den vorangegangenen Vorschlägen offen gelassen. So wurden z. B. für die Leitung einer SE das monistische und das dualistische Führungssystem nebeneinander zur Wahl der Gründungsgesellschaften gestellt.
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Zur Mitbestimmung schlug die Kommission in ihrem Richtlinienentwurf drei Modelle vor: die Vertretung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat mit einem Mindestanteil von einem Drittel und einem Höchstanteil der Hälfte „der Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsmitglieder“, die Bildung eines „separaten Vertretungsorgans“ mit weitgehenden Informationsrechten und die Möglichkeit von tarifvertraglichen Ad-hoc-Vereinbarungen zwischen der Gesellschaft und den die Arbeitnehmer vertretenden Gewerkschaften, ebenfalls mit weitreichenden Informationsrechten. Die Wahl zwischen diesen drei Modellen sollte dem Leitungsorgan der SE und ihren Arbeitnehmern zustehen. Allerdings sollten die Mitgliedstaaten die Wahl der Modelle für Gesellschaften mit Sitz in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet begrenzen können.
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Mit diesen Vorschlägen verließ die Kommission vollständig das Grundkonzept einer einheitlichen, in sich geschlossenen Rechtsform, der der Charakter eines europäischen Aktiengesetzes zugekommen wäre. An dessen Stelle trat ein neuer Gedanke: eine „Europäische AG deutschen, französischen, britischen etc. Rechts“. Die Annahme, die gesellschaftsrechtliche Harmonisierung hätte zur weitgehenden Gleichwertigkeit der nationalen Gesellschaftsrechte geführt, trügt. Allein die grundlegende Richtlinie zur Struktur der AG mit ihren, abgesehen von der Art der Unternehmensführung, erforderlichen Regelungen über die Stellung und Rechte der Aktionäre fehlt bis heute vollkommen. Alle Optionen, insbesondere im Bereich der Unternehmensführung und der Mitbestimmung, führen notwendigerweise zu nationalen Differenzierungen und öffnen durch die Wahl des Sitzes der Versuchung Tor und Tür, das günstigste Recht zu wählen – eine Versuchung, die gerade durch die Harmonisierung der nationalen Gesellschaftsrechte beseitigt werden sollte. Mit Recht sagte Ulmer: „Die künftige SE ist, überspitzt gesagt, eine nationale AG in europäischem Gewande.“[9] Das gilt nach wie vor auch für die 2001 endgültig verabschiedete Rechtsform.
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Nach Stellungnahmen des Wirtschafts- und Sozialausschusses[10] und des Europäischen Parlaments[11] zum Statuts- und Richtlinienvorschlag Mitbestimmung[12] änderte die Kommission am 16.5.1991 erneut ihren Vorschlag,[13] verkürzte ihn weiter auf 108 Artikel und fügte für die Mitbestimmung eine vierte Option hinzu. Aber auch diese Initiative scheiterte, vornehmlich an der Mitbestimmungsfrage.