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1.4 Die Vernunft des Schöpfers als Voraussetzung der positivistischen Vernunft 1.4.1. Die platonische Voraussetzung

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Die naturwissenschaftlich-technische Vernunft im Sinne Ratzingers bezieht sich auf die mit den Sinnen fassbaren Dinge, die empirischen Untersuchungen unterzogen und so für den Menschen nutzbar gemacht werden können. Jedoch steht nach Ratzinger keinesfalls die bloße empirische Erfahrung am Ausgangspunkt der Naturwissenschaften, sondern vielmehr die Einsicht in deren Kritikbedürftigkeit. Denn „Naturwissenschaft kam eben dadurch zustande, dass man gelernt hat, die Erfahrung zu kritisieren und über den Sinneneindruck hinauszugehen.“53

Diese Behauptung verdeutlicht Ratzinger am Beispiel des Streits um Galileo Galilei, dessen Fronten seiner Ansicht nach ganz anders lagen, als es in der verbreiteten Vorstellung der Fall ist. Denn Galileis Gegner waren Ratzinger zufolge selbst Empiristen, „die die Erfahrung in den Mittelpunkt ihrer Erkenntnistheorie stellten, während Galilei Platoniker war und den Vorrang des Verstandes vor der sinnlichen Erfahrung betonte.“54 Tatsächlich widerspricht ja die Behauptung Galileis, die Erde kreise um die Sonne, der empirischen Erfahrung des Menschen grundsätzlich, der die Sonne im Osten auf- und im Westen untergehen sieht. Nach Ratzinger waren nicht nur Galilei, sondern z.B. auch Kopernikus und Newton Platoniker. „Ihre Grundvoraussetzung war, dass die Welt mathematisch, geistig strukturiert ist und dass man sie von dieser Voraussetzung her enträtseln kann.“55

Moderne Naturwissenschaft beruht für Ratzinger demnach „auf einem Abrücken vom bloßen Empirismus, auf einer Überordnung des Denkens über das Sehen.“56 Er meint aus diesem Grund in Anlehnung an Jacques Monod sagen zu können, dass „moderne Naturwissenschaft letztlich Platonismus ist, auf dem Vorrang des Gedachten vor dem Erfahrenen, des Idealen vor dem Empirischen beruht und von der Grundvorstellung lebt, dass die Wirklichkeit aus gedanklichen Strukturen gebaut ist und daher im Denken genauer erkannt werden kann als im bloßen Wahrnehmen.“57

Es gibt Ratzinger zufolge also eine vorgegebene ‚gedankliche Struktur‘ der Wirklichkeit, welche der Mensch in seinem Denken nachvollziehen kann und welche die notwendige ‚platonische‘ Voraussetzung aller Naturwissenschaft darstellt.58 Der Naturwissenschaftler tut nichts anderes, als diese geistige Struktur des Seins im Experiment nachzuvollziehen.59 „Jedes Experiment geschieht nur, weil vorher die Naturwissenschaft schon eine geistige Vorgabe erarbeitet hat, von der aus sie die Natur stellt, und von der aus sie die Erfahrung erwirken kann.“60 In der Naturwissenschaft tritt so laut Ratzinger dem aristotelischen Axiom ‚Nihil in intellectu nisi in sensu‘ (‚Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war‘) das platonische ‚Nihil in sensu nisi per intellectum‘ (‚Nichts wird wahrgenommen ohne vorhergehendes Verstehen‘) korrigierend zur Seite, sodass sich beide zur experimentellen Methode vereinen.61 „Das Neue besteht in der Verbindung von Platonismus und Empirie, von Idee und Experiment.“62

Wenn Ratzinger davon spricht, dass die Wirklichkeit im Denken genauer erkannt werden könne als im Wahrnehmen, kann man hier einen Vorrang des platonischen Elements vor dem aristotelischen feststellen: Durch das Nachdenken der geistigen Struktur der Wirklichkeit wird die empirische Methode überhaupt erst ermöglicht, das Platonische ist die implizite Voraussetzung aller Empirie.

Logos Gottes und Logos des Menschen

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