Читать книгу Logos Gottes und Logos des Menschen - Heiko Nüllmann - Страница 7
0. Einleitung 0.1 Allgemeine Vorbemerkungen
ОглавлениеEs gehört zu den Aufgaben christlicher Theologie, das Verhältnis von Glaube und Vernunft zu klären und den christlichen Glauben als vernunftgemäß auszuweisen. Diese Aufgabe ergibt sich aus dem Anspruch des Glaubens, der menschlichen Vernunft nicht unverbunden gegenüberzustehen, sondern ihr im Gegenteil etwas zu sagen zu haben. Denn seit den Anfängen des Christentums wird Jesus Christus als der ‚Logos Gottes‘ verstanden, wobei ‚Logos‘ zugleich ‚Wort‘ und ‚Vernunft‘ bedeutet. Im Christusgeschehen spricht Gott den Menschen an, wodurch die Vernunft des Menschen Anteil an der Vernunft seines Schöpfergottes erhält. Deshalb ist die Vernunft keineswegs aus dem Offenbarungsgeschehen ausgeklammert, sondern im Gegenteil von ihm herausgefordert.
Wenn der Logos Gottes nun aber von der menschlichen Vernunft als vernünftig erkannt werden soll, muss es bei aller Verschiedenheit zwischen ihm und dem Logos des Menschen eine Übereinstimmung geben. Der Logos Gottes muss also ein dem Logos des Menschen gemäßer Logos sein, er muss ihm entsprechen, um vom Menschen als ‚Vernunft‘ erkannt werden zu können. Die Theologie hat die Aufgabe, diese Entsprechung aufzuzeigen. Nur wenn ihr dies gelingt, kann sie den christlichen Glauben als eine der menschlichen Vernunft gemäße Weltanschauung verantworten. Denn nur dann kann gesagt werden, dass der Glaube die Vernunft nicht etwa unterdrückt und auf diese Weise den Menschen von sich selbst entfremdet, sondern sie vielmehr um eine Dimension zu erweitern vermag.
Ein Aufweis dieser Analogie erfordert nicht nur die theologische Bestimmung des Logos Gottes und mithin eine Antwort auf Fragen nach Form und Inhalt der Christusoffenbarung und der Möglichkeit einer unabhängig von dieser Offenbarung möglichen Erkenntnis des Logos in der Schöpfung. Er erfordert darüber hinaus und zuallererst auch eine Bestimmung der von diesem Logos affizierten menschlichen Vernunft. Um in verantwortbarer Weise von Gott sprechen zu können, muss Theologie also wissen, was sie unter ‚Vernunft‘ versteht, und zwar sowohl unter göttlicher als auch unter menschlicher Vernunft.
Dies ist bei Weitem kein rein wissenschaftlich-theoretisches Problem. Denn jeder Glaubende, der seinen Glauben vor der Vernunft verantworten will – und dies sollten nach 1 Petr 3,15 wohl nicht nur die Theologen sein –, muss dabei wenigstens implizit neben einem bestimmten Verständnis des Logos Gottes auch immer von einem bestimmten Verständnis der menschlichen Vernunft ausgehen. Doch ein allgemein-einheitliches Verständnis menschlicher Vernunft ist im Kontext der heutigen Pluralität menschlicher Lebensverhältnisse weitgehend verloren gegangen. Die eine Vernunft gibt es nicht mehr, sondern als ‚vernünftig‘ wird gemeinhin das bezeichnet, was in einer bestimmten Situation der Erreichung eines zuvor festgelegten Zieles und Zweckes dient. Dieses Ziel kann z.B. sein, die Strukturen der beobachtbaren Welt möglichst genau zu beschreiben, wie im Falle der naturwissenschaftlichen Vernunft. Es kann aber auch im größtmöglichen Profit für das eigene wirtschaftliche Unternehmen bestehen, wie im Falle ökonomischer Vernunft. Auch moralische Vernunft, die den Schutz der personalen Würde aller Menschen zum Ziel hat, und ökologische Vernunft, die sich dem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen und der Natur verschreibt, sind dann nur noch zwei unter vielen möglichen Rationalitäten, die teilweise auch durchaus, bedingt durch die verschiedenen Zielsetzungen, im Widerspruch zueinander stehen können.
