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BAMMEL UND BEKREUZIGUNGEN

NÄCHSTE REISESTATION: DIE VULKANINSEL NÍSYROS

Nísyros, 12. September

Im Hafenort der Insel Nísyros, der – genauso wie der Fischerhafen von Kos – Mandráki heißt, haben Connie und Anna schöne Zimmer etwas abseits am Hang bei einer freundlichen Familie gefunden. Nach dem Frühstück fragen sie die Hausherrin María nach der Busverbindung nach Nikiá, denn von dort aus wollen sie zu einem Kloster und zum Vulkankrater wandern. Sie müssen allerdings erfahren, dass der erste Bus bereits weg ist und der nächste erst um elf geht. Das ist ihnen zu spät.

»Dann lass uns doch heute auf den Profítis Ilías wandern«, sagt Connie. Sie ist begeisterte Profítis-Ilías-Stürmerin.

Fast jede Insel hat einen Berg dieses Namens, meist ist es ihr höchster Gipfel. Connie hat schon einige davon erklommen und will nun auf jeden Berg, der den Namen des Propheten trägt, obwohl sie keine sportliche Kletterin ist. Das ist meist aber auch nicht nötig, denn normalerweise sind die Wege nicht allzu anspruchsvoll. So soll es auch hier sein, hat sie in ihrem Reiseführer gelesen.

María wechselt einige Worte mit ihrem Sohn Stávros, dann sagt sie: »Er wird euch bis zum Kloster Evangelístria fahren und euch von dort aus den Weg zeigen. Nicht wahr, Stávros?«

Der schließt kurz die Augenlider und senkt den Kopf.

Dankbar nehmen die beiden an. Connie fragt sich nur, ob der Bursche überhaupt schon einen Führerschein hat. Mit seiner schmächtigen Gestalt und den zarten Gesichtszügen kommt er ihr sehr jung vor.

Kurz darauf sitzen die zwei Frauen mit ihren Rucksäcken in einem klapprigen, rostigen Gefährt mit einer Delle an der zerkratzten Tür, und der junge Stávros braust los. Auf dem Armaturenbrett ist ein Muttergottesbild angebracht. Ein himmelblauer, etwa pflaumengroßer Glastropfen, auf den ein plastisches Glasauge mit einer türkisfarbenen Iris aufgesetzt ist, baumelt von der Sonnenblende und blickt auf die nervöse Connie hinab, die erfolglos versucht, ihren Sicherheitsgurt zu schließen.

»Der ist kaputt«, sagt Stávros. »Aber keine Angst, ich bin ein guter Fahrer.«

Im gleichen Moment macht er drei Kreuzzeichen. Auch Connie würde sich am liebsten bekreuzigen, wie er so dahinrast, hupt und winkt, sobald ein Mofa entgegenkommt, mal einen Schlenker nach rechts, mal einen nach links macht und am Kassettenrekorder hantiert. Sie ist heilfroh, als sie endlich beim Kloster ankommen, wo Stávros die nächsten drei Kreuzzeichen macht, so hastig, dass es eher aussieht, als wolle er sich die Brust abstauben. Er zeigt den zwei Touristinnen, wo der Weg beginnt, und fragt sie, ob er sie am Abend hier wieder abholen soll. Doch Connie lehnt eilig dankend ab.

»Uff!«, entfährt es ihr, als er wieder abbraust.

Anna grinst und drückt die Klinke der Klostertür. Nichts. Sie rüttelt ein wenig und stemmt sich gegen die Tür. Eindeutig verschlossen. Und obwohl Connie sonst nicht besonders fromm ist, wäre ihr jetzt danach zumute, Gott und allen Heiligen im Kloster dafür zu danken, dass sie die rasante Fahrt heil überstanden haben.

Die Wanderung entschädigt sie fürs verschlossene Kloster und die ausgestandenen Ängste. Der Pfad windet sich mal zwischen alten, von Trockensteinmauern gehaltenen Terrassen, mal zwischen üppigen Farnhainen dahin, führt durch ein Steineichenwäldchen und schließlich über Geröll und Fels, auf dem sich hier und da putzige Krokodilchen sonnen.

KROKODILCHEN

Krokodilákia (Krokodilchen) ist die Bezeichnung der Einheimischen für die korrekt Agama oder Hardun genannten, bis zu dreißig Zentimeter langen Echsen, die sich in den Bergen von Nísyros tummeln.

Der Blick vom Gipfel ist überwältigend. Doch wo versteckt sich nur der Vulkankrater? Connie kann ihn nirgends erspähen. Im Abgrund hinter diesem Felsvorsprung vielleicht? Dann müssten die kleinen weißen Quader dort drüben auf dem Rücken des Hangs die Häuser des Dorfes Nikiá sein, von wo aus sie morgen zum Krater hinabwandern wollen. Leuchtend weiß zeichnen sie sich vom dunklen Graubraun des Felsens und dem milchigen Blau des Meeres dahinter ab. Und die Felsenkette, die weit draußen über dem Wasser zu schweben scheint, ist wohl Tílos, die nächste Insel, die sie besuchen wollen. Und dahinter – fern, ätherisch, vom fließenden, flirrenden Untergrund abgehoben – Wolken oder das nächste Inselmassiv? Rhodos vielleicht?

Was ist diesmal schiefgelaufen?

