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UNGEWOHNTE KOST UND KRITIK

TAVERNENBESUCH AUF NÍSYROS

Nísyros, 12. September

Nach der Wanderung und einem Bad im Meer lassen Connie und Anna den Tag in einem der Fischrestaurants an der Uferstraße von Mandráki ausklingen.

»Ui, was ist denn das?« Ein kräftiges Rot inmitten der silbriggrauen Fische hat Annas Blick angezogen. Der Drachenfisch, den sie sich ausgeguckt hat, hebt sich nicht nur durch seine leuchtende Farbe von den anderen Fischen ab, er hat auch eine einzigartige, bizarre, eben an einen kleinen Drachen erinnernde Form.

»Skórpena«, sagt der Kellner, mit dem sie und Connie in der Küche der Fischtaverne stehen, und führt die beiden zu einem großen Topf auf dem Herd. »Kakaviá – fish soup«, fügt er hinzu, während er den Deckel lüftet und sich ein würziges Fischfondaroma verbreitet. »Skórpena is cooked for kakaviá.« Aha, in Fischsuppe gekocht wird dieses Prachtexemplar serviert.

»Das kleine rote Ungeheuer sieht giftig aus.« Connie rümpft die Nase. Sie mag Fisch nur gegrillt, und der Geruch des Fonds ist ihr zu penetrant. Eine Nasevoll davon reicht, um ihr den Appetit auf alles, was Kiemen hat, zu verderben.

»Ke apó kreatiká?« (Und Fleisch?), fragt sie.

»Suvlákia, brisóles, biftéki, echúme ap’ óla« (Fleischspießchen, Koteletts, Frikadellen, wir haben alles), versichert ihr der Kellner, geht mit den beiden zu ihrem Tisch im Freien und reicht ihnen die Speisekarten, Connies bei den Fleischgerichten aufgeschlagen. Sie bestellt einen Bauernsalat und sucht vergeblich nach einem gemischten Grillteller. Hm, einen ganzen Teller nur mit Fleischspießchen oder Koteletts mag sie nicht. Schließlich liest sie unter »Griechische Küche« stifádo (Schmorfleisch mit – vielen – Zwiebeln) und entscheidet sich dafür.

»Bei dieser herrlichen Fischauswahl isst du Gulasch?«, wundert sich Anna. Sie bleibt bei der Fischsuppe mit dem roten Fisch, der es ihr gleich angetan hatte.

»Das hat mir zu sehr gefischelt da drinnen.«

»Gefischelt? Das duftete doch köstlich nach frischem Fisch!«

Na ja, eigentlich hat Anna ja recht. Stifádo steht auf der Speisekarte vieler Tavernen, und das hier ist schließlich eine Fischtaverne. Vielleicht sollte sie doch …? Connies Blick fällt auf die Oktopoden – den Plural von Oktopus hat sie neulich erst gelernt –, die von der Abendsonne beleuchtet auf einer Schnur über der Ufermauer baumeln. Warum nicht mal etwas Neues probieren? Als der Kellner die Getränke und einen Korb mit Brot, Servietten und Besteck bringt, spricht sie ihn an.

»Sygnómi, parakaló, den thélo stifádo, allá avtó!« (Verzeihung, ich will kein Schmorfleisch, sondern das da!). Dabei deutet sie auf die wie Wäsche zum Trocknen auf der Leine hängenden Krakenarme mit ihren komischen Saugnäpfen. Den griechischen Redeschwall, mit dem ihr der Kellner erklärt, dass Oktopus kein Hauptgericht, sondern eine Vorspeise sei, die man zum Ouzo isst, versteht sie nicht. Da greift sie doch lieber auf ihre paar Brocken Englisch zurück: »Is it possible? Octopus, no meat.« (Ist das möglich? Oktopus, kein Fleisch.)

Das wiederum scheint der Kellner nicht ganz verstanden zu haben. Natürlich ist Oktopus kein Fleisch, auch kein Fisch, sondern Oktopus, versucht er ihr lachend zu erklären, bevor er sich vergewissert: »You want octopus?« (Sie wollen Oktopus?)

Kurz darauf bringt er zwei kleine, knusprig gegrillte Fangarmstücke. Connie probiert.

»Wie schmeckt’s?«, will Anna wissen.

»Probier selbst. Bisserl verkohlt und zäh, finde ich. Und zu salzig.« Connie greift zum Weißwein, um die ungewohnte Kost herunterzuspülen.

»Bäh, was für eine lauwarme Brühe!« Sie verzieht den Mund und ruft den Kellner. »The wine is warm.« (Der Wein ist warm.)

»I bring ice.« (Ich bringe Eis.)

