Читать книгу Glück auf Spanisch - Heidi Oehlmann - Страница 7
5. Klara
Оглавление»Du wirst mir fehlen!«, sagt Judith, als wir uns am Flughafen umarmen.
»Du mir auch.«
»Ich werde mich gut um alles kümmern, versprochen!«
»Das weiß ich doch.« Langsam bekomme ich feuchte Augen. Wenn ich mich nicht bald von Judith löse, fange ich an zu weinen. Bevor das passiert, befreie ich mich aus der Umarmung und schaue meine Freundin ein letztes Mal an. Auch sie nimmt meine Abreise sichtlich mit. Ihre Augen sind ebenfalls glasig. »Ich verschwinde jetzt besser, eh wir beide anfangen zu heulen.«
»Ja. Ich hasse Abschiede. Ich wünsche dir eine schöne Zeit!«
Ich nicke nur, drehe mich weg und gehe zum Check-in. Es fehlt nicht mehr viel, bevor ich weinen muss. Deshalb verkneife ich es mir, mich umzudrehen und Judith zuzuwinken.
Der Abschiedsschmerz wird durch eine Mischung aus Vorfreude und Aufregung abgelöst. Heute werde ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Flieger besteigen. Mit jeder Sekunde wird mir ein bisschen mulmiger zumute.
In Spanien bin ich schon gewesen. Damals war ich noch ein junges Mädchen, als ich mit meinen Eltern runter fuhr. Es war anstrengend einen Tag lang ununterbrochen im Auto zu sitzen, um von Mitteldeutschland bis nach Spanien zu fahren. Als Kind kommen einen solche Strecken sowieso um einiges länger vor als sie es ohnehin schon sind.
***
Ich betrete die Wartehalle des Flughafens in Girona und schaue mich um. Meine Augen suchen nach Pedro. Doch ich kann ihn nirgendwo entdecken. Mit jeder Sekunde werde ich etwas panischer.
Habe ich mich so in meinem neuen Bekannten geirrt?
Pedro hatte versprochen, mich abzuholen. Er ist der Grund, warum ich überhaupt hier bin. Hätte er mich nicht so bequatscht, würde ich jetzt in Deutschland sein, vielleicht mit Judith irgendwo einen Kaffee schlürfen und auf eine positive Zukunft hoffen. Stattdessen stehe ich mutterseelenallein in Spanien am Flughafen.
Enttäuscht verlasse ich das Gebäude und denke darüber nach, was ich als Nächstes tun soll. Für einen Augenblick spiele ich mit dem Gedanken, mir ein Flugticket zu kaufen und zurück nach Deutschland zu fliegen. Da ich aber schon hier bin, kann ich auch ein paar Tage Urlaub im sonnigen Spanien machen. Das habe ich mir, nach allem, was in den vergangenen Jahren passiert ist, verdient. Ich war lange nicht mehr weg, ich kann mich nicht erinnern, wann mein letzter Urlaub war.
Draußen angekommen spüre ich die Wärme der Sonne auf der Haut. Sofort macht sich das typische Urlaubsgefühl breit.
Zuerst brauche ich ein Hotel. Also gehe ich auf die Taxis zu, die nur wenige Meter entfernt vom Flughafengebäude hintereinander stehen.
»Klara!«, höre ich eine Stimme rufen, reagiere aber nicht darauf. Mich wird die Person kaum meinen, schließlich kennt mich hier niemand. Doch, als ich das erste Taxi erreiche, bleibe ich abrupt stehen und drehe mich um, weil mein Name unaufhörlich weiter gerufen wird und die Rufe sich nähern. Ein gut aussehender braun gebrannter Mann kommt auf mich zu. »Es tut mir leid, dass ich mich verspätet habe, Klara«, sagt er in gutem Deutsch mit spanischem Akzent.
Ist das etwa Pedro?
Er sieht etwas anders aus, als auf den Bildern, die ich bisher von ihm gesehen habe. Das könnte an seinem Outfit liegen. Auf den Fotos war er nur in Anzügen zu sehen und heute trägt er Freizeitkleidung.