Sowohl der Zustand des Fahrzeugs als auch das zarte Alter und der hektische Fahrstil des jungen Stávros haben Connie Angst gemacht, teils wohl zu Recht. Denn ohne Sicherheitsgurt zu fahren ist auch in Griechenland nicht ratsam, obwohl viele Griechen Gurtmuffel sind.

Die Kreuzzeichen, die Stávros schlug, waren jedoch kein Anlass zu erhöhter Sorge. Die hätte der Bursche ebenso geschlagen, wenn er zu Fuß unterwegs gewesen wäre, und zwar an den gleichen Stellen, nämlich immer dann, wenn er eine Kirche passiert. Viele Griechen folgen dieser Gewohnheit, denn die meisten sind sehr fromm. Stávros strotzt zwar nur so vor Selbstbewusstsein, doch sich gut mit Gott und den Heiligen zu stellen, hat noch niemandem geschadet. Ebenso wenig ein blaues Glasauge, wie jenes, das an seiner Windschutzscheibe baumelte. So ist er allemal vor dem bösen Blick gefeit. (Mehr dazu in Kapitel 35)

Falsch lag Connie auch mit ihrer Vermutung, dass Stávros keine Fahrerlaubnis besitzt. Natürlich besteht auch in Griechenland Führerscheinpflicht. Seinen 18. Geburtstag hatte der schmächtige Bursche schon hinter sich und seinen Führerschein griffbereit in der Tasche.

Eigentlich sollten keine verkehrsuntüchtigen Fahrzeuge auf Griechenlands Straßen unterwegs sein – wenn es nach dem Gesetz ginge. Generell besteht die Pflicht, über vier Jahre alte Wagen alle zwei Jahre bei einem technischen Überwachungsdienst vorzustellen. KTEO heißt die griechische Entsprechung unseres TÜV. Trotzdem sieht man eine Menge Autos in erbärmlichem Zustand auf den Straßen, vor allem auf den kleineren Inseln, wo es keine Schnellstraßen und Autobahnen gibt. Bis zum nächsten Dorf wird es das Schnauferl schon noch schaffen. Manche Dinge werden in Griechenland einfach etwas lascher gehandhabt als weiter nördlich und westlich in Europa.

Nicht dass es keine entsprechenden Gesetze gäbe, aber mangelnder Datenaustausch zwischen Behörden und zugedrückte Augen, wo es auf Inseln gar keine entsprechenden Prüfstellen gibt und die Distanzen klein sind, lassen so manche Rostlaube im Umlauf. Und doch gibt es laufend Reformen, die zum Zweck haben, existierende Gesetze auch durchzusetzen.

Was können Sie besser machen?

Keine Angst vor Kreuzzeichen! Sie sind in diesem Fall nur Ausdruck der Frömmigkeit, nicht der Angst. Ob Anlass besteht, sich vor dem rasanten Fahrstil und den alten Blechkisten so mancher Insulaner zu fürchten, kommt auf die Situation an. Natürlich kennen die Einheimischen ihre Insel und jedes Schlagloch, jeden abgebrochenen Straßenrand und die Stellen, an denen täglich Hühner und Schafe die Straße kreuzen. Auf keinen Fall sollte man selbst rasen, falls man mit dem eigenen oder einem gemieteten Fahrzeug unterwegs ist. Denn Hindernisse gibt es zuhauf, einen entsprechenden Warnhinweis hingegen fast nie.

Dass Sicherheitsgurte fehlen oder defekt sind, ist sicher ein Manko, das zu gefährlichen Situationen führen kann und dem eigenen Sicherheitsbedürfnis zuwiderläuft. Vielleicht in ähnlichem Maße, wie sich ein Grieche in seinem Freiheitsbedürfnis beeinträchtigt fühlt, sollte er sich derart an den Sitz fesseln – und das gar auch noch, weil es Polizei und Gesetz so verlangen! (Zum hohen Stellenwert der persönlichen Freiheit in Griechenland siehe auch Kapitel 21)

Sackt einem das Herz wegen der Raserei eines Fahrers allzu tief in die Hose, so hat schon manches Mal der freundlich vorgebrachte Appell »Sigá, sigá, parakaló!« (Langsam, langsam, bitte!) geholfen. Vielleicht ringt er dem Fahrer ein bewunderndes Lächeln ob der offensichtlich doch beträchtlich über kaliméra und Ouzo hinausgehenden Sprachkenntnisse des Angsthasen ab, sodass er sich schon vor lauter Bewunderung dessen Wunsch beugt. Wer ganz auf Nummer sicher gehen will, dem bleibt wohl nur, vor Besteigen eines Gefährts selbst zu überprüfen, ob alles in Ordnung ist, und den Fahrer zu stoppen und auszusteigen, wenn es ihm allzu wild wird.

SIGÁ, SIGÁ! – IMMER MIT DER RUHE …

… – eine nützliche Einstellung im Land der Hellenen, wo nichts so heiß gegessen wie gekocht wird, im wörtlichen ebenso wie im übertragenen Sinne. Eintöpfe und Aufläufe kommen meist lauwarm auf den Tisch. Niemand stört sich daran. Im Gegenteil, so soll der Geschmack richtig zur Ausprägung kommen. Das Gleiche gilt für Ärger und Wutausbrüche, die die eine oder andere üble Schimpftirade lostreten können. Klingt oft schrecklich, ist aber nur ein Ventil, das einen Gewaltausbruch verhindert und durch das die heiße Luft schnell wieder verpufft. Sigá, sigá! – so mahnt man zu Ruhe und Langsamkeit.

Fettnäpfchenführer Griechenland

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