Читать книгу Fettnäpfchenführer Griechenland - Heidi Jovanovic - Страница 7
VORWORT
ОглавлениеDer typische Grieche gilt als lebensfroh, gefühlsbetont, humorvoll, herzlich, leidenschaftlich und überschwänglich. Er ist vital, begeisterungsfähig, debattierfreudig und gewitzt. Man bewundert seine Gelassenheit und seinen Optimismus. Der Titelheld Alexis Sorbas des gleichnamigen oscargekrönten Films aus dem Jahr 1964 hat es uns vorgemacht und unser Griechenlandbild über Jahrzehnte geprägt. Wie er doch versteht, im Augenblick aufzugehen, ganz im Hier und Jetzt zu leben und dieses Leben allen Widrigkeiten zum Trotz in vollen Zügen zu genießen! Genau das, was wir bräuchten, wenn wir einmal selbst eine kleine Auszeit von unserem durchgeplanten Alltag, von unserer Pflichtbesessenheit, Akkuratesse und Skepsis nehmen wollen. Also genau das Richtige für den Urlaub.
Das sonnige Gemüt der Griechen wird ganz so wie griechische Säulen, Sonne und Strände zum Verkaufsargument für die Tourismusbranche. Wenn der Urlaub zu Ende ist und wir uns wieder dem Alltag und seinen Anforderungen stellen müssen, nehmen wir noch einmal all die bewunderten »typisch griechischen« Eigenschaften unter die Lupe, diesmal etwas griesgrämiger. Nun kommen sie uns suspekt vor. Kann man denn so leben? Wo bleiben da der Ernst, die Disziplin, die klare Linie? Kann das gut gehen? Spätestens seit Griechenland sich 2010 in eine Schuldenkrise verstrickt hat, ist die Antwort schnell parat: offenbar nicht.
Die Krise hat dem selbstvergessen Sirtaki tanzenden Mustergriechen Alexis Sorbas ein Bein gestellt. Sie hat Anlass gegeben, nach weiteren Adjektiven zur Charakterisierung des typisch Griechischen zu kramen, das man nun für das Debakel verantwortlich machen will. Das Bild vom faulen und korrupten Griechen begann, durch die Medien zu geistern. Diese Verschiebung zeigt, dass unser Blick auf den anderen stärker von unserer eigenen Einstellung als von dessen tatsächlichen Eigenschaften geprägt ist. Dabei spielt dieser Blick auf die andere Kultur und Mentalität eine beträchtliche Rolle, wenn es darum geht, nicht nur mit Ach und Krach miteinander auszukommen, sondern offen miteinander umzugehen. Offen zu sein für die Bereicherung, die gerade das Anderssein des Gegenübers für uns selbst bedeuten kann, offen für neue Erfahrungen und Überraschungen. Ob positiv oder negativ, Typisierungen entspringen dem Wunsch, das Fremde zu begreifen. Doch belegen sie es lediglich mit einem Namen. Das in Wirklichkeit komplexe und schwer zu erfassende Fremde wird in handliche Muster gepresst, um die Ordnung hineinzubringen, die uns so wichtig ist.
Noch dicker und zäher als die Mauer an Klischees, die sich vor den Zugang zur griechischen Mentalität schiebt, ist diejenige, die das gesamte Griechenlandbild verstellt. Wohlmeinende Philhellenen, die im 19. Jahrhundert von der Wiederauferstehung des antiken Griechenlands träumten, schwärmerische Reisende, die Mitte des 20. Jahrhunderts begannen, Sonne und Strände zu entdecken und sich für die Ursprünglichkeit des Landes zu begeistern, findige Tourismusexperten, die sich in den folgenden Jahrzehnten bemühten, das Land als Urlaubsparadies zu vermarkten, und schließlich Journalisten des 21. Jahrhunderts auf der Suche nach einem medientauglichen Sündenbock für die Eurokrise haben an diesem Wall gebaut. Durch ihn gilt es sich zu fressen wie durch die Mauer aus Reisbrei, die sich vor dem Schlaraffenland auftürmt, will man den einen oder anderen Blick auf das wahre Griechenland erhaschen.
Oder man macht es wie Connie, Bernd und Anna, die drei deutschen Protagonisten dieses Buches. Sie haben sich in das Land der Hellenen gewagt, ohne sich um Klischees zu scheren oder über ihr Griechenlandbild zu grübeln, ohne aus ihren oder anderer Leute Erfahrungen Allgemeingültigkeit ableiten zu wollen, ganz unvoreingenommen und ziemlich unvorbereitet. Dafür werden ihnen Erlebnisse und Begegnungen beschert, die sie als wahre Bereicherung erfahren. Dabei ecken sie aber auch immer wieder an, stapfen in Fettnäpfchen, dass es nur so platscht. Oft merken sie es gar nicht, manchmal fühlen sie sich belächelt, zuweilen treibt es ihnen die Schamesröte ins Gesicht.
