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0.2 Gliederung und Inhalt der Arbeit

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Der Einheitspunkt der Vernunft wird von Ratzinger bestimmt, indem er den vielfältigen Bezug der menschlichen Vernunft zum einen Logos Gottes herausstellt, der dabei als die implizite Voraussetzung menschlicher Vernunfttätigkeit in ihren verschiedenen Vollzügen erscheint. Ratzinger zeigt dies im Hinblick auf die naturwissenschaftlich-technische, die moralische und die ästhetische Vernunft des Menschen, welche sich seines Erachtens auf je eigene Weise auf den Logos des Schöpfers als ihrer impliziten Voraussetzung beziehen (Teil I, Kap. 13).

Der implizite Bezug zum Logos Gottes als kosmischem Grundprinzip der Wirklichkeit ist für Ratzinger also der Einheitspunkt menschlicher Vernunft. Als Voraussetzung aller menschlichen Vernunfttätigkeit, als die die Vernunft Gottes von der menschlichen Vernunft erkannt werden kann, ist sie dieser immer schon analog. Damit ist der Offenbarungsglaube als Glaube an die personale Offenbarung des Logos Gottes nicht nur als der menschlichen Vernunft gemäßer Glaube, sondern als höchste Form menschlicher Vernunft verstanden, weil diese im Glauben in personaler Weise Anteil an der Vernunft Gottes erlangt. Historisch sieht Ratzinger diese Einheit von Vernunftbezug und Glaubensbezug zum Logos Gottes in der Synthese von griechischer Logos-Philosophie und christlich-jüdischem Offenbarungsglauben vollzogen. Diese Bestimmmung des Verhältnisses von Glaube und Vernunft hat Konsequenzen sowohl für sein Kirchenverständnis als auch für sein Verständnis des interreligiösen Dialogs (Teil I, Kap. 4).

Wo die Vernunft des Menschen ihren Bezug zum Logos Gottes leugnet, verschließt sie sich Ratzinger zufolge in ihrer Autonomie und verfehlt damit ihr eigentliches Wesen. Ein solches Abschneiden der Vernunft vom Logos des Schöpfers sieht Ratzinger sowohl im philosophischen als auch im naturwissenschaftlich-technischen Denken der Neuzeit gegeben. Diese Loslösung von der Anerkennung des Logos Gottes als Einheitspunkt menschlicher Vernunft macht die Begründung moralischer Vernunft und des universalen Wahrheitsanspruchs christlichen Glaubens in den Augen Ratzingers unmöglich und führt damit zu einem unheilbaren Werterelativismus und zur ‚Abschaffung des Menschen‘ als geistiger und auf seinen Schöpfer bezogener Kreatur. Ratzinger fordert deshalb eine erneute Orientierung der menschlichen Vernunft am Logos Gottes als ihrem Ursprung (Teil I, Kap. 5).

Ratzingers Bestimmung des Vernunftbegriffs wird in dieser Arbeit zunächst aus philosophischer Sicht kritisch untersucht. Zu diesem Zweck wird die philosophiegeschichtliche Entwicklung des Vernunftbegriffs betrachtet und Ratzingers Vernunftbegriff in diese Entwicklung eingeordnet. Dabei zeigt sich, dass sich Ratzingers Vernunftbegriff stark am spekulativen Vernunftkonzept der griechischen Philosophie orientiert, welche sich in ihrer Wahrheitserkenntnis auf die Strukturen einer ihr vorgegebenen kosmischen Vernunft bezogen wusste. Dieses Vernunftkonzept ist mit der neuzeitlichen Vernunftkritik allerdings philosophisch in die Krise geraten und kann deshalb von Ratzinger angesichts dieser Vernunftkritik nur durch implizite Rückgriffe auf Glaubensaussagen aufrechterhalten werden (Teil II).

Ratzingers Bestimmung des Vernunftbegriffs zeichnet sich besonders durch das Ernstnehmen von drei wichtigen Anliegen aus. Es geht ihm erstens um den Aufweis einer Analogie von menschlichem und göttlichem Logos im Hinblick auf eine positive Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft, zweitens um die vernünftige Begründung von Moral und drittens um die Begründung des interreligiösen und interkulturellen Dialogs auf der Basis einer universal anerkannten Vernunftwahrheit. Im Zuge einer kritischen Würdigung des Vernunftbegriffs Ratzingers wird untersucht, ob Ratzingers Vernunftverständnis diesen Anliegen angesichts der aufgezeigten philosophischen Problematik tatsächlich gerecht zu werden vermag. Dabei zeigen sich zahlreiche Problempunkte, die z.B. Ratzingers Verhältnisbestimmung von Glaube und Naturwissenschaft, seine Harmonisierung von philosophischem und offenbarungstheologischem Logos-Begriff, sein negatives Verständnis des neuzeitlichen Autonomiegedankens und seine übergeschichtliche Bestimmung moralischer Vernunftwahrheit betreffen (Teil III).

