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MIT GOTTES SEGEN
VON RISIKEN UND HEILWIRKUNGEN
Kos, 11. September
Etwas lustlos stochert Connie in ihrem Frühstücksomelett herum.
»Schmeckt Ihnen das Omelett nicht?«, sorgt sich die freundliche Bedienung, die ihr und Anna den Kaffee an den Tisch bringt, und schiebt gleich nach: »Probieren Sie doch stattdessen mal die Spiegeleier mit Speck. Oder wie wäre es mit einem schönen frischen Salat mit etwas Schafskäse?«
»Erst mal einen Kaffee«, stöhnt Connie. »Vielleicht geht es mir darauf besser. Ich habe mal wieder fürchterlich Kopfweh. Das passiert mir in letzter Zeit immer öfter. Ich weiß gar nicht wovon.«
Mitleidig beobachtet die freundliche Serviererin die arme Connie, während sie ihr den Kaffee eingießt.
»Haben Sie schon mal die Heilige Katherina um Hilfe gebeten?«, fragt sie besorgt.
»Nein, noch nicht einmal meinen Hausarzt. Sooo schlimm ist es nun auch wieder nicht, dass ich den Arzt oder gar die Heiligen im Himmel damit behelligen müsste. Wird schon wieder vergehen. Meist geht es mir schon auf den Kaffee besser.«
Und so ist es zum Glück auch tatsächlich. Kaum haben die beiden Frauen gefrühstückt, ist Connie schon wieder ganz die Alte und steckt voller Tatendrang.
»Wie wollen wir denn den letzten Tag hier in Kos nutzen?«, will sie gleich von Anna wissen.
»Eine Thermalquelle, die sich mit fast 50 Grad Celsius in ein natürliches Becken im Meer ergießt, soll es unweit der Stadt geben. Das wäre doch mal was anderes nach den vielen antiken Steinen gestern. Wir könnten im Touristenbüro fragen, wie man dorthin kommt. Was hältst du davon?« Und schon hat Anna das Foto der rund zwölf Kilometer südöstlich von Kos gelegenen Embros-Therme in dem kleinen Bildband gefunden, den sie gestern gekauft hat, und zeigt Connie das Bild eines Steinbeckens im Meer, in dem sich einige Badende sichtlich wohl fühlen.
Die beiden packen einen Badeanzug und ein Handtuch ein und machen sich auf in die den Hafen säumende Straße Akti Kountourioti, wo sich das Informationsbüro befindet. Sie erfahren, dass um 11 Uhr ein Bus in Richtung Agias Fokas und zu der Thermalquelle geht – Zeit genug, um vorher nochmal zur Platía Platanoú zu gehen, dem kleinen Platz mit der riesigen, uralten Platane. Unter ihr soll vor rund 2.400 Jahren Hippokrates mit seinen Schülern gesessen sein, und nun dürfen Anna und Connie ihren Schatten genießen. Während Connie die Prospekte studiert, die sie im Fremdenverkehrsbüro bekommen haben, versucht sich Anna den antiken Arzt vorzustellen, wie er einst hier saß. Gestern hatte sie im Innenhof des archäologischen Museums ein wunderbares Mosaik gesehen, das ihn zusammen mit Asklepios – dem Gott der Heilkunst – zeigt. Wie sie so vor sich hinträumt, sieht Anna am gegenüberliegenden Hauseck einen Priester mit langem weißem Bart und schwarzem Priesterrock ein Weihrauchgefäß schwenken. Neugierig geworden, sagt sie zu der in ihre Lektüre vertieften Connie, sie gehe kurz etwas schauen und sei gleich wieder da. Neben dem Pfarrer steht eine kleine Gruppe junger Leute. Ach – und schau da! Da ist ja Alexander, der wortarme und gestenreiche Angestellte aus dem Fährbüro. Auch er hat Anna erkannt, grüßt sie freundlich, als sie sich nähert, und deutet mit den stolzen Worten »my car« (mein Auto) auf den kleinen roten Toyota, dem Worte und Weihrauchschwaden des Priesters galten. Inzwischen scheint er mit seiner Zeremonie fertig zu sein, während die Umstehenden Alexander mit Glückwünschen überschütten. »Kalorísiko!