»Pedro?«, frage ich vorsichtig.
»Ja.«
Ich lächle ihn an und bin erleichtert, doch nicht auf mich allein gestellt zu sein. In Gedanken habe ich mich schon darauf vorbereitet, wie ich Judith erklären soll, warum ich wieder zurück in Deutschland bin und die Sache mit Spanien eine Spinnerei war. Natürlich würde ich sie so lange bei mir wohnen lassen, bis sie eine andere Bleibe gefunden hätte. Insgeheim bin ich froh, dass es nun nicht dazu kommt.
Plötzlich wird mir bewusst, worauf ich mich eingelassen habe. Meine Internetbekanntschaft Pedro konnte mich tatsächlich überreden, für eine unbestimmte Zeit nach Spanien zu gehen. Bei dem Gedanken wird mir ein wenig flau in der Magengegend.
Er reicht mir schüchtern die Hand, die ich ergreife und zaghaft drücke. Wir stehen beide schweigend voreinander und mustern uns. Keiner von uns weiß so recht, was er sagen soll. Unsere erste Begegnung habe ich mir anders, irgendwie herzlicher, vorgestellt. Aber vielleicht ist das so, wenn man sich zum allerersten Mal live sieht.
Nach einer kleinen Ewigkeit unterbricht Pedro das unerträgliche Schweigen. »Wollen wir fahren? Mein Wagen steht dort hinten«, sagt er und deutet auf den Parkplatz, der hinter ihm liegt.
Ich nicke nur. Mir kommt die Situation surreal vor. Ich habe das Gefühl in einem Traum gefangen zu sein, der jeden Moment zu platzen droht.
Pedro nimmt mir den Koffer und die Reisetasche ab, damit setzt er sich in Bewegung. Ich folge ihm schweigend, wie ein Hund, der seinem Herrchen hinterher tapst.
Pedro ist mir so fremd. Er ist anders, als in unseren zahlreichen Chatgesprächen. Im Netz ging uns der Gesprächsstoff nie aus. Wir konnten stundenlang über alles Mögliche reden, keiner von uns war schüchtern.
Das fängt ja gut an. Wenn sein Freund, bei dem er mich unterbringen will, genauso ist, kann das eine anstrengende Zeit werden. Bei dem Gedanken würde ich am liebsten wieder umkehren.
Wortlos verlädt Pedro mein Gepäck in seinem Wagen und hält mir anschließend die Beifahrertür auf.
»Danke«, sage ich leise und setze mich hinein.
Pedro schließt die Tür, geht um das Auto herum und steigt ebenfalls ein.
Nachdem er den Motor gestartet hat, fährt er los.
Mein Blick ist aus dem Beifahrerfenster gerichtet. Ich will so viel wie möglich sehen. Am Flughafen ist die Aussicht nicht so berauschend. Umso weiter wir uns davon entfernen, desto schöner wird es.
Wenn es nach mir ginge, könnte die Fahrt - auch wenn das Schweigen zwischen Pedro und mir beängstigend ist - ewig dauern. Ich genieße es, chauffiert zu werden und mir alles in Ruhe anschauen zu können.
»Ist es noch weit?«, frage ich nach einer Weile leise.
»In ungefähr zwanzig Minuten sind wir da«, antwortet Pedro. »Wie war dein Flug?«
»Ganz okay.«
»Es ist ein bisschen komisch, sich nach so vielen Onlinegesprächen jetzt zu sehen, oder?«, fragt er und lächelt verlegen.
»Ja, das stimmt. Man weiß nicht so recht, was man sagen soll.«
»Liegt es daran, dass wir uns zum ersten Mal begegnen, oder haben wir uns einfach schon alles erzählt?«, erkundigt er sich lachend.
Dieses Mal stimme ich in das Gelächter ein. »Keine Ahnung. Es ist aber schön, sich live zu sehen. Vielleicht wird das ja noch«, sage ich nach einer Weile.
Jetzt ist das Eis gebrochen. Ich bin mutiger und traue mich zu erzählen. Pedro scheint es genauso zu gehen.