Eis im Wein? Na, da weiß Connie nicht, was schlimmer ist.

»Échete pió krýo krasí?« (Haben Sie kälteren Wein?), versucht sie sich nun doch lieber wieder auf Griechisch, da sie den Wein auf keinen Fall mit Eis verwässern will.

»Da kitáxo« (Ich werde nachsehen), verspricht der Kellner und fragt dann, wie der Oktopus schmecke.

»Zäh und hart. Und zu salzig.«

»Eeh?«

»Zäh – ng, nng, nnng!« Connie kennt das entsprechende Wort weder auf Griechisch noch auf Englisch. Sie ersetzt es durch angestrengte Kaubewegungen, die sie gleichzeitig mit den wie Schnäbel aufeinanderklappenden Fingern beider Hände imitiert.

»You don’t like it?« (Schmeckt er Ihnen nicht?)

»It’s okay.« Connie gibt auf. Ist ja egal, war halt ein Versuch. Sie will sich nicht länger darüber unterhalten, denn gleich wird die Sonne über dem Meer untergehen. Das will sie genießen und fotografieren.

Doch der Kellner gibt nicht auf. Ein Gast, dem es nicht schmeckt, das kann doch nicht sein! Sein Oktopus ist schließlich köstlich! Jeder lobt ihn. Nachdem er einen Schwall Erklärungen halb auf Griechisch, halb auf Englisch auf Connie losgelassen hat, lässt er endlich von ihr ab, weil er merkt, dass sie kaum noch zuhört. Die Sonne sinkt immer tiefer, und sie will doch fotografieren. Er wendet sich Anna zu, denn er hat gesehen, dass auch sie vom Oktopus probiert hat. Die lächelt entschuldigend.

Wenig später kommt er mit einem Schälchen Eis, einer neuen Karaffe Wein, der ein klein wenig kühler ist, der Fischsuppe und dem stifádo zurück. Connie starrt immer noch abwechselnd durch die Linse ihres Fotoapparats und daran vorbei auf die rot im Meer versinkende Sonne. Erst als diese endgültig vom Horizont verschwunden ist, hat sie wieder Augen für den Tisch und die zwischenzeitlich aufgetragenen Speisen.

Eigentlich wollte sie ja den Oktopus statt des Zwiebelschmorfleischs und nicht beides. Aber, na ja, auch recht so. Sie ist noch hungrig, die zwei kleinen Fangarme waren ja wirklich etwas für den hohlen Zahn. Und das Zwiebelfleisch sieht lecker aus. Beim ersten Bissen ist sie jedoch enttäuscht. Fast kalt! Sie ruft den Kellner und reklamiert.

»It was hot. You must eat, not look sun and take photograph« (Es war warm. Sie müssen essen, nicht Sonne schauen und Foto machen), mosert dieser in gebrochenem Englisch, bevor er den Teller missmutig packt und eigenhändig in der Mikrowelle platziert.

Was ist diesmal schiefgelaufen?

So einiges lief hier nicht ganz rund. Zunächst einmal hat es mit der Verständigung nicht so recht klappen wollen. So hat der Kellner nicht verstanden, dass Connie den Oktopus statt des stifádo und nicht als Vorspeise wollte. Dann waren die gegrillten Krakenarme einfach nicht Connies Sache. Das kann passieren, wenn man sich auf kulinarische Entdeckungstour begibt. Fremde Kost kann gewöhnungsbedürftig sein, und die Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Der Kellner hatte Connie schon richtig informiert: So wie in dem Lokal zubereitet, nämlich kräftig auf Holzkohle gebraten, hat der Oktopus tatsächlich einen etwas zähen Biss und ein kräftiges, salziges Holzkohlenaroma. Genau richtig, um ihn zum Ouzo zu knabbern, aber wohl nicht jedermanns Sache. Am allerliebsten hätte Connie ja einen gemischten Grillteller gehabt – mit allem Drum und Dran, so wie sie ihn vom Griechen daheim in Deutschland gewohnt ist. (Warum sie nicht fündig wurde, erfahren Sie im Infokasten »Bestellen wie die Griechen«)

Das stifádo, für das sie sich schließlich entschied, kam dann gleichermaßen lauwarm wie der Wein auf den Tisch – langsam platzte Connie der Kragen.

