Читать книгу Logos Gottes und Logos des Menschen - Heiko Nüllmann - Страница 34
3.4 Christliche Kunst
ОглавлениеWeil der christliche Glaube in Christus den inkarnierten Logos des Schöpfers erblickt, spielt für Ratzinger der Verweischarakter der christlichen Kunst auf ebendiesen Logos eine besonders große Rolle. Hier hat für ihn z.B. der kosmische Charakter der liturgischen Musik seinen Ort. Dabei geht es ihm um ein „Mitsingen mit dem All“, das „sich auf die Spur des Logos“19 begibt. Dazu braucht es eine Musik, die, wie Ratzinger in Anlehnung an Platon und Aristoteles beschreibt, „die Sinne in den Geist hineinzieht und so den Menschen zur Ganzheit bringt. Musik, die die Sinne nicht aufhebt, aber sie in die Einheit des Geschöpfes Mensch hineinstellt. Sie erhöht den Geist gerade, indem sie ihn mit den Sinnen vermählt, und sie erhöht die Sinne, indem sie sie mit dem Geist eint“20. Auf diese Weise entspricht sie nach Ratzinger zutiefst dem Menschen als einem Wesen aus Materie und Geist. Indem sie den Geist anspricht und ihn auf den Logos hin ausrichtet, bleibt in ihr „eine letzte Nüchternheit, eine tiefere Rationalität bestehen, die sich dem Absinken ins Irrationale und Maßlose entgegenstellt.“21 Der für die Liturgie wichtige Maßstab logosgemäßer Musik muss für Ratzinger demnach die „Integration des Menschen nach oben zu und nicht die Auflösung in den gestaltlosen Rausch oder die bloße Sinnlichkeit“22 sein.
So zeigt sich für Ratzinger in der Kirchenmusik die „‚nüchterne Trunkenheit‘ des Glaubens – Trunkenheit, weil alle Möglichkeiten der bloßen Rationalität überschritten werden. Aber nüchtern bleibt dieser ‚Rausch‘, weil Christus und der Geist zusammengehören, weil diese trunkene Sprache doch ganz in der Zucht des Logos bleibt, in einer neuen Rationalität, die über alle Worte hinaus dem einen Urwort dient, das der Grund aller Vernunft ist.“23
Ein Spezialfall der auf den Logos ausgerichteten Kunst im Christentum sind Christusdarstellungen, die z.B. in Form von Ikonen das ‚Schauen auf Christus‘, auf den fleischgewordenen Logos selbst ermöglichen. Ratzinger sieht darin die Außenseite der beschriebenen möglichen innerlichen Schau des Logos Gottes. Trotz der Abhebung der unmittelbaren Gottesschau der Heiligen betont Ratzinger nämlich, dass der große Sehende Christus bleibt, und „für uns alle gilt: ‚Wer mich sieht, hat den Vater gesehen.‘ (Joh 14,9)“24. Auch die ‚normalen‘ Gläubigen haben im Glauben demnach Zugang zu Gott, indem sie ihren Blick ganz auf Christus richten, in welchem der Logos Gottes Fleisch geworden ist. Aus diesem Bewusstsein heraus ist in der Ikonen-Kunst, „aber auch in den großen abendländischen Bilderwerken der Romanik … die Erfahrung, die Kabasilas schildert, von innen nach außen gewandert und so mitteilbar geworden.“25
Das Schauen des göttlichen Logos geschieht hier also zwar nicht in der unmittelbaren inneren Schau der Heiligen, aber auch nicht auf dem ‚Umweg‘ über die Schönheit der durch den Logos strukturierten Schöpfung bzw. der durch sie inspirierten Kunst, sondern durch den Anblick des in der Kunst dargestellten Menschen Jesus als dem inkarnierten Logos Gottes selbst. „Das Hinschauen auf die Ikone, überhaupt auf die großen Bilder christlicher Kunst, führt uns einen inneren Weg, einen Weg der Überschreitungen, und bringt uns so, in dieser Reinigung des Schauens, die eine Reinigung des Herzens ist, die Schönheit zu Gesicht oder wenigstens einen Strahl von ihr. Gerade so bringt sie uns mit der Macht der Wahrheit in Berührung.“26
Aufgrund dieses Aufscheinens der Wahrheit in der christlichen Kunst ist für Ratzinger neben den Heiligen der Kirche die Kunst und Schönheit, die der Glaube in seiner Geschichte hervorgebracht hat, allem Negativen entgegen „die wahre Apologie des Christlichen, sein überzeugender Wahrheitsbeweis.“27 Dieser „Ausdruck, den sich der Glaube in der Geschichte zu schaffen vermochte, zeugt für ihn, für die Wahrheit, die hinter ihm steht.“28