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Fremde Heimat
ОглавлениеHeinrich Mann fühlte sich in Nizza wohl. Schon in früheren Jahren hatte er diese wunderbare Metropole an der Grenze zwischen Italien und Frankreich, zwischen dem Glitzern des Mittelmeeres und der Kühle der nahen Berge schätzen und lieben gelernt. In Nizza erlebte er nicht die Bitternis des Exils. Frankreich empfand er als »Vorposten der menschlichen Freiheit«. Aber fern von seinen Lesern in Deutschland hafteten Nizza und der Côte d’Azur auch etwas Fremdes an. Es war ein Unterschied, ob er dort Urlaub machte und ausruhte, oder ob er als Schriftsteller dort sein Leben bestreiten musste. Die »Côte« konnte trotz ihrer unbestreitbaren Reize seine Heimat nicht ersetzen und es kam noch hinzu, dass Deutschland ihm während der nationalsozialistischen Diktatur immer fremder wurde.
Nelly und Heinrich lebten gut sieben Jahre in Nizza, stets in der Nähe des Boulevard des Anglais. In dieser Zeit veröffentlichte er drei Essaybände. Der erste kam bereits Ende 1933 heraus, der letzte im Kriegsjahr 1939. In allen drei Büchern stand die Auseinandersetzung mit Hitler und seinen Helfershelfern im Vordergrund. Den schärfsten Ton schlug Heinrich Mann gegen sie in seinem ersten Band Der Haß an. Die Wunde der Flucht und die seelischen Folgen der Erniedrigung verleiteten ihn dazu, dem Regime mit blanker Verachtung und Hass zu begegnen. So nachvollziehbar dies nicht nur aus seiner persönlichen Situation heraus war, entsprach seine radikale Darstellung nicht der Wahrnehmung vieler Deutscher, Franzosen und der Einschätzung im europäischen Ausland. Sie sah darüber hinweg, dass es Hitler gelang, weite Teile der deutschen Bevölkerung für seine Politik einzunehmen und das Ausland zunächst zu beruhigen. Die Olympischen Spiele 1936 in Berlin wären nicht zu einem internationalen Festival des Nazi-Regimes geworden, wenn es auf breite Ablehnung im Deutschen Reich und seitens der bei den Spielen versammelten Welt gestoßen wäre. Heinrich Manns Schriften blendeten dies weitgehend aus. Zudem zog er einen dicken Trennungsstrich zwischen dem deutschen Volk und seinen Verführern, ohne zu erkennen, dass es ihnen allzu bereitwillig folgte. Auch wenn er in den beiden Folgebänden seinen hasserfüllten Ton milderte, hielt er an seinem Ziel fest. Er wollte das europäische Ausland, insbesondere Frankreich, vor den deutschen »Schreckensmännern« warnen und die Wachsamkeit und Solidarität gegen das »Dritte Reich« fördern. Zweitens kam es ihm darauf an, die in der Emigration lebenden Deutschen über weltanschauliche Gräben hinweg zu einen. Beide Ziele erreichte er mit seinen politischen Essays, wenn überhaupt, nur ansatzweise. Sie stießen weder in Frankreich noch im erweiterten europäischen Ausland auf eine breite Resonanz. In den Kreisen der Emigranten fanden sein Mut und seine Unerschrockenheit breite Anerkennung. Erst seit Mitte der Dreißigerjahre, als die Nazis ihr Regime gefestigt hatten, traten Heinrich Manns schlimmste Befürchtungen für alle, die es sehen wollten, ein. Trotzdem scheiterte sein Bemühen, eine Volksfront gegen Hitler zu schmieden. Schon am Ende der Weimarer Republik hatte er Sozialdemokraten und Kommunisten aufgefordert, sich zusammenzuschließen. Daran knüpfte er wieder an. Jedoch wollte er den Kreis nunmehr um alle diejenigen erweitern, die bereit waren, gegen die Hitler-Diktatur ihre Stimme zu erheben. Das Vorhaben scheiterte, weil die Kommunisten einen Führungsanspruch erhoben und sich weigerten, ein Bekenntnis für ein freies republikanisches Nachkriegsdeutschland abzulegen. Heinrich Manns Vermittlungsversuche liefen ins Leere, obwohl er den Kommunisten weit entgegenkam. Er trat für ein enges Einvernehmen mit der Sowjetunion und ihren – seiner Meinung nach – glorreichen Führern Lenin und Stalin ein. Ohne die Sozialistische Sowjetunion könne es keinen Frieden und auch keinen deutschen Volksstaat geben, schrieb er. In seinen Lebenserinnerungen bekräftigte er diese Position und sah in Stalin einen genialen Weltenlenker, und in der Sowjetunion ein Modell der Zukunft für die Welt. Diese Sichtweise irritiert. Dabei bleibt zu bedenken, dass die Welt erst später vom ganzen Ausmaß des stalinistischen Terrors erfuhr.
