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2.2.3. Notwendiges Leiden für die Wahrheit

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Weil das Gewissen nach Ansicht Ratzingers das Organ für die moralische Wahrheit des Seins ist, kann es dem Menschen als ein objektiver Maßstab in moralischen Fragen dienen. Aufgrund dieser Objektivität fällt es nicht zusammen „mit den eigenen Wünschen und dem eigenen Geschmack; es fällt nicht zusammen mit dem, was das sozial Günstigere ist, mit dem Konsens der Gruppe, mit den Ansprüchen politischer und sozialer Macht.“103 Es generiert vielmehr Widerspruch gegen Lebensumstände, die der moralischen Vernunft der Wirklichkeit, die es dem Menschen zugänglich macht, zuwiderlaufen. So ist für Ratzinger ein Mann des Gewissens auch jemand, „der niemals Verträglichkeit, Wohlbefinden, Erfolg, öffentliches Ansehen und Billigung von Seiten der herrschenden Meinung durch den Verzicht auf Wahrheit erkauft.“104 Eine solche Haltung impliziert notwendigerweise eine Leidensbereitschaft für die Wahrheit: Der „Höhenweg zur Wahrheit, zum Guten ist nicht bequem. Er fordert den Menschen.“105 Denn als Mensch ist man nach Ansicht Ratzingers immer versucht, unter dem Vorwand der Gutmütigkeit etwa Bequemlichkeit oder gutes Ansehen der Wahrheit überzuordnen.106

Doch auch wenn die Option für die Wahrheit den Menschen mehr fordert als ihr Ignorieren, bleibt ihm nach Ratzinger keine wirkliche Wahl, denn mit der Unwahrheit kann der Mensch auf Dauer nicht glücklich werden. „[N]icht das bequeme Bleiben bei sich selbst erlöst ihn; darin verkümmert er und verliert sich.“107 Ganz im Gegenteil braucht der Mensch einen moralischen Maßstab, nach dem er sein Leben ausrichten kann, wie Ratzinger mit einem Verweis auf die seines Erachtens moralisch unterforderte Jugend feststellt.108 „Irgendwo steckt das im Menschen drin, dass er weiß: Ich muss gefordert werden und ich muss mich nach einem höheren Maß bilden und mich zu geben und zu verlieren lernen.“109 Der Mensch braucht das Herausgerissen-werden aus seinem nach Bequemlichkeit strebendem Eigenwillen hin zum ihn fordernden und leiden lassenden moralischen Logos, welcher der Wille des Schöpfers ist. Ratzinger folgt mit dieser Auffassung ganz seinem eingangs beschriebenen Verständnis der menschlichen Natur, die zwischen dem Eigenwillen des Menschen und dem Willen des Schöpfers angesiedelt ist.110

Wo der Mensch sich nun aber scheut, den unbequemen Weg der Wahrheit zu gehen, verfehlt er nach Ratzinger den Sinn seines Daseins, denn eine solche Leidverweigerung, die nichts anderes ist als die Verweigerung seiner eigenen Kreatürlichkeit, „ist letzten Endes die Verweigerung der Liebe selbst, und das ruiniert den Menschen.“111 Wieder kommt hier die enge Verbindung von Wahrheitsorientierung und Liebesfähigkeit bzw. Beziehungsfähigkeit des Menschen zur Sprache: Ohne die Ausrichtung des Menschen an der moralischen Wahrheit ist ihm auch die Fähigkeit der Liebe verwehrt; die Verweigerung der Wahrheit impliziert die Verweigerung der Liebe. Weil Leben und Leiden für Ratzinger untrennbar zusammengehören, ist Leidflucht für ihn außerdem identisch mit Lebensflucht.112

Seine Erfüllung findet der Mensch also nicht in der Loslösung von der moralischen Vernunft des Seins zugunsten seiner subjektiven Interessen, sondern im Gegenteil durch den Aufbruch zur Wahrheit, im Hören auf die Stimme seines Gewissens. „In der Bergwanderung des Guten entdeckt er immer mehr die Schönheit, die in der Mühsal der Wahrheit liegt und dass gerade sie für ihn das Erlösende ist.“113 Das Erlösende besteht dabei gerade in der Selbstlosigkeit der Wahrheit, denn diese führt den Menschen über seine Subjektivität hinaus; sie macht ihn frei von der Abhängigkeit vom eigenen Geschmack und von der herrschenden Meinung.

Die durch das Gewissen in der Wirklichkeit vorgefundene Wahrheit ist für den Menschen also nicht primär eine Einschränkung, sondern wirkt vielmehr erlösend und befreiend. „Freiheit und Bindung werden hier, im Innersten menschlichen Wesens, identisch.“114 Denn die moralische Vernunft der Wirklichkeit ist gleichzeitig der Wille des Schöpfers und dieser Wille „ist für den Menschen nicht eine fremde, von außen kommende Gewalt, sondern die Richtung seines Wesens.“115 Die Bindung des Eigenwillens des Menschen an die moralische Vernunft, an den Willen des Schöpfers, führt den Menschen zu seiner wahren Natur und somit zur wahren Freiheit.116

Logos Gottes und Logos des Menschen

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