Und genau darin lag das Problem. Die Art, wie sie Wünsche und Kritik vorbrachte, und ihr plötzliches Sich-Abwenden mitten im Gespräch wirkten arrogant und verletzend. Nicht nur ihre fehlende Begeisterung für die Spezialität des Hauses, sondern mehr noch ihre Kritik an der Temperatur von Wein und stifádo waren dem Kellner unverständlich, denn mit den Serviertemperaturen nimmt man es in Griechenland nicht so genau. Gekochte Gerichte und Aufläufe essen die Griechen ohnehin nicht gern zu heiß, sie kommen oft lauwarm auf den Tisch. Denn sie werden fertig vorbereitet und im Backofen oder in einer speziellen Vitrine mit Warmhalteplatten bis zum Servieren warmgehalten – warm, nicht heiß. Wein wird normalerweise gekühlt serviert. Das gilt übrigens für Rotwein ebenso wie für Weißwein, da wird meist kein Unterscheid gemacht. Bei sommerlichen Temperaturen ist er dann recht schnell recht warm, denn Weinkühler trifft man in einfachen Tavernen selten an.

Was können Sie besser machen?

Denken Sie stets an das ausgeprägte Ehrgefühl der Griechen. Filótimo ist der schwer zu übersetzende Begriff dafür (siehe Infokasten unten). Dieses Ehrgefühl ist so tief verwurzelt und allen gemein, dass man behutsam miteinander umgeht, um das filótimo des anderen nicht zu verletzen. Kritik wird also verhalten geäußert, Anerkennung und Lob großzügig. So ist man das gewohnt. Sind Fremde direkter, wenn ihnen etwas nicht gefällt, so stößt man sich daran.

FILÓTIMO – EHRE, WEM EHRE GEBÜHRT

Wohl nichts trifft einen Griechen derart ins Mark, wie wenn man ihm das filótimo in Abrede stellen will. Der Begriff filótimo (oder auch filotimía) ist schwer übersetzbar. »Ehrgefühl« überträgt ihn unzureichend ins Deutsche. »Ehrliebe« ist wörtlicher und wird ihm eher – wenn auch nur annähernd – gerecht. Das filótimo lässt den Griechen über sich hinauswachsen, kann ihn aber auch in Rage bringen und ihn aufreiben.

Filótimo umfasst Würde, Mut, Integrität und Liebe – Liebe, so wie in Elternliebe, Vaterlandsliebe oder eben Ehrliebe. Filótimo fordert Respekt und eine echte persönliche Freiheit. Diese Ehrliebe ist tief und fest im Menschen verankert, sie ist lebensnotwendig wie der Atem. Tief und fest im Einzelnen verankert sind auch die Bindungen, in die er hineingeboren wurde oder die er eingeht: Familie, Heimatstadt, -insel oder -dorf, Vaterland und Religion, aber auch berufliche Bindungen. All das bezieht er in sein Ehrgefühl mit ein. Spricht man abfällig über eines davon, so trifft ihn das persönlich.

Auf die Frage, wie der Oktopus munde, wäre eine ausweichende Antwort seitens Connies angebrachter gewesen. Sie muss beim nächsten Mal nicht unbedingt eine Notlüge gebrauchen, könnte aber beispielsweise sagen, dass ihr etwas anderes besser schmecke, dass sie eigentlich eine Fleischesserin sei, den Oktopus nur mal probieren wollte, weil er so gut aussieht, Fleisch jedoch vorziehe. Oder sie lässt, nachdem sie ausgedrückt hat, dass der Oktopus nicht nach ihrem Gusto ist, einfließen, dass diese oder jene andere Speise des Lokals hingegen hervorragend sei. Damit wäre die Situation schon gerettet.

Sehr gut macht es sich übrigens auch, statt zu fordern, an die ausgeprägte Hilfsbereitschaft der Griechen zu appellieren oder vielleicht ein eigenes Missgeschick vorzuschieben.

Connie hätte ruhig zugeben können, dass sie der Sonnenuntergang so gefesselt hat, dass sie darüber ganz das Essen vergaß, und darum bitten können, dass der Kellner es ihr aufwärmt.

Reklamationen sollten nie in harschem Ton ausgesprochen, sondern mehr wie Bitten vorgetragen werden, zumindest aber mit einem freundlichen Gesichtsausdruck.

Connies Eifer, den zauberhaften Sonnenuntergang mit ihrer Kamera festzuhalten, mag ja verständlich sein. Kurz angebunden barsche Kritik zu üben und sich daraufhin abzuwenden wirkt aber taktlos und geringschätzig. Wenn man verschiedener Meinung ist, dann ist man es gewohnt, die Sache auszudiskutieren. Man debattiert gern, genießt es geradewegs. Und im Laufe des Gesprächs hätte sich der ob der Kritik schon etwas verstimmte Kellner vielleicht wieder entspannt, anstatt sich von der Touristin eine schlechte Meinung zu bilden. Es hätte gereicht, dass er auch seinen Standpunkt akzeptiert sieht – dazu ließ ihm Connie jedoch keine Gelegenheit.

Fettnäpfchenführer Griechenland

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