Neben den Essaybänden beschäftigte ihn die Niederschrift seines Doppelromans Die Jugend des Königs Henri Quatre und Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Die Arbeit daran füllte nahezu die ganze Zeit seines Aufenthalts in Frankreich aus. Es entstand ein historisches Epos mit vielen Bezügen zur nationalsozialistischen Diktatur. Es hat Shakespear’sches Format. Im Mittelpunkt der Handlung steht Heinrich IV., der vom König von Navarra zum König von Frankreich während der Zeit der Religionskriege aufstieg. Heinrich Mann diente die historische Vorlage vor allem als Quelle der Inspiration. Er schrieb kein Geschichtswerk, sondern einen Roman, der sich vom Leben dieses sagenumwobenen Königs leiten ließ. Der Kristallisationspunkt der Handlung ist die Bartholomäusnacht im August 1572 in der tausende Protestanten niedergemetzelt wurden. Heinrichs Gefolgsleute hielten sich in Paris auf, um die Hochzeit der Versöhnung Heinrichs, dem Hugenotten, mit der Katholikin Margarete von Valois zu feiern. Sie zahlten mit dem Tod, Heinrich IV. überlebte.
Margarete war die Tochter des bösen Geistes im Louvre, Katharina von Medici, die im Hintergrund die Strippen dieser Bluttat zog. Die Bluttat stellt den zivilisatorischen Tiefpunkt der Religionskriege in Frankreich dar. Nach seiner Flucht aus dem Louvre versuchte Heinrich IV., der inzwischen zum Katholizismus konvertiert war, das Land zu befrieden, was ihm schließlich mit dem Edikt von Nantes 1598 als König von Frankreich gelang. Es garantierte die Gewissens- und Religionsfreiheit. Von der Bartholomäusnacht bis zum Edikt vergingen über 20 Jahre, in deren Mittelpunkt Henris Kampf gegen die immer einflussreicher werdende katholische Liga stand. In ihrer Radikalität und menschenverachtenden Herrschaft entdeckte Heinrich Mann Parallelen zur nationalsozialistischen Diktatur. Mit der Darstellung ihrer Führer und deren Wortwahl verwies er auf ihren gewaltsamen Weg zur Macht. In der Gestalt des Predigers Boucher skizzierte er das Portrait von Joseph Goebbels. Als Kontrast zu den Gewaltmenschen zeichnete er mit Henri einen Herrscher, der seine Macht auf Güte und Ausgleich gründete, der versuchte, in seiner Amtszeit den Menschen ein guter König zu sein. Heinrich Mann schildert seine Entwicklung vom kämpfenden Heerführer zum volksnahen Herrscher, der dafür eintritt, dass seine Untertanen ein auskömmliches Leben in Freiheit führen können. Am Ende des Romans zieht Henri die Bilanz seines Lebens: »Ich habe viel geliebt. Ich habe mich geschlagen und die Worte gefunden, die packen. Französisch ist meine Lieblingssprache: selbst die Fremden möchte ich daran erinnern, dass die Menschheit nicht dazu erschaffen ist, ihren Träumen zu entsagen, die nichts anderes sind als wenig bekannte Realitäten. (…). Das Glück, es gibt es. Erfüllung und Überfluß sind in Reichweite. Und die Völker kann man nicht erdolchen. Habt keine Angst vor den Messern, die man gegen euch aussendet. Ich habe sie nie gefürchtet. Macht es besser als ich. Ich habe zu lange gewartet. Die Revolutionen kommen nie zur rechten Zeit: deshalb muß man sie zu Ende führen, und zwar gewaltsam.«
Im Angesicht des Nationalsozialismus trat Heinrich Mann für einen kämpferischen Humanismus ein, um die Freiheit zu verteidigen. Er war ein Idealist, der spürte, dass in der Stunde der Not die Ideale nicht allein mit Ideen und Worten verteidigt werden können. Im zweiten Teil des Romans heißt es: »Unser König ist kein Künstler, sondern ein Soldat«.