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IM VULKANKESSEL

VON UNFÄLLEN UND SCHUTZENGELN

Nísyros, 13. September

Heute wollen Anna und Connie endlich den Vulkankrater sehen. Sie nehmen den ersten Gemeindebus am Morgen zum Bergdorf Nikiá am Rand des großen Vulkankessels, der Caldera. Leichter Schwefelgeruch liegt in der Luft. Sie suchen den kalderími, den alten, gepflasterten Saumpfad zum Kloster Timíu Stavrú, oder kurz »Stavrós«, wie es in der kleinen Broschüre des Fremdenverkehrsamts heißt. Denn sie wollen das Kloster in ihre Wanderung zum Krater einbinden.

Ein Bauer zeigt ihnen einen kaum erkennbaren Steig, der am Ende des Dorfs von der Asphaltstraße abzweigt, bald in Steinstufen übergeht und schließlich auf den mit unregelmäßigen Natursteinen gepflasterten und streckenweise von Steinmäuerchen gesäumten alten Pilgerweg trifft. Nur noch Teile dieses Jahrhunderte alten kalderími sind erhalten. Der weitere Verlauf der Wanderstrecke ist dennoch klar erkennbar, denn sie ist hier und da mit roten Punkten markiert.

Mit einem immer stärkeren Schwefelgeruch in der Nase gehen Anna und Connie nun am steil abfallenden Einbruchsrand des Vulkans entlang. Zur Linken blicken sie aufs Meer, zur Rechten auf die weitläufige kesselartige Formation, die der eingebrochene Vulkan hinterlassen hat. Bald zeichnen sich darin die riesige, in den Kesselboden eingelassene Pfanne des Hauptkraters Stéfanos sowie weitere kleinere Krater ab. Am gegenüberliegenden Rand des Riesenkessels sehen sie weit oben in der Ferne als kleine weiße Punkte die Häuser eines Bergdorfes. Das muss Emboriós sein.

Das Kloster Timíu Stavrú mit seiner kleinen Kirche, seinen niedrigen weißen Bauten und dem großen gepflasterten Platz, auf dem Steinbänke und -tische stehen, finden sie verwaist, aber liebevoll gepflegt vor. Leuchtend rot blüht hier der Oleander, Wände und Stufen der Anlage sind frisch getüncht, Farbtöpfe und langstielige Pinsel stehen noch neben Eimern und Besen in einer Ecke. Frische Rosengirlanden schmücken die Ikonen in dem Kirchlein.

ERWACHEN AUS DEM DORNRÖSCHENSCHLAF

Wie immer mehr Klöster wird das Kloster Timíu Stavrú nicht mehr von Mönchen bewohnt und schläft das ganze Jahr über einen Dornröschenschlaf. Als Connie und Anna es besuchen, ist es gerade dabei, für zwei Tage daraus zu erwachen. Denn es ist der 13. September, der Vortag des Patronatsfests des Klosters. Zu diesem Termin muss es in voller Frische und Pracht strahlen, seine Wände werden weiß getüncht, seine Kirche mit Blumen geschmückt. Im Laufe des Tages wird sein Hof noch mit Leinen überspannt werden, an denen Wimpel mit religiösen Symbolen und kleine griechische Fahnen wehen. Dann wird in der Klosterküche gekocht, und Pilger strömen zum Gottesdienst herbei, gefolgt von einem fröhlichen Fest.

Als Anna und Connie kurze Zeit später das Kloster wieder verlassen, steigt ein heftig zankendes junges Paar aus einem kleinen Leihwagen. Mit funkelnden Augen deutet die Frau auf den rechten Kotflügel, der eine höchst eigentümliche Form angenommen hat.

»Gut dass wir kein Auto gemietet haben«, sagt Anna, während sie die Schotterstraße vom Kloster in den Vulkankessel hinabgehen. Connie hat am Ankunftstag den Vorschlag gemacht, sich einen Leihwagen zu nehmen, doch da sie die Preise etwas hoch fanden und keiner der befragten Vermieter einen Vertrag mit Vollkaskoversicherung anbieten wollte, hatten sie davon abgesehen.