Diese Kontextualität und Pluralität der Vernunft hat für das Glaubensverständnis fatale Folgen, denn wenn der Glaube seine Vernunftgemäßheit nur an einem oder einigen Vernunftkonzepten unter vielen erweist, welche immer nur kontextabhängige Geltung beanspruchen können, kann er seinen Anspruch auf universal gültige Wahrheit nicht aufrechterhalten. Ihm fehlt dann eine universal gültige Grundlage, auf welche er diesen Anspruch gründen könnte. Deshalb muss Theologie an der philosophischen Bestimmung eines Einheitspunkts menschlicher Vernunftvollzüge interessiert sein, der es ermöglicht, den Glauben mit der einen Vernunft des Menschen zu vermitteln. Darüber hinaus braucht es diesen Einheitspunkt, um auch die Universalität moralischer Maßstäbe vernünftig begründen zu können. Drittens ist eine gemeinsame Vernunft aller Menschen die unabdingbare Bedingung dafür, dass ein zwischenmenschlicher Dialog auf vernünftiger Basis grundsätzlich möglich bleibt.
Joseph Ratzinger hat in seiner Theologie diese Forderungen an den Vernunftbegriff vielfach zum Ausdruck gebracht und damit bewusst die Herausforderungen der Vernunftpluralität für die Theologie angenommen. Die bewusste Annahme dieses Problems und seine konsequente Bearbeitung machen Ratzingers Denken zu einer eindrucksvollen Demonstration einer Möglichkeit für den theologischen Umgang mit dieser Pluralität und für die Bestimmung eines einheitlichen Vernunftbegriffs, der die Pluralität in sich aufzunehmen vermag. Im Zuge der vorliegenden Arbeit soll dieser Vernunftbegriff Ratzingers analysiert und kritisch betrachtet werden. Wie ist der Einheitspunkt beschaffen, in welchem Ratzinger die vielfältigen Vernunftkonzeptionen vereint, um den genannten wichtigen Anliegen gerecht zu werden? Welche Konsequenzen ergeben sich aus dieser Bestimmung von ‚Vernunft‘ für das Glaubensverständnis, das Kirchenbild, die moralische Orientierung und den interreligiösen Dialog? Diese Fragen sollen systematisch zu beantworten versucht werden.
Beeinflusst sowohl vom hoffnungsvollen Aufbruch des Zweiten Vatikanischen Konzils, das bewusst den Dialog mit der säkularen Welt suchte, als auch von den theologischen Früchten und Risiken dieses Dialogs, mit denen er sich als Professor und als späterer Präfekt der römischen Glaubenskongregation kritisch auseinandersetzte (und als Papst Benedikt XVI. noch immer auseinandersetzt), ist Ratzingers theologisches Wirken schon von seiner Biografie her nachhaltig vom Dialog der Theologie mit der säkularen Vernunft bestimmt. Sein Verständnis des Vernunftbegriffs stellt deshalb das Produkt eines langen Reflexionsprozesses dar, der philosophisch-theologische und lebenspraktische Einsichten miteinander vereint und auf beiden Gebieten um Chancen und Gefahren für Glaube und säkulare Vernunft weiß, die mit der Bestimmung des Vernunftbegriffs zusammenhängen.
Um diese praktisch-theoretische Vielfalt im Denken Ratzingers widerzuspiegeln, wurden in dieser Arbeit zur Darstellung seiner Konzeption neben seinen schwerpunktmäßig behandelten zahlreichen wissenschaftlichen Werken auch die von ihm veröffentlichten Interviewbände, einige seiner Predigten und Meditationen sowie seine drei bisher veröffentlichten päpstlichen Enzykliken herangezogen. Auf diese Weise wird ein vielschichtiges Bild vom Vernunftkonzept Ratzingers gezeichnet, das bei aller Einheitlichkeit und Konsistenz auch einzelne Entwicklungsstränge im Denken Ratzingers aufzeigt.
Hinsichtlich dieser Entwicklung sei ein Ergebnis der Arbeit bereits vorab erwähnt: Wenn Ratzinger immer wieder einen mit den Studentenunruhen von 1968 in Zusammenhang gebrachten ‚Bruch‘ in seinem Denken abstreitet, so wird man ihm hinsichtlich der Grundlagen dieses Denkens recht geben müssen. Es sind Konstanten darin auszumachen, die sich von seiner Dissertation bis zu seinem bereits als Papst Benedikt XVI. veröffentlichten ersten Jesus-Buch durchhalten. Seine theologische Schwerpunktsetzung hinsichtlich dieser Konstanten verschiebt sich allerdings tatsächlich mit der Zeit, sodass unabweisbare Entwicklungen, z.B. von einem mehr heilsgeschichtlich orientierten Denken hin zu einem metaphysisch orientierten Denken, nicht von der Hand zu weisen sind. Diese Verschiebungen lassen sich als Reaktion auf theologisch-philosophische und gesellschaftliche Strömungen erklären, welche in den Augen Ratzingers im Begriff sind, die Einheit der Vernunft und damit die Kategorie einer universal gültigen Wahrheit aufzulösen.1