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ÓPA! – VOM FEIERN UND TANZEN

LOS GEHT’S IN KARDÁMENA AUF DER INSEL KOS

Kardámena (Kos), 8. September

»Na, da kommt doch langsam griechisches Lebensgefühl auf, oder?«

Anna muss herzlich lachen. Ganz ihre Kollegin Connie. Ein gutes Essen, ein süffiger Rotwein, und die Welt ist in Ordnung. Nach langem Herumschauen haben sich die beiden in der Taverne niedergelassen und gerade den letzten Bissen ihres Lammbratens mit Kartoffeln verspeist – Connies Lieblingsgericht. Sie versteht etwas von gutem Essen. Und sie hat Griechenland schon oft bereist.

Letztes Jahr haben Connie und ihr Mann Bernd sich ein Haus auf der Kykladeninsel Naxos gekauft, wo sie versuchen wollen, Fuß zu fassen, weil ihnen die noch nicht allzu sehr von Touristen überlaufene Insel mit ihrem angenehmen Klima, ihren schönen Stränden, interessanten bunten Steinformationen und abwechslungsreichen Landschaften so gut gefällt.

»Hör mal, das klingt endlich nach guter griechischer Musik! Scheint von der großen Kirche zu kommen. Lass uns mal schauen, was dort los ist.« Mit einem zufriedenen Lächeln auf ihrem sorgsam geschminkten und von roten Locken umrahmten Gesicht nimmt Connie Anna ins Schlepptau.

Und schon finden sie sich auf dem großen Kirchhof vor dem Mariä Geburt geweihten Gotteshaus wieder. Anna freut sich, dass sich ihre ältere Kollegin endlich entspannt. Schließlich wollen sie die griechische Inselwelt erkunden, und Connie hat sie eingeladen, danach einige Tage mit ihr und ihrem Mann in ihrem Haus auf Naxos zu verbringen. Der gestrige Anreisetag ist anstrengend gewesen, und der Ort Kardámena scheint nicht so recht Connies Idee von griechischer Urlaubsidylle zu entsprechen. Sie haben hier für die ersten Urlaubstage Quartier bezogen, weil das Feriendorf in der Nähe des Flughafens von Kos liegt. Aber Connie gefällt es nicht – zu viele ausländische Touristen, zu viele von Fastfood und internationaler Küche dominierte Speisekarten, zu viel Trubel und zu viel laute amerikanische Popmusik. Auf all das hat ihr Organismus mit Kopfschmerz reagiert, der nun wie weggeblasen zu sein scheint.

Der Platz ist von Leinen überspannt, an denen bunte Wimpel wehen, und mit Stühlen und langen Tischen vollgestellt. Nur vor der Treppe, die zum Glockenturm führt, ist etwas Raum ausgespart. Hier spielt eine Musikkapelle und eine Trachtengruppe tanzt. Connie fotografiert sofort eifrig, während Anna die ungewohnten Klänge, die Tanzrhythmen und die fröhliche Stimmung der vielen hier versammelten Menschen auf sich wirken lässt. Sie studiert die bunten Wimpel an den Leinen über ihrem Kopf. Zwischen den bekannten blau-weißen griechischen Fähnchen flattern dreieckige grüne, blaue und rote mit Kreuz- und Fischsymbolen und griechischen Aufschriften und viele schwarze Doppeladler auf goldgelbem Grund. (Welche Bewandtnis es damit hat, erfahren Sie im Infokasten »Mit wehenden Fahnen«)

