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Neubeginn ohne Erfolg

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Als die nationalsozialistischen Truppen Paris besetzten, konnten Nelly und Heinrich nicht länger in Frankreich bleiben. Sie flohen über die östlichen Ausläufer der Pyrenäen nach Lissabon und von dort mit dem Schiff nach New York. Nach einem kurzen Aufenthalt bei seinem Bruder Thomas in Princeton zog Heinrich mit seiner Frau nach Los Angeles. Dort versammelten sich – wie einst in Nizza – viele deutsche Migranten. Auch sein Bruder Thomas ließ sich bald darauf in Pacific Palisades nieder, wo er eine geräumige Villa baute, das sogenannte »Weiße Haus«. Ein Jahr erhielt Heinrich eine großzügige Unterstützung von der Filmgesellschaft Warner Brothers. Doch ihm fehlte das Talent, Drehbücher à la Hollywood zu schreiben. So war er fortan darauf angewiesen, von seinen Büchern zu leben. Im amerikanischen Exil gelangen ihm noch drei Romane und sein Memoirenbuch Ein Zeitalter wird besichtigt. Bei den Romanen handelt es sich um Lidice, Der Atem und Empfang bei der Welt. In diesen Arbeiten schlug er einen neuen Ton an. Sein Bruder Thomas sprach von einem »Greisen-Avantgardismus«, ohne genau zu erklären, was er damit meinte. Heinrich jedoch fühlte sich geehrt. Neben der politischen Dimension dieser zum Teil sehr aufwändigen Arbeiten lag es vielleicht auch an dem neuen poetischen – teils extravaganten, teils geheimnisvollen, surrealistischen – Ton, dass es nicht gelang, einen Verlag in den USA dafür zu finden. Mit großen Hoffnungen gestartet, gerieten seine Frau Nelly und er in Not. Nur mit finanzieller Hilfe seines Bruders und anderer Migranten konnte sich das Paar über Wasser halten. Nelly versuchte mit verschiedenen Tätigkeiten ihre schwierige wirtschaftliche Lage zu verbessern. Ihrer labilen Befindlichkeit war dies nicht förderlich. 1944 starb sie beim fünften Versuch, sich das Leben zu nehmen. Heinrich Mann fiel in tiefe Trauer und vereinsamte. Nur noch wenige Freunde besuchten ihn. Lion Feuchtwanger und seine Frau, Ludwig Marcuse und dann und wann der eine oder andere der in Los Angeles lebenden Migranten. Mit seinem Bruder telefonierte er fast täglich. Einmal in der Woche wurde er ins »Weiße Haus« eingeladen. Vor allem das Schreiben gab ihm Halt. Besucher berichteten, dass die ihn im Alltag begleitende Melancholie Heinrich nicht davon abhielt, im Gespräch seinen Witz und Geist aufblitzen zu lassen. Aufmerksam verfolgte er bis zuletzt das Weltgeschehen.

Heinrich Mann verstarb am 11. März 1950 in Santa Monica. Sein Tod kam überraschend, obwohl er seit Längerem krank war. Am Tag zuvor hatte sein Bruder ihn noch gemeinsam mit seiner Frau Katia nachmittags in seiner kleinen Wohnung besucht. Noch lange Musik hörend, verbrachte Heinrich den Abend. Es ging ihm den Umständen entsprechend gut. Spröde vermerkte Thomas zu Heinrichs unerwartetem Ableben in seinem Tagebuch: »Gehirntod, bei noch schwach fortarbeitendem Herzen. K. dort. Das Ableben eine Frage von Stunden. Natürliche Erschütterung ohne Widerstand gegen dies Geschehen, da es nicht zu früh kommt und die gnädigste Lösung ist.« Die Trauerfeier fand in kleinem Kreis statt. Die DDR rühmte ihn als großen deutschen Dichter, Freund des Friedens und der Sowjetunion. Sie förderte sein Werk, benannte Straßen und öffentliche Plätze nach seinem Namen und ehrte sein Gedenken mit einem Heinrich-Mann-Preis, der bis heute jährlich an seinem Geburtstag verliehen wird. Zu den frühen Preisträgern zählten u. a. Stefan Heym, Franz Fühmann und Christa Wolf. Aus der Bonner Republik trafen keine offiziellen Reaktionen ein. Dort galt Heinrich Mann als Kommunist und Stalin-Verehrer. Als Walter Ulbricht bei der Beisetzung seiner Urne – nach diplomatischem Tauziehen kam sie aus Los Angeles nach Berlin – auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof im März 1961 kurz und bündig formulierte: »Heinrich Mann ist unser«, instrumentalisierte er sein Werk. Diese Vereinnahmung trug dazu bei, dass der S. Fischer Verlag erst Mitte der Achtzigerjahre damit begann, es nach und nach in einer Taschenbuchausgabe einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Noch heute haftet Heinrich Mann das Stigma an, ein Parteigänger des Kommunismus gewesen zu sein. Doch er stand auf der Seite der Freiheit. Als er gebeten wurde, ein Vorwort zum Verfassungsentwurf der DDR zu schreiben, notierte er der SED-Führung ins Stammbuch: »wer die ganze Wahrheit wünscht, rechnet mit der Verschiedenheit der Meinungen.«

In dem nachfolgenden »Lesebuch« werden Ausschnitte aus Heinrich Manns Romanen, Novellen und Essays dokumentiert. Sie eröffnen dem Leser die Möglichkeit, seine literarische und zeitkritische Entwicklung nachzuvollziehen. Sie bieten nicht nur Einblicke in das Werk Heinrich Manns, sondern ermöglichen auch, sich in den Menschen Heinrich Mann und seine Zeit hineinzufühlen. Dennoch vermitteln sie nicht mehr als einen ersten Eindruck. Sie sollen zu einer vertiefenden Betrachtung einladen. Nicht alle Romane, noch weniger alle Novellen und schon gar nicht die Vielzahl seiner Essays fanden hinreichend Erwähnung. Auf Auszüge aus seinem nicht unbedeutenden dramatischen Werk musste aus Platzgründen ganz verzichtet werden. Zur Illustration wurden drei Gedichte zitiert; es gibt gut 200 Gedichte von ihm. Sie entstanden zum größten Teil in seinen jungen Jahren; einige finden sich aber auch in seinem Werk verstreut. Bis heute fehlt es an einer Sammlung. Das erste zitierte Gedicht und die sich anschließende Novelle verraten viel über seinen Orientierungsnotstand zu Beginn der Neunzigerjahre des 19. Jahrhunderts. Die beiden Gedichte aus dem Doppelband Die Jugend des Königs Henri Quatre und Die Vollendung des Königs Henri Quatre verweisen darauf, wie Heinrich Mann Prosa und Lyrik zu verflechten weiß.

Bei der Zusammenstellung ließ der Herausgeber sich davon leiten, inwieweit die Texte repräsentativen Charakter für den Roman, die Novelle und den jeweiligen Essay des Werkes insgesamt haben. Zudem kam es ihm darauf an, dass sie in sich abgeschlossen und damit gut verständlich sind. Drei Bücher wurden aufgrund ihres besonderen Stellenwertes herausgestellt: Der Untertan, der Doppelroman Die Jugend des Königs Henri Quatre und Die Vollendung des Königs Henri Quatre sowie das Erinnerungsbuch Ein Zeitalter wird besichtigt. Die mit * gekennzeichneten Überschriften stammen nicht von Heinrich Mann, sondern vom Herausgeber.

Günther Rüther, Euskirchen im Sommer 2020

Anfang und Ziel ist der Mensch

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