Begleiten Sie Anna und Connie beim Insel- und Fettnäpfchenhüpfen in der griechischen Ägäis. Sehen Sie Connie und ihrem Mann Bernd dabei über die Schulter, wie sie versuchen, in Griechenland Fuß zu fassen, wie Bernd ihr Haus renoviert und seine Jobs meistert und wie Connie auf seinen neuen Freundes- und Kollegenkreis trifft. Tauchen Sie mit den dreien ein in das moderne Griechenland. Kaum ein Land wartet mit so vielen Überraschungen auf, die sich hinter den Klischees verbergen. Das wird umso deutlicher, je weiter sie sich von den Hochburgen des Massentourismus entfernen. In der südlichen Ägäis sind Anna und Connie unterwegs. Ausgehend von der Insel Kos bereisen sie die Vulkaninsel Nísyros mit ihrem dominanten Krater, auf der sich der Tourismus großenteils auf Tagesausflügler und Griechen beschränkt, die die Heilkraft seiner Quellen schätzen. Weiter geht es auf das sich mehr als Vogel- und Paläontologenparadies denn als Touristenparadies verstehende, mit dem Euronatur-Umweltpreis ausgezeichnete Tílos. Es folgt das bezaubernde, von internationalen Touristen kaum besuchte Astypálea und für Anna schließlich noch Amorgós. Trotz des berühmten Marienklosters, das sich in spektakulärer Lage hoch über dem Meer an den steilen Felshang klammert, und obwohl die Insel schon als Kulisse für Filme wie Im Rausch der Tiefe von Luc Besson diente, zählt sie zu den Agoní Grammí (unfruchtbaren Linien). So nennt man in Griechenland Inseln, die nur dank staatlicher Subventionen an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden sind, da sich aufgrund der wenigen Reisenden ein kommerzieller Fährbetrieb nicht lohnt.
Bernd indessen lernt auf Naxos, der größten und fruchtbarsten der Kykladen-Inseln, in seinem Job und beim Umgang mit Handwerkern und Bauern auch andere Kreise als die Tourismusbranche kennen.
Oft sind alltägliche Kleinigkeiten der Schlüssel zum Verständnis von kulturellen Besonderheiten und zu den Herzen der Menschen.
Lassen Sie sich also dazu einladen, aufzuhorchen und oft gehörte Wendungen und Ausrufe kennenzulernen. Sie werden so auf Schlüsselworte griechischer Lebens- und Wesensart stoßen. Beobachten Sie Gestik und Mimik der Griechen. Entdecken Sie dabei eine seltsame Wunderwelt voller Poesie und lernen Sie gleichzeitig, Missverständnisse auf körpersprachlicher Ebene zu vermeiden. Beobachten Sie Alltagsphänomene und nehmen Sie Einblick in das Wissen und Tun, das Griechen von Kindesbeinen an prägt. Nach der Lektüre sollten Sie sich ein wenig heimisch fühlen im fremden Land der Hellenen. Statt unsicher nach Stolpersteinen Ausschau zu halten oder gar übel zu straucheln, haben Sie den Kopf frei für Ihre Erkundungen und Entdeckungen und das Herz weit offen, damit griechische Lebensfreude einziehen kann. Damit Sie das kéfi packt, jenes unbeschreibliche Lebensgefühl, das kein Geschenk der Götter ist, sondern aufgebaut, gehegt und gepflegt werden will.
Haben Sie Lust bekommen, Annas und Connies Spuren zu folgen und die Inseln, die sie bereisten, selbst zu besuchen? Nur zu!
Sie werden dabei reizvolle Ziele abseits des Touristenrummels entdecken. Hüpfen Sie von Insel zu Insel, wandern Sie wie die beiden auf alten Steinpfaden zu Klöstern und Gipfeln. Genießen Sie Natur und Strände, verbringen Sie laue Abende in einer Fischtaverne am Meer, in das gerade die Sonne versinkt. Alles, was Anna und Connie auf ihrer Reise gesehen und genossen haben, wartet auf Sie.
Nur fragen Sie weder nach Kinderschreck Fotiní noch nach Aufreißer Tákis noch nach dem gestikulierenden Kóstas, dem viel beschäftigen Maler Jórgos oder dem urwüchsigen Olivenbauern Pános. Versuchen Sie auf der Insel Tílos weder ein Zimmer bei der bildschönen Éleni zu mieten, noch Dína zu rufen, wenn Sie Ihre Bestellung in der Taverne des Dorfes Megálo Chorió aufgeben wollen. Suchen Sie auch nicht die vielen Marías, die Anna, Connie und ihr Mann Bernd kennengelernt haben. Da diese Namen weit verbreitet sind, werden Sie zwar sehr wahrscheinlich gleichnamige Personen an den besuchten Orten finden, in Annas, Connies und Bernds Abenteuer sind die aber nicht verstrickt.
Gute Reise!