»Kátse!« hört Anna plötzlich eine tiefe, kräftige Männerstimme schreien. Sie fährt zusammen und schaut, von wo der Ruf kommt und ob sie irgendwo eine Katze sieht. Kaum hat sie den Kopf in Richtung Rufer gewendet, tönt der ›Katzenruf‹ aus mehreren Mündern. Eine alte Frau packt sie am Arm und zieht sie zu einem Plastikstuhl, auf den der daneben sitzende schwarzhaarige Bursche einladend zeigt. Sie soll sich setzen, dämmert es Anna. Verlegen zwirbelt sie eine Strähne ihres langen blonden Pferdeschwanzes. In dem Moment lässt Connie endlich von ihrem Fotoapparat ab und dreht sich nach ihrer Reisegefährtin Anna um. Prompt wird ein weiterer Stuhl herangezogen und auch Connie wird mit »Kátse!«-Rufen überschüttet, gefolgt von »Kathíste!«. Doch sie lehnt dankend ab. Kátse heißt »Setz dich!« und Kathíste »Setzt euch!«, weiß sie für die verdatterte Anna zu übersetzen, möchte der Einladung aber nicht folgen, da sie vor zur Bühne will, um das Geschehen dort besser zu sehen und noch mehr Fotos zu machen.

Die Trachtengruppe tritt gerade ab, und die Musik setzt eine Weile aus, um einen Priester einige Worte an die Festbesucher richten zu lassen. Als die Musiker ihr Spiel wieder aufgenommen haben, erhebt sich eine Schar von einem der langen Tische und strebt der Tanzfläche zu. Die Hände auf Schulterhöhe so gefasst, dass die Arme den Buchstaben »W« bilden, bewegt sich die Runde im Halbkreis zum Takt der Musik. Die Tänzerinnen und Tänzer rufen einige Festbesucher herbei, die der Aufforderung folgen und sich einreihen, um mitzutanzen.

»Ópa!«, erschallt es überall, und Anna überlegt, ob Opa auch im Griechischen die Abkürzung für Großvater ist – wäre ihr neu, dass das ein internationaler Begriff ist und scheint auch nicht zu der Art der Rufe zu passen.

So gesellen sich immer neue Tänzer zu dem Reigen, viele festlich gekleidet, manche in der Volkstracht, der Priester mit wehendem, langem, schwarzem Talar. In einem sanften Auf und Ab gleitet die Tänzerreihe über den Platz wie die Wogen übers Meer. Kaum hat sich nach einer Melodienfolge eine Gruppe aufgelöst, formiert sich zur nächsten eine neue und folgt dem Anführer, der mit einem Korb im Arm eine neue Schrittfolge vorgibt. Bald gibt der Vortänzer seine Position an einen neuen ab, der einen Geldschein in den Korb wirft und diesen zusammen mit der Führung der Tänzer übernimmt. Mit dem Ruf »ópa!« steigert er das Tempo.

Anna will ihren Augen nicht trauen, als sie Connie mitten auf der Tanzfläche sieht. Die Kameratasche, die schräg über Connies Brust hängt, hüpft im Rhythmus ihrer ungeschickten Tanzschritte auf und ab, ihre goldbraunen Augen leuchten. Die befremdeten Blicke der Tänzer und das Gekicher der umstehenden Gruppen junger Mädchen nimmt sie nicht wahr, die verlegene Anna aber schon. So kennt sie ihre Kollegin ja gar nicht! Sie ist kontaktfreudig und stets zu einem Spaß bereit, aber sich einfach in eine fremde Tanzgesellschaft zu drängen? Ist sie so beschwipst von dem Rotwein zum Essen? Als das Musikstück und damit der Reigen zu Ende ist, eilt Anna herbei, um Connie wegzuziehen. Zu spät. Die Musik hat schon eine neue Melodie angestimmt, und schon wieder geht es los, diesmal mit einer Handfassung, bei der sich die Arme der benachbarten Tänzer überkreuzen. Als Connie nicht weiß, wem sie wie die Hand geben muss, um das richtig zu bewerkstelligen, und unschlüssig mit den Armen herumfuchtelt, lässt man sie einfach außen vor. Statt aufzugeben, läuft sie ans Kopfende. Sie wird doch nicht auch noch den Tanz anführen wollen? Jetzt wird es Anna zu bunt. Sie stürzt sich selbst auf die Tanzfläche und zieht Connie mit einem Ruck aus der Menge. Die folgt ihr widerwillig und beklagt sich: »Komische Tänze haben die hier! Auf Rhodos in unserem Hotel, da war das viel schöner!«

Fettnäpfchenführer Griechenland

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