Sowohl die wichtigen Anliegen Ratzingers als auch die aus seinem Vernunftkonzept folgenden Probleme bilden ein Raster, in welches die Arbeiten anderer Autoren zum Vernunftbegriff Ratzingers und zu seiner Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft eingeordnet werden können. Die damit erfolgende Darstellung des Forschungsstands zum Vernunftbegriff Ratzingers orientiert sich also ganz an der Stellung der verschiedenen Autoren zu den Anliegen und den Problemen der ratzingerschen Konzeption und damit an den zwei Leitfragen, ob der jeweilige Verfasser einer Arbeit einerseits die wichtigen Anliegen Ratzingers zu würdigen weiß und andererseits die philosophischen und theologischen Probleme sieht, die Ratzingers Konzeption nach sich zieht. Um diesen systematischen Bezug zur kritischen Würdigung des Vernunftbegriffs Ratzingers zu ermöglichen, erfolgt die Darstellung des Forschungsstands erst an dieser Stelle der Arbeit (Teil IV).

Kritik ist nur dann konstruktiv, wenn sie mit dem Aufweis alternativer Möglichkeiten verbunden wird. Deshalb wird im letzten Kapitel dieser Arbeit eine alternative Bestimmung des Vernunftbegriffs vorgeschlagen, die ebenfalls angesichts der Pluralität der Rationalitäten einen Einheitspunkt der menschlichen Vernunft identifizieren kann und die Anliegen Ratzingers deshalb positiv aufzunehmen vermag. Weil es sich dabei aber nicht wie bei Ratzinger um eine spekulativ-metaphysische, sondern um eine anthropologische Bestimmung des Vernunftbegriffs handelt, vermeidet sie gleichzeitig die philosophischen und theologischen Probleme, die der spekulative Vernunftbegriff Ratzingers mit sich bringt (Teil V).

Im Vorwort zu seinem ersten Jesus-Buch bittet Papst Benedikt XVI. die Leserinnen und Leser „um jenen Vorschuss an Sympathie, ohne den es kein Verstehen gibt.“2 Dementsprechend war der Verfasser dieser Arbeit bemüht, Ratzinger bei der Lektüre seines Werkes diesen Vorschuss reichhaltig zu gewähren, um zu einem wirklichen, möglichst vorurteilsfreien Verstehen seines Denkens zu gelangen. Der analytische Teil der Arbeit soll diese angestrebte, aber natürlich niemals gänzlich zu realisiernde Vorurteilsfreiheit widerspiegeln. Trotzdem musste in einem zweiten Schritt dort Kritik geübt werden, wo nach Ansicht des Verfassers innere Unstimmigkeiten der Konzeption Ratzingers diese Kritik herausfordern und ein Verzicht auf Kritik in diesen Punkten auch einen Verzicht auf den Gebrauch des eigenen Urteilsvermögens bedeutet hätte. Es ging darum, den großen Entwurf eines bedeutenden und scharfsinnigen Theologen zu würdigen, von dem die Theologie auf zahlreichen Gebieten viel lernen kann und der dem heutigen Menschen eindrucksvoll einen möglichen Weg aus dem ‚Dilemma der Neuzeit‘ gewiesen hat. Gleichzeitig mussten die inneren Probleme dieses Entwurfs sachlich benannt werden. Somit wurde versucht, Bertrand Russells (1872–1970) Rat zu beherzigen: „Will man einen Philosophen studieren, so ist die richtige Einstellung ihm gegenüber weder Ehrfurcht noch Geringschätzung, sondern zunächst eine Art hypothetischer Sympathie, bis man in der Lage ist, nachzuempfinden, was der Glaube an seine Theorien bedeutet; erst dann darf man ihn kritisch betrachten, und das möglichst in der geistigen Bereitschaft eines Menschen, der von seinen bisher vertretenen Ansichten unbelastet ist. Geringschätzung würde den ersten und Ehrfurcht den zweiten Teil dieses Vorganges beeinträchtigen.“

1 Vgl. 6.2. Ein Überblick über theologische Beiträge zur Frage eines ‚Bruchs‘ in der Theologie Ratzingers findet sich bei Kaes, 15–21.

Verweise auf Sekundärliteratur werden im Fall von nur einem im Literaturverzeichnis angegebenen Titel des betreffenden Autors mit dem Namen des Autors gekennzeichnet. Im Fall von mehreren Titeln wird zusätzlich ein Kurztitel verwendet, der im Literaturverzeichnis der vollständigen bibliografischen Angabe in Klammern beigefügt ist.

2 Jesus von Nazareth I, 22.

Verweise auf Schriften Ratzingers/Benedikts XVI. werden als Kurztitel in kursivem Druck und ohne Autorenhinweis angegeben. Die Veröffentlichungen Ratzingers/Benedikts XVI. sind im Literaturverzeichnis gesondert aufgeführt und alphabetisch nach ihren Kurztiteln geordnet. Sämtliche Zitate in dieser Arbeit werden zwecks besserer Lesbarkeit gemäß der neuen Rechtschreibung wiedergegeben.

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