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Kaiser Wilhelm II. und das Gottesgnadentum *
ОглавлениеNur vor einer Persönlichkeit pflegte sie bisher Halt zu machen, die Kritik, die allen anderen zugesetzt hatte. Wenn man sonst Jedermann als Typus oder vielmehr als eine Zusammensetzung von Typen ansah, (…), so hatte man gewöhnlich doch für die eine Persönlichkeit ganze Gefühle bewahrt, den Monarchen liebte oder haßte man, man empörte sich oder gab sich hin. Man konnte noch, im Guten oder Bösen an ihn glauben wie man nur an das glaubt, was man nicht kennt. Seine Persönlichkeit war auch noch von keinem Revolutionär angetastet worden. Man mochte ihn auf’s Schaffot schleppen, so wußte man im Grunde doch niemals wer er war. (…). Denn sein Wille war zu dem Kollektivbegriff der »Regierung« erweitert, aus deren Physiognomie die seinige niemals mit Sicherheit zu entziffern war.
Auch in dieser Bedeutung ist er »von Gottes Gnaden« geblieben. Denn es ist zu bedenken, daß das Gottesgnadenthum ein Rest ist von Etwas, was ehemals allgemein war. Wir Alle waren einmal von Gottes Gnaden, jeder an seinem Platze, als volle Persönlichkeit, mit einer Seele aus einem Stück, die man gut oder schlecht, unbrauchbar oder tüchtig nannte. Diese einfache Schöpfung ist von der Kritik analysirt worden als ein komplizirter Automat mit widersprechenden Fähigkeiten und vorgeschriebenen Bewegungen. Sollte nun auch jene einzig übrig gebliebene Seele der Kritik verfallen, so würde aus den Stücken, in die sie sie zerlegt hätte, Jeder das ihm Genehme festhalten, das übrige ausscheiden. Es würde ein Feilschen und Zerren beginnen, dem die Persönlichkeit des Monarchen und damit der Monarchie selbst endgültig erliegen müßten. Denn die Mystik des Gottesgnadenthums besteht eben in der Unkenntnis des Monarchen, und das Ende dieser Unkenntnis wäre zugleich das Ende der Monarchie.
(1895) Essay. Wilhelm II., zuerst in: Das Zwanzigste Jahrhundert. Blätter für deutsche Art und Wohlfahrt, hg. v. H. Mann, Heft v. Juli 1895, hier: Klein, W. Hg. u. a., Essays und Publizistik, Bd. 1, S. 190–195, hier S. 193f.