Читать книгу Geschichten vom Bau - Hartmut Witt - Страница 18
Joe
ОглавлениеEines Morgens schleppte ich mich auf der Großbaustelle in Konstanz vollbepackt mit Maschinen die Treppe herauf. Mitten auf der Treppe stand eine Leiter. Auf der Leiter stand Joe, daneben ein Hüne von Mann, ich nenne ihn mal Rolling Thunder. Ich grüßte und drückte mich an der Leiter vorbei. Mit einem Koffer blieb ich fast hängen, es gab einen leichten Stoß auf die Leiter, ein „Heeeh“ gab es zur Antwort.
Nun, er ist nicht runtergefallen, ich lief also unbeirrt weiter die Treppe herauf.
Doch kaum war ich oben, kamen mir die Zwei hinterher, stellten und drängten mich in die Ecke.
Joe hat große Augen, Halbglatze, ziemlich tätowiert. Ein blauer, koreanischer Drache, das Abzeichen einer original koreanischen Taekwondo-Kampfschule, zierte seinen rechten Schlagarm. Rollte er mit den Augen und fletschte er mit den Zähnen, wurde es Zeit, Angst zu bekommen.
Der Hüne hinter ihm war fast 2 Meter groß, hatte lange blonde Haare, war ebenfalls tätowiert.
Kurz war ich versucht, so in die Ecke gedrängt, als Erster zuzuschlagen. Doch mein Kopf sagte mir, man, die Übermacht ist zu groß. Also habe ich mich kleinlaut entschuldigt!
Ich tat gut daran, denn Joe entpuppte sich als absolutes Kampftier. Er konnte aus dem Stand mit den Füssen an die Decke springen und wieder auf den Füssen landen. Gab es irgendwo Zoff, dann pflegte Joe die Situation zu bereinigen, indem er innerhalb von Sekunden alle Beteiligten einfach k.o. schlug! Ein paar wenige Tritte und Schläge und die Sache hatte sich erledigt!
Ja, wir kamen ins Gespräch, da stellte sich heraus, dass wir in der Grundschule Klassenkameraden waren und dann erinnerte ich mich: Er war Klassenstärkster! Ich hatte einen Freund namens Linus, und da musste ich einmal mit ansehen, wie Joe meinen armen Linus niedermachte und ihn auf dem Boden mit seinen Knien massakrierte. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, warf mich auf Joe und schlug ihn, so fest ich konnte, mit der Faust. Da stand Joe auf musterte mich. Ich fürchtete, ich bekäme nun Prügel. Stattdessen sagte er zu mir: “Mein Gott, bist Du mutig! Wollen wir Freunde sein?“
Joe erinnerte sich auch daran, und fortan waren wir wieder Freunde.
Joe war auch Fallschirmspringer und hatte die wildesten Sprünge auf Fallschirmspringer-Meetings gemacht, zum Beispiel aus russischen Militärmaschinen und unzulässigen Höhen abzuspringen, was freilich auch nur in Russland ging. Und einmal brauchte er auch seine Fallkünste beim Sturz vom Dach:
Früher bekam man nur spärliche Gerüste mit nicht allzu dicken Brettern als Geländer, die Auflager mit ein paar Ösen am Mauerwerk befestigt, und darunter nichts, nur der Abgrund und die Baugrube. Heidenei und Joe machten etwas ganz Unökologisches für den Katzor, eine Aufdachdämmung mit aluminiumkaschierten Schaumplatten. Das Problem ist, dass man nicht auf ihnen laufen kann, man rutscht sofort. Also baute Heidenei mittels lose ausgelegter Latten eine einfache Stellage auf das Dach, auf denen so ein Leichtfuß wie Heidenei mit bewusster Gewichtsverteilung durchaus laufen konnte. Doch Joe kannte noch kein solch labiles Heidenei-Gerüst. Kaum war er darüber hochgeklettert, rutschte die Stellage, klappte zusammen, Joe rutschte vom First herunter und nahm Fahrt auf. Von der Traufe an flog er, durchschlug das Brettergeländer und dann im freien Fall 6 Meter in die Tiefe. Wie eine Katze drehte sich Joe im Flug, um auf den Füssen zu landen. Doch er schlug am Rand der Baugrube auf, machte einen Salto und stürzte nochmals 3 Meter tiefer in die Baugrube. Es wäre ihm gar nichts passiert, hätte er sich nicht am Kellerschacht in der Baugrube das Knie aufgeschlagen. Ok, er bekam noch eine Ladung der durchbrochenen Bretter des Geländers ins Kreuz.
Ein anderer hätte sich bei einem solchen Absturz weiß Gott was gebrochen oder wäre gar ums Leben gekommen!
Ein andermal wollte Joe uns eine Demonstration seiner Karatekünste geben. Er durchschlug bei seinen Demonstrationen mühelos zahllose Dachplatten mit der bloßen Handkante und diesmal wollte er uns zeigen wie er mit seinem Kopf ein Brett spaltet. Dumm nur, dass das Brett feucht war und Äste hatte, also gar nicht so leicht zu spalten, selbst wenn man es mit einer Axt versuchte.
Joe donnerte sich das Brett an den Schädel, es brach nicht. Noch mal Knall, und noch mal, und noch mal, es brach einfach nicht! Wir konnten uns das Lachen nicht mehr verkneifen, Joe hat ein Brett vor dem Kopf! Schließlich gab er wutschnaubend auf und feuerte das Brett in eine Ecke. Als er sich wieder beruhigt hatte, klärten wir ihn auf, warum das mit diesem Brett keine ganz so günstige Ausgangsposition war.
Ansonsten war Joe ja ein liebenswürdiger Kerl, man sollte ihn nur nie als Feind haben!
Heute hat Joe eine Fallschirmspringschule in den USA!