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2.2 Gewissen: Die moralische Vernunft im Menschen 2.2.1. Reduktion des Gewissens auf Subjektivität

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Der Begriff des Gewissens ist für Ratzinger zentral für die nähere Bestimmung des Bezugs des Menschen zur moralischen Vernunft des Seins. Er grenzt sich dabei von einem Gewissensverständnis ab, welches die Subjektivität des Menschen zum letzen Maßstab moralischer Entscheidungen erhebt.62 In diesem Verständnis erscheint Gewissen seiner Ansicht nach als ein „Bollwerk der Freiheit gegenüber den Einengungen der Existenz durch die Autorität“63, als die „oberste Norm … der der Mensch – auch gegen die Autorität – zu folgen hat.“64 Eine besondere Schärfe gewinnt diese Auffassung von Gewissen in Bezug auf das Verhältnis gläubiger Christen zum kirchlichen Lehramt, denn das „Gewissen vieler Christen harmoniert keineswegs einfachhin mit den Aussagen des kirchlichen Lehramts; es erscheint im Gegenteil weithin als die eigentliche Legitimationsinstanz für den Dissens.“65

Dass einer klaren Gewissensweisung immer zu folgen ist, ist auch für Ratzinger unbestritten. „Aber ob das Gewissensurteil oder was man für ein solches ansieht, auch immer recht habe, ob es unfehlbar sei, ist eine andere Frage.“66 Denn eine solche Auffassung würde die Existenz einer vom rein Subjektiven unabhängigen moralischen Wahrheit der Wirklichkeit abstreiten, moralische Wahrheit ins rein Subjektive verlegen und sie somit auf bloße Wahrhaftigkeit reduzieren.67 Dieses Abschneiden des subjektiven Denkens von einer objektiven moralischen Wahrheit führt nun aber nach Überzeugung Ratzingers zu verheerenden Konsequenzen für das moralische Empfinden des Menschen. Denn von dieser Überzeugung her wäre ja z.B. die Ansicht vertretbar, „dass Hitler und seine Mittäter, zutiefst von ihrer Sache überzeugt, gar nicht anderes handeln durften und daher – bei aller objektiven Schrecklichkeit ihres Tuns – subjektiv moralisch gehandelt hätten.“68

Aus diesen Überlegungen folgt für Ratzinger eindeutig die Unzulänglichkeit eines solchen rein subjektiv verstandenen Gewissensbegriffs. Gewissen muss seiner Auffassung nach dagegen sehr wohl etwas mit einer moralischen Wahrheit zu tun haben, die vom rein subjektiven Empfinden unabhängig ist. Denn nur dann kann ja überhaupt die Rede davon sein, dass das Handeln eines Menschen durch sein Gewissen infrage gestellt wird.69

Bleibt diese kritische Aufgabe des Gewissens unerfüllt, kann das nach Ratzinger zu einer inneren Abkapselung und somit zu einer Beeinträchtigung der Beziehungsfähigkeit des Menschen führen, wie er am neutestamentlichen Vergleich des büßenden Zöllners mit dem selbstgerechten Pharisäer deutlich macht: „Der Pharisäer weiß nicht mehr, dass auch er Schuld hat. Er ist mit seinem Gewissen völlig im Reinen. Aber dieses Schweigen des Gewissens macht ihn undurchdringlich für Gott und die Menschen, während der Schrei des Gewissens, der den Zöllner umtreibt, ihn der Wahrheit und der Liebe fähig macht.“70 Ein Mensch, der sich seiner selbst völlig sicher ist und sich von nichts mehr infrage stellen lässt, ist nicht mehr imstande, sich auf die Beziehung zu anderen Menschen geschweige denn zu Gott einzulassen und somit zur Liebe unfähig. Ohne Wahrheit ist Liebe für Ratzinger folglich nicht möglich.71

So geht es für Ratzinger nicht an, das Gewissen des Menschen einfach mit dessen subjektiver Gewissheit gleichzusetzen. Denn ein solches Selbstbewusstsein des Menschen kann sich ja auch einfach nach den gerade in seinem Umfeld angesagten Meinungsbildern richten, ohne diese kritisch zu hinterfragen. Deshalb wirkt die Reduktion des Gewissens auf die menschliche Subjektivität auch nicht als Befreiung des Menschen, sondern im Gegenteil als seine Versklavung, denn sie führt in die totale Abhängigkeit von den herrschenden Meinungen: „Wer das Gewissen mit oberflächlicher Überzeugtheit gleichsetzt, identifiziert es mit einer schein-rationalen Sicherheit, die aus Selbstgerechtigkeit, Konformismus und Trägheit gewoben ist. … Die Reduktion des Gewissens auf subjektive Gewissheit bedeutet zugleich den Entzug der Wahrheit.“72 Ein solches Gewissensverständnis, das den Relativismus gewissermaßen kanonisiert, ist in Ratzingers Augen in der Gegenwart vorherrschend.73

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