Читать книгу Logos Gottes und Logos des Menschen - Heiko Nüllmann - Страница 14
1.4.2. Der Gott der Philosophen
ОглавлениеDie Naturwissenschaft greift also nach Ansicht Ratzingers in ihrer Methode auf die gedankliche Strukturiertheit der Wirklichkeit als ihrer ‚platonischen Voraussetzung‘ zurück. Dadurch trägt sie aber gleichzeitig dazu bei, dass dem Menschen diese geistige Strukturiertheit mehr und mehr vor Augen geführt wird. „Was ehedem tote Materie schien, begreifen wir heute als ein Gebilde voller Geist. Das Feste, die ‚Masse‘, ist im Hineindringen in die Tiefe ihres Baues immer durchsichtiger, immer löcheriger geworden; die ‚Masse‘ entzieht sich uns zusehends, aber immer triumphaler tritt der Geist hervor, der im Zueinander der verborgenen Strukturen unseren armseligen Geist beschämt und begeistert zugleich.“63 Dieses Erstaunen des Menschen über die fortschreitende Einsicht der geistigen Strukturiertheit des Seins bringt Ratzinger mit einem Zitat von Albert Einstein zum Ausdruck, in welchem dieser seiner Überzeugung Ausdruck verleiht, dass in der Naturgesetzlichkeit „sich eine so überlegene Vernunft offenbart, dass alles Sinnvolle menschlichen Denkens und Anordnens dagegen ein gänzlich nichtiger Abglanz ist.“64
Die Naturwissenschaft stößt nach Ansicht Ratzingers dementsprechend sowohl in der Betrachtung des ‚Allergrößten‘, der Himmelskörper, als auch in den Betrachtung des ‚Allerkleinsten‘, der lebendigen Zellen und ihrer genetischen Struktur, auf eine kosmische Vernunft, welche die Wirklichkeit strukturiert.65 „Durch das Ganze, dessen wir ansichtig werden, ob von dem Allerkleinsten bis zum Allergrößten, sehen wir neu und können in Formeln gleichsam jenem Schöpfergeist nachdenken, dem auch unsere Vernunft sich verdankt.“66 So führen die Naturwissenschaften nach Ratzingers Überzeugung den Menschen zwangsläufig zu der Einsicht, dass Welt „objektiver Geist“ ist. „[S]ie begegnet uns in einer geistigen Struktur, das heißt, sie bietet sich unserm Geist als nachdenkbar und verstehbar an.“67
Welcher Gottesbegriff kann nun nach Ansicht Ratzingers aus dieser naturwissenschaftlichen Einsicht einer das All strukturierenden Vernunft abgeleitet werden? Am Gottesbegriff Galileis erläutert Ratzinger, dass es hier nicht um einen personal gedachten Schöpfergott gehen kann. Die Formulierung ‚Gott treibt Geometrie‘ trifft den Kern dieses Gottesbegriffs: „Gott hat das Buch der Natur mit mathematischen Buchstaben geschrieben; Geometrie treiben, das bedeutet zugleich, die Spuren Gottes berühren. Das heißt aber: Die Erkenntnis Gottes wird in Erkenntnis der mathematischen Strukturen der Natur umgewandelt; der Begriff der Natur im Sinn des Objekts der Naturwissenschaft löst den Schöpfungsbegriff ab“68. Gott kann unter diesen Umständen nicht als handelnder, personaler Schöpfergott, sondern nur als erste Ursache der Wirklichkeit gedacht werden. Als solche aber ist er „kein Gott mehr, sondern eine naturwissenschaftliche Grenzhypothese.“69
In diesem Sinne kann Ratzinger über die moderne Naturwissenschaft sagen, dass sie in der Struktur des Kosmos den ‚Gott der Philosophen‘ gefunden habe.70 Wenn Naturwissenschaftler wie Albert Einstein allerdings auch angesichts dieser fundamentalen Einsicht einen personalen Gottesbegriff als anthropomorph zurückweisen, so zeigt sich darin für Ratzinger das „ganze Problem des Gottesglaubens …: Einerseits wird die Durchsichtigkeit des Seins, das als Gedachtsein auf ein Denken verweist, gesehen, zugleich aber finden wir die Unmöglichkeit, dieses Denken des Seins mit dem Menschen in Beziehung zu bringen.“71
Die Frage lautet also, wie man den ‚Gott der Philosophen‘ und den ‚Gott des Glaubens‘ miteinander identifizieren kann. Es wird sich im Laufe dieser Arbeit herausstellen, dass Ratzinger diese Synthese gerade im Christentum verwirklicht sieht.72 Einstweilen ist festzustellen, dass die Naturwissenschaft nach Ansicht Ratzingers mittels ihrer Methode nicht weiter als bis zum ‚Gott der Philosophen‘ vordringen kann, da sie „die Natur in rein mathematischer Gesinnung befragt und folglich auch nur die mathematische Seite der Natur zu Gesicht bekommen kann.“73 Sie kann den Logos Gottes in der Wirklichkeit vorfinden und braucht ihn als ‚platonische Voraussetzung‘ ihrer Methode. Dabei muss sie sich aber, wie oben erwähnt, philosophischen Spekulationen über seine Beschaffenheit enthalten, da solche ihren methodischen Rahmen überschreiten würden.
Naturwissenschaftliche Vernunft greift in ihrer Methode also auf die vernünftige Struktur der Wirklichkeit zurück und kann den Primat der Vernunft als wissenschaftliche Grenzhypothese gelten lassen, aber keine weiteren Aussagen über ihn machen, geschweige denn in dieser von ihr vorgefundenen kosmischen Vernunft, dem ‚Gott der Philosophen‘, ein personales Gegenüber begreifen. „Zwar gäbe es kein Messen ohne den geistigen Zusammenhang des Seins, also ohne den geistigen Grund, der den Messenden und das Gemessene verbindet. Aber eben deshalb wird dieser Grund selbst nicht gemessen, sondern geht allem Messen voraus.“74 Der Gott der Philosophen bleibt für die Naturwissenschaften ein notwendiges Axiom, das nicht mehr selbst von ihnen messend erfasst werden kann, sondern als ihre innere Voraussetzung angenommen werden muss.75