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Bourget als Kosmopolit

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Seine Kunst des Verallgemeinerns mußte sich ungleich schwieriger gestalten, sobald sie von der Uebung an dem landschaftlichen Charakter, an der Bevölkerung, an Kunst und Leben eines einzelnen fremden Landes dazu überging, Typen verschiedener Nationalitäten und Rassen und diese auch wieder in einer ihrem Ursprung fremden Umgebung und Lebensweise darzustellen. Die Aufgabe hatte eine complicirte Fassung bekommen, sobald es sich darum handelte, den eigenen Kosmopolitismus gleichsam mit dem der zu zeichnenden Charaktere zu multiplizieren. Da es aber Bourget war, der sie sich stellte, so konnte die vollgültige Lösung entstehen, welche nunmehr in dem mit einem, wie es scheint, zuerst von Stendhal gebrauchten Wort »Cosmopolis« betitelten Roman vorliegt.

»Heute … schaffen sich eine beträchtliche Anzahl von Personen, wie Beyle, in Graden und Nuancen, die nach den Mitteln und Temperamenten schwanken, Sammelplätze zum Genuß exotischer Eindrücke. Allmählich und Dank einem unvermeidlichen Zusammentreffen der verschiedenen Adepten des weltbürgerlichen Lebens, bildet sich eine europäische Gesellschaft, eine Aristokratie besonderer Art, deren vielfältige Sitten noch nicht ihren endgültigen Maler gehabt haben.« Mit diesen Worten war bereits in dem in mancher Beziehung grundlegenden Aufsatz über Stendhal das Thema angedeutet. Bei näherem Eingehen auf dasselbe mögen sich die besonderen Schwierigkeiten aufgedrängt haben, von denen in einigen Bemerkungen der »Italienischen Eindrücke« die Rede ist. »Je mehr ich gereist bin«, heißt es dort, »desto augenscheinlicher ist es mir geworden, daß die Civilisation die Grundverschiedenheiten zwischen Volk und Volk, auf denen die Rasse beruht, nicht gemäßigt hat. Sie hat bloß die hervor tretenden Aeußerlichkeiten dieser Verschiedenheiten mit einem einförmigen Firniß überkleidet. Das Ergebnis ist nicht eine Annäherung. Die Rasse ist im Gegenteil schwerer zu erkennen, da die Gleichheit der äußeren gesellschaftlichen Formen uns die innerlichen Gegensätze verbirgt. Es erscheint paradox, aber wahrscheinlich kennen wir einander viel weniger, unter Nationen gesprochen, als zu den Zeiten, wo jeder nach seiner Gewohnheit lebte.«

Die Gesellschaft, welche Cosmopolis schildert, ist eine solche, in der kaum Einer nach den ihm von Hause eigenen Gewohnheiten lebt. Alle diese Menschen, die in der gleichen Stadt Rom, wo sie sich theils für immer, theils zu länger oder kürzer begrenztem Aufenthalt niedergelassen haben, die gleiche Existenz des vornehmen Genusses führen, »die gleiche Sprache sprechen, von den gleichen Lieferanten gekleidet sind, die gleiche Morgenzeitung gelesen haben und die gleichen Gefühle und Gedanken zu haben glauben«, scheinen bis zur thatsächlichen Gleichheit assimiliert zu sein. Aber es kann auch zwischen ihnen Situationen geben, wo durch den inneren Druck von Leidenschaften der einförmige Firniß, der die Verschiedenheiten ihrer Geburt verdeckt, Sprünge erhält. Wenn in solchem Falle die Rassen unter Hervorkehrung ihrer Grundeigenthümlichkeiten gegen einander gerathen, so ist in erster Linie ein heftiger Zusammenstoß zwischen den weitesten Gegensätzen Schwarz und Weiß zu erwarten. Der Instinkt ist hier so stark, daß er auch wenige Tropfen des schwarzen Blutes, mögen sie selbst vor geraumer Zeit in das Familienblut gerathen sein, unschwer erräth.

(1894) Essay. Bourget als Kosmopolit, zuerst in: Das Zwanzigste Jahrhundert. Blätter für deutsche Art und Wohlfahrt, hg. v. H. Mann, Heft v. Januar 1894, hier: Klein, W. Hg., Essays und Publizistik, Bd. 1, S. 52–67, hier S. 53ff.

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