« ist davon der einzige, der Anna trotz fehlender Griechischkenntnisse irgendwie Sinn ergibt. Kaló kennt sie. Das heißt gut. Und Risiko scheint ja international zu sein, sich also wohl auf das Risiko zu beziehen, das jemand eingeht, indem er sich mit einem Auto in den griechischen Stadtverkehr wagt, oder? Braucht es da vorher Glückwünsche und geistlichen Beistand? War Alexander deshalb gestern so schweigsam, weil er an übertriebenen Ängsten leidet? Leider kann sie das nicht klären. Alexander und seine Freunde hätten sie gern auf ein Getränk eingeladen, doch Anna muss schnell zurück unter die Hippokrates-Platane zu Connie, bevor die sich Sorgen macht. Und bald geht ja auch ihr Bus Richtung Agias Fokas.
Der Fahrer lässt sie oberhalb der Thermalquellen aussteigen. Eine Staubpiste führt den Hang hinab zum Meer. Dort erwartet sie ein kleiner Strand unterhalb steiler Felswände. An seinem Ende finden sie die brodelnden heißen Quellen, umgeben von Felsbrocken. Im Nu sitzen sie darin und genießen das wohltuende Thermalwasser. Während sie die Ziegen bei ihren beeindruckenden Klettertouren an der Steilwand beobachten, lassen sie die Tage auf Kos Revue passieren und freuen sich auf ihre Fährreise am nächsten Tag zu der Vulkaninsel Nísyros.
PLATANEN – SAGENUMWOBEN UND SCHATTENSPENDEND
Platanen sind in ganz Griechenland weit verbreitet und beliebt, vor allem solche der Art Platanus orientalis, wie die mit dem antiken Arzt Hippokrates in Verbindung gebrachte auf der Insel Kos. Tatsächlich werden sie Jahrhunderte, in Einzelfällen auch über tausend Jahre alt. Ein derart hohes Alter attestiert man beispielsweise der Platane auf dem Dorfplatz von Tsangarada in der griechischen Bergregion Pilion. Sie hat einen Stammumfang von 14 und Kronendurchmesser von circa 40 Metern und besitzt noch gesundes Kernholz, was eine Altersbestimmung besser ermöglicht als im Fall der hohlen »Hippo-krates-Platane«, von der Wissenschaftler heute annehmen, sie sei ein Ableger eines alten Baums, der hier vielleicht tatsächlich in der Antike stand, wie die Sage behauptet.
Platanen sind von griechischen (Dorf-)Plätzen nicht wegzudenken. Tavernen und Cafés stellen darunter ihre Tische und Stühle auf. Für sie sind sie das, was für bayerische Biergärten die Kastanienbäume sind: natürliche Schattenspender, unter denen sich hervorragend Speis und Trank genießen lässt.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Recht befremdet war Connie, als die Hotelangestellte ihr gegen Kopfschmerzen statt einer Tablette oder irgendeinem Hausmittelchen die Anrufung einer Heiligen empfahl.
Ungewöhnlich ist so etwas in Griechenland aber nicht. Mit vielen Wünschen wendet man sich an die Heiligen, vor allem mit den besonders innigen – sei es der nach Genesung, nach Nachwuchs, nach einem Wiedersehen mit verloren geglaubten Freunden oder schlicht nach dem Gelingen eines Vorhabens. Das Vorgehen dazu reicht vom einfachen Anflehen der Ikone des Heiligen über das Deponieren von Votivgaben bis zur Pilgerreise und dem Erklimmen der Stufen einer Pilgerkirche auf den Knien.