Auf der Straße läuft es sich bequem. Bald sind sie am Kesselboden angelangt und stehen am Rand des sich tief in ihn eingrabenden Stéfanos-Kraters. Hier sind sie nicht die Ersten, wie sie gehofft haben. Einige Leute spazieren bereits auf dem Boden des pfannenartigen Kraters. Klein wie Ameisen wirken sie vom Kraterrand aus. Wie sind sie dorthin gelangt? Gibt es einen Pfad oder klettert man einfach den steilen Abhang hinab zum Pfannenboden? Schließlich sieht Anna auf der gegenüberliegenden Seite jemanden absteigen und erkennt den Weg. Sie folgen also der Schotterpiste entlang dem Pfannenrand, um zum Einstieg in den Abstieg zu gelangen. Als die auf die Asphaltstraße nach Mandráki trifft, kommt ihnen ein junger Mann entgegen, der sie auf Englisch anspricht und zu seinem Infostand lotst. Sie können seiner englischen Rede zwar nicht ganz folgen, doch verstehen sie immerhin, dass er sie warnt, nicht zu nah an die Fumarolen zu kommen, da Verbrennungsgefahr bestehe. Entsprechende Warnhinweise prangen auch an der Wand des Infostands und auf einer Tafel am Abstieg.

»Ja, ja, wir passen auf«, sagt Anna. Können sie jetzt endlich los? Gleich werden die einzelnen Ameisenmenschen eine ganze Ameisenstraße bilden, dann macht das alles auch keinen Spaß mehr.

Als sie schließlich unten am Kraterboden angelangt sind, zückt endlich auch Anna ihre kleine Kamera, nachdem Connie schon den ganzen Tag emsig fotografiert hat.

»Komm, Connie, ich mach ein Bild von dir! – Prima, sehr schön! Und jetzt noch eines aus der Nähe. – Geh mal in die Hocke! Wunderbar!«

Anna inspiziert die Schwefelkristalle, spaziert umher, fotografiert hier und da und prüft das Ergebnis im Display. »Nicht gut zu erkennen. Da muss ich etwas näher ran.« – Einen Schritt nach vorn.

»Au! Hilfe! Connie!«

»Anna, was ist?« Connie lässt von ihrer Kamera ab und springt auf Anna zu. Eine Hand streckt sich ihr entgegen.

Anna fühlt ihren rechten Fuß einsinken, immer weiter. Wie hauchdünnes Eis gibt die Erd-Schwefelkruste nach. Sie spürt etwas Heißes, Zähflüssiges in ihren Stiefel dringen und schreit in Panik.

Inzwischen sind auch zwei weitere Touristen auf sie aufmerksam geworden und kommen herbeigelaufen.

Connie zieht kräftig an Annas Arm. Als Anna ihren Fuß befreit hat und verdutzt neben ihr steht, fällt Connie selbst aufs Gesäß.

»Ist Ihnen etwas passiert?«, fragt einer der Touristen die am Boden sitzende Connie, der er die Hand reicht, um sie hochzuziehen. Der andere blickt an Annas rechtem Bein hinab auf den Hosenrand und den Stiefel. An beidem klebt dicker, sich langsam verkrustender Schlamm.

»Sind Sie eingebrochen?«, fragt er. »Schnell, ziehen Sie den Stiefel aus! Stützen Sie sich auf mich.«

Während die zwei Männer sie halten, schnürt Connie Annas Schuhbänder auf und zieht ihr den dicken Stiefel herunter.

Etwas graubraune Masse klebt am Sockenrand. Connie zieht auch den Socken herunter, der Knöchel ist gerötet. Anna versucht zu sehen, woher der stechende Schmerz kommt. An einer kleinen Stelle klebt ein winziger Batzen Schlamm, und da brennt es wie verrückt.

Connie zieht eine Wasserflasche aus dem Rucksack.

»Hoffentlich gibt das keine Brandblasen«, murmelt sie, während sie Wasser über den Fuß ihrer Freundin gießt und mit einem Taschentuch den Klecks von der Haut wischt.

Anna zieht zischend Luft ein.

»Du hattest Glück im Unglück. Denk mal, was passiert wäre, wenn du in Sandalen da reingetreten wärst! Du hast wirklich einen guten Schutzengel – und gute Wanderstiefel.«

Anna bedankt sich herzlich bei allen – beim Schutzengel und ihren geliebten alten Stiefeln, die sie geschützt haben, still in Gedanken, bei den beiden Männern und ihrer Freundin Connie anschließend laut.

Als Anna später ihren Fuß unter den Wasserhahn einer öffentlichen Toilette hält, überlegt sie laut: »Den Fumarolen soll man sich nicht nähern, stand auf dem Schild. Fumarolen stoßen doch Dampf aus, oder? Hast du da, wo ich eingesunken bin, Dampf gesehen?«

»Hm, nein«, antwortet Connie nachdenklich, »aber es sah da schon irgendwie so ähnlich aus wie ein Stückchen weiter hinten, wo es dampfte.«

Was ist diesmal schiefgelaufen?

Von zu Hause gewohnt, dass an Sehenswürdigkeiten, deren Besichtigung überwacht und geregelt ist, alle gefährlichen Stellen durch Absperrungen gesichert sind, hatte Anna das auch hier angenommen und sich zu leichtsinnig bewegt. So ist sie diesmal nicht nur in ein Fettnäpfchen, sondern geradewegs ins brodelnde Innere von Mutter Erde getappt, über das sich hier am Boden des Stéfanos-Kraters von Nísyros nur eine dünne Kruste legt. In Griechenland wird einem weit weniger als in vielen anderen Ländern die eigene Vorsicht, das Mitdenken und das Auf-der-Hut-Sein vor Gefahren abgenommen.

Das bekam an diesem Tag offenbar nicht nur Anna zu spüren, sondern auch das junge Touristenpärchen mit dem lädierten Auto-Kotflügel. Anna hatte das Paar zwar nicht gefragt, was ihnen widerfahren war, oft sind es jedoch Schlaglöcher, brüchige Böschungen oder unvermutete Hindernisse wie beispielsweise Ziegen und Schafe oder abgestellte Gegenstände auf der Fahrbahn, die Autofahrern zum Verhängnis werden. Es ist auch hier nicht die Regel, dass Warnschilder oder Absperrungen auf Unwegsamkeiten hinweisen. Schäden an Straßenbelag und Böschungen treten unerwartet nach einem einwandfreien, gut asphaltierten Streckenabschnitt auf, der dazu verleitet, aufs Gas zu treten. Auch hier heißt es also: wachsam bleiben!

Das Gleiche gilt für Bürgersteige und Treppen. Soweit Erstere überhaupt existieren, sind sie oft zugeparkt, zugestellt oder plötzlich mitten drin mit Bäumen bepflanzt. Gefährlich für jeden Hans Guck-in-die-Luft und den in die Lektüre seines Reiseführers vertieften Touristen. Viele griechische Treppen genügen keiner Norm. Geländer fehlen häufig oder sind morsch und schadhaft, und die einzelnen Stufen weisen zuweilen ganz unterschiedliche Höhen auf. Man nimmt in Griechenland nicht alles so genau. Es grenzt an ein Wunder, dass so manche alte, buckelige Oma am Stock unbeschadet treppauf und treppab kommt. Man mag daran glauben, dass die Heiligen, deren Ikonen sie verehrt, und die Kerzen, die sie beim Kirchbesuch anzündet, etwas damit zu tun haben.

Was können Sie besser machen?

Augen auf! Für ortsfremde Autofahrer gilt: langsam fahren und immer mit plötzlichen Schäden und Hindernissen rechnen. In allen Situationen sollte man daran denken, dass nicht alles so abgesichert und reglementiert ist wie von Hause gewohnt. Gelegentlich mal eine der stimmungsvollen, weihrauchduftenden Kirchen zu besuchen und etwas für eine der honigfarbenen, dünnen Bienenwachskerzen zu spenden, kann wohl auch nicht schaden. Denn manchmal hat man schon das Gefühl, die Griechen setzen bei der Unfallverhütung mehr auf ihre Frömmigkeit und die Fürsorglichkeit der Heiligen, zu denen sie beten, als auf Sicherheitsmaßnahmen. Es passiert verhältnismäßig wenig. Die Rechnung scheint also aufzugehen.

Fettnäpfchenführer Griechenland

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