Auch die Szene mit dem jungen Griechen, dem Anna bereits gestern begegnet war, und seinem Auto hat mehr mit Religiosität als mit Angst im Verkehr zu tun. Griechen sind eher Draufgänger beim Fahren, als allzu ängstlich. Davon werden sich Anna und Connie schon morgen überzeugen können. Da ist wohl auch der auf sein Auto so stolze Alexander keine Ausnahme. Es ist einfach völlig üblich, neue Anschaffungen von einem Pfarrer weihen zu lassen oder sich in gleicher Weise für ein errichtetes Gebäude oder neu eröffnetes Geschäft Segen zu sichern. Und das Wort risikó gehört zu den ›falschen Freunden‹, zu jenen Wörtern, die in der griechischen Sprache eine andere Bedeutung haben als im Deutschen. Sagt man zu jemandem kalorísiko, wenn er sich ein neues Auto gekauft hat, so will man ihm einfach viel Glück oder viel Freude damit wünschen – wörtlich: ein gutes Schicksal, denn risikó bedeutet schlicht Schicksal, während das griechische Wort für Risiko rísko oder kíndynos wäre.
KIRCHEN, SO WEIT DAS AUGE REICHT – DIE GRIECHISCHE ORTHODOXIE
Rund 97 Prozent aller Hellenen wurden griechisch-orthodox getauft. Viele von ihnen praktizieren ihre Religion mit einer Frömmigkeit, die auf Schritt und Tritt offenkundig wird. Nicht nur jeder Ortsteil und jedes noch so kleine Dorf hat sein Gotteshaus oder gleich mehrere davon, Kapellen finden sich auch weit über das Land verstreut. Mit ihrem leuchtenden Weiß und ihren meist kräftig blau strahlenden Kuppeln prangen sie weithin sichtbar auf Berg- und Hügelkuppen, an Hafeneinfahrten und Stränden.
Sie werden liebevoll gepflegt und geschmückt. Selbst in weitgehend verlassenen und verfallenen Dörfern ist häufig die Kirche als einziges Gebäude intakt und frisch getüncht. Traditionell streicht man sie, wenn das Osterfest oder der Jahrestag des Heiligen, dem sie geweiht ist, ansteht. Gottesdienste sind gut besucht, und Feiertage werden mit großen Familien- und Gemeindefesten begangen. In allen wichtigen Lebenslagen wird priesterlicher Segen gesucht, sei es vor einem wichtigen Fußballspiel oder bei einer Geschäftseröffnung.
Der Begriff »orthodox« leitet sich von den griechischen Wörtern orthós für richtig und dóxa für Meinung, Glaube, aber auch Lobpreis und Herrlichkeit ab, woraus sich die Bedeutung Rechtgläubigkeit und rechter Lobpreis ergibt. Geprägt ist diese Lehre von einer konservativen Haltung; sie will Beliebigkeit und Willkür in der Religionsausübung meiden. Das zeigt sich auch an den Sakralbauten und -bildern: Anders als westliche Kirchenkunst unterliegen sie keinen Stilwandlungen. Besondere Bedeutung kommt Hymnen und Ikonen zu (zu letzteren siehe Infokasten »Fenster in die geistige Welt«).
Was können Sie besser machen?
Ruhig neugierig sein, aber sich einfach nicht so viel wundern, vor allem wenn es um (Aber-)Glaubensdinge geht! Doch das wird sich sowieso im Lauf von Connies und Annas Reise legen. Denn sie werden noch vielen ähnlichen Bekundungen von Religiosität, aber auch von Aberglauben begegnen. (Mehr dazu beispielsweise im nächsten Kapitel 5) Und sie werden noch über viele Worte stolpern, die sie aus ihrer Muttersprache zu kennen glauben, die aber im Griechischen eine völlig andere Bedeutung haben. (Mehr dazu